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nordalbingische Mundart ist in der Aussprache durch das Friesische, auf dessen Boden sie zum Teil ruht, nicht unbeeinflußt geblieben. Die Mundart ist die allgemeine deutsche Seemannssprache und verdankt ihr moralisches Übergewicht über die andern niedersächs. und ostniederdeutschen Mundarten der Hansa, deren Sprache [* 2] sie war. Die Mundart ist in dem hannov. Teile im weitern Vordringen begriffen. Noch heute zeigt die Lüneburger [* 3] und Verdener Aussprache südlichere Anklänge.
1) Ostfriesisch, nördlich und östlich von Emden. [* 4] Die dortige plattdeutsche Mundart wird ostfriesisch genannt, ein Name, der beibehalten ist von der Zeit her, als dort noch die nicht-deutsche, fries. Sprache gesprochen wurde. (S. Friesische Sprache und Litteratur.) Die Mundart herrscht auch im Jeverlande.
2) Oldenburgisch, im nordöstl. Teile von Oldenburg [* 5] mit Ausnahme der Küste und des Weserufers.
3) Unterweser-Mundart, nördlich von Bremen, [* 6] mit niederfränk. Elementen.
4) Bremisch, in Bremen und östlich und südlich davon.
5) Stadisch, an der Oste. Zum Stadischen scheint rechts von der Elbe die Mundart von Blankenese und Wedel zu gehören, möglichenfalls auch die der Haseldorfer, Kremper und Wilster Marsch.
6) Lüneburg-Ülzener Mundart, nordöstlich von der Wasserscheide in der Lüneburger Heide.
7) Hamburgisch.
8) Dithmarsch, dazu Stapelholm, nördlich von der Eider.
9) Eiderstedtisch.
10) Anglisch, in der Landschaft Angeln, zwischen Flensburg [* 7] und Schleswig, [* 8] ein erst in diesem Jahrhundert der dän. Sprache abgerungenes Gebiet.
11) Holsteinisch, östlich bis über Kiel [* 9] und Neumünster hinaus, südwärts noch Stormarn mit umfassend. Eine besondere Mundart wird in der Wilster, Kremper und Haseldorfer Marsch gesprochen, die durch Holländer besiedelt worden ist.
12) Nordostniedersächsisch, auf ehemals slaw. Boden, im östl. Holstein (Wagrien), in Eutin, Lübeck, [* 10] Mecklenburg, [* 11] Neuvorpommern und Rügen und in dem Striche südlich von der Peene bis fast nach Uckermünde, desgleichen auf Usedom mit Ausschluß von Swinemünde.
B. Westfälisch (im alten Sinne des Wortes) oder Westniedersächsisch. Östlich bis Diepholz, Melle, Versmold, Beckum, Hamm, [* 12] Camen, Unna, [* 13] Iserlohn, [* 14] Altena, [* 15] Schmallenberg.
1) Friesisch-Westfälisch, auf größtenteils altfries. Boden, an der Küste von Harderwyk bis Groningen, an der Emsmündung noch das Rheiderland einschließend.
2) Fränkisch-Westfälisch, auf altfränk. Boden, in dem größten Teile von Drenthe, in Overyssel, der nördl. Veluwe und in dem westlichsten Zipfel der Provinzen Hannover [* 16] (um Neuenhaus) und Westfalen [* 17] (um Vreden und Bocholt).
3) Echt-Westfälisch, a. Mundart an der mittlern Ems. [* 18] b. Osnabrückisch, c. Tecklenburgisch. deutsche Münsterländisch. e. Märkisch-Sauerländisch, nordwärts bis über Essen, [* 19] Bochum [* 20] und Dortmund [* 21] hinaus.
C. Engrisch. Östlich bis Celle, [* 22] Burgdorf, Pattensen, Hameln, [* 23] Gandersheim, Seesen, Grund, Osterode, [* 24] Lauterberg.
1) Westengrisch, nördlich bis Hamm und Lippstadt, [* 25] östlich bis Brilon und Winterberg. Altes î, û und ü̂ diphthongiert.
2) Strombergisch, zwischen Beckum, Harsewinkel und Lippstadt.
3) Paderbornisch, um Delbrück, Geseke, Wünnenberg, Paderborn, [* 26] Lichtenau, Driburg und Borgholz. Die Mundart der Senne und um Rietberg vermittelt den Übergang zum Strombergischen. Altes î, û und ü̂ diphthongiert.
