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Feuilletonistik. Der eigentliche Schöpfer des feuilletonistischen Stils ist der Frankfurter Jude Ludw. Börne (1784-1837), der, ein ehrlicher, aber blinder Fanatiker, ohne ästhetische Begabung, unfähig zu einer konzentrierten Schöpfung, doch zu stachelnden, erregenden und amüsanten kleinen Artikeln den rechten Ton traf, der den schwerfälligen Deutschen imponierte. Ihm brachten die Männer des jungen Deutschland [* 2] eine heute schwer begreifliche Bewunderung dar.
Auch sie waren Journalisten, zu ernstern Werken meist wenig begabt. Der tüchtigste unter ihnen,
Karl Gutzkow (1811-78), ein
starker Charakter, aber als Dichter ohne
Anmut und Frische, ein gewaltig ringender, aber innerlich unfreier
Geist, setzte mit
unerquicklichen und anstößigen
Romanen ein, unter denen namentlich das Produkt «Wally
die Zweiflerin» einen
Sturm entfesselte, der sogar den
Bundestag 1835 zum Verbot der jungdeutschen
Schriften trieb; aber, dem
Wirbel der Politik ferner gerückt, hat er später tüchtige Schauspiele (vor allen: «Zopf
und Schwert»
, 1843) und sehr bemerkenswerte socialpolit.
Romane («Die Ritter vom Geiste», 1850, «Der Zauberer von Rom», [* 3] 1859) geschrieben, die eine starke Gabe der Menschenbeobachtung zeigen. Tief unter ihm stehen die übrigen Jungdeutschen, Heinrich Laube (1806-84), der sich als gