mehr
bekanntestes germanistisches Werk die «Alten hoch- und niederdeutschen Volkslieder» (Stuttg. 1844; 2. Aufl. 1881) sind, eine ganz vorzügliche Charakteristik Walthers von der Vogelweide veröffentlicht (ebd. 1822) und 1830-31 Vorlesungen über «Geschichte der altdeutschen Poesie» gehalten hatte («Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage», 8 Bde., ebd. 1865-73), nahm die deutsche Litteraturgeschichte einen gewaltigen Aufschwung durch G. G. Gervinus (s. d.), der es zum erstenmal wagte, die ganze deutsche Litteraturgeschichte von Anfang an darzustellen, dem Mittelalter freilich nicht gerecht werdend. Der Schlosserschen Schule angehörend, daher stark subjektiv, suchte er jede litterar. Erscheinung aus ihrer Zeit, im Zusammenhange mit der ganzen übrigen Kultur zu verstehen, indem er die Erscheinungen allerdings nicht an und für sich begründete, sondern sie voneinander ableitete. Seine geniale Darstellung gipfelt in Lessing, Goethe und Schiller.
Die Wissenschaft der
[* 2] Deutsche Partei
war nunmehr nach allen
Richtungen hin fest begründet und wurde allmählich als eine der klassischen
Philologie gleichberechtigte Wissenschaft anerkannt. Nach und nach sind an allen deutschen
Universitäten
besondere germanistische Lehrstühle errichtet worden. Die Zahl der Forscher ist fortwährend gewachsen. Es galt für dieselben,
den ausgeführten
Bau nach allen Seiten hin auszubauen. Wir leben seit den letzten Jahrzehnten in der Zeit der Spaltung der
Deutsche Partei
in eine Reihe von selbständigen Wissenschaften.
Hatte schon J. Grimms universale Thätigkeit sich weniger auf das Gebiet der Litteraturgeschichte erstreckt und galten Lachmanns
Arbeiten wesentlich der Textkritik, so macht heutzutage die wachsende
Ausdehnung
[* 3] der Wissenschaft es dem Einzelnen fast nicht
mehr möglich, alle Seiten derselben zu pflegen, auch abgesehen von der persönlichen Veranlagung des
Forschers. Vielleicht der einzige, dessen Genialität seit J.
Grimm wiederum fast das ganze Gebiet der Deutsche Partei
umspannt hat,
ist Wilhelm Scherer (1841-86) gewesen, seit 1877 Professor in
Berlin.
[* 4]
Der Lachmannschen Berliner [* 5] Schule angehörend, hat er sich in kritischen Arbeiten auf dem Felde der ältern und neuern Litteratur versucht. Es sei hier namentlich der erschöpfenden Behandlung der «Denkmäler deutscher Poesie und Prosa aus dem 8. bis 12. Jahrh.» (Berl. 1864; 3. Aufl., 2 Bde., 1892) gedacht, die er zusammen mit K. Müllenhoff herausgab. Seine Bedeutung liegt auf denjenigen Gebieten, auf denen er von Lachmann ganz unabhängig war, der Sprach- und Litteraturgeschichte.
Sein Buch «Zur Geschichte der deutschen Sprache» [* 6] (Berl. 1868; 2. Ausg., neuer Abdruck 1889) ist von epochemachender Bedeutung gewesen durch die Fülle von neuen Gedanken für die Auffassung und Erklärung der sprachgeschichtlichen Thatsachen. Am meisten entsprach seiner Begabung die Charakterisierung litterar. Schöpfungen und Persönlichkeiten. Er ist mehr und mehr zu der Beschäftigung mit der neuern Litteratur, besonders dem 16. Jahrh. und Goethe, übergegangen.
Seine künstlerisch angelegte «Geschichte der deutschen Litteratur» (Berl.
1883; 6. Aufl., hg. von Edw.
Schröder, 1891) ist die neueste selbständige wissenschaftliche
Darstellung unserer Litteraturgeschichte, deren Glanzpunkt
die Charakterisierung im einzelnen ist. Der
Sprung von J.
Grimm zu W. Scherer ist ein weiter. Allein es
läßt sich zur Zeit noch keine abschließende Geschichte der Deutsche Partei
seit
J.
Grimm geben. Überblicken läßt sich allein die
Entwicklung der einzelnen Disciplinen.
Für die sprachliche Seite s. Germanische Sprachwissenschaft, für die litterargeschichtliche s. Deutsche Litteratur. Es bleibt hier also nur übrig, die Fortschritte der philol. Forschung im engern Sinne des Wortes (Textkritik) und der kulturgeschichtlichen zu besprechen. Was die erstern anbetrifft, so haben sich um die Veröffentlichung und Erklärung alt-, mittel- und neuhochdeutscher Texte nach J. Grimm zunächst besonders verdient gemacht: E. G. Graff («Diutiska», 3 Bde., Stuttg. und Tüb. 1826, 1827 u. 1829),
Hoffmann von Fallersleben («Fundgruben für Geschichte deutscher Sprache und Litteratur», 2 Bde., Bresl. 1830-37; «Horae Belgicae», 12 Bde., Bresl. und Hannov. 1831-62; Bd. 1, 2 u. 7 in 2. Ausg., 1856-57),
J. A. ^[Johann Andreas] Schmeller, H. Hattemer («Denkmale des Mittelalters», 3 Bde., St. Gallen 1842-49),
H. Fr. Maßmann («Deutsche Gedichte des 12. Jahrh.», 2 Tle., Quedlinb. 1837),
Jos. Diemer («Deutsche Gedichte des 11. und 12. Jahrh.», Wien [* 7] 1849; «Kleinere Beiträge zur ältern deutschen Sprache und Litteratur», 6 Bde., Wien 1851-67),
Moritz Haupt (durch seine vorzüglichen Ausgaben mittelhochdeutscher Dichtungen seit 1839, u. a. «Des Minnesangs Frühling», mit Lachmann, Lpz. 1857; 4. Ausg., ebd. 1888),
Ed. von Kausler («Denkmäler altniederländ. Sprache und Litteratur», 3 Bde., Tüb. und Lpz. 1840-66),
Friedrich Zarncke (Musterausgabe von «Brants Narrenschiff», Lpz. 1854; «Das Nibelungenlied», ebd. 1856; 6. Aufl. 1887),
Franz Pfeiffer, Karl Bartsch, letzterer der fruchtbarste («Untersuchungen über das Nibelungenlied», Wien 1865) und K. Goedeke (kritische Ausgabe von «Schillers sämtlichen Schriften», 15 Tle. in 17 Bdn., Stuttg. 1867-76); ferner El. Steinmeyer, Ed. Sievers (von beiden herausgegeben die «Althochdeutschen Glossen», 2 Bde., Berl. 1879 u. 1882),
A. Schönbach («Altdeutsche Predigten», 3 Bde., Graz [* 8] 1886-91),
W. Wilmanns «Leben und Dichten Walthers von der Vogelweide», Bonn [* 9] 1882; «Beiträge zur Geschichte der älteren deutschen Litteratur», Heft 1-4, ebd. 1885-88),
H. Paul («Zur Nibelungenfrage», Halle [* 10] 1877),
G. Roethe («Die Gedichte Reinmars von Zweter», Lpz. 1887),
K. Burdach, E. Schröder, Ph. Wackernagel («Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des 17. Jahrh.», 5 Bde., ebd. 1864-77),
R. von Liliencron («Die histor. Volkslieder der Deutschen», 4 Bde., ebd. 1865-69),
Joh. Bolte, B. Suphan («Herders sämtliche Werke», 31 Bde., Berl. 1877-93; Bd. 14 ist noch nicht erschienen) und M. Bernays. Eine Musterausgabe ist die von «Goethes Werken» (Weim., seit 1887 erscheinend). Über größere Sammlungen von Textausgaben s. Deutsche Litteratur (Sammlungen, S. 26 b). Ferner gehören hierher: «Bibliotheck van Middelnederlandsche Letterkunde», hg. von H. E. Moltzer u. a. (seit 1868) und «Zwolsche Herdrukken» (Zwolle, seit 1891 erscheinend). - Die deutsche Metrik haben nach W. Grimm und Lachmann besonders W. Wackernagel, Vetter, Rieger, Bartsch, Wilmanns, Paul, Minor und am meisten Sievers gefördert. - Im Anfang unsers Jahrhunderts wurden die verstreuten handschriftlichen Schätze unserer ältern Litteratur gesammelt. So ist namentlich München [* 11] ein wichtiger Centralpunkt geworden. Von großer Bedeutung war auch die Heimführung der altdeutschen Handschriften aus dem Vatikan [* 12] nach Heidelberg [* 13] 1816. Dazu kamen die Bemühungen einzelner ¶
mehr
eifriger Sammler. Die reiche Handschriftensammlung des Freiherrn von Laßberg (1770-1855) ist in den Besitz des Fürsten von Fürstenberg in Donaueschingen übergegangen. Eine unentbehrliche Grundlage für das Studium der neuhochdeutschen Periode schuf in trefflichster Weise Karl Hartwig Gregor Freiherr von Meusebach, welcher mit rastlosem Eifer und vollendeter Sachkenntnis alle ihm erreichbaren Werke zusammenbrachte, die für die deutsche Litteratur von Erfindung der Buchdruckerkunst bis auf Goethe irgendwelche Bedeutung haben.
Diese unschätzbare, an innerm Gehalt und äußerer Vollständigkeit einzig dastehende Sammlung ist in den Besitz der Königlichen Bibliothek in Berlin gelangt. Für die ältere neuhochdeutsche Litteratur hat W. von Maltzahn gesammelt. Die reichste auf Goethe bezügliche Sammlung verdankt man dem Buchhändler Salomon Hirzel, der sie der Leipziger Universitätsbibliothek vermacht hat. Das Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar [* 15] endlich verspricht immer mehr ein Archiv für die neuere Litteratur überhaupt zu werden. - Die Geschichte der altgerman.
Stammeskunde ist begründet und am mächtigsten gefördert worden durch das noch heute nicht veraltete Werk von Kaspar Zeuß «Die Deutschen und die Nachbarstämme» (Münch. 1837). Seit J. Grimm hat nur K. Müllenhoff sich wiederum die Erforschung des german. Altertums zur Aufgabe gemacht; sein Lebenswerk «Deutsche Altertumskunde» (Bd. 1, Berl. 1870; 2. Aufl. 1890; Bd. 2, ebd. 1887; Bd. 3, 1892; Bd. 5, 1891) wird auch nach seiner Fertigstellung (Müllenhof ist 1884 gestorben) ein Bruchstück bleiben. Hervorragend wichtig ist auch A. Baumstarks «Ausführliche Erläuterung des allgemeinen Teiles der Germania [* 16] des Tacitus» (Lpz. 1875) und «Ausführliche Erläuterung des besonderen völkerschaftlichen Teiles der Germania des Tacitus» (ebd. 1880); vgl. auch seine «Urdeutschen Staatsaltertümer» (Berl. 1873). - Die archäol.
Studien finden einen Anhalt [* 17] an den zahlreichen Altertumsmuseen, besonders an dem 1852 gegründeten röm.-german. Centralmuseum in Mainz [* 18] (vgl. «Die Altertümer unserer heidn. Vorzeit», hg. von L. Lindenschmit, Mainz seit 1858) und dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg [* 19] («Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit», Nürnb. 1853-83; «Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums», ebd., seit 1884). Diesen Studien hat gleichfalls gedient der «Anzeiger für Kunde des deutschen Mittelalters», von H. von Aufseß (Münch. 1832, Nürnb. 1833-34),
fortgesetzt als «Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit», von Mone (Karlsr. 1835-39),
und dienen jetzt das «Archiv für Anthropologie» (Braunschw., seit 1866),
die «Zeitschrift für Ethnologie» (Berl., seit 1869),
die «Jahrbücher des Vereins von Altertumsfreunden im Rheinlande» (Bonn, seit 1842) und die «Westdeutsche Zeitschrift» (1.-11. Jahrg., Trier [* 20] 1882-92). - Auf dem Gebiete der deutschen Runenkunde hat sich nach W. Grimm von den Ältern Franz Dietrich (s. d.) am meisten hervorgethan. Grundlegend für die Geschichte der german. Runenschrift ist Wimmers «Runeskriftens oprindelse og udvikling i Norden» [* 21] (Kopenh. 1874),
in neuer deutscher Bearbeitung «Die Runenschrift» (Berl. 1887). Die norweg. Runeninschriften behandelt abschließend Bugge, «Norges Indskrifter med de ældre Runer» (Kristiania, [* 22] seit 1891). R. Henning hat «Die deutschen Runendenkmäler» (Straßb. 1889) behandelt. - Die deutsche Kulturgeschichte hat Franz von Löher («Kulturgeschichte der Deutschen im Mittelalter», Bd. 1, Münch. 1891; Bd. 2, 1892) bearbeitet, die deutsche Wirtschaftsgeschichte K. Th. von Inama-Sternegg («Deutsche Wirtschaftsgeschichte», Bd. 1 u. 2, Lpz. 1879-91),
K. Lamprecht («Deutsches Wirtschaftsleben im Mittelalter», 3 Tle. in 4 Bdn., ebd. 1886),
die deutsche Rechtsgeschichte R. Schröder («Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte», ebd. 1889),
Konr. Maurer, H. Brunner («Deutsche Rechtsgeschichte», Bd. 1, ebd. 1887; Bd. 2, 1892) und K. von Amira. - Zur deutschen Sittengeschichte von den ältesten Zeiten bis zum Ausgange des Mittelalters hat W. Wackernagel («Kleinere Schriften», Bd. 1, Lpz. 1872) wertvolle Beiträge geliefert. K. Weinholds Buch «Die deutschen Frauen in dem Mittelalter» (Wien 1851; 2. Aufl., 2 Bde., 1882) erstreckt sich über die Hauptgebiete des Kulturlebens. Die Ergebnisse, welche die Denkmäler der Kunst und des Handwerks liefern, vereinigt mit den Zeugnissen der mittelhochdeutschen Dichtung Alwin Schultz («Das höfische Leben zur Zeit der Minnesinger», 2 Bde., Lpz. 1879-80; 2. Aufl. 1889). Zahlreich sind die meist lokal begrenzten Sammlungen über die heutigen Volkssitten, die häufig mit den Märchen- und Sagensammlungen verbunden sind. Unter den Forschern auf diesem Gebiete sind E. L. Rochholz, I. ^[Ignaz] Zingerle, F. Liebrecht und R. Köhler hervorzuheben. Eine eigene Zeitschrift für Volkskunde unter besonderer Berücksichtigung des Deutschen ist die «Zeitschrift des Vereins für Volkskunde» (Berl., seit 1891). - Die german. Mythologie erforschten besonders W. Müller («Geschichte und System der altdeutschen Religion», Gött. 1844),
A. Kuhn, der Begründer der vergleichenden indogerman. Mythologie, W. Schwartz, W. Mannhardt («Mytholog. Forschungen», Straßb. 1884),
El. H. Meyer («German. Mythologie», Berl. 1891) und E. Mogk («Mythologie» in Pauls «Grundriß der german. Philologie», Bd. 1, Straßb. 1891). Speciell für nordische Mythologie sind bedeutsam die Arbeiten von N. M. Petersen («Nordisk Mythologi», Kopenh. 1849; 2. Aufl. 1863),
Konr. Maurer («Bekehrung des norweg. Stammes zum Christentum», 2 Bde., Münch. 1855-56),
Henry Petersen («Om Norboernes gudedyrkelse og gudetro i hedenold», Kopenh. 1876),
Bang («Völuspaa og de Sibyllinske Orakler», 1879),
S. Bugge («Studier over de nordiske gude- og heltesagns oprindelse», Kristiania 1889; deutsche Ausgabe «Studien über die Entstehung der nordischen Götter- und Heldensagen», Münch. 1889) und K. Müllenhoff («Deutsche Altertumskunde», Bd. 5, Berl. 1891). Eine eigene, freilich nicht auf der Höhe stehende «Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde» (4 Bde., Gött. 1853 59) wurde von J. W. ^[Johann Wilhelm] Wolf, dann von W. Mannhardt herausgegeben. - Unsere Kenntnis der deutschen Sagengeschichte, namentlich Heldensage, hatte seit W. Grimm besonders durch K. Müllenhoffs Abhandlungen Fortschritte gemacht, neuerdings auch durch W. Müller, R. Heinzel und W. Golther. - Außer den angeführten dienten und dienen namentlich folgende Zeitschriften deutschphilol. Forschungen: «Altdeutsche Blätter» von Haupt und Hoffmann (2 Bde., Lpz. 1835-40);
«Neues Jahrbuch der Berlinischen Gesellschaft für deutsche Sprache und Altertumskunde» (auch u. d. T. «Germania») von von der Hagen [* 23] (10 Bde., Berl. 1836-53);
«Zeitschrift für deutsches Altertum», hg. von M. Haupt, K. Müllenhoff, W. Scherer und ¶