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Lieblings des Berliner Salons, und der hocharistokratischen Gräfin Ida Hahn-Hahn; Henriette von Paalzow dankte den Erfolg ihrer scottisierenden Romane sehr wesentlich dem Interesse Friedrich Wilhelms IV. Im Gegensatz zu dieser Gruppe stellte der lebenserfahrene K. von Holtei (1797-1880) in seinen äußerst bunten und belebten Romanen mit Vorliebe und entschiedener packender Kraft die amüsantere schlechte Gesellschaft dar. Ein heiterer Humorist war der Freiherr von Gaudy, ein sentimentaler in Jean Paulscher Art der Verfasser des «Prinzen Rosa Stramin», Ernst Koch. Fehlt es Meinholds archaisierenden Hexenromanen nicht an starker reaktionärer Tendenz, so beherrscht Stifters Novellen eine quietistische Hingabe an die Natur, für die die Menschengeschicke kaum mehr als Staffage sind.
Dieser Naturkult lebt in der Lyrik der Zeit wesentlich fort in den Ausläufern und Verwandten der Schwäbischen Schule. Frisch gedeiht die volkstümliche Dialektdichtung, so in Kobells oberbayr., Nadlers pfälz., Holteis schles. Gedichten; einen starken heimatlichen Erdgeruch atmen auch die Dichtungen der elsäss. Brüder Stöber, die sich von Herzen als Deutsche fühlen, und des westfäl. urkath. Freifräuleins Annette von Droste-Hülshoff, einer überraschend wahrhaften und kräftigen, etwas spröden poet. Persönlichkeit. Der Rhein sieht im Bonner Maikäferverein eine Gruppe fröhlicher, dabei warm patriotischer Sänger vereint, denen wir manch noch heute gesungenes Lied danken, so den politisch bekannten Gottfr. Kinkel, der aber Politik und Poesie selten vermischte, ferner Karl Simrock, Nik. Becker, Alex. Kaufmann; ähnlich heitere Gesellschaftslieder stimmten der Berliner Wilh. Wackernagel und der Hannoveraner Hoffmann von Fallersleben an. Das muntere Kinderlied pflegte der Maler Reinick, die Kinderfabel Wilh. Hey, die komische Ballade der prächtige Aug. Kopisch, während die Balladen Eberts und Mosens mit Vorliebe ernste histor. Stoffe, zuweilen auch tendenziös behandeln. Freiligraths exotische Lyrik fand noch an Ad. Bube einen Fortsetzer. An die geistliche Lyrik des Schwaben Alb. Knapp schloß sich später der Schwabe Gerok in formsichern schönen Liedern an; auch des Thüringers Jul. Sturm fromme Lieder stehen unter schwäb. Einflüssen; verbreiteter war Spittas Sammlung «Psalter und Harfe» (1833). Eine gesunde Gnomik, die nichts mit den modernen Tendenzen zu schaffen hat, sondern an unsere Klassiker anknüpft, pflegt Ernst Freiherr von Feuchtersleben. So zeitigt die Epoche neben der gärenden polit. Lyrik eine stattliche Reihe liebenswürdiger, frischer lyrischer Sänger. Der nach Mörike weitaus bedeutendste freilich, der Ungar Nik. Lenau (1802-50), spiegelt in seiner leidenschaftlichen Sehnsucht, seiner tiefen Zerrissenheit, die den Unglücklichen zum tragischen Vertreter des deutschen Weltschmerzes macht, das ganze Elend der unbefriedigten Zeit ab, die seinem stürmenden Dichterherzen nirgend eine Zuflucht gewährte.
Lenau hat auch histor. Epen hinterlassen, wie denn das Epos, lange ein Stiefkind unserer Litteratur, jetzt neuen Boden gewinnt. In dem Berliner «Tunnel über der Spree» gedieh nicht nur die Ballade (Strachwitz, Fontane, später Kugler, Heyse, Dahn); dem ungefügen, aber schwungvollen Chr. Fr. Scherenberg gelingt hier das preuß. Schlachtenepos («Waterloo», 1849). Und bemerkenswert genug bricht für das Epos eine romantische Nachblüte an, die in Mosens tief symbolischem «Ritter Wahn» (1831), in Zedlitz' duftigem «Waldfräulein» (1843) und Kinkels anmutigen, aber allzu lyrisch gestimmten poet. Erzählungen («Otto der Schütz», 1841) sich ankündigte und bald weitere Früchte tragen sollte.
Auch im Drama findet die Romantik noch einen späten, bemerkenswerten Vertreter in Friedr. Halm (1806-71), bei dem freilich ungesunde und rührsame Elemente nur selten rechte Befriedigung aufkommen lassen. Sind die psychol. Probleme, die er sich stellt, interessant aber gesucht und nicht immer überzeugend, so war ein psychol. Realist ersten Ranges der größte Dramatiker der Zeit, Friedr. Hebbel (1813-63). Ein dithmarsischer Eisenkopf von harter, oft nüchterner Wahrhaftigkeit, ein unermüdlich ringender Geist, reflektiert, vergrübelt, dabei von unstillbarer Sehnsucht nach dem Ideal erfüllt, hat er sich die Bühne nur sehr langsam erobert, sowohl für seine gewaltigen Jambendramen wie «Gyges und sein Ring» (1854) und die «Nibelungen» (1862), als für seine Prosastücke «Judith» (1841), «Maria Magdalene» (1844). Gerade in dieser politisch aufgeregten Zeit hat das große Publikum keinen Sinn für ernste Kunst: da ist die Zeit für die leicht satir. Salonstücke Bauernfelds, für die harmlosen Lustspiele Benedix', für die effektvoll trivialen Stücke der fruchtbaren Charl. Birch-Pfeiffer, die beliebte Romane massenhaft auf die Bühne bringt und in der Gunst der Berliner Raupach ablöst. Erfreulich hebt sich das geistreiche Lustspiel «Pitt und Fox» von Rud. Gottschall aus dem theatralischen Durchschnittsmaß heraus.
Der Überblick über die Jahre 1830-50 zeigt immerhin, wie wenig die polit. Unruhen die Poesie begünstigen; das Aufblühen der Tagesjournalistik, in der neben Heine und Börne der alberne Witzler Saphir Effekt machte, bot dafür wahrhaftig keinen Ersatz. Nach der Märzrevolution glätten sich die Wogen, und so wenig in der Zeit von 1850 bis 1870 die Politik schweigt, so führt sie in der Poesie doch nicht mehr das große Wort. In begreiflichem Rückschlag erzeugt die Ermattung geradezu eine Art Nachromantik, die sich namentlich im Epos kundgab. Einen großen, heute unbegreiflichen Erfolg erzielte Oskar von Redwitz mit seiner süßlich frömmelnden «Amaranth» (1849); ausgeprägt kath. Romantik spricht aus Jos. Papes mittelalterlichen epischen Erzählungen, während seines jüngern Landsmanns Webers «Dreizehnlinden» mehr der kräftigen Art Annette Drostes verwandt ist. Träumerische und heitere Wald- und Weinromantik pflegen im Anschluß an Zedlitz der Märker Gans zu Putlitz («Was sich der Wald erzählt», 1850) und Otto Roquette («Waldmeisters Brautfahrt», 1859); der lustige wandernde Spielmann wird wieder epischer Held in Beckers «Jung Friedel» (1854) und vor allem in Viktor von Scheffels köstlichem «Trompeter von Säckingen» (1854). Mosens symbolische Romantik endlich dauert fort in den mannigfachen epischen Versuchen des farbenglühenden und gedankenschweren Robert Hamerling (1830-90), dem doch sein nahes Verhältnis zur Antike bei aller üppigen Pracht der Rede eine gewisse Strenge der Form erhielt. Die Liebe zur Antike erzeugt Gregorovius' epische Dichtung «Euphorion» (1858). Die Antike, im Bunde mit orient. und romantischen Elementen, zugleich mit Einflüssen der bildenden Kunst versetzt, bestimmt stark einen Münchener Dichterkreis, der sich auf Veranlassung König Maximilians II. in Isarathen