4) Waldeckisch, in Waldeck [* 27] mit Ausnahme des hochdeutschen südöstl. Zipfels, um Medebach und um Volkmarsen, Wolfhagen und Zierenberg.
5) Hessisch-Engrisch, um Liebenau, Hofgeismar, Grebenstein, Immenhausen, Trendelburg und Helmarshausen.
6) Göttingisch-Grubenhagensch. a. Niedereichsfeldisch, von Münden bis über Duderstadt hinaus, b. Göttingisch, vom Staufen-Berg bis Hardegsen, Northeim, [* 28] Osterode und Lauterberg, c. Einbeckisch, zwischen Carlshafen, Holzminden, Bodenwerder, Gandersheim, Grund, Northeim und Hardegsen. Altes î, û und ü̂ diphthongiert.
7) Hamelner Mundart. Altes î, û und ü̂ diphthongiert.
8) Lippisch. Dazu scheint auch Höxter zu gehören. Altes î, û und ü̂ diphthongiert.
9) Ravensbergisch, zwischen Gütersloh, Herford, [* 29] Vlotho, Öynhausen, Bünde, Melle und Versmold.
10) Mindisch.
11) Calenbergisch, an der untern Leine.
Deutsche [* 30] Ostfälisch. Zum Ostfälischen gehörte auch die Altmark. Aber seitdem zum Teil niederfränk. Kolonisten sich auf dem altslaw. Boden angesiedelt haben, ist die Mundart nicht mehr rein ostfälisch geblieben. Sie wurde im Mittelalter auch in dem jetzt hochdeutschen Striche am Südrande des Harzes und bis nach Wörlitz und Merseburg [* 31] gesprochen.
1) Hildesheimisch oder Westostfälisch, nördlich bis Eldagsen, Sarstedt und Peine, östlich bis dicht vor Braunschweig [* 32] und Wolfenbüttel, [* 33] bis über Goslar [* 34] hinaus. Altes î, û und ü̂ diphthongiert.
2) Ostostfälisch. a. Braunschweigisch, nordwärts bis über die Aller hinaus, nach Osten zu bis vor die Thore Magdeburgs, südlich bis Halberstadt. [* 35] Die Mundart ist nach Westen zu im Vordringen begriffen. b. Südostfälisch, am Nordostrande des Harzes, bis Wernigerode [* 36] und Quedlinburg, [* 37] c. Die anhält.-magdeburgisch gefärbte Mischmundart zwischen Halberstadt, Aschersleben, [* 38] Barby und Magdeburg. [* 39]
Ⅶ. Ostniederdeutsch: niedersächs.-niederfränk. Mischmundarten [mit Ausnahme von A, 10 und D, 8 niederdeutsch]. Die ehemals slaw. Gebiete östlich der Elbe sind sowohl von Niedersachsen als von Niederfranken besiedelt worden. Die Mundart ersterer ist unvermischt nur im östl. Holstein, in Mecklenburg und Vorpommern erhalten. Alle andern Gebiete sind gemischt. Am stärksten ist das niedersächs. Element in Pommern [* 40] und an der Netze vertreten, schwächer in Ostpreußen. [* 41] Das niederfränk. Element ist das herrschende im südl. Teile der Mark Brandenburg und in Westpreußen.
A. Brandenburgisch.
1) Altmärkisch, eigentlich nur in dem Striche an der Elbe hierher gehörig. Doch auch in der Altmark selbst, besonders im Nordwestzipfel sind niederfränk. Einflüsse bemerkbar.
2) Westpriegnitzisch. Diese und die altmärk. Mundart haben von allen brandenb. Mundarten am stärksten niedersächs. Charakter.
3) Ostpriegnitzisch.
4) Uckermärkisch.
5) Magdeburgisch (?). 6) Havelländisch und Zauchisch-Teltowsch.
7) Flemmingisch, eine rein niederfränk. Mundart.
8) Barnimsch.
9) Die Mundart des Oderbruchs und der nordwestl. Neumark, rein niederfränkisch.
10) Gehören zum Brandenburgischen die vormals niederdeutschen (niederfränk.), jetzt hochdeutschen (berlinischen) Mundarten, nördlich einer Linie Torgau-Guben-Schrimm, und südlich einer Linie Wittenberg-Schlieben-Buchholz-Frankfurt-Landsberg. Diese sind nicht zum Mitteldeutschen zu rechnen, bilden vielmehr, da die Aussprache der niederdeutschen Zunge entspricht, eine eigene Gruppe des Hochdeutschen, dieselbe große norddeutsche Gruppe, der ¶
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überhaupt das Hochdeutsch im norddeutschen Munde angehört. Dieses Berliner [* 43] Norddeutsch verdrängt immer mehr das benachbarte Platt, dessen Tage wenigstens südlich einer bereits von hochdeutschen Elementen durchsetzten Linie Stendal-Neu-Ruppin-Angermünde-Landsberg gezählt sind.
B. Hinterpommersche, Pomerellische und Netze-Mundarten. Diese, die nordöstl. Neumark und die Gegend um Bromberg [* 44] und Thorn [* 45] mit einschließenden Mundarten tragen einen wesentlich engrischen Charakter.
1) Mittelpommersch (Stettiner Gegend). Ob diese zwischen vorpommerschem Niedersächsisch und dem Uckermärkischen vermittelnde Mundart hierher gehört, ist zweifelhaft.
2) Westhinterpommersche Küstenmundart, nördlich einer Linie Naugard-Regenwalde-Schivelbein-Ratzebuhr, ostwärts bis über Köslin, [* 46] Belgard [* 47] und Neustettin [* 48] hinaus.
3) Bublitzer Mundart, um Bublitz. Altes î, û und ü̂ diphthongiert.
4) Osthinterpommersche Küstenmundart, nach Osten bis Leba und Lauenburg, [* 49] nach Süden soweit die Provinz Pommern reicht.
5) Südhinterpommersch, östlich von Gollnow, Greifenhagen, Königsberg [* 50] in der Neumark, nördlich von Soldin, [* 51] Friedeberg und Schloppe.
6) Netze-Mundart zwischen Landsberg [* 52] und Schneidemühl. [* 53]
7) Pomerellisch, nach Norden [* 54] bis Berent reichend.
8) Nakel-Bromberg-Thorner Mundart.
C. Westpreußisch.
1) Nordpomerellisch, nordwestlich von Danzig. [* 55]
2) Danziger Mundart.
3) Werdersch, im Weichseldelta, a. Großwerdersch. b. Kleinwerdersch. c. Niederungisch, rein niederfränkisch.
4) Weichselmundart.
Deutsche Ostpreußisch.
1) Die Mundart um Tolkemit, Frauenberg und Braunsberg. [* 56]
2) Mehlsacker Mundart.
3) Bartisch.
4) Natangisch.
5) Samländisch.
6) Niederungisch.
7) Litauisches Ostpreußisch, einst litauisches Sprachgebiet.
8) Die hochdeutsche norddeutsche Mundart in den russ. Ostseeprovinzen.
Die in vorstehendem gegebene Einteilung der Mundarten beruht in erster Reihe auf dem Gesamtcharakter derselben in Aussprache, Betonung [* 57] und Ausdrucksweise. Nicht alle lautlichen Eigentümlichkeiten einer Mundart fallen genau mit der Grenzlinie der Mundart zusammen. Vielmehr greifen solche Eigentümlichkeiten oft über jene Grenze hinaus, oft auch erreichen sie dieselbe nicht ganz. Mit Unrecht hat man daraus schließen wollen, daß es überhaupt keine festen Mundartengrenzen gebe. Dieselben werden nur heute bei der namentlich durch die Eisenbahnen erschlossenen großen deutschen Verkehrseinheit immer mehr verwischt, sind aber besonders an der Betonung und an gewissen individuellen Zügen der Aussprache meist noch deutlich zu erkennen. Es besteht heute die Tendenz einer mundartlichen Ausgleichung innerhalb eines deutschen Staates oder eines Verwaltungsgebietes.
Von mundartlichen Schriftwerken kann man, da im Mittelalter eine allgemeingültige Litteratursprache fehlte und jeder Schriftsteller daher mehr oder weniger in seiner Mundart schrieb, erst für die neuere Zeit sprechen, wo einzelne Schriftsteller im bewußten Gegensatz zu der allgemeinen Schriftsprache sich ihrer Mundart bedienen. Naturgemäß muß der Leserkreis in diesem Falle ein räumlich beschränkter sein. Nur wenigen, hervorragenden Dichtern, wie Hebel, [* 58] Klaus Groth und besonders Fritz Reuter ist es gelungen, sich über die Grenzen [* 59] ihrer heimatlichen Mundart hinaus bei dem deutschen Publikum Geltung zu schaffen.
