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Feminina gefolgt, z. B. «Blume», «Backe», «Rippe». Nicht minder umfangreich ist die Neugestaltung der Verbalflexion. – Das wichtigste Kennzeichen der neuhochdeutschen Sprache [* 2] ist hier die Ausgleichung der ursprünglich verschiedenen Vokale des Singular und des Plural des Präteritums, die bis auf wenige Mundarten im ganzen deutschen Sprachgebiet durchgedrungen ist: mittelhochdeutsch steig, Plural stigen zu «stieg», «stiegen», lêh, lîhen zu «lieh», «liehen»;
der Vokal des Singulars wurde verallgemeinert z.B. in mittelhochdeutsch half, hulfen zu «half», «halfen», mittelhochdeutsch sang, sungen zu «sang», «sangen» (das noch bestehende «ward» neben «wurde», mittelhochdeutsch ward, wurten);
quantitativ siegte der Vokal des Plurals in mittelhochdeutsch sprach, sprâchen zu «sprach», «sprachen»;
nam, nâmen zu «nahm», «nahmen».
Auch das Participium des Präteritums nahm vielfach an diesem Ausgleichungsprozeß teil: mittelhochdeutsch floug, flugen, geflogen zu «flog», «flogen», «geflogen»;
schôz, schuzzen, geschozzen zu «schoß», «schossen», «geschossen».
Der sog. grammatische Wechsel, der z. B. mittelhochdeutsch zôch von zugen, gezogen, mittelhochdeutsch ward von wurten, worten, mittelhochdeutsch verlôs von verlurn, verlorn schied, wurde aufgehoben: neuhochdeutsch zog, zogen, gezogen; wurde, wurden, geworden; verlor, verloren, verloren. Während das Präsens «ziehen», «schneiden» noch heute einen andern Konsonanten hat als das Präteritum «zog», «schnitt», hat z. B. mittelhochdeutsch verliesen das r des Präteritums angenommen.
Diese Ausgleichungen finden sich vereinzelt schon im ältern Mittelhochdeutschen und Mittelniederdeutschen, häufiger erst im 15. Jahrh. Noch Luther hält in bestimmten Fällen an den alten Formen fest. Erst im 17. Jahrh. ist der Sieg der modernen Formen entschieden. Die 1. Person Singularis Ind. Präs. hat (zuerst niederdeutsch) den Vokal des Plurals und Infinitivs angenommen: mittelhochdeutsch nemen, ich nime, du nimest, er nimet, wir nemen zu neuhochdeutsch nehmen, nehme, nimmst, nimmt, nehmen.
Die verschiedenen Klassen der schwachen Verba waren schon in mittelhochdeutscher und mittelniederdeutscher Zeit fast völlig zusammengefallen. Jetzt traten einzelne schwache Verba in die starke Konjugation über, z. B. «preisen», «einladen» (Präteritum mittelhochdeutsch prisete, ladete), und viel häufiger war das Umgekehrte der Fall, z. B. wurden früher die Verba falten, spannen, schaben, hinken, kauen stark konjugiert. Seit dem 15. Jahrh. ist im Oberdeutschen und Ost- und Rheinfränkischen das Präteritum außer Gebrauch gekommen, an dessen Stelle hinfort Umschreibungen mit «haben» oder «sein» traten. – Unberücksichtigt ist bei der Aufzählung der Neuerungen dieser Periode das geblieben, was in der modernen Sprache der Gebildeten nicht mehr zum Ausdruck kommt, wiewohl in dem größten Teile des deutschen Sprachgebietes Z. B. ā zu offenem ō geworden ist («Jahr» zu «Johr»),
ö, ü und eu (äu) zu e, i und ai («schön» zu «scheen», «Müller» zu «Miller», «Leute» zu «Laite»),
auslautendes -e abgefallen ist («Freude» zu «Freud’»),
rs als rsch gesprochen wird («Wurst» zu «Wurscht», so schriftsprachlich «Bursche» aus mittelhochdeutsch burse).
Die angeführten Neugestaltungen sind im ganzen zwischen 1250 und 1650 vor sich gegangen, wenn sie auch in ihren Konsequenzen bis in die Gegenwart hinein fortgewirkt haben. Um die Mitte des 17. Jahrh. ist die moderne [* 3] Deutsche Sprache in der Hauptsache fertig gewesen, und seitdem ist kein sprachliches Ereignis von größerer Tragweite mehr zu verzeichnen, es sei denn, daß man als ein solches die mannigfachen Bedeutungsveränderungen alter Wörter und die Bereicherung des Wortschatzes durch neue betrachten will.
Damals ist auch die Herrschaft der Schriftsprache allgemein anerkannt worden, und fortan scheidet man zwischen und Deutsche Spracheund deutschen Mundarten. Auch in Niederdeutschland war damals der Sieg der hochdeutschen Schriftsprache entschieden; nur politisch selbständiger behielten die Niederlande [* 4] ihre niederfränk. Mundart auch als Schriftsprache bei. Seit dem 17. Jahrh. hat die Schriftsprache einen allmählich zunehmenden Einfluß auf die gesprochene mundartliche Sprache gewonnen (u. a. durch die Bühne), der erst seit den letzten Jahrzehnten rasche Fortschritte macht.
Nur in einem Punkte weicht die gesprochene Sprache von der Schriftsprache ab: während diese die oberdeutschen Diphthonge ie und u (geschrieben ŭ, i. ů = uo) wiedergiebt, sprechen wir nach mitteldeutscher Weise ein langes i und u (z. B. in den Worten «Liebe» und «gut»). Die Schriftsprache ist die Sprache der Gebildeten geworden, wenn auch die Aussprache überall auf der Mundart beruht. Aber auch in diesem Punkte findet jetzt eine sprachliche Ausgleichung zwischen Nord und Süd statt infolge des durch die Eisenbahnen so gewaltig gesteigerten Verkehrs.
Goethe, als Frankfurter, reimte seiner Aussprache gemäß noch können: verbrennen, Zweifel: Teufel, an: Wahn, Kellernest: angemäst’t, gewiesen: Füßen, schaden: rathen, neige: Schmerzensreiche. Als eine fremde Sprache hat der Niederdeutsche das Hochdeutsch gelernt. Der Hochdeutsche selbst hat seine Mundart immer mehr dem Schriftdeutsch genähert. Je höher seine gesellschaftliche Stellung, um so mehr entfernt er sich von seiner Mundart. Zwischen der gemeindeutschen Verkehrssprache und der Mundart giebt es jetzt mannigfache Abstufungen.
Die Sprechweise eines jeden Standes wird durch die des jeweilig höhern beeinflußt, und um die Reinheit der Mundarten ist es geschehen. Noch heute ist, um nur der Aussprache zu gedenken, in der Sprache der Gebildeten keine Einigung erzielt in Bezug auf 1) den Tonfall, der in jeder Landschaft verschieden ist;
2) die Vokalquantität in gewissen Fällen, z. B. «Tag», «Hof», [* 5] «Schmied» («Schmidt»),
«Wuchs» mit langem, nur norddeutsch mit kurzem Vokal; «giebt» («gibt»),
«liest» («list»),
«husten» mit kurzem, nur norddeutsch mit langem Vokal; «Arzt» mit überall verschiedener Quantität; in allen derartigen Fällen besteht heute die Tendenz, der Länge den Vorzug zu geben;
3) die Aussprache von e (und ä); der Volksmund scheidet fast überall offenes e (= etymologisch german. e) und geschlossenes e (= etymolog. Umlaut von a); jetzt scheint entweder die auf der Orthographie beruhende Aussprache durchdringen zu wollen, nach der jedes lange e geschlossen, jedes lange ä offen ausgesprochen wird, oder die Berliner, [* 6] die nur geschlossenes langes e kennt;
4) die Aussprache des kurzen i und u (in Norddeutschland offen, in Mittel- und Süddeutschland geschlossen, also qualitativ wie langes i und u); 5) die Aussprache von ei und au (hier wie äi, ou, dort wie āe, āo gesprochen);
6) die Aussprache von b, d und g; der Oberdeutsche spricht stimmloses b, d, g; der Mitteldeutsche desgleichen, nur spricht er b zwischen Vokalen wie bilabiales w, und g zwischen ¶
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Vokalen wie ch (ehemals wie jetzt im Norddeutschen); der Norddeutsche spricht b, d, g stimmhaft und zwar g zwischen Vokalen als Reibelaut; im Wortauslaut spricht man b und d überall wie p und t, aber auslautendes g wird in Nord- und Mitteldeutschland wie ch gesprochen, nur im Oberdeutschen wie k; es scheint, als ob die oberdeutsche Sprechweise in allen Fällen die meiste Aussicht hat, künftig herrschend zu werden;
7) die Aussprache des s vor Vokalen (in Norddeutschland stimmhaft, in Mittel- und Süddeutschland jetzt stimmlos);
8) die Aussprache des w (norddeutsch labiodental, mitteldeutsch bilabial, oberdeutsch beides);
9) die Aussprache des auslautenden r (schwankend zwischen r, ch und einem landschaftlich verschieden gefärbten, vokalischen Ersatzlaute);
10) die Aussprache des r vor t, d, s, sch, n oder l; 11) die Aussprache von kn, gn, kl, gl. Es sind dies nur einige der wichtigsten lautlichen Unterschiede, die noch nicht ausgeglichen sind. Dazu kommen viele landschaftliche Eigenheiten, die auch als gut deutsch anerkannt werden, so die oberdeutschen Fortes, die bayr.-österr. Silbentrennung oder das nordwestdeutsche anlautende st und sp. Schwieriger sind die analogistischen, syntaktischen und stilistischen, die Unterschiede in der Wortbildung und dem Wortschatze darzulegen, wo das Mitteldeutsche meist zum Norddeutschen stimmt.
Der Süddeutsche «fragt», «fragte», «wob» und «buk», der Norddeutsche «frägt», «frug», «webte» und «backte». Jener «ist», dieser «hat» gestanden und gesessen. Im allgemeinen erkennt der Norddeutsche die süddeutschen Wörter an, die für ihn zumeist einen poet. Beigeschmack haben. Dem Süddeutschen aber ist die norddeutsche Redeweise unsympathisch. In Deutschland [* 8] ist man weit davon entfernt, daß Berlin [* 9] einmal in ähnlicher Weise in der Sprache ausschlaggebend werde wie für Frankreich Paris. [* 10]
Die Art der sprachlichen Ausgleichung zwischen Nord und Süd ist eine durchaus gesunde und gerechte. Ungesund aber ist die durch die Schule und ihren Grundsatz «Sprich wie du schreibst!» verschuldete, sich immer mehr geltend machende Tendenz, für die Aussprache in streitigen Fällen die übliche Orthographie als Norm zu betrachten. Nur insofern gewinnt allerdings die norddeutsche Aussprache stetig an Einfluß, die ja selbst bis zu einem gewissen Grade nur die buchstäbliche Aussprache der angenommenen hochdeutschen Schriftsprache ist. Abgesehen aber von der Aussprache wird die Heimat der gelesensten Schriftsteller für die Zukunft entscheiden, ob die sprachliche Eigenart des Nordens oder die des Südens mehr zur Geltung kommt.
Grammatische Litteratur. O. Behaghel, Die Deutsche Sprache (Prag [* 11] 1880);
ders., Geschichte der Deutsche Sprache (in Pauls «Grundriß der german. Philologie», Bd. 1, Straßb. 1891, S. 526‒633);
J. Grimm, Deutsche Grammatik (Bd. 1, Gött. 1819; 3. Aufl. 1840; Bd. 2‒4, 1826, 1831 u. 1837; neuer Abdruck Bd. 1‒3, Berl. 1870, 1878 und Gütersloh 1890);
W. Wilmanns, Deutsche Grammatik (Abteil. 1, Straßb. 1893; auf 4 Bde. berechnet);
M. Heyne, Kurze Grammatik der altgerman.
Sprachstämme [* 12] (Bd. 1, 3. Aufl., Paderb. 1874); Fr. Kauffmann, Deutsche Grammatik. Kurzgefaßte Laut- und Formenlehre des Gotischen, Alt-, Mittel- und Neuhochdeutschen (Marb. 1888); Ad. Holtzmann, Altdeutsche Grammatik (Bd. 1, Lautlehre, 1. Abteil., Lpz. 1870; 2. Abteil., ebd. 1875); Fr. Kluge, Nominale Stammbildungslehre der altgerman. Dialekte (Halle [* 13] 1886); O. Erdmann, Grundzüge der deutschen Syntax (Stuttg. 1886). W. Braune, Althochdeutsche Grammatik (2. Aufl., Halle 1891); ders., Abriß der althochdeutschen Grammatik, nebst mittelhochdeutschen, altsächs. und got. Paradigmen (ebd. 1891); M. Heyne, Kleine altsächs. und altniederfränk.
Grammatik (Paderb. 1873); O. Behaghel und J. H. Gallee, Altsächs. Grammatik (1. Hälfte, Laut- und Flexionslehre, Halle und Leid. 1891). – Weinhold, Mittelhochdeutsche Grammatik (3. Aufl., Paderb. 1892);
H. Paul, Mittelhochdeutsche Grammatik (3. Aufl., Halle 1889);
A. Lübben, [* 14] Mittelniederdeutsche Grammatik (Lpz. 1882);
te Winkel, [* 15] Geschichte der niederländ. Sprache (in Pauls «Grundriß», Bd. 1, S. 634‒722);
J. Franck, Mittelniederländ.
Grammatik (Lpz. 1883). – K. von Bahder, Grundlagen des neuhochdeutschen Lautsystems (Straßb. 1890): J. Kehrein, Grammatik der Deutsche Sprache des 15. bis 17. Jahrh. (2. Aufl., Lpz. 1863).
Wörterbücher. O. Schade, Altdeutsches Wörterbuch (2. Aufl., Halle 1872‒82); G. E. Graff, Althochdeutscher Sprachschatz (6 Bde., Berl. 1834‒42; dazu alphabetischer Index von Maßmann, 1846); J. A. Schmeller, Glossarium saxonicum (Münch. 1840). – W. Müller und Friedr. Zarncke, Mittelhochdeutsches Wörterbuch (4 Bde., Lpz. 1854‒66);
M. Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch (3 Bde., ebd. 1872‒78);
ders., Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch (4. Aufl., ebd. 1891);
K. Schiller und A. Lübben, Mittelniederdeutsches Wörterbuch (6 Bde., Brem. 1875‒81);
A. Lübben, Mittelniederdeutsches Handwörterbuch, vollendet von Chr.
Walther (Norden [* 16] und Lpz. 1888); E. Verwijs und J. Verdam, Middelnederlandsch Woordenboek (Haag [* 17] 1885 fg.). – J. und W. Grimm, Deutsches Wörterbuch (s. Deutsche Philologie);
L. Diefenbach und E. Wülcker, Hoch- und niederdeutsches Wörterbuch der mittlern und neuern Zeit (Bas. 1885): Deutsche Sanders, Wörterbuch der Deutsche Sprache (2 Bde., Lpz. 1860‒65);
ders., Handwörterbuch der Deutsche Sprache (4. Aufl., ebd. 1888);
Weigand, Deutsches Wörterbuch (2 Bde., 4. Aufl., Gieß. 1882);
M. Heyne, Deutsches Wörterbuch (Bd. 1‒3, 1, Lpz. 1890‒93);
Fr. Kluge, Etymolog.
Wörterbuch der Deutsche Sprache (5. Aufl., Straßb. 1893).
2) Geschichte der geschriebenen und gedruckten Deutsche Sprache Geschrieben hat man in Deutsche Sprache, abgesehen von einigen Runeninschriften, seit der Mitte des 8. Jahrh. Doch bis zum Beginn des 18. Jahrh. wurde auch lateinisch geschrieben. Im 10., 11. und noch bis in die zweite Hälfte des 12. Jahrh. hinein herrschte, wie in Italien, [* 18] Frankreich und England und wie nachmals im 17. Jahrh., die lat. Sprache in der Poesie, zumal in der Lyrik. Aus der ersten Hälfte des 13. Jahrh. stammen das erste Rechtsbuch und erste Geschichtswerk in Deutsche Sprache Bis um 1300 wurden die Urkunden in lat. Sprache abgefaßt.
Aber schon in der zweiten Hälfte des 13. Jahrh. begann die lat. Sprache aus dem kleinen jurist. Geschäftsverkehr in Stadt und Land, wie aus den diplomat. Aktenstücken verdrängt zu werden. Deutsche Urkunden schrieb man in Oberdeutschland seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrh. (1238 erste deutsche Kaiserurkunde), in Mittel- und Niederdeutschland seit der ersten Hälfte des 14. Jahrh., östlich von der Saale und Elbe erst seit der Mitte des 14. und seit dem Anfang des 15. Jahrh. Im 16. Jahrh. führte der Humanismus Latein als Litteratursprache wieder ein. Deutsche Gelehrte, die ihre Bücher in Deutsche Sprache zu schreiben wagten, wurden deshalb von den eigenen Landsleuten angegriffen. ¶