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versammelte und dem alle tendenziösen Zeitinteressen glücklich fern lagen. Neben Geibel dichtete da Friedr. Bodenstedt (1819-92), der als «Mirza Schaffy» (1851) an Goethes «Diwan» und an echte orient. Muster zugleich lebenslustig und lehrhaft anknüpfte und an dem sinnvoll sinnlichen Daumer, dem beschaulichen Hammer Stilgenossen hatte; ferner der mecklenb. Graf Schack, der nachbildend und neubildend orient. und antiken Anregungen in hoher Formvollendung nachgab, der Dichter der «Völkerwanderung» (1866), Herm. Lingg, der Nachdichter Gottfrieds von Straßburg und anderer mittelhochdeutscher Epiker, Wilh. Hertz, der Philosoph M. Meyr, Verfasser guter Dorfgeschichten, der anmutige Kulturnovellist Riehl, der poet. Erzähler Jul. Grosse, endlich, nicht zuletzt, der erfolgreichste Novellist der Epoche, Paul Heyse (geb. 1830), ein Künstler von wohlthuend klarem Blick und durchsichtiger Form, der in seinen kleinen Liebesgeschichten ebenso die südl. Glut Italiens wie die innige Wärme Deutschlands darzustellen weiß und dem auch edle antikisierende Dramen, flüssige poet. Erzählungen, charakteristische patriotische Schauspiele gelingen, während ihm die leidige Tendenz die Romane verdirbt.
Im Roman, der mit dieser Epoche mehr als je in den Vordergrund tritt, offenbart sich eine jene romantischen Nachwirkungen ablösende immer wachsende Neigung zum Realismus. Er findet einen sehr erfreulichen Vertreter an Gust. Freytag (geb. 1816), dessen feine und reiche Begabung aber nicht durch seine modern realistischen Romane («Soll und Haben», 1855, «Die verlorene Handschrift», 1865) erschöpft wird, dem wir eine Neubelebung des histor. Romans («Die Ahnen», 1872 fg.) und vor allem das beste moderne Lustspiel («Die Journalisten», 1854) verdanken. Mehr an Gutzkow als an ihn schließen sich Spielhagens oft sehr tendenziöse sociale Romane an; Hackländer, der mit humoristischen Soldatengeschichten begann, wie sie Wickede und Winterfeld vorwiegend pflegten, ging später zu Gesellschaftsromanen über, die er allzu flüchtig und schnell hinschrieb. Den kulturhistor. Roman vertritt Scheffel in seinem ausgezeichneten, poetisch wertvollen «Ekkehard» (1855), dem speciell preußischen Hesekiel und Hiltl, freilich keine ebenbürtigen Nachfolger von Alexis; humoristisch archaisiert Trautmann; realistische Darstellungen aus dem jüd. Leben bringen Kompert und Franzos; einen köstlichen Humor entfaltet der Mecklenburger Fritz Reuter in seinen plattdeutschen Romanen (besonders «Ut mine Stromtid», 1861). Das Glück des Kinder- und Familienlebens schildern der sentimentale Bog. Goltz und der gesund heitere Rud. Reichenau; fromme Volkserzählungen schreiben Horn und Frommet, fromme Romane die liebenswürdige Marie Nathusius, Kindergeschichten, die freilich etwas hausbacken geraten, Ottilie Wildermuth. Die Novelle hat neben Heyse an dem oft schwermütig düstern, aber ungemein feinfühligen und stimmungsvollen Erzähler Storm (1817-88) einen hervorragenden Vertreter. Alle aber überragt der Züricher Gottfried Keller, die kräftigste Dichtergestalt unserer modernen Litteratur, im «Grünen Heinrich» (1853) ein Meister des psychol. Romans, in seinen Novellen, zumal in den «Leuten von Seldwyla» (1856), auch dem «Sinngedicht» (1881), ein sinnlich packender, scharf schauender und charakterisierender Darsteller des umgebenden Lebens, dem doch die weichsten und süßesten Töne gelingen und der selbst die häßliche Wirklichkeit durch einen überlegenen, oft herzgewinnend übermütigen Humor verklärt. In unserer gesamten Novellistik kommen ihm immer noch am nächsten zwei kleine, früher wenig beachtete Arbeiten («Die Heiterethei», «Zwischen Himmel und Erde») des Thüringers Otto Ludwig (1813-65), eines genialen, leider früh krankenden Mannes, dessen Lieblingsgebiet freilich das Drama war. Seine knorrigen, herben Schöpfungen, die an Hebbel erinnern («Der Erbförster», «Die Makkabäer»), stehen im ernsten Drama allein; weder Freytags Sittenschauspiele, noch die preisgekrönten Versuche Lindners und Nissels, noch gar die routinierten Bühnenstücke Mosenthals und Brachvogels reichen entfernt an sie heran; Richard Wagners geniale Operndichtungen nehmen im dramat. Aufbau einen sehr hohen Rang ein, verraten aber in der Detailausführung zu sehr ihre Bestimmung. Im Lustspiel erzielen Putlitz, Wehl, Feldmann vorübergehende Erfolge; die Possen Kalischs und Räders sind ohne litterar. Ansprüche doch immerhin so lustig gewesen, daß sie zum Teil bis heute noch ihr Leben fristen. Von Lyrikern haben zwei ihrer Zeit wenig beachtete, der Schweizer Leuthold (1827-79), eine herbe und wüste, aber geniale und überraschend formstrenge Dichterkraft, und der melancholisch innige Tiroler Herm. von Gilm (1812-64), dem die geistige Enge in seinem geliebten Vaterlande die Flügel lähmte, neuerdings verspätetes Interesse gefunden. Der «Quickborn» (1852) des Holsteiners Klaus Groth spiegelt den spröden, aber echten treuen Charakter des Volksstammes wider, in dessen Mundart er gedichtet ist. Anregungen moderner Wissenschaft zeigt ernsthaft die pessimistische Lyrik Hier. Lorms, in lustiger Parodie die ausgelassen burschikosen Lieder, in denen Scheffel («Gaudeamus», 1867) naturwissenschaftliche und philol. Fragen behandelt.
Die in den Tagen der Romantik aufgeblühte Wissenschaft hatte inzwischen ihr Antlitz nicht wenig verändert. Als die Alleinherrschaft der Hegelschen Philosophie, die noch in Vischers trefflicher «Ästhetik» (1848) eine späte Blüte trieb, gebrochen war, wirkte auf weite Kreise der Pessimismus des früher wenig beachteten Schopenhauer (1788-1860), eines glänzenden und klaren Schriftstellers, dessen nie versagende scharfe Deutlichkeit sehr wohlthuend abstach von Hegels schwerfälliger Kunstsprache. Die histor. und philol. Wissenschaften bauten auf den von der Romantik gelegten Grundlagen mit immer sichererer methodischer Technik, immer ausgedehnterem Wissen fort; auch die schriftstellerische Kunst hat sich mehr und mehr gehoben; Männer wie der große Historiker Leopold von Ranke, wie Mommsen, Sybel und Döllinger, vor allem der gestaltungskräftige Heinrich von Treitschke gehören auch der deutschen Litteraturgeschichte an. Über die weitere wissenschaftliche Litteratur vgl. die Artikel der einzelnen Wissenschaften, insbesondere Deutsche Mundarten, Deutsche Philologie, Deutsche Philosophie, Deutsche Sprache.
An der Gründung des Deutschen Reichs (1871) waren in erster Linie zwei Meister deutscher Prosa beteiligt: die Reden des Fürsten Bismarck atmen in jedem Satze ursprüngliche schöpferische Sprachgewalt, die Schriften des Grafen Moltke suchen in ruhiger und schöner Klarheit der Rede ihresgleichen. Man kann nicht sagen, daß sonst das neue