Seit dem 17. Jahrh. bedienen sich Schriftsteller der Mundart mit bestimmtem Bewußtsein und in der Absicht, bestimmte Wirkungen zu erreichen. Als eins der frühesten Beispiele mag Andreas Gryphius gelten, der (1660) sein Lustspiel «Das verliebte Gespenst» mit einer dramatisierten Idylle, «Die geliebte Dornrose», in schles. Mundart durchwebte, nachdem schon 1593‒94 Herzog Heinrich Julius von Braunschweig in seinen Stücken Bauern und Lustigmacher sich der schwäb., thüring., niederrhein. und niedersächs.
Mundart hatte bedienen lassen. Häufiger wurden die Versuche in den verschiedenen Mundarten seit in der letzten Hälfte des 18. Jahrh. alle Dichtungsarten in der hochdeutschen Litteratur sich entfaltet hatten. Das Höchste gelang Hebel in seinen «Alamann. Gedichten» (Karlsr. 1803). Nächst ihm zeichnen sich aus Franz Kobell, der sich in der bayr. wie der Pfalz. Mundart mit gleicher Gewandtheit bewegt, und Franz Stelzhamer, der mehrere Gedichtsammlungen in oberösterr.
Mundart veröffentlicht hat. Unter den Dichtern, die sich des Niederdeutschen bedienten, haben sich besonders Fritz Reuter, Klaus Groth und John Brinkmann einen gefeierten Namen erworben. Von andern Versuchen in deutschen Mundarten sind noch besonders hervorzuheben: die bayr. Stücke in Buchers «Werken» (6 Bde., Münch. 1819‒22),
Grübels «Gedichte in Nürnberger Mundart» (3. Aufl., 5 Bde., Nürnb. 1823‒24),
Adolf Stöbers «Elsässer Schatzkästel» (Straßb. 1877),
G. Dan. Arnolds Lustspiel «Der Pfingstmontag» in Straßburger Mundart (ebd. 1816);
die Frankfurter Lokalpossen von K. Malß und W. Sauerwein;
die Gedichte Nadlers in Pfälzer Mundart;
die Dichtungen Castellis und Seidls in niederösterr., die Kaltenbrunners und Schlossers in oberösterr.
Mundart; Holteis «Schles. Gedichte»;
die Schriften und Poesien von Sebastian Sailer und C. Weitzmann in schwäb. Dialekt;
Usteris «Gedichte in zürcherischer Mundart»;
Sommers «Bilder und Klänge aus Rudolstadt» [* 60] (Gesamtausg. 2 Bde., 11. Aufl., Rudolst. 1886) in Rudolstädter, endlich die Gedichte Bornemanns in märkischer und die Predigten Sackmanns in calenbergischer (hannoverscher) Mundart.
Mit Erfolg hat G. Hauptmann die schles. Mundart im Drama angewandt. Ein Verzeichnis niederdeutscher Werke lieferte Scheller in der «Bücherkunde der sassisch-niederdeutschen Sprache» (Braunschw. 1826); eine Auswahl von Dichtungen der verschiedensten deutschen Dialekte giebt H. Welcker, «Dialektgedichte» (Lpz. 1889). Die wichtigsten Anthologien sind: J. M. Firmenich, Germaniens Völkerstimmen (3 Bde., Berl. 1846‒66);
für das Niederdeutsche: J. Winkler, Algemeen Nederduitsch en Vriesch dialecticon (2 Bde., ’sGravenhage 1874);
J. A. u. L. Leopold, Van de Schelde tot de Weichsel (3 Bde., Groningen 1882).
Näheres über neuere Poesie und Prosa in plattdeutscher Sprache s. Niederdeutsche Litteratur.
Litteratur. Die gesamte Litteratur über die der Erforschung der Mundarten gewidmeten wissenschaftlichen Arbeiten ist jetzt zusammengestellt von F. Mentz, Bibliographie der deutschen Mundartenforschung für die Zeit vom Beginn des 18. Jahrh. bis zum Ende des J. 1889 (Lpz. 1892).
Das Werk ist der 2. Band [* 61] der von O. Bremer herausgegebenen Sammlung kurzer Grammatiken deutscher Mundarten (ebd. 1892 fg.). Die frühern bibliogr. Arbeiten von Adelung (1782‒1809), Schmidt (1822), Hoffmann (1836), Trömel (1854), Frommann (1854‒59), Bartsch (1862‒84), von Bahder (1883) ¶