«Sophie», «Carola» und «Hyäne» das Gefecht bei Dar es-Salaam die Expedition zur Bestrafung
des Bambokostammes 11. bis 14. Febr. und die Erstürmung des Lagers des Araberführers Buschiri bei Bagamojo mit, wobei 1 Offizier
und mehrere Mann fielen. Im Juli 1888 wurde an Stelle Caprivis der Viceadmiral Graf von Monts Chef der Admiralität.
Im Sommer 1888 machte Kaiser Wilhelm Ⅱ. mit der Manöverflotte eine polit. Reise nach Rußland, Schweden und Dänemark. Am fand
bei Apia gegen die aufständischen Samoaner ein unglückliches Gefecht der Mannschaften von «Olga» und «Eber» statt, wobei der
deutsche Verlust 16 Tote, darunter 2 Offiziere, und 37 Verwundete betrug. Am strandeten bei
einem Orkan im Hafen von Apia der Kreuzer «Adler» und das Kanonenboot «Eber», wobei von ersterm 10 Mann,
von letzterm 5 Offiziere und 70 Mann ertranken. Die Korvette «Olga» konnte auf Strand laufen, wodurch Schiff
und Besatzung gerettet wurden. Am starb Graf von Monts; Viceadmiral Freiherr von der Goltz wurde sein Nachfolger.
Am fand die Teilung der Admiralität in das Oberkommando (von der Goltz) und das Reichs-Marineamt statt; zum Staatssekretär
des letztern wurde der Konteradmiral Heusner ernannt, dem 1890 Konteradmiral Hollmann folgte.
Litteratur. von Borcke, Die brandenb.-preuß. Marine und die Afrikanische Compagnie (Köln 1864);
Chevalier, La marine française
et la marine allemande pendant la guerre 1870‒71 (Par. 1873);
Livonius, Unsere Flotte im Deutsch-Französischen Kriege (Berl.
1871);
Die dän. Ostsee-Eskadre 1864 (ebd. 1865, anonym);
Tesdorpf, Geschichte der kaiserl. deutschen Kriegsmarine
in Denkwürdigkeiten von allgemeinem Interesse (Kiel1889);
Batsch, Admiral Prinz Adalbert von Preußen (Berl. 1891);
ders., Nautische
Rückblicke (ebd. 1892);
Dittmer, Katechismus der Kriegsmarine (Lpz. 1891);
Stenzel, Helgoland und die deutsche Flotte (Berl.
1891);
ders., Die deutsche Flotte und der Reichstag (ebd. 1892);
von Werner, Die Kampfmittel zur See (Lpz.
1892);
Batsch, Deutsch’ Seegras, ein Stück Reichsgeschichte (Berl. 1892).
Nationaltheater in Hamburg. Für das Theaterwesen des 18. Jahrh. war Hamburg von hervorragender Bedeutung;
es war das Standquartier der damals umherreisenden bessern Schauspieltruppen. Als die Unternehmung von Konrad Ernst Ackermann
(s. d.) 1767 zu Grunde gegangen war, gründeten einige Kaufleute und der Schauspieldirektor Seyler eine
neue Direktion, die als Musterdirektion angekündigt wurde und eine deutsche Nationalbühne in Aussicht stellte. Der Kern
der Ackermannschen Truppe, Ackermann selbst, Ekhof, die Löwen, die Hensel u. a. waren die Träger des neuen Unternehmens. Gleichwohl
war es nur von kurzer Dauer. Am war die Eröffnungsvorstellung und 4. Dez. desselben Jahres fand
die letzte statt. Die Aufmerksamkeit von ganz Deutschland und dauerndes Andenken in der Theater- und Litteraturgeschichte sicherten
dem Deutsches Nationaltheater die (als «Dramaturgie» gesammelten)
Kritiken Lessings.
[* ] Sprache. Die Deutsche Sprache gehört der german. Sprachfamilie an (s. Germanische Sprachen), ist also
eine Schwestersprache des Friesischen, Englischen, Skandinavischen und des ausgestorbenen
Gotischen. Sie gehört im besondern
zu derjenigen Gruppe, die man als die westgermanische zu bezeichnen pflegt, ist also dem Friesischen und Englischen näher
verwandt als dem Skandinavischen und Gotischen. Während früher der Name «deutsch» häufig, z. B.
von Jakob Grimm in dessen «Deutscher Grammatik», auch im Sinne von «germanisch» gebraucht wurde, versteht man jetzt richtiger
unter Deutsche Sprache allein die Sprache des deutschen Volks.
Eher ist man jetzt umgekehrt geneigt, statt «deutsch» «germanisch»
zu sagen und spricht wohl von Germanisierung statt von Verdeutschung. Nach derselben Richtung, in welcher
der Begriff des deutschen Volks heutzutage bestritten ist, ist es auch der Begriff der Deutsche Sprache Die niederländ. Sprache rechnet
man zwar wissenschaftlich zur deutschen, von der es nur eine Mundart ist; für gewöhnlich pflegt man jedoch das Niederländische
als eine Schwestersprache des Deutschen anzusehen.
Der Grund ist nicht etwa die polit. Trennung der Niederlande vom Deutschen Reiche; in Luxemburg, in der Schweiz,
in Österreich wird ja auch deutsch gesprochen. Vielmehr ist daran schuld, daß die Niederländer auf Grund ihrer Mundart eine
eigene Schriftsprache ausgebildet haben. Derartige mundartliche Schriftsprachen bestanden noch im 16. Jahrh.
mehrere; es gab damals eine niedersächs., eine niederländ., eine
kölnische, eine mitteldeutsche, eine schweiz. und eine österr.-oberdeutsche Schriftsprache.
Aber diese alle sind mit Ausnahme der niederländischen in der jetzt gültigen neuhochdeutschen Schriftsprache aufgegangen.
Dieser Prozeß drang in den Niederlanden einesteils wegen der polit. Selbständigkeit, mehr aber noch deshalb nicht durch,
weil die niederländ. Schriftsprache eine Jahrhunderte lange, mächtige
litterar. Vergangenheit (s. Niederländische Sprache und Litteratur) und eine dieser entsprechende Widerstandskraft besaß.
Es muß aber daran festgehalten werden, daß die niederländ. Sprache nur eine Mundart des Deutschen ist, so gut wie das Plattdeutsch
oder das Schweizerdeutsch. Die Grenzen jener Mundart decken sich dabei gar nicht einmal mit denen der
niederländ. Schriftsprache. Die Mundart in dem nördl. Teile der Rheinprovinz steht dem Niederländischen ungleich näher
als dem Schriftdeutsch, und andererseits wird in den Landschaften östlich vom Zuidersee unser Plattdeutsch gesprochen und
gleichwohl wegen der polit. Zugehörigkeit zu Holland die niederländ. Schriftsprache als herrschend anerkannt.
Ⅰ. Geschichte der Deutschen Sprache.
1) Geschichte der gesprochenen Deutsche Sprache war im Mittelalter und ist zum Teil noch heute eine Geschichte der Deutschen Mundarten
(s. d.). Es gab im Mittelalter noch keine über den Mundarten stehende, allgemein
anerkannte Schriftsprache, geschweige denn eine gemeindeutsche Umgangssprache. Die Deutsche Sprache bestand damals
nur in den verschiedenen Mundarten. Zwischen Schriftsprache und Mundart vermittelt unsere Umgangssprache,
für welche erst in jüngster Zeit sich eine Norm bildet in der Sprache (richtiger Mundart) des gebildeten Norddeutschen.
Seit einem halben Jahrtausend kann man den Einfluß der nunmehr einheitlichen Schriftsprache auf die gesprochene Sprache verfolgen.
Diese selbst kennt man nur für die Gegenwart unmittelbar; für die Vergangenheit erschließt sie die
Sprachwissenschaft aus den gedruckten oder geschriebenen Sprachdenkmalen.
mehr
Charakteristische Eigentümlichkeiten, durch die sich die älteste Deutsche Sprache von ihrer westgerman. Schwester,
der englisch-friesischen, abhebt, giebt es nur wenige. Vielmehr hat umgekehrt die Sprache der Friesen und Angelsachsen, schon
bevor die letztern nach Britannien zogen, sich eigenartig entwickelt gehabt, während die der deutschen Stämme den alten
westgerman. Charakter ziemlich treu bewahrte. Die älteste und durchgreifendste Veränderung, welche die
Deutsche Sprache erfahren hat, ist die althochdeutsche Lautverschiebung (s. d.),
die aus altem p, t und k ein ff, f oder pf, ss (älter ʒʒ), z und ch machte.
Diese Lautverschiebung ist, wie sich aus den Orts- und Personennamen nachweisen läßt, schon lange Zeit
vor unsern ältesten Sprachdenkmalen eingetreten. Schon beim Geographen von Ravenna giebt es Namensformen wie Ziurichi (älter
Turicum), Ascapha (älter Ascapa). Diese Lautverschiebung teilte die bis dahin ziemlich einheitliche Deutsche Sprache in
zwei große Gruppen, in eine hochdeutsche (zu der auch die im 9. Jahrh. ausgestorbene Mundart
der Langobarden gehörte) und in eine niederdeutsche (s. Deutsche Mundarten). Die letztere ist von der
Lautverschiebung nicht betroffen worden. Fortan gingen die hoch- und die niederdeutschen Mundarten ihre eigenen Wege, sodaß
man geradezu von hoch-und niederdeutscher Sprache, nicht Mundart,spricht. Innerhalb der hochdeutschen Mundarten ist in Oberdeutschland
schon vor dem 8. Jahrh. altes b und g zum Teil stimmlos gesprochen und d zu t verschoben worden.
Die schriftliche Überlieferung der Deutsche Sprache beginnt mit der zweiten Hälfte des 8. Jahrh.
Vorher hatte man – von einigen nur wenige Worte enthaltenden Runeninschriften abgesehen – ausschließlich lateinisch
geschrieben. Man unterscheidet nunmehr drei Entwicklungsperioden: alt-, mittel- und neuhochdeutsch (ahd.,
mhd., nhd.) und alt-, mittel- und neuniederdeutsch (and., mnd., nnd.).
Die altdeutsche Sprache umfaßt nach schriftlicher Überlieferung die J. 750‒1100; wiewohl die gesprochene Sprache des 11. Jahrh.
schon mittelhochdeutsch (mittelniederdeutsch) genannt werden müßte. Die Orthographie ist stets konservativer als die Aussprache,
und die Zeitabgrenzungen der althochdeutschen (altniederdeutschen), mittelhochdeutschen (mittelniederdeutschen)
und neuhochdeutschen (neuniederdeutschen) Periode sind für die gesprochene Sprache sicherlich erheblich früher anzusetzen,
als man es nach unserer Überlieferung zu thun pflegt. Alle sprachlichen Neuerungen finden sich vereinzelt bei weniger schulgerechten
Schreibern oft schon mindestens ein Jahrhundert früher, bevor sie in der Orthographie anerkannt und ausgedrückt werden.
Zu den ältesten vokalischen Wandlungen der Deutsche Sprache gehört die Monophthongierung
der Diphthonge ai und au zu ê und ô und die Diphthongierung der Monophthonge ê und ô zu ia (später ie) und uo (später
ue), z. B. «See» aus älterm gotischen
saiws, «hoch» aus gotischem hauhs, «hier»
(ie ursprünglich diphthongisch gesprochen) aus gotischem hêr, mittelhochdeutsch guot «gut»
aus gotischem gôds. Die Monophthongierung ist zu einer Zeit, welche vor der der schriftlichen Denkmäler liegt, in Niederdeutschland
eingetreten, ebenso in Mitteldeutschland ungefähr nördlich von der Mainlinie, doch mit Einschluß der Pfalz und mit Ausschluß
von Hessen-Nassau, dem eigentlichen Hessen und fast ganz Thüringen.
In dem übrigen Mitteldeutschland wurde im 7. Jahrh., in Oberdeutschland (auch im Langobardischen)
im
8. Jahrh. ai nur vor folgendem h, w oder r zu ê, au nur vor folgendem h, r, l, n, th, d, t, ʒ und s gesetzt. Daher sagen
wir noch heute z. B. «Stein», aber «See», «laufen»,
aber «hoch», während es im Gotischen stains wie saiws, hlaupan wie hauhs heißt, und entsprechend in der niederdeutschen,
fränk., obersächs. und schles. Volksmundart «Steen» wie «See», «lofen»
oder «lopen» wie «hoch».
Die Diphthongierung von altem ê und ô zu ia und uo ist im Fränkischen schon im 8. Jahrh. zu Hause gewesen,
im Niedersächsischen überhaupt nicht eingetreten (plattdeutsch brêf [braif] Brief, gôd [gaud] gut), im Oberdeutschen erst
gegen Ende des 8. Jahrh. (in Bayern erst im 9. Jahrh.) durchgedrungen. – Gemeindeutsch aber ist die nächst der hochdeutschen
Lautverschiebung durchgreifendste lautliche Veränderung: der Umlaut, oder genauer der i-Umlaut. Derselbe besteht
darin, daß alle Vokale (außer i selbst) durch ein i oder j der folgenden Silbe qualitativ verändert, eben umgelautet werden,
und zwar a zu e (ä), o zu ö, u zu ü; vgl. unser «trägt» (älter tragit)
zu «tragen», «Öl» (älter
oli),
«küssen» (älter kussjan) zu «Kuß». Der Vokal e war bereits in urgerman. Zeit, im 1. Jahrh. n. Chr.,
zu i umgelautet worden; vgl. «ißt» (ursprünglich
etith) zu «essen». Zur Zeit, als der Umlaut eintrat, bestanden außer den kurzen Vokalen a, o, u noch die umlautfähigen langen
â, ê, ô, û und die Diphthonge ai, au und uo. Von diesen ist bei ai und ê der Umlaut nur mundartlich nachweisbar,
abgesehen davon, daß ai, da dem a ein i folgt, stets zu ei geworden ist, wie wir noch heute schreiben.
Aber â ist zu æ̂, ô zu œ̂ (mittelniederdeutsch meist o geschrieben), û zu ü̂ (mittelhochdeutsch iu, mittelniederdeutsch
meist u geschrieben), au (althochdeutsch und mittelhochdeutsch ou) zu eu (äu, spätalthochdeutsch und
mittelhochdeutsch öu), uo zu üe umgelautet worden; vgl. «Schäfer»
zu «Schaf», «böse» zu
«Bosheit», mittelhochdeutsch hiuser «Häuser» zu hûs «Haus»,
«Bäume» zu «Baum», mittelhochdeutsch güete «Güte» zu guot «gut».
Ausgegangen ist der Umlaut von Niederdeutschland, wo er durch sprachliche Berührung mit den Friesen und
den nachmaligen Angelsachsen, die ihn schon im 6. Jahrh. hatten, platzgegriffen hatte.
Erst allmählich hat er sich über Mittel- und Oberdeutschland ausgebreitet. Desgleichen kann man die einzelnen Phasen des
Umlauts selbst beobachten. Er hat zuerst das kurze a ergriffen und zuletzt die Diphthonge. Für Niederdeutschland
hat man Grund anzunehmen, daß der Umlaut bereits im 8. Jahrh. in allen Fällen eingetreten war, wenn auch nur der Umlaut des
kurzen a regelmäßig als e schriftlichen Ausdruck gefunden hat – das übernommene lat. Alphabet hatte eben für ö und ü
keine Buchstaben.
Auch im Hochdeutschen findet der Umlaut des kurzen a seit der Mitte des 8. Jahrh. schriftliche Bezeichnung
und ist auch damals erst in Oberdeutschland durchgedrungen (ob auch bei den Langobarden ist nicht sicher); seit dem Ende
des 10. Jahrh. läßt sich der Umlaut der übrigen Vokale selbst in Oberdeutschland nachweisen. Je weiter derselbe aber nach
Süden vorgedrungen ist, um so mehr Einschränkungen hat er erfahren, die erst im Laufe der Zeit aufgehoben
wurden. Doch noch heute bewahrt unsere Sprache das nicht umgelautete u in «drucken» (eigentlich dasselbe Wort wie «drücken»),
au in «glauben», «kaufen»,
«Haupt», alles oberdeutsche Lautformen, die im Mitteldeutschen Umlaut aufweisen. – Seit dem 10. Jahrh.
hat man angefangen,
mehr
den alten Diphthong iu als ü auszusprechen; aber noch die mittelhochdeutsche Orthographie hat in Oberdeutschland die Schreibung
in beibehalten, während man dieses ü̂ ^[gemeint: u mit diaresis und Zirkumflex] in Mitteldeutschland und mittelniederdeutsch
u schrieb (z. B. althochdeutsch liuti, altniederdeutsch liudi «Leute»
zu mittelhochdeutsch liute, lute, lude, mittelniederdeutsch lude, gesprochen lü̂te und lü̂de). –
Seit dem 11. Jahrh. sind im Mitteldeutschen die Diphthonge ie und uo monophthongisch als î und û gesprochen worden (z. B.
lieb, guot, wie man heute «lieb» und «gut»
ausspricht).
Die wichtigsten konsonantischen Veränderungen jener Zeit sind der Schwund des h in den wortanlautenden Verbindungen hw, hr,
hl und hn (z. B. altdeutsch hwer wer, hreini rein, hlahhen lachen, hnîgan
sich neigen), der von Oberdeutschland im 8. Jahrh. ausgegangen ist (er ist auch langobardisch)
und sich allmählich nordwärts bis zur See ausgebreitet hat (in Niederfranken im 9. und 10. Jahrh.,
in Niedersachsen im 10. bis 12. Jahrh.), und die Verwandlung des Reibelautes
th (zu sprechen wie englisch th) in d (z. B. ertha Erde), die gleichfalls in: 8. Jahrh.
vom Oberdeutschen ausgegangen (auch langobardisch ist), im Mitteldeutschen im Laufe des 9. bis 11. Jahrh.
allmählich durchgedrungen und schließlich im 11. und 12. Jahrh. auch im Niederdeutschen heimisch geworden ist (hier
teilweise erst im 14. Jahrh. vollendet). Alt ist gleichfalls der Übergang des auslautenden m in unbetonter Silbe zu n (z. B.
dêm tagum den Tagen), der sich um 800 vollzog. Endlich scheint man bereits im 11., wenn nicht gar schon im 10. Jahrh. in Süddeutschland
altes sk entweder wie das westfälische sch (= s + ch) oder schon wie das heutige sch ausgesprochen zu
haben, wenn auch die Schreibung sch erst im 12. Jahrh. durchgedrungen ist.
Die althochdeutsche Periode unterscheidet sich dadurch von der mittelhochdeutschen und mittelniederdeutschen, daß sie noch
die vollen Endsilbenvokale erhalten hat, die im Mittelhochdeutschen und Mittelniederdeutschen zu dem
unbestimmten Vokal geschwächt worden sind, der noch heute mit dem Buchstaben e geschrieben wird (in Mitteldeutschland schrieb
man ihn früher i), z. B. althochdeutsch tagâ Tage, lebên leben, gesti Gäste, namo Name, ich gibu ich gebe.
Dieser Vorgang ist schon im 10. Jahrh. zu erkennen, jedoch erst in der ersten
Hälfte des 12. Jahrh. in der Orthographie durchgedrungen. Die für die altdeutsche Periode charakteristische Schwächung der
unbetonten Vokale hat in Niederdeutschland begonnen und ist in Oberdeutschland noch in mittelhochdeutscher Zeit in gewissen
Fällen nicht durchgeführt. Am zähesten haben sich in dieser Hinsicht die alamann. Mundarten verhalten, die noch bis in
das 14. Jahrh. hinein wenigstens die langen unbetonten Vokale nicht durchaus geschwächt haben. Ja, in
den Walser Mundarten südlich vom Monte-Rosa heißt heute noch in althochdeutscher Weise «der Hahn» Hano, «reden»
spellon, «schneiden» snîdan, «Schlüssel» Slussil.
Durch die Schwächung der Endsilbenvokale wurden im Mittelhoch- und -Niederdeutschen manche Unterschiede der Endungen
der Substantiv- und Verbalflexionen verwischt: das altdeutsche Deklinationsparadigma «Gabe» geba (Nom.),
althochdeutsch graban «graben» wurde im Indikativ des Präsens grabu, grebis(t),
grebit, grabêm,
grabet, grabant konjugiert, mittelhochdeutsch graben aber grabe, grebest, grebet, graben, grabet, grabent.
Wichtiger noch ist, daß hierdurch ursprünglich verschiedene Deklinations- und Konjugationsklassen äußerlich zusammengefallen
sind. Z. B. Maskulinum, Femininum und Neutrum Plur. des Adjektivs fielen außer in Oberdeutschland zusammen (blinde, blindo
[blinda], blindu [blind] zu «blinde»). Ferner steht im Altdeutschen dem angeführten Paradigma «graben»
ein anderes «salben» gegenüber: salbôm, salbôs(t),
salbôt, salbôm, salbôt, salbôn, das nun im Mittelhochdeutschen
und Mittelniederdeutschen, da ô zu e geworden, ebenso wie «graben» flektiert
wurde, und so haben jetzt starke und schwache Verben im Präsens die gleichen Endungen. – Von den lautlichen Veränderungen
des 12. und 13. Jahrh. ist außer vielfacher (besonders oberdeutscher)
Synkope des unbetonten e (z. B. nimet zu «nimmt»)
nur eine von durchgreifender Bedeutung gewesen: der hochdeutsche Reibelaut ʒ ^[richtiges Zeichen? Ähnlich Sütterlin-z]
ist im 13. Jahrh. (zuerst wohl in Oberdeutschland) in unser s übergegangen (z. B.
daʒ «das», haʒʒen «hassen»).
– Ist es schon um die Scheidung einer alten und einer mittlern Periode der Deutsche Sprache (Grenze um 1100) mißlich
bestellt, so noch viel mißlicher um die der mittlern und neuern.
Durchschlagende formale Unterschiede fehlen. Man rechnet Mittelhochdeutsch gewöhnlich bis 1500, Mittelniederdeutsch bis
ins 17. Jahrh. hinein. Aber der Übergang ist ein ganz allmählicher.
Das klassische Mittelhochdeutsch reicht nur bis 1250. Die J. 1250‒1650 leiten vom Mittelhochdeutschen zum Neuhochdeutschen
hinüber. Während dieser Zeit sind die wesentlichsten Neuerungen der heutigen Sprache zum Abschluß gekommen, während derselben
Zeit ist die Schriftsprache fertig geworden und hat sich über die einzelnen Mundarten als deutsche Gemeinsprache erhoben.
In mittelhochdeutscher und mittelniederdeutscher Zeit ist der ganze lautliche Charakter der Sprache durch
eine im 12. Jahrh. beginnende neue Art von Silbentrennung wesentlich verändert worden. Die
heutige Sprache kennt nur offene Silben mit langem Vokal. Früher gab es auch offene Silben mit kurzem Vokal: Ka-tze, Lo-cke, e-ssen
(so noch heute bayr.-österr.), während man heute spricht Kat-ze, Lok-ke, es-sen. Die Doppelschreibung
des Konsonanten nach kurzem Vokal bezeichnet, daß er halb zur ersten, halb zur folgenden Silbe gehört.
Diese von Hause aus nur nieder- und mitteldeutsche neue Silbentrennung fand nur bei bestimmten Konsonanten statt, den sog.
Fortes (s. Fortis). Bei andern Konsonanten behielt man die alte Silbentrennung bei, dehnte aber dafür
den Vokal, z. B. in «sagen», «leben»,
«Stube», Wörter, die früher mit kurzem Vokal gesprochen wurden. Dieser sog. neuhochdeutschen Vokaldehnung steht eine andere,
in der heutigen Sprache weniger durchgeführte zur Seite, die in Süddeutschland zu Hause ist, und nach der in einsilbigen
Wörtern kurzer Vokal vor Lenis (s. d.) gedehnt wird. Es ist die Frage, ob der lange Vokal, den die Süd-
und Mitteldeutschen in «Tag», «Hof», «Schmied» sprechen, diesen Ursprung hat, oder ob er von
den Kasusformen her, in denen er in offener Silbe steht, auf den Nom.-Acc. Singularis übertragen worden ist. Außerdem kommen
noch andere Dehnungen vor. Für die Vokalkürzung ist die Hauptregel, daß die langen Vokale in geschlossener Silbe im Niederhochdeutschen
zum Teil verkürzt worden sind, wenn ein zweiter Konsonant folgte, z. B.
mehr
brâchte zu «brachte». Hierher gehört auch der Fall, daß eine Fortis
die Stelle der beiden Konsonanten einnahm: «lassen» wurde vormals «lās-sen»
gesprochen, «schlafen» «schlāf-fen»;
im erstern Falle rettete man die alte Silbenteilung auf Kosten der Vokallänge, im letztern zog man das f zur folgenden Silbe,
um die Vokallänge zu erhalten;
langen Vokal vor Fortis in geschlossener Silbe oder eine mit einer Fortis
schließende Silbe mit langem Vokal duldet unsere Sprache nicht mehr. In mitteldeutscher Aussprache sind gar alle Fortes, die
im Oberdeutschen in der Regel, im Norddeutschen außer ss nur nach kurzem Vokal erhalten sind, zu Lenis geworden, sodaß z. B.
«reißen» genau so wie «reisen»
ausgesprochen wird.
Das zweite lautliche Charakteristikum der neuern Sprachperiode ist die Diphthongierung der alten langen
Vokale: î, û und ü̂ sind zu ei, au und eu (oder äu) diphthongiert, z. B. zît zu «Zeit»,
hûs zu «Haus», lü̂te zu «Leute».
Es war dies im 12. Jahrh. eine mundartliche Eigentümlichkeit des Bayrisch-Österreichischen,
die schon damals nach Schwaben hinübergegriffen hatte. Sie ist allmählich in den benachbarten Mundarten modern geworden.
Im 14. Jahrh. hatte die Diphthongierung bereits bei den Ostfranken Eingang gefunden, im 15. Jahrh. bei den Obersachsen und
Schlesiern, im 16. Jahrh. bei den Rheinfranken.
Dieser Lautprozeß hat sich ganz allmählich immer weiter vorgeschoben und hat heute noch lange nicht
ganz Deutschland erobert. Seit dem 14. Jahrh. bis auf die Gegenwart kann man verfolgen, daß
durch den Einfluß der Schriftsprache, welche die neuen Diphthonge schrieb, dieselben sozusagen das moralische Übergewicht
bekamen. Noch heute haben die Schweizer und elsäss. Mundart, die niederhess. und fuldische Mundart,
das Ripuarische und das westl. Thüringen (westlich von Sangerhausen, Weimar und Ilmenau) die alten Monophthonge bewahrt.
Auf die niederdeutschen Mundarten konnte diese Diphthongierung, die man wohl als die neuhochdeutsche bezeichnet, deshalb
keinen Einfluß gewinnen, weil das Hochdeutsche dort stets als eine andere Sprache empfunden worden ist.
Ganz unabhängig von der hochdeutschen Diphthongierung ist dieselbe Erscheinung im Englischen (time, house, spr. teim, haus’),
im Niederländischen (tijd, huis, spr. teid, heus), im Engrischen und Hildesheimischen eingetreten
(s. Deutsche Mundarten).
Von sonstigen lautlichen Neuerungen sei nur noch der Übergang von wortanlautendem s zu sch vor l, n,
m, w, p und t genannt: snîden zu «schneiden», swimmen zu «schwimmen»;
in «sprechen», «Stein» hält unsere Orthographie noch das alte s fest.
Die Heimat dieses Lautwandels ist Südwestdeutschland,
von wo aus er seit dem 13. Jahrh. sich über das ganze hochdeutsche Sprachgebiet ausgebreitet
hat und jetzt auch in Niederdeutschland (besonders östlich von der Elbe) Terrain gewinnt.
Modern ist unsere Sprache vor allem durch die weitgehende Vereinfachung der Flexion geworden. Lautliche Ursachen gaben den
Anstoß, namentlich der Abfall des unbetonten e (fürste zu «Fürst»). Aber es machte sich
zu Beginn der Neuzeit auch das Bestreben geltend, die von der indogerman. Urzeit her ererbte, nunmehr
gegenstandslos werdende Mannigfaltigkeit der Flexion noch mehr zu vereinfachen, als es auf rein lautlichem Wege schon geschehen
war. Diese moderne Tendenz, die am radikalsten in England zum Ausdruck gekommen ^[]
ist, hat sich bei uns am frühesten und
am stärksten in Niederdeutschland geltend gemacht, weit geringer im Oberdeutschen. So manche Reste alter
Flexion, die heute nur als unnützer Ballast mitgeschleppt werden und die unsere Sprache schwerfälliger machen als andere
moderne Sprachen, dankt die deutsche Schriftsprache süddeutscher Sprechweise. Es können hier nur einige besonders wichtige
Neubildungen verzeichnet werden.
Die starken Substantiva haben massenhaft den Umlaut angenommen, nach dem Muster von «Gast», «Gäste»
u. a., wo der Umlaut berechtigt ist, schuf man zu «Vater» und «Mutter» schon in mittelhochdeutscher Zeit die neuen Formen «Väter»
und «Mütter». So sind ursprünglich verschiedene Deklinationsklassen zusammengeworfen
worden, desgleichen verschiedene Kasus. Die starken und schwachen Maskulina sind im Neudeutschen vermischt worden: man sagt
jetzt «Brunnen», «Garten» (Gen. «-ens»),
wo die ältere Sprache, schwache Flexion und nur -e als Endung des
Nom. Sing. und -en für den Gen. kannte, und heute stehen wir im Begriff auch Wörter, wie «Name», «Friede» folgen zu lassen.
Andere Maskulina, wie «Hahn», «Stern», «Blitz» sind ohne dies -en der Endung aus der schwachen in die starke
Flexion übergeführt worden. Jetzt hat unser Sprachgefühl die maskuline schwache Deklination auf die lebenden Wesen eingeschränkt
und demzufolge gehen auch ursprünglich starke Maskulina, wie «Hirt» (mittelhochdeutsch
hirte),
«Rabe» (mittelhochdeutsch raben) jetzt schwach. Auch Neutra sind im Singular in die starke Deklination übergetreten,
z. B. «Auge» und «Ohr» (mittelhochdeutsch ôre). Die neutrale Pluralendung -er kam im Altdeutschen nur wenig
Wörtern zu. Die Zahl dieser hat allmählich zugenommen, bis im Neuhochdeutschen -er die regelmäßige Endung der Neutra
geworden ist («Worte» hält sich heute neben dem gebräuchlichern Plural
«Wörter» nur durch die Macht der schriftlichen Überlieferung).
Von Hause aus war der Plural der meisten endungslos (wort, Plural wort),
und das Bedürfnis nach einer
ausgesprochenen Pluralendung hat dazu geführt, daß auch Maskulina mit dem 14. und 15. Jahrh.
häufig dies neutrale -er im Plural angenommen haben: «Mann», «Männer» (mittelhochdeutsch man, man). Sonst haben die ursprünglich
endungslosen Plurale die Endung -e angenommen, die in der ältern Sprache nur ganz bestimmten Wörtern
und diesen auch im Singular zukam: «Netze», «Jahre», «Freunde»
(mittelhochdeutsch netze, jâr, friunt, im Singular wie im Plural).
Bei den Femininen haben schon in altdeutscher Zeit Berührungen zwischen starken und schwachen Formen stattgefunden.
Im Neuhochdeutschen gehen jetzt alle Feminina, außer denen, die im Plural Umlaut haben («Kräfte», «Mütter»),
im ganzen Singular nach starker Weise auf -e aus, im Plural nach schwacher auf -en, während im Mittelhochdeutschen starke
Feminina (z. B. «Sache») auf -e, nur im
Genitiv und Dativ Pluralis auf -en endigten, schwache (z. B. «Zunge») aber nur im Nominativ Singularis
die Endung -e hatten, im übrigen -en. Vielfach haben die Substantiva auch ihr Geschlecht gewechselt. Das kam hier und da
schon im Altdeutschen vor. Doch seitdem der auslautende Vokal des Nominativ Singularis der Maskulina zu -e geschwächt war,
demselben -e, welches die Endung der Feminina war, sind im Neuhochdeutschen zahlreiche schwache Maskulina
der Deklination und dem Geschlecht der
mehr
Feminina gefolgt, z. B. «Blume», «Backe», «Rippe». Nicht minder umfangreich ist die Neugestaltung
der Verbalflexion. – Das wichtigste Kennzeichen der neuhochdeutschen Sprache ist hier die Ausgleichung der ursprünglich
verschiedenen Vokale des Singular und des Plural des Präteritums, die bis auf wenige Mundarten im ganzen deutschen Sprachgebiet
durchgedrungen ist: mittelhochdeutsch steig, Plural stigen zu «stieg»,
«stiegen», lêh, lîhen zu «lieh»,
«liehen»;
der Vokal des Singulars wurde verallgemeinert z.B. in mittelhochdeutsch half, hulfen zu «half»,
«halfen», mittelhochdeutsch sang, sungen zu «sang»,
«sangen» (das noch bestehende «ward»
neben «wurde», mittelhochdeutsch ward, wurten);
quantitativ siegte der Vokal des Plurals in mittelhochdeutsch sprach, sprâchen
zu «sprach», «sprachen»;
nam, nâmen zu «nahm», «nahmen».
Auch das Participium des Präteritums nahm vielfach an diesem Ausgleichungsprozeß teil: mittelhochdeutsch floug, flugen,
geflogen zu «flog», «flogen»,
«geflogen»;
schôz, schuzzen, geschozzen zu «schoß», «schossen»,
«geschossen».
Der sog. grammatische Wechsel, der z. B. mittelhochdeutsch zôch
von zugen, gezogen, mittelhochdeutsch ward von wurten, worten, mittelhochdeutsch verlôs von verlurn,
verlorn schied, wurde aufgehoben: neuhochdeutsch zog, zogen, gezogen; wurde, wurden, geworden; verlor, verloren, verloren.
Während das Präsens «ziehen», «schneiden»
noch heute einen andern Konsonanten hat als das Präteritum «zog», «schnitt»,
hat z. B. mittelhochdeutsch verliesen das r des Präteritums angenommen.
Diese Ausgleichungen finden sich vereinzelt schon im ältern Mittelhochdeutschen und Mittelniederdeutschen,
häufiger erst im 15. Jahrh. Noch Luther hält in bestimmten Fällen an den alten Formen fest. Erst im 17. Jahrh. ist der
Sieg der modernen Formen entschieden. Die 1. Person Singularis Ind. Präs. hat (zuerst niederdeutsch) den Vokal des Plurals
und Infinitivs angenommen: mittelhochdeutsch nemen, ich nime, du nimest, er nimet, wir nemen zu neuhochdeutsch
nehmen, nehme, nimmst, nimmt, nehmen.
Die verschiedenen Klassen der schwachen Verba waren schon in mittelhochdeutscher und mittelniederdeutscher Zeit fast völlig
zusammengefallen. Jetzt traten einzelne schwache Verba in die starke Konjugation über, z. B. «preisen»,
«einladen» (Präteritum mittelhochdeutsch prisete, ladete), und viel häufiger war das Umgekehrte der
Fall, z. B. wurden früher die Verba falten, spannen, schaben, hinken, kauen stark konjugiert. Seit dem 15. Jahrh. ist
im Oberdeutschen und Ost- und Rheinfränkischen das Präteritum außer Gebrauch gekommen, an dessen Stelle hinfort Umschreibungen
mit «haben» oder «sein»
traten. – Unberücksichtigt ist bei der Aufzählung der Neuerungen dieser Periode das geblieben, was
in der modernen Sprache der Gebildeten nicht mehr zum Ausdruck kommt, wiewohl in dem größten Teile des deutschen Sprachgebietes
Z. B. ā zu offenem ō geworden ist («Jahr» zu «Johr»),
ö, ü und eu (äu) zu e, i und ai («schön» zu «scheen»,
«Müller» zu «Miller», «Leute» zu «Laite»),
auslautendes -e abgefallen ist («Freude» zu «Freud’»),
rs als rsch gesprochen wird («Wurst» zu «Wurscht»,
so schriftsprachlich «Bursche» aus mittelhochdeutsch burse).
Die angeführten Neugestaltungen sind im ganzen zwischen 1250 und 1650 vor sich gegangen, wenn sie auch in ihren Konsequenzen
bis in die Gegenwart hinein fortgewirkt haben. Um die Mitte des 17. Jahrh.
ist die moderne
Deutsche Sprache in der Hauptsache fertig gewesen, und seitdem ist kein sprachliches Ereignis von
größerer Tragweite mehr zu verzeichnen, es sei denn, daß man als ein solches die mannigfachen Bedeutungsveränderungen
alter Wörter und die Bereicherung des Wortschatzes durch neue betrachten will.
Damals ist auch die Herrschaft der Schriftsprache allgemein anerkannt worden, und fortan scheidet man zwischen und Deutsche Spracheund
deutschen Mundarten. Auch in Niederdeutschland war damals der Sieg der hochdeutschen Schriftsprache entschieden; nur politisch
selbständiger behielten die Niederlande ihre niederfränk. Mundart auch als Schriftsprache bei. Seit dem 17. Jahrh.
hat die Schriftsprache einen allmählich zunehmenden Einfluß auf die gesprochene mundartliche Sprache
gewonnen (u. a. durch die Bühne), der erst seit den letzten Jahrzehnten rasche Fortschritte macht.
Nur in einem Punkte weicht die gesprochene Sprache von der Schriftsprache ab: während diese die oberdeutschen Diphthonge ie
und u (geschrieben ŭ, i. ů = uo) wiedergiebt, sprechen wir nach mitteldeutscher Weise ein langes i und
u (z. B. in den Worten «Liebe» und
«gut»). Die Schriftsprache ist die Sprache der Gebildeten geworden, wenn auch die Aussprache überall auf der Mundart beruht.
Aber auch in diesem Punkte findet jetzt eine sprachliche Ausgleichung zwischen Nord und Süd statt infolge
des durch die Eisenbahnen so gewaltig gesteigerten Verkehrs.
Goethe, als Frankfurter, reimte seiner Aussprache gemäß noch können: verbrennen, Zweifel: Teufel, an: Wahn, Kellernest: angemäst’t,
gewiesen: Füßen, schaden: rathen, neige: Schmerzensreiche. Als eine fremde Sprache hat der Niederdeutsche das Hochdeutsch
gelernt. Der Hochdeutsche selbst hat seine Mundart immer mehr dem Schriftdeutsch genähert. Je höher
seine gesellschaftliche Stellung, um so mehr entfernt er sich von seiner Mundart. Zwischen der gemeindeutschen Verkehrssprache
und der Mundart giebt es jetzt mannigfache Abstufungen.
Die Sprechweise eines jeden Standes wird durch die des jeweilig höhern beeinflußt, und um die Reinheit der Mundarten ist
es geschehen. Noch heute ist, um nur der Aussprache zu gedenken, in der Sprache der Gebildeten keine Einigung
erzielt in Bezug auf 1) den Tonfall, der in jeder Landschaft verschieden ist;
2) die Vokalquantität in gewissen Fällen, z. B. «Tag», «Hof», «Schmied» («Schmidt»),
«Wuchs» mit langem, nur norddeutsch mit kurzem Vokal; «giebt» («gibt»),
«liest» («list»),
«husten» mit kurzem, nur norddeutsch mit langem Vokal; «Arzt» mit überall verschiedener Quantität; in allen
derartigen Fällen besteht heute die Tendenz, der Länge den Vorzug zu geben;
3) die Aussprache von e (und ä); der Volksmund scheidet fast überall offenes e (= etymologisch german.
e) und geschlossenes e (= etymolog. Umlaut von a); jetzt scheint entweder die auf der Orthographie beruhende
Aussprache durchdringen zu wollen, nach der jedes lange e geschlossen, jedes lange ä offen ausgesprochen wird, oder
die Berliner, die nur geschlossenes langes e kennt;
4) die Aussprache des kurzen i und u (in Norddeutschland offen, in Mittel- und Süddeutschland geschlossen,
also qualitativ wie langes i und u); 5) die Aussprache von ei und au (hier wie äi, ou, dort wie āe, āo gesprochen);
6) die Aussprache von b, d und g; der Oberdeutsche spricht stimmloses b, d, g; der Mitteldeutsche desgleichen, nur spricht
er b zwischen Vokalen wie bilabiales w, und g zwischen
mehr
Vokalen wie ch (ehemals wie jetzt im Norddeutschen); der Norddeutsche spricht b, d, g stimmhaft und zwar g zwischen Vokalen
als Reibelaut; im Wortauslaut spricht man b und d überall wie p und t, aber auslautendes g wird in Nord- und Mitteldeutschland
wie ch gesprochen, nur im Oberdeutschen wie k; es scheint, als ob die oberdeutsche Sprechweise in allen
Fällen die meiste Aussicht hat, künftig herrschend zu werden;
7) die Aussprache des s vor Vokalen (in Norddeutschland stimmhaft, in Mittel- und Süddeutschland jetzt stimmlos);
8) die Aussprache des w (norddeutsch labiodental, mitteldeutsch bilabial, oberdeutsch beides);
9) die Aussprache des auslautenden r (schwankend zwischen r, ch und einem landschaftlich verschieden gefärbten,
vokalischen Ersatzlaute);
10) die Aussprache des r vor t, d, s, sch, n oder l; 11) die Aussprache von kn, gn, kl, gl. Es sind dies nur einige der wichtigsten
lautlichen Unterschiede, die noch nicht ausgeglichen sind. Dazu kommen viele landschaftliche Eigenheiten,
die auch als gut deutsch anerkannt werden, so die oberdeutschen Fortes, die bayr.-österr. Silbentrennung oder das nordwestdeutsche
anlautende st und sp. Schwieriger sind die analogistischen, syntaktischen und stilistischen,
die Unterschiede in der Wortbildung und dem Wortschatze darzulegen, wo das Mitteldeutsche meist zum Norddeutschen stimmt.
Der Süddeutsche «fragt», «fragte»,
«wob» und «buk», der
Norddeutsche «frägt», «frug»,
«webte» und «backte».
Jener «ist», dieser «hat»
gestanden und gesessen. Im allgemeinen erkennt der Norddeutsche die süddeutschen Wörter an, die für ihn zumeist einen
poet. Beigeschmack haben. Dem Süddeutschen aber ist die norddeutsche Redeweise unsympathisch. In Deutschland ist man weit
davon entfernt, daß Berlin einmal in ähnlicher Weise in der Sprache ausschlaggebend werde wie für Frankreich
Paris.
Die Art der sprachlichen Ausgleichung zwischen Nord und Süd ist eine durchaus gesunde und gerechte. Ungesund aber ist die
durch die Schule und ihren Grundsatz «Sprich wie du schreibst!» verschuldete,
sich immer mehr geltend machende Tendenz, für die Aussprache in streitigen Fällen die übliche Orthographie
als Norm zu betrachten. Nur insofern gewinnt allerdings die norddeutsche Aussprache stetig an Einfluß, die ja selbst bis
zu einem gewissen Grade nur die buchstäbliche Aussprache der angenommenen hochdeutschen Schriftsprache ist. Abgesehen aber
von der Aussprache wird die Heimat der gelesensten Schriftsteller für die Zukunft entscheiden, ob die
sprachliche Eigenart des Nordens oder die des Südens mehr zur Geltung kommt.
Grammatische Litteratur. O. Behaghel, Die Deutsche Sprache (Prag 1880);
ders., Geschichte der Deutsche Sprache (in Pauls «Grundriß der german. Philologie»,
Bd. 1, Straßb. 1891, S. 526‒633);
J. Grimm, Deutsche Grammatik (Bd. 1, Gött.
1819; 3. Aufl. 1840; Bd. 2‒4, 1826, 1831 u. 1837; neuer Abdruck Bd. 1‒3, Berl. 1870, 1878 und
Gütersloh 1890);
W. Wilmanns, Deutsche Grammatik (Abteil. 1, Straßb. 1893; auf 4 Bde.
berechnet);
M. Heyne, Kurze Grammatik der altgerman.
Sprachstämme (Bd. 1, 3. Aufl.,
Paderb. 1874); Fr. Kauffmann, Deutsche Grammatik. Kurzgefaßte Laut- und Formenlehre des Gotischen, Alt-,
Mittel- und Neuhochdeutschen (Marb. 1888); Ad.
Holtzmann, Altdeutsche Grammatik (Bd. 1, Lautlehre, 1. Abteil.,
Lpz. 1870; 2. Abteil., ebd. 1875); Fr. Kluge, Nominale
Stammbildungslehre der altgerman. Dialekte (Halle 1886); O. Erdmann, Grundzüge
der deutschen Syntax (Stuttg. 1886). W. Braune,
Althochdeutsche Grammatik (2. Aufl., Halle 1891); ders., Abriß der althochdeutschen Grammatik, nebst mittelhochdeutschen,
altsächs. und got. Paradigmen (ebd. 1891); M. Heyne, Kleine altsächs. und altniederfränk.
Grammatik (Paderb. 1873); O. Behaghel und J. H. Gallee, Altsächs. Grammatik (1. Hälfte, Laut- und Flexionslehre, Halle und Leid.
1891). – Weinhold, Mittelhochdeutsche Grammatik (3. Aufl., Paderb. 1892);
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Grammatik (3. Aufl., Halle 1889);
A. Lübben, Mittelniederdeutsche Grammatik (Lpz. 1882);
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Sprache (in Pauls «Grundriß», Bd.
1, S. 634‒722);
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Grammatik (Lpz. 1883). – K. von Bahder, Grundlagen des neuhochdeutschen
Lautsystems (Straßb. 1890): J. Kehrein, Grammatik der Deutsche Sprache des 15. bis 17. Jahrh. (2.
Aufl., Lpz. 1863).
Wörterbücher. O. Schade, Altdeutsches Wörterbuch (2. Aufl., Halle 1872‒82); G. E. Graff, Althochdeutscher Sprachschatz
(6 Bde., Berl. 1834‒42; dazu alphabetischer
Index von Maßmann, 1846); J. A. Schmeller, Glossarium saxonicum (Münch. 1840). – W. Müller und Friedr. Zarncke, Mittelhochdeutsches
Wörterbuch (4 Bde., Lpz.
1854‒66);
M. Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch (3 Bde., ebd. 1872‒78);
K. Schiller und A. Lübben, Mittelniederdeutsches Wörterbuch
(6 Bde., Brem. 1875‒81);
A. Lübben, Mittelniederdeutsches Handwörterbuch, vollendet von Chr.
Walther (Norden und Lpz. 1888);
E. Verwijs und J. Verdam, Middelnederlandsch Woordenboek (Haag 1885 fg.). – J. und W. Grimm, Deutsches
Wörterbuch (s. Deutsche Philologie);
L. Diefenbach und E. Wülcker, Hoch- und niederdeutsches Wörterbuch der mittlern und
neuern Zeit (Bas. 1885): Deutsche Sanders, Wörterbuch der Deutsche Sprache (2 Bde.,
Lpz. 1860‒65);
ders., Handwörterbuch der Deutsche Sprache (4. Aufl., ebd. 1888);
M. Heyne, Deutsches Wörterbuch (Bd. 1‒3, 1, Lpz.
1890‒93);
Fr. Kluge, Etymolog.
Wörterbuch der Deutsche Sprache (5. Aufl., Straßb. 1893).
2) Geschichte der geschriebenen und gedruckten Deutsche Sprache Geschrieben hat man in Deutsche Sprache, abgesehen
von einigen Runeninschriften, seit der Mitte des 8. Jahrh. Doch bis zum Beginn
des 18. Jahrh. wurde auch lateinisch geschrieben. Im 10., 11. und noch bis in die zweite Hälfte des 12. Jahrh. hinein herrschte,
wie in Italien, Frankreich und England und wie nachmals im 17. Jahrh., die lat.
Sprache in der Poesie, zumal in der Lyrik. Aus der ersten Hälfte des 13. Jahrh. stammen das erste Rechtsbuch
und erste Geschichtswerk in Deutsche Sprache Bis um 1300 wurden die Urkunden in lat. Sprache abgefaßt.
Aber schon in der zweiten Hälfte des 13. Jahrh. begann die lat.
Sprache aus dem kleinen jurist. Geschäftsverkehr in Stadt und Land, wie aus den diplomat. Aktenstücken verdrängt zu
werden. Deutsche Urkunden schrieb man in Oberdeutschland seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrh. (1238
erste deutsche Kaiserurkunde), in Mittel- und Niederdeutschland seit der ersten Hälfte des 14. Jahrh., östlich von der Saale
und Elbe erst seit der Mitte des 14. und seit dem Anfang des 15. Jahrh. Im 16. Jahrh.
führte der Humanismus Latein als Litteratursprache wieder ein. Deutsche Gelehrte, die ihre Bücher in Deutsche Sprache zu schreiben wagten,
wurden deshalb von den eigenen Landsleuten angegriffen.
mehr
In der zweiten Hälfte des 16. und im 17. Jahrh. wurden mehr lateinische als deutsche Bücher in Deutschland gedruckt, und
erst gegen Ende des 18. Jahrh. war die lat. Schriftsprache verdrängt. 1688 gab
Thomasius die erste deutsche schönwissenschaftliche Zeitschrift (die «Deutschen Monatsgespräche») heraus.
Wer im Mittelalter deutsch schrieb, schrieb in seiner Mundart, da es damals noch keine allgemein anerkannte
Gemeinsprache gab. Eine solche ist zuerst nationales Bedürfnis der Schriftsteller gewesen, später erst der Sprechenden.
Nivellierende Tendenzen lassen sich bereits im 12. Jahrh. erkennen. Die frühern Ansätze (so das Übergewicht der rheinfränk.
Mundart zur Zeit Karls d. Gr.) haben keine Dauer gehabt; nur die oberdeutsche Schreibung des anlautenden
k als ch nach schweiz. Vorbild hat sich noch im Mittelhochdeutschen erhalten (daher noch
heute Charfreitag, Churfürst, Chemnitz).
Eine mittelhochdeutsche Schriftsprache, wie man sie früher annahm, hat es zwar nicht gegeben, aber den Ansatz zu einer solchen
trug die reiche, mittelhochdeutsche höfische Litteratur. Es konnte nicht ausbleiben, daß die alamann.,
bayr., fränk. und thüring. Dichter sich gegenseitig auch in der
Sprache beeinflußten. Das war namentlich stilistisch und syntaktisch der Fall, auch im Wortschatze. Auch einige lautliche
Besonderheiten der Mundart vermied man schriftlich wiederzugeben.
Von einer mittelhochdeutschen Litteratursprache kann man also wohl reden, wenn auch dieselbe von einer
Einheitlichkeit weit entfernt war. Die Dichter schrieben im großen und ganzen in ihrer Mundart; aber es war das nicht die
reine Mundart, sondern es zeigt sich, zumal in Oberdeutschland, überall das Bestreben, gewisse lokale Eigenheiten abzustreifen.
Man schrieb bewußt diese Litteratursprache, und nur der schnelle Verfall der mittelhochdeutschen Litteratur
verhinderte, daß die vorhandenen Ansätze einer schriftlichen Gemeinsprache wieder verloren gingen.
Die Bedeutung der mittelhochdeutschen Litteratursprache, die zugleich die hohenstaufische Kanzleisprache war, ersieht man
am deutlichsten daraus, daß sie sich z. B. in den Urkunden der Luzerner Kanzlei noch im 13. und beginnenden 14. Jahrh. wiederfindet.
Im 13. Jahrh. hatten sich auch in den Niederlanden die Anfänge einer eigenen Litteratursprache herausgebildet,
die in ganz Niederdeutschland Einfluß gewann. Während die Entwicklung dieser keine Unterbrechung erlitt, gelangten auf hochdeutschem
Gebiete im 14. Jahrh. die Mundarten wieder zur Herrschaft in der Litteratur. In diesem Jahrhundert
aber sind die Anfänge einer neuen Bewegung zu erkennen, aus der schließlich die jetzige Schriftsprache
hervorgegangen ist. Die Schriftsprache ist eine litterar. Einigungssprache erst später geworden. Ihr Ausgangspunkt ist die
Kanzlei. Aus einer Kanzleisprache ist sie im 16. Jahrh. Druck- und Litteratursprache geworden
und nachmals die Grundlage zu der Umgangssprache unsers Jahrhunderts.
Die Kanzleisprache war von Haus aus nicht einheitlich. Es gab vielmehr eine größere Zahl von mehr oder
weniger einflußreichen Kanzleimundarten, man kann auch sagen offiziellen Staatssprachen. Von diesen im 14. Jahrh.
deutlich erkennbaren Anfängen aus (die erzbischöfl. Kanzleien wie die von Trier und Magdeburg schrieben damals schon eine
nicht rein mundartliche Sprache) bildeten sich mehrere größere Centren mit fester, traditioneller Schriftsprache.
Der Schreiber schrieb, wie er es schulmäßig gelernt hatte, wie es in der betreffenden Kanzlei für richtig galt, unabhängig
von der Eigenart seiner eigenen Mundart. Es gab eine offizielle Schreibung in Orthographie, die damals in erster Reihe als
maßgebend befunden wurde, in Syntax und Wortschatz.
Trotzdem von einer Einheitlichkeit in modernem Sinne noch keine Rede sein kann, trotz bedeutender Schwankungen waren immerhin
bestimmte Regeln maßgebend und gab es eine ideelle Einheitlichkeit in jeder Kanzlei. Ein weiteres Stadium schuf in der zweiten
Hälfte des 15. Jahrh. der schriftliche Verkehr der Kanzleien untereinander. Man mußte sich
zu mancherlei An- und Ausgleichungen bequemen, um räumlich in weiterm Kreise verstanden zu werden. Es handelte sich wesentlich
darum, daß jede Kanzlei diejenigen, nunmehr als Absonderlichkeiten empfundenen sprachlichen Eigenarten aufgab, die eben
nur hier allein galten, also das Verständnis erschwerten.
Die Entwicklung geschah einmal in der Richtung, daß die größern Kanzleien für die kleinern maßgebend
wurden und ihre Sprache von diesen nachgeahmt wurde; daneben fand unter den größern Kanzleien selbst eine sprachliche Ausgleichung
statt, die man als eine politisch-nationale auffassen darf. Letztere Ausgleichungen richteten sich wiederum nach einem Vorbilde,
und dies war oder wurde mit der Zeit die kaiserl. Kanzlei, welcher die
der Fürsten und Städte in ihrem diplomat. Verkehr folgten. ^[]
Die kaiserl. Kanzlei nahm unter Ludwig von Bayern (1313‒46) die Deutsche Sprache statt der bisherigen lateinischen an. Unter seiner
Regierung schrieb noch jeder Schwabe in der kaiserl. Kanzlei schwäbisch, jeder Bayer bayrisch. Einheitlich wurde die kaiserl.
Kanzleisprache erst in der zweiten Hälfte des 14. Jahrh. unter Karl Ⅳ. (1346‒78) und seinen Nachfolgern.
Schon unter Karl Ⅳ. schrieben die Urkunden eine im wesentlichen unserm Neuhochdeutsch gleichende Sprache, nur daß damals diese
Sprache noch nicht weiter verbreitet war.
Bevor unsere Schriftsprache fest war, schrieb die kaiserl. Kanzlei zunächst natürlich die
Mundart des kaiserl. Hofes. Dies war unter den luxemb. Kaisern die mitteldeutsche Mundart der Residenzstadt Prag, zu deren Charakteristik
hier nur angeführt werden mag, daß sie in Bezug auf die Konsonantenverschiebung auf ostfränk. Lautstufe stand und altes
î, û und ü̂ schon zu ei, au und eu diphthongiert hatte (z. B. zît «Zeit»,
hûs «Haus», liute «Leute»).
Diese Sprache war einheitlich zunächst als Urkundensprache.
Hiernach richtete man sich nun bei allen Akten und Schreibereien überhaupt. Wichtig ist die Sprache der Prager Kanzlei vor
allem durch ihren Einfluß auf die Kanzleien der wettinischen Herzöge in Dresden, Torgau und Weimar geworden. Diese hatten
bis in die zweite Hälfte des 15. Jahrh. hinein durchaus in ihrer heimatlichen Mundart
geschrieben. In Meißen ahmte man bald nach der Mitte des 15. Jahrh. die kaiserl.
Kanzlei nach, in Thüringen seit 1482. Aus den Urkunden von 1470 bis 1480 drang diese Sprache in die Ratsschreibereien der kursächs.-meißnischen
Landstädte. Dann wurde sie hier auch die Gerichtssprache und die Sprache der Universitäten Leipzig und
Wittenberg und wurde schließlich auch im schriftlichen Privatverkehr angewendet. Zu Ausgang des 15. Jahrh.
schrieben alle höhern Beamten und fürstl. Sekretäre die neue Kanzleisprache, und mit dem 16. Jahrh. schrieben
so
mehr
die Gelehrten und Gebildeten überhaupt. Es ging hier sehr schnell: im Laufe von zwei Generationen Anfang und endgültiger
Sieg. Um 1500 war in Kursachsen die Schriftsprache unbedingt herrschend, in Thüringen etwas später, so auch in Schlesien und
der Mark Brandenburg. Rein die Sprache der Prager Kanzlei war es nicht gewesen und noch weniger geblieben,
denn sie war sehr bald durch österr. Einflüsse erheblich verändert worden.
Gerade als die Prager Kanzleisprache in Meißen Eingang fand, hatte schon eine neue Reichsgeschäftssprache begonnen. 1440 kam
der Österreicher Friedrich Ⅲ. zur Regierung, und fortan war die kaiserl. Kanzleisprache österreichisch.
Charakteristische äußere Abweichungen waren vor allem die Wiedergabe des bisherigen ei durch ai, des
uo und üe durch ue oder ŭ, vielfacher Abfall des Endsilben-e, Wechsel von anlautendem b mit p, von k mit ch, kh oder kch.
Etwas beeinflußt wurde die kaiserl. Kanzlei zwar im Laufe der Zeit durch andere Kanzleien,
doch nicht erheblich.
Ganz einheitlich war auch ihre Sprache nicht. In der Orthographie trat seit dem Beginn des 16. Jahrh. eine starke Häufung
von Konsonanten ein. Erst unter Maximilian (1493‒1519) und durch seine Bemühungen schrieb die kaiserl.
Kanzlei eine einheitliche Sprache und gewann einen nachhaltigen Einfluß auf die andern Kanzleisprachen. Diese Sprache blieb
unter Karl Ⅴ. (1520‒56) im wesentlichen dieselbe. Bedeutungsvoll war es, daß in der ersten Hälfte des 16. Jahrh.
(begonnen hat dieser Prozeß schon in den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrh.) die einzelnen
Kanzleisprachen, am meisten die fürstlichen, wenig die städtischen, sich ihr und dadurch einander näherten, indessen nur
näherten, nicht sie annahmen.
Dagegen auf die Drucksprachen hat die kaiserl. Kanzlei nicht gewirkt, oder höchstens mittelbar,
insofern diese auf den betreffenden Kanzleisprachen beruhen. Zu Luthers Zeit galten zwei Normen: Luther (mitteldeutsch) und
für die süddeutschen Katholiken Maximilians Kanzlei (oberdeutsch). Das wichtigste Ergebnis war, daß die neuhochdeutschen
Diphthonge ei, au und eu (äu) sich auch in den Kanzleien der mundartlich monophthongischen Gebiete
(î, û, ü̂) einbürgerten.
Sonst wurden viele Besonderheiten der österr. Kanzlei nirgends durchgeführt. Es war wesentlich doch ein nationales Bedürfnis
der Zeit, das eine geogr. Ausgleichung der verschiedenen Kanzleisprachen hervorrief. Die
Bedeutung des ideellen Vorbildes der kaiserl. Kanzlei darf nicht unterschätzt
werden. Was unter ihrem Einfluß stand, nannte man das «gemeine teutsch»
(erstes Zeugnis dafür 1464), und mit dem Namen bestand die wenigstens ideelle Einheit einer nationalen hochdeutschen Schriftsprache.
Hätte Deutschland damals eine politisch straffe Organisation mit erblichem Kaisertum gehabt, so trüge die deutsche Schriftsprache
voraussichtlich einen wesentlich österr. Charakter. Thatsächlich waren um 1500 die sprachlichen Gegensätze
der Kanzleien noch sehr groß. Man sprach von einem bayr., schweiz.,
schwäb., elsäss., fränk.,
Meißner Deutsch u. s. w., das man auch bloß Hochdeutsch nannte im Gegensatz zu den Mundarten.
Außerhalb der Einheitsbewegung hielten sich im 16. Jahrh. in der Hauptsache noch die Schweiz und das
kölnische (ripuarische) Gebiet sowie Niederdeutschland. Hier gelangte unsere Schriftsprache erst seit der Mitte des 17. Jahrh.
endgültig zur Herrschaft, zwar nicht durch die Kanzlei, sondern durch den Buchdruck.
^[]
Das 16. Jahrh. hat die litterarische Einheitssprache geschaffen. Von entscheidendem Einfluß auf ihre Entwicklung ist die
Erfindung des Buchdrucks gewesen und die geistige Bewegung der Reformation, die neue litterar. Bedürfnisse
schuf. Die Kanzleisprache des 15. Jahrh. war wesentlich auf die Kanzleien beschränkt. Mit
der Drucksprache des 16. Jahrh. war ein weiterer Kreis für das damals sehr lesedurstige Publikum gewonnen. Dadurch erst wurde
unsere Schriftsprache nationales Gemeingut.
Die Sprache der Drucke lehnte sich zunächst an die der Kanzlei des betreffenden Landes oder der betreffenden
Stadt an, wiewohl die Grundlage in stärkerm Maße die Mundart war, als dies bei der Kanzlei der Fall war. Später haben sich
die Drucksprachen unabhängig von der Kanzlei entwickelt. Bezeichnend ist, daß nicht der Autor, sondern der
Drucker die Sprache machte. Die sprachliche Einigung innerhalb der Buchdruck-Verkehrseinheit war eine freie, ohne äußern
Zwang.
Der Wunsch nach möglichst großer Verbreitung der Bücher rief überall das Bestreben hervor, eine leidlich gleichmäßige
Sprachform durchzuführen. Wichtig sind für den Ausgleichungsprozeß die Nachdrucke gewesen, die bei anderer Mundart des
Setzers doch manches vom Original stehen ließen. Die oberdeutschen Drucke mit Ausnahme der Schweiz stehen
natürlich der kaiserl. Kanzleisprache am nächsten. Hauptdruckorte waren im 16. Jahrh.
München, Ingolstadt, Nürnberg, Augsburg, Ulm, Basel
und Straßburg.
Der Augsburger Buchdruck, der der kaiserl. Kanzleisprache sehr nahe kam (im 15. Jahrh.
hatte man noch rein nach der städtischen Kanzlei gedruckt), war besonders in der ersten Hälfte des 16. Jahrh.
von großer Bedeutung und für unsere Schriftsprache namentlich durch die Nachdrucke Lutherscher Schriften (1520‒40), von
deren Sprache die Drucke im zweiten Viertel des 16. Jahrh. immer mehr stehen ließen. Der Übergang
zu unserer Schriftsprache ist ein ganz allmählicher gewesen.
Noch bis in die erste Hälfte des 17. Jahrh. hinein tragen die Drucke im kath.
Bayern und Österreich einen wesentlich oberdeutschen Charakter. In Alamannien ist erst Ende des 15. Jahrh. ein Einfluß des
gemeinen Deutsch in den bisher rein mundartlichen Drucken wahrzunehmen. Die Schweiz verhielt sich wegen ihrer polit.
Trennung am konservativsten. Hier drang gemeindeutscher Einfluß erst seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrh.
ein. In Straßburg war bis etwa 1530 die Mundart noch die amtliche Schriftsprache.
Aber schon Ende des 15. Jahrh. macht sich im Druck das gemeine Deutsch bemerkbar, und seit 1530 ist der Sieg der Schriftsprache
entschieden, wenn auch hier wie anderwärts die Drucke noch bis ins 17. Jahrh. hinein mundartliche
Anklänge zeigen. Nürnberg zeigt schon im letzten Viertel des 15. Jahrh. Abweichungen von der Ortsmundart. Die Nürnberger
Kanzlei des 15. Jahrh. war zwar wesentlich oberdeutsch, doch beeinflußt vom unmittelbar angrenzenden
Ostfränkischen.
Dieselbe Sprache schrieben die Meistersinger des 15. Jahrh. und schrieb im 16. Jahrh.
Hans Sachs. Im großen und ganzen trägt die Nürnberger Drucksprache des 16. Jahrh. noch überwiegend lokalen oberdeutschen
Charakter, doch mit starker Hinneigung zum Mitteldeutschen. Seit etwa 1600 herrscht die mitteldeutsche Litteratursprache.
In Mitteldeutschland waren die wichtigsten Druckorte Mainz und seine Filiale Worms, ferner Frankfurt,
Erfurt, Leipzig und Wittenberg.
mehr
Luthers sprachlicher Einfluß ist meist überschätzt worden, wenigstens in Bezug auf die Lautform unserer Schriftsprache.
Weit bedeutsamer ist er für Wortbildung, Syntax und Stilistik und namentlich den Wortschatz gewesen. Die litterar. Wirkung
von Luthers Schriften, zumal seiner Bibelübersetzung, kann gar nicht genug gewürdigt werden. Seine Schriften fanden eine ungeheure
Verbreitung. 1517 waren 80 deutsche Bücher gedruckt worden; 1523 waren es 935. In den J. 1518‒23 sind
mehr deutsche Bücher gedruckt und gelesen worden, als in dem halben Jahrhundert vorher seit Erfindung der Buchdruckerkunst,
und davon waren mehr als ein Drittel Luthersche Schriften, und diese zählten wiederum Auflagen nach Tausenden.
Erst durch Luther ist unsere Schriftsprache weit verbreitet worden, sowohl in die breiten Schichten des
Volks, als auch räumlich, besonders auf niederdeutschem Gebiete. Aber Luther fand bereits eine Schriftsprache vor. Allerdings
war vor ihm noch alles im Werden. Es fehlte trotz des ersichtlichen Fortschritts, den die sprachliche Einigung gemacht hatte,
eine allgemein anerkannte Norm. Bei entsprechender polit. Entwicklung hätten auch mehrere deutsche Schriftsprachen
entstehen können, etwa eine schweizerische, eine oberdeutsch-mitteldeutsche, eine ripuarische (kölnische) und eine niederdeutsche,
wie sich ja thatsächlich die niederländ. Schriftsprache von der deutschen abgezweigt
hat.
Luthers Wort einigte Deutschland. Für die Kanzleisprache hatte die kaiserl. Kanzlei eine Norm
gebildet. Für die Drucksprache wurde diese Autorität Luther, und zwar nicht nur bei den Protestanten. Mit gewissen Einschränkungen
kann man doch sagen, daß Luthers Sprache, namentlich die Bibel, die Grundlage unserer Schriftsprache und der gesprochenen Sprache
der Gebildeten ist. Denn die Bibel ward die Quelle, aus der alle nachfolgenden Schriftsteller bewußt oder
unbewußt einen großen Teil ihrer Sprachbildung schöpften.
Luther sagt in den «Tischreden»: «Ich habe keine gewisse, sonderliche, eigene Sprache im Deutschen, sondern brauche der gemeinen
deutschen Sprache, das mich beide, Ober- und Niederländer, verstehen mögen. Ich rede nach der sächsischen Cantzlei, welcher
nachfolgen alle Fürsten und Könige in Deutschland; alle Reichsstedte, Fürstenhöfe schreiben nach der
sechsischen und unseres Fürsten Cantzeley. Darumb ists auch die gemeinste deutsche Sprache. Kaiser Maximilian und Churfürst
Friderich, Hertzog von Sachsen, haben im Römischen Reiche die deutsche Sprache also in eine gewisse Sprach zusammengezogen.»
Die sächs. (mitteldeutsche) Kanzlei und die kaiserliche (oberdeutsche) hatten sich
um 1500 sehr genähert.
Aber
bei bewußter Anlehnung an diese Norm hatte Luther doch viel Spielraum. Zu beachten ist, daß Luthers Sprache zeitlich
nicht gleichmäßig gewesen ist. Ungefähr 1524 trat ein Hauptwendepunkt ein. Zuerst kümmerte sich Luther wenig um die Sprachform
seiner Schriften; er überließ das den Druckern. Erst mit der Bibelübersetzung bemühte er sich, allgemeine
Verständlichkeit zu erreichen und korrigierte sorgfältig selbst den Druck. In erster Reihe sorgte er für konsequente Orthographie.
Während vorher in der Doppelschreibung von Konsonanten eine heillose Verwirrung herrschte, war Luthers Regel: Doppelkonsonant
nur nach vorhergehendem kurzen Vokal betonter Silbe. Ferner schrieb er tz statt cz und i statt y, außer
in auslautendem ey. Anfangs schrieb er ganz nach der stark oberdeutsch beeinflußten kursächs. Kanzlei, später ein reineres
Mitteldeutsch. Wo die Kanzlei zwischen Oberdeutsch und Mitteldeutsch schwankte, entschied sich Luther für letzteres.
Geringe sprachliche Verschiedenheiten haben alle Bibelausgaben. Die wichtigsten sprachlichen Änderungen Luthers fallen in
die J. 1522‒30. Es sei erwähnt, daß 1522 noch u und o für ü und ö gedruckt ist, 1526 nur ü und ö. Im ganzen war Luther
konservativ. In manchen Punkten hatte ihn seine Zeit schon überholt (z. B. bei ihm noch
«ich half, wir hulfen», «ich
bleib, wir blieben»). Das fühlten auch die Zeitgenossen. Die Sprache der Drucke emancipierte sich und
schritt fort. So sehr auch in dieser Zeit des Ringens nach dem besten Deutsch Luther durch die massenhafte Verbreitung seiner
Schriften eine Autorität wurde, nicht nur bei den Protestanten, so hat doch sein Deutsch nicht als unbedingte Norm für
die Schriftsprache überhaupt gegolten.
Unbestritten herrschte es in Thüringen, Obersachsen und Ostmitteldeutschland, wo alle Schriftsteller Luthersch schrieben,
allenfalls auch noch im übrigen Mitteldeutschland mit Ausnahme des Ripuarischen (Kölnischen). Süddeutschland wurde zwar
immer mächtiger von ihm beeinflußt, war aber zunächst noch durchaus selbständig. Die wichtigste nationale Bedeutung der
Sprache Luthers war die Erschließung von Niederdeutschland. Zunächst übersetzte man hier Luthers Schriften
ins Niederdeutsche. Bald aber wurde hochdeutsch gedruckt. Die Anfänge dieses Vorgangs waren zwar schon gegeben: das Hochdeutsche
hatte schon als Kirchen- und Rechtssprache und etwa seit 1500 auch als Kanzleisprache Fuß gefaßt. Aber durch Luther wurde
der Sieg der hochdeutschen Schriftsprache entschieden. Ungefähr seit der Mitte des 16. Jahrh.
ist das Luthersche Hochdeutsch die herrschende Druck- und offizielle Amtssprache in Niederdeutschland,
mehr
wenn auch vereinzelt noch bis in die Mitte des 17. Jahrh. niederdeutsch geschrieben und gedruckt wurde (Laurembergs
«Scherzgedichte», 1652). Die Kanzlei schrieb in der zweiten Hälfte des 16. Jahrh.
und endgültig seit 1600 hochdeutsch. Um 1600 wird Hochdeutsch auch die Kirchensprache in Niederdeutschland. Die letzte plattdeutsche
Bibel ist 1621 in Goslar gedruckt worden. Hochdeutsch schrieben Schriftsteller wie der Magdeburger Georg
Rollenhagen, der Brandenburger Bartholomäus Krüger, der Mecklenburger Nathan Chytraeus, der Braunschweiger Herzog Heinrich Julius,
Es wurde so ein Gegengewicht gegen die Versüddeutschung der mitteldeutschen Schriftsprache geschaffen.
Hier in Niederdeutschland wurde die eindringende hochdeutsche Schriftsprache zugleich und zuerst die Grundlage für
die gesprochene Sprache der Gebildeten. In Süddeutschland drang Luthers Autorität schon wegen der religiösen Gegensätze
langsamer durch und war im 16. Jahrh. noch nicht allgemein anerkannt. Der Wendepunkt fällt hier um 1600. Noch 1593 konnte
Sebastian Helbers in seinem «Syllabierbüchlein» sagen: «Viererlei
Teutsche Sprachen weiß ich, in denen man Buecher druckt, die Cölnische oder Gulichische, die Sächsische,
die Flämmisch od’ Brabantische i. Niederländisch) und die Ober oder Hoch Teutsche. Unsere Gemeine Hoch Teutsche wirdt auf
drei Weisen gedruckt: eine möchten wir nennen die Mitter Teutsche, die andere die Donawische, die dritte Höchst Reinische.»
In der Schweiz dauert der letzte Widerstand gegen Luthers Schriftsprache bis in die Mitte des 18. Jahrh.
hinein.
Endlich hat noch der Einfluß der Grammatiker des 16. Jahrh. die Einheitlichkeit der Schriftsprache gefördert, indem diese
das beste Deutsch bestimmten. Die wichtigsten Namen sind Valentin Ickelsamer («Teutsche Grammatica», wahrscheinlich 1534 erschienen)
und besonders Fabian Frangk («Orthographia», Wittenb.
1531). Letzterm, der auf Luther fußte, schlossen sich zumeist die spätern Grammatiker an. Sehr einflußreich, namentlich
auch bei den Katholiken, war Clajus’ «Grammatica Germanicae linguae»
(Lpz. 1578), die weitaus verbreitetste Grammatik des 16. und 17. Jahrh.
Die Ausbildung unserer Schriftsprache fällt in die J. 1550‒1750. Im 17. Jahrh. verschwanden
die mundartlichen Schriftsprachen. Zunächst hörte das Niederdeutsche als Schriftsprache auf. Der Mecklenburger
Lauremberg beklagt 1652, daß Hochdeutsch die herrschende Schrift-, Druck-, Kirchen- und Schulsprache sei und im öffentlichen
Verkehr gesprochen werde. In der Schweiz erfolgte der entscheidende Schritt durch die revidierte Übersetzung der Züricher
Bibel (1665‒67). Im 17. Jahrh. galt Meißnisch unbedingt als das beste Deutsch.
Ihren Abschluß erlangte die Schrift- und Drucksprache durch Opitz («Buch von der deutschen Poeterei», 1624), dessen Einfluß
auf unsern Stil dem Luthers ebenbürtig ist. Opitz erkannte Luther als Vorbild auch für die Sprache der Poesie an. Ihm schlossen
sich die Grammatiker der Sprachgesellschaften (seit 1617) an, besonders Schottel, der von der Grammatik
forderte, daß sie die Sprache lehrmeistern müsse. Seine Vorgänger (Ritter 1611, Scheräus 1619, Gueinz 1619 und 1645, von
Zesen, Rosenmond 1651, Girbert 1653, Bellin 1661, Schupp 1663) hatten keine rechten Fortschritte seit Clajus gemacht. Bedeutsam
wirkte Schottels «Ausführliche Arbeit der teutschen Haubtsprache»
(Braunschw. 1663). Leibniz (1680) billigte
seine Ansichten. Weitere Grammatiker waren Stieler (1691) und Morhof (1700). Ende des 17. Jahrh. war unsere Drucksprache durch
die theoretischen Arbeiten der Sprachgelehrten feststehend geworden, nachdem es zu Beginn dieses Jahrhunderts noch keine festen
Regeln gegeben hatte. ^[]
Das 17. und 18. Jahrh. brachte die endgültige Einigung der Gemeinsprache.
Bödikers «Grundsätze der deutschen Sprache» (1690; neu hg. von Frisch, 1746) blieben bis auf Gottsched die herrschende Grammatik.
Neben Luther stellte er die Schlesische Dichterschule und einige Grammatiker, besonders Schottel, als maßgebend hin. Auch im 18. Jahrh.
galt das Meißnische als die schönste und reinste deutsche Mundart. Mittelpunkt der sprachlichen Bestrebungen
wurde Gottsched und seine Schule, Leipzig das Centrum für Litteratur und Bildung überhaupt.
Als Führer der Deutschen Gesellschaft übernahm Gottsched das Sprachrichteramt und bemühte sich vor allem um äußere Korrektheit.
Seit Gottsched galt nicht mehr Luther, sondern Opitz als Norm. Gottscheds Einfluß ist es zu danken, daß
um die Mitte des 18. Jahrh., von kleinen landschaftlichen Besonderheiten abgesehen, die heutige
Schriftsprache grammatisch normiert und so gut wie allgemein üblich war. Kath. Schriftsteller wagten noch gegen das «lutherische»
Deutsch der modernen Litteratur Widerspruch zu erheben.
Bald aber war Süddeutschland vollständig für die Schriftsprache gewonnen, die im 17. Jahrh.
noch wenig Erfolge im Süden zu verzeichnen gehabt hatte. Gottscheds Hauptwerke sind die «Beiträge
zur kritischen Geschichte der deutschen Sprache» (1732‒44) und die «Deutsche Sprachkunst» (1748).
Sein litterar. Streit mit den Schweizern (Bodmer, Breitinger) in den vierziger Jahren war auch sprachlich bedeutsam. Ihr Kampf
gegen Gottscheds sprachliche Diktatur war vergebens.
Aber im Gegensatz zu Gottscheds Schulkorrektheit nahmen sie, wie auch die Göttinger Dichter und nachmals Lessing und Herder,
alte Wörter wieder auf (z. B. «bieder»,
«Hain»). Gegen die Fremdwörter eiferte Lessing. Eine autoritative Stellung nahm der Sprachforscher Adelung ein, dessen «Grammatisch-kritisches
Wörterbuch der hochdeutschen Mundart» (1774‒86) und dessen Zeitschrift «Magazin für die Deutsche Sprache» (1782‒84)
hier genannt seien. Sprachliche Norm blieb Obersachsen, bis die klassische Litteratur des 18. Jahrh.
endgültig die sprachliche Alleinherrschaft Obersachsens beseitigte.
Von den deutschen Klassikern kommt vielleicht niemand eine größere sprachliche Bedeutung zu als Wieland, namentlich für
Süddeutschland. Nachdem Klopstock mit einem Schlage eine neue, wahrhaft poet. Diktion erschaffen hatte,
und durch Lessing auch die Prosa befreit und geadelt worden war, eilte die Dichtersprache in unaufhaltsamem Fortschritt der
höchsten Veredelung und Vollendung entgegen. Seit Schiller und vor allem seit Goethe zeigt sich die Deutsche Sprache jeder Anforderung
gewachsen.
Litteratur. A. Socin, Schriftsprache und Dialekte im Deutschen nach Zeugnissen alter und neuer Zeit (Heilbr.
1888);
O. Brenner, Mundarten und Schriftsprache in Bayern (Bamb. 1890);
Fr. Kauffmann, Geschichte der schwäb. Mundart (Straßb.
1890, S. 275‒314);
Fr. Pfeiffer, Über Wesen und Bildung der höfischen Sprache der mittelhochdeutschen Zeit (Wien 1861);
H.
Paul, Gab es eine
mehr
mittelhochdeutsche Schriftsprache? (Halle 1873);
O. Behaghel, Zur Frage nach einer mittelhochdeutschen Schriftsprache (Basel
1886);
Fr. Kauffmann, Behaghels Argumente für eine mittelhochdeutsche Schriftsprache (in Paul und Braunes «Beiträge zur Geschichte
der und Deutsche Spracheund Litteratur», Bd. 13, S.
464‒503);
F. Jostes, Schriftsprache und Volksdialekte (in «Niederdeutsches Jahrbuch», Bd. 11, S. 85‒98);
H. Rückert, Geschichte der neuhochdeutschen Schriftsprache (2 Bde.,
Lpz. 1875);
E. Wülcker, Die Entstehung der kursächs.
Kanzleisprache (in «Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte
und Altertumskunde», Bd. 9, S. 349 fg.);
Fr. Kluge, Von Luther bis Lessing (2. Aufl., Straßb. 1888; vgl.
dazu E. Schröder, Göttinger Gelehrte Anzeigen, 1888, S. 249 fg., und J. Luther, Anzeiger für das deutsche
Altertum, Bd. 15, S. 324 fg.);
v. Bahder, Grundlagen des neuhochdeutschen Lautsystems (Straßb.
1890, Einleitung);
K. Burdach, Die Einigung der neuhochdeutschen Schriftsprache.
Einleitung: Das 16. Jahrh. (Halle 1884); E.
Wülcker, Luthers Stellung zur kursächs. Kanzleisprache (in «Germania», Bd. 28,S. 191 fg.);
P. Pietsch,
Martin Luther und die hochdeutsche Schriftsprache (Bresl. 1883);
Franke, Grundzüge der Schriftsprache Lachers (Görlitz 1888);
R. Brandstetter, Die Reception der Neuhochdeutschen Schriftsprache in Stadt und Landschaft Luzern
1600‒1830 (Einsiedeln 1891);
H.
Schultz, Die Bestrebungen der Sprachgesellschaften des 17. Jahrh. für Reinigung der Deutsche Sprache (Gött. 1888).
S. auch die zum vorigen Abschnitt angegebene Litteratur.
Ⅱ. Ausbreitung der Deutschen Sprache. Diese fällt mit der Ausbreitung des deutschen Volksstammes nicht ganz zusammen.
Einerseits ist eine große Zahl von Deutschen durch Annahme einer andern Sprache dem Deutschtum verloren gegangen: so ist in
den ersten nachchristl. Jahrhunderten eine Reihe von deutschen Stämmen am Rhein romanisiert worden; später
sind die in Nordfrankreich angesessenen Franken Franzosen geworden, die Langobarden Italiener; die in neuerer Zeit auswandernden
Deutschen nehmen, zumal in Nordamerika, sehr bald die Sprache des Landes an. Andererseits sprechen heute die Deutsche Sprache Millionen
von Menschen, deren Vorfahren keine Deutschen gewesen sind. Es ist für die neuere Zeit nur der Juden und
der franz. Hugenotten zu gedenken.
Dieser Vorgang kehrt aber in viel größerm Maßstabe wieder, wenn man die räumliche Ausdehnung der Deutsche Sprache ins Auge faßt.
Die zur Zeit der Völkerwanderung westwärts drängenden Franken und Alamannen fanden in dem Rheingebiete eine romanisch sprechende
Bevölkerung vor, die sie unterwarfen, aber nicht vertrieben. Diese hat im Laufe der Zeit die Sprache des herrschenden Volks
angenommen, wie schon in vorchristl. Zeit die Reste der in Westdeutschland sitzen gebliebenen Kelten einstmals germanisiert
worden waren.
Man darf für das erste Jahrtausend n. Chr. an keine so feste deutsch-franz.
Sprachgrenze denken, wie sie sich in der Gegenwart gebildet hat. Es gab vielmehr in den Rheinlanden ein
weites Gebiet, wo Deutsche und Romanen friedlich nebeneinander saßen, erstere diesseits, letztere jenseits der heutigen Sprachgrenze
an Kopfzahl die stärkern. Ebenso sah es südlich von der Donau aus. Es giebt Zeugnisse bis in das 13. Jahrh.
hinein, daß mitten im deutschen Sprachgebiete noch vereinzelt romanisch gesprochen wurde, am längsten, wie es scheint,
im
Schwarzwald und in Salzburg.
Schließlich sind, wenn man von den romanisierten Langobarden Italiens absieht, mehr Romanen Deutsche geworden als umgekehrt.
Diesem großen Gewinn gegenüber will es wenig besagen, wenn z. B. in
Lothringen die Sprachgrenze in den letzten drei Jahrhunderten sich um kaum 10 km zu unsern Ungunsten verschoben hat, oder
wenn in unserm Jahrhundert einige deutsche Sprachinseln (freilich weit über eine 1 Viertel Million Seelen) in Südtirol
italienisiert, in den Ostalpen und Ungarn slawisiert oder magyarisiert worden sind. Am deutlichsten lassen
sich die Fortschritte der deutschen Kultursprache gegenüber der minder mächtigen rhäto-romanischen in der östl.
Schweiz geschichtlich verfolgen.
Erst um 1300 ist das Rheinthal gänzlich deutsch geworden. Zu Anfang des 15. Jahrh. sprach
noch der nördl. Teil von Graubünden
rhäto-romanisch. 1616 sagt Guler von Weineck, Landammann auf Davos: «Ich habe noch
alte Leuthe im Walgöuw i. in der Landschaft von Bludenz bis hinab zur Götznerklause, unterhalb Feldkirch) gekannt, die grob
rhätisch i. romanisch) reden konnten; sonsten ist an jetzo allem die Deutsche Sprach bei ihnen breuchlich.» 1850 sprach noch
die größere Hälfte der Bevölkerung Graubündens ladinisch, 1881 kaum noch zwei Fünftel.
Die völlige
Verdeutschung von ganz Graubünden
ist nur eine Frage der Zeit. Die Ortsnamen sind redende Zeugen für die ehemalige Nationalität ihrer
Begründer. Der Walensee (älter Walchensee) in der Schweiz, der Walchensee in Oberbayern sprechen eine beredte Sprache.
Noch mehr in die Augen fallend sind die Fortschritte des Deutschtums im Osten. Die seit der Mitte des 12. Jahrh.
beginnende deutsche Kolonisation der Slawenländer östlich von Saale und Elbe führte zwar gewaltige Scharen von Deutschen ins
Land; aber ausgerottet worden sind die Slawen höchstens in den durch die Kriege verheerten Grenzstrichen. Im übrigen blieben
sie sogar in manchen Landschaften, so im Königreich Sachsen, im hannöv. Wendlande, auf Rügen, in Hinterpommern,
in der Majorität.
Diese Slawen nördlich vom Erz- und Riesengebirge bis zur Ostsee haben verhältnismäßig schnell die Sprache ihrer Besieger
angenommen. Die Slawen am obern Main und an der Rednitz wurden bereits seit der zweiten Hälfte des 11. Jahrh. germanisiert.
Um 1300 hörte in Anhalt das Slawische als Gerichtssprache auf, im 14. Jahrh. im Osterlande (Leipziger Gegend), 1424 in Meißen.
Um die Mitte des 15. Jahrh. war das Wendische in der Wittenberger Gegend ausgestorben. Die Verdeutschung ging hier von den
Städten aus.
Die Lausitz war noch im 16. Jahrh. größtenteils sorbisch. In Schlesien wurden in der ersten Hälfte des 13. Jahrh.
die ganzen Sudeten von Deutschen besiedelt; sonst saßen sie in kompakten Massen damals nur zwischen Görlitz und Liegnitz. Schon
um 1300 war Niederschlesien links von der Oder ein deutsches Land. In der Lausitz ist bis heute eine ungefähr 50 qkm
große sorb. Sprachinsel inmitten deutsch gewordenen Landes geblieben (s. die Karte der deutschen
[* ] Mundarten, S. 28). Die Grenze
läuft heute von der obern Spree über Bischofswerda, Camenz, Senftenberg, Calau, Lübbenau, Peitz, Forst, Muskau, Weißenburg und
Löbau; doch bilden innerhalb dieses Gebietes die Städte deutsche Sprachinseln und die Landbevölkerung
ist zweisprachig. Im 16. Jahrh. reichte das sorb. Sprachgebiet von
mehr
Bischofswerda bis Ortrand, Finsterwalde, Luckau, Buchholz, Storkow, Fürstenberg, Guben, Triebel, Priebus und Löbau. In der Altmark
werden noch 1452 Wenden erwähnt; ihre Sprache ist hier erst im 15. Jahrh. ausgestorben. In der Jabelheide werden Wenden noch 1521 genannt.
Im Lüneburger Wendlande konnte sogar noch 1786 ein kleines Wörterverzeichnis der aussterbenden wend.
Sprache zusammengebracht werden. Auf Rügen soll 1404 die letzte alte Frau gestorben sein, die noch wendisch sprach.
Hinterpommern war noch Ende des 13. Jahrh. slawisch. Man kann sagen, daß um 1400 alle Slawen westlich von der Oder, außer
den Lausitzer Sorben, germanisiert gewesen sind, größtenteils auch damals schon die Slawen in Hinterpommern
und Pomerellen, deren Reste, die Kassuben, heute im Schwinden sind. Nach Preußen wurde die Deutsche Sprache durch die Einwanderung in der
Mitte des 13. Jahrh. übertragen, nach dem Netzedistrikt und Westpreußen durch die von Friedrich d. Gr. angesiedelten deutschen
Kolonisten.
Fortschritte hat die Deutsche Sprache gegenüber der polnischen nur in Schlesien und Ostpreußen gemacht. Die Umgegend
von Brieg, Ohlau und Breslau war noch im 17. Jahrh. überwiegend polnisch. Heute reicht das Deutsche östlich
von Breslau bis Wartenberg. Deutsch ist auch in den poln. Landesteilen in den Städten die herrschende Sprache. In Ostpreußen
dringt das Deutsche jetzt nach Süden vor; die poln. Masuren werden von den kleinen deutschen Sprachinseln
aus immer mehr verdeutscht.
Desgleichen ist es nur eine Frage der Zeit, wie lange sich noch die innerhalb der deutschen Reichsgrenze lebenden Litauer
an dem untern Niemen, deren Kirchensprache litauisch und deutsch, deren Schulsprache seit 1873 ausschließlich die deutsche
ist, ihre Sprache bewahren werden; 1848 gab es über 150000 Litauer; 1890 betrug die Zahl der litauisch
Sprechenden 121265. Aber innerhalb der Provinz Posen nehmen die Polen nicht leicht die an, Deutsche Sprachean, haben sogar deutsche Bauern slawisiert.
Nur mit deutschen Bewohnern selbst kann die Deutsche Sprache hier vordringen. Die deutschen
Ansiedelungen in Krain, Ungarn, Siebenbürgen, Galizien, Südrußland und den russ. Ostseeprovinzen haben nicht zu
germanisieren vermocht. Der großartige Aufschwung des Verkehrs in der Neuzeit bewirkt immer mehr eine geogr.
Abrundung der verschiedenen Sprachgebiete. Nur an den Orten, wo größere Massen von Deutschen beisammen sitzen, haben sie
Aussicht, ihre Nationalität zu erhalten.
Nicht nur Romanen, Slawen und Litauer haben die Deutsche Sprache angenommen, sondern auch nichtdeutsche Germanen: Friesen und Dänen; zumal
die erstern. In: Mittelalter war die ganze Nordseeküste nördlich von Amsterdam bis zur Wesermündung friesisch. Aber im
Bereich der deutschen Kultur stehend, haben die Friesen im 15. Jahrh. die plattdeutsche
Schriftsprache angenommen, auch die Westfriesen, die sich neben der jetzt herrschenden niederländ.
Schriftsprache wieder eine eigene fries. Schriftsprache geschaffen haben (s.
Friesische Sprache und Litteratur).
Als gesprochene Sprache ist das Friesische in Ostfriesland und an der Wesermündung in der ersten Hälfte des 18. Jahrh. ausgestorben,
nachdem schon mehr als 100 Jahre vorher Plattdeutsch die herrschende Sprache gewesen. Nur auf Wangeroog
und in Neuwangeroog bei Varel sowie im Saterlande lebt das Friesische noch fort. Das Wangeroogische, nach der Volkszählung
von 1890 nur noch von 32 Menschen gesprochen, ist im Aussterben begriffen,
das Satersche aber noch voll lebenskräftig.
In den zu den Niederlanden gehörigen Teilen des alten Friesland herrscht jetzt die niederländ. Schriftsprache.
Die fries. Volkssprache hat sich nur in der Provinz Friesland gehalten und auf den Inseln Schiermonnikoog und Terschelling. Im
Groningschen spricht man seit dem 17. Jahrh. plattdeutsch, in Nordholland holländisch. Noch 1600 wird
erwähnt, daß das Friesische im nordholländ. Waterland gesprochen wurde. Auch gegenüber dem sog.
Nordfriesischen an der schlesw.
Westküste hat die plattdeutsche Sprache Fortschritte gemacht. In Eiderstedt hat sie im Laufe des 17. Jahrh. die einheimische
Sprache verdrängt. Auf Nordstrand und Pelworm ist das Nordfriesische gegen Ende des vorigen Jahrhunderts ausgestorben.
Nördlich von Husum macht seit dem 19. Jahrh. das Plattdeutsche immer größere
Fortschritte, wiewohl die Sprachgrenze sich nur langsam verschiebt. Auch auf der Insel Föhr dringt das Plattdeutsche vor.
Die Schrift-, Schul- und Kirchensprache ist hier wie auch auf Helgoland seit alters die deutsche.
Alle Friesen und Nordfriesen, die noch an ihrer eigenen Sprache festhalten, können auch deutsch (oder
holländisch) sprechen. Endlich ist die Deutsche Sprache auch dem Dänischen gegenüber in jüngster Zeit siegreich. Im 19. Jahrh. ist
die Landschaft Angeln (zwischen Schleswig und Flensburg) plattdeutsch geworden, und auch nördlich von Flensburg wird in den
östl. Küstenstädten viel deutsch gesprochen. Die größten Fortschritte hat die deutsche
Kirchensprache zu verzeichnen. In 57 Kirchengemeinden, in denen bis 1864 der Gottesdienst abwechselnd in deutscher und dän.
Sprache stattfand, ist jetzt mit Zustimmung der Mehrheit der Bewohner die Kirchensprache ausschließlich deutsch. Von 114 Kirchspielen,
in denen bis 1864 kein deutsches Wort in der Kirche gehört wurde, wurde in 45 Kirchen der Gottesdienst
in deutscher und dän. Sprache gehalten. 1885‒91 ist in nicht weniger als 28 neuen Kirchspielen die Kirchensprache teilweise
deutsch geworden.
Sprachgrenzen und Sprachinseln. (S. die Karte der deutschen
[* ] Mundarten, S. 28.) Die Grenze des deutschen Sprachgebiets beginnt
in Frankreich an der Nordsee zwischen Gravelingen und Dünkirchen und läuft östlich von St. Omer,
nördlich von Hazebrouk und Bailleul genau in östlicher Richtung über Werwick, Menin, Rousse, Enghien, Hal, südlich von Brüssel,
Tienen und Tongern, zwischen Lüttich und Maastricht die Maas erreichend. Von hier aus folgt sie ungefähr der belg. Grenze;
doch gehört ein schmaler belg. Grenzstrich nördlich und östlich von Verviers
noch zum deutschen, Malmedy in der Rheinprovinz noch zum franz. Sprachgebiete.
Luxemburg ist deutsch, desgleichen das benachbarte belg. Arlon nebst Umgegend. Von Deutsch-Lothringen ist der westl. Grenzstrich,
besonders die Umgegend von Metz, französisch. Die Grenze läuft südlich und westlich von Diedenhofen, Bolchen, Falkenberg,
Mörchingen und Saarburg. Die Vogesen bilden nur in ihrem südlichern Teile die Grenze. Das obere Breuschthal
(Schirmeck), desgleichen einige Gebirgsdörfer nordöstlich und südlich von Markirch sprechen jetzt französisch. Vom Belchen
ab südöstlich ist ungefähr die polit. Grenze des Elsaß zugleich Sprachgrenze. Die Gebirgsgegend um Delémont ist sprachlich
gemischt; das Deutsche dringt hier neuerdings vor. Weiter südlich ist das Birsthal noch französisch,
Biel deutsch.
mehr
Neuveville und Lauderon französisch, Erlach deutsch. Die Grenze läuft dann über Murten, Freiburg
und Saanen südlich bis zu den Diablerets,
östlich bis zum Weißhorn, südlich über Siders zum Matterhorn, die östl. Hälfte des Kantons Wallis
noch dem deutschen Sprachgebiete
zuteilend. Jenseit des Monte-Rosa wird noch in den Dörfern Gressoney La Trinité, Gressoney St. Jean,
Gaby, Issime, Alagna und Macugnaga von etwa 3500 Seelen (s. Silvier) deutsch gesprochen.
Von Macugnaga läuft die Grenze nordöstlich zum St. Gotthard, die jenseits der Wasserscheide liegenden deutschen Dörfer Fruth,
Pommat, Unterwald und Bosco einschließend. Vom St. Gotthard weiter nordöstlich bis zum Piz Dolf, dann südöstlich
über Trins und Reichenau, südlich von Chur, nach Wiesen, weiter östlich und nordöstlich der Wasserscheide des Inns gegen
Norden folgend, dann über den Muttler und Martinsbruck südwärts zum Ortler. In dem südlich der angegebenen Grenze liegenden
Teile Graubündens wird neben dein Rhäto-Romanischen bereits viel deutsch gesprochen.
Besondere deutsche Sprachinseln sind 1) Obersaxen;
2) das obere Vorderrheinthal, das Safienthal, östlich vom Piz Beverin bis Thusis und das Rheinwaldthal (Splügen);
3) das Avers- und Madriserthal;
4) Tarasp. Vom Ortler läuft die Sprachgrenze östlich auf Bozen zu; doch bleibt das Etschthal südwärts bis Salurn deutsch.
Sie geht dann über die Fassaner Alpen und die Geißlerspitzen bis unweit Bruneck nordöstlich, vom Monte-Cristallo
ab längs der österr.-ital. Grenze bis zum Wischberg und nach Tarvis, nur an zwei Stellen, bei Bladen (Sappada) und Tischelwang
(Timau), aus den Südabhang des Grenzgebirges übergehend. Südlich dieser Linie liegen von Tirol bis Steiermark eine Reihe
deutscher Sprachinseln. In Welschtirol wird nördlich vom Caldonazzosee im Fersen- und zum Teil auch im
Pinéthal deutsch gesprochen, in St. Sebastian und Lusern, ferner in Venetien am Südabhange der Lessinischen Berge, zwischen
Astico und Brenta, Cima Duodici oder Zwölferkofl und Bassano in den Sieben Gemeinden, endlich im Quellgebiet des Tagliamento
in der Gemeinde Zahre oder Sauris. In Südtirol ist die Deutsche Sprache in neuerer Zeit durch
die italienische erheblich zurückgedrängt worden.
Das älteste Statut von Trient ist in Deutsche Sprache abgefaßt. Während heute nur etwa noch 7000 Deutsche in Welschtirol sitzen,
war das Land im 16. Jahrh. ein halb deutsches. Durch den Deutschen Schulverein ist die Sprachverschiebung
jetzt zum Stehen gekommen. Auf ital. Boden ist an der tirol. Grenze, wo sich in den Dreizehn und Sieben Gemeinden (s. Comuni)
die Deutsche Sprache noch zum Teil erhalten hat, einst bis nach Verona hin, und vor dem 14. Jahrh. sporadisch bis über
Vicenza hinaus deutsch gesprochen worden.
Heute sind in Venetien nur etwa 4000 Deutsche noch nicht zu Italienern geworden. Von der Grenze Venetiens an bis zur Ostsee
läßt sich keine scharfe Grenzlinie geben. Ein mehr oder weniger breiter Strich hat eine gemischte Bevölkerung, und zahlreiche
kleine Sprachinseln liegen diesseit und jenseit der Grenze. Eine ungefähre Grenzlinie würde von Tarvis
östlich über Villach, Klagenfurt, Völkermarkt nach Radkersburg a. d. Mur zu ziehen sein, von hier nordöstlich über St.
Gotthard, Steinamanger, Warasdorf bis Eßterháza, weiter nördlich über Preßburg und Lundenburg bis Seelowitz, dann nördlich
von der Thaya westlich bis Neuhaus, südlich bis Gmünd, westlich bis Krumau,
nordwestlich bis Taus, nordöstlich
bis Pilsen, nordwestlich bis Manetin, nordöstlich über Rakonitz und Laun bis Leitmeritz, östlich über Liebenau, Hohenelbe
bis Nachod, dann südöstlich über Senftenberg, Worlitschka, Schönberg, Littau nach Neutitschein, von hier ab nordwärts
über Rosenthal, Troppau, Ratibor, Leobschütz, Oppeln, Brieg, Namslau, Wartenberg, Mittelwalde und Krotoschin, westlich nach
Rawitsch, nordwestlich nach Lissa, Rakwitz und Birnbaum, dann die Warthe entlang östlich bis Obornik,
nordöstlich nach Margonin, südlich der Netze ostwärts bis Thorn, weiter, den Südrand von Ostpreußen dem poln. Sprachgebiete
zuweisend, über Culmsee, Briesen, Deutsch-Eylau, Allenstein, Bischofsburg, Lötzen, Marggrabowa zur russ. Grenze, endlich den
Niemen entlang bis zum Kurischen Haff.
Innerhalb dieses geschlossenen deutschen Sprachgebietes von ungefähr 680000 qkm (über ein Fünfzehntel
des Flächeninhalts von Europa) liegt die sorb. Sprachinsel in der Lausitz und die kassubische in Westpreußen. Von den unweit
der Grenze liegenden zahllosen deutschen Sprachinseln seien nur die größern genannt. Im südl.
Krain die Gottschee und Umgebung (16 Quadratmeilen);
in Mähren Brünn und Olmütz;
von Mähren greift
nach Böhmen hinüber die nordwärts bis zur Sazawa reichende Iglauer Sprachinsel und die 1000 qkm große Schönhengster um
Zwickau und Mährisch-Trübau;
in Südböhmen ist zu nennen Budweis und Umgegend, ferner zu erwähnen der deutsche Teil der
Prager Bevölkerung;
in Österreichisch-Schlesien Bielitz und Umgegend.
Weit außerhalb des zusammenhängenden deutschen Sprachgebietes giebt es in Österreich-Ungarn und Rußland
eine große Anzahl von kleinen und größern deutschen Sprachinseln, deren Deutschtum zum größten Teile stark bedroht ist.
Es können hier nur die wichtigsten genannt werden. Im nordwestl. Ungarn kämpfen seit dem 13. Jahrh. gegen das Slowakentum
die an der obern Neutra ansässigen 1000 Deutschen in Deutsch-Bronn, Betelsdorf, Zeche, Schmiedshaj, Fundstollen,
Beneschhäu, Gaidel, Hedwig, Brestenhäu und Münchwiese, die (1880) 17500 Seelen starken Deutschen in dem Grenzgebiet der
Komitate Túróc und Bars, in der Stadt Kremnitz und den Dörfern Deutsch-Litta, Ober-Turz, Nieder-Turz, Glaserhäu, Krikerhäu,
Neuhaj, Ober-Stuben, Drexelhäu, Koneschhäu und Honeschhäu, sowie östlich davon in Neusohl und südwestlich
davon in Hochwiesen und Paulisch (4000 Seelen).
Gleichfalls von den Slowaken bedroht ist die vor 50 Jahren noch an 50000 Seelen zählende deutsche Sprachinsel in der Zips,
zwischen Käsmark, Schmecks, Poprad (Deutschendorf) und Leutschau im Quellgebiet des Poprad und südöstlich davon die Schmölnitzer
Sprachinsel. Es mögen in Nordungarn im ganzen wohl an 100000 Deutsche slowakisiert worden sein. In Budapest
hat die Zahl der Deutschen von 118607 (= 33 Proz.) im J. 1880 bis auf 117867 (= 24 Proz.)
im J. 1890 abgenommen.
Die Dörfer westlich von Budapest (mit über 200000 E.) sind zum größten Teile deutsch. Desgleichen ist
der Bakonywald voll von deutschen Dörfern. Eine größere, im nördl. Teile von magyarischen, im südlichen von kroat. Dörfern
unterbrochene deutsche Sprachinsel erstreckt sich östlich von Fünfkirchen, nordwestlich von Szegzard und westlich von Mohacs
bis südlich nach Esseg. Auch links von der Donau zwischen Baja und Neusatz liegen zahlreiche deutsche
Dörfer. Eine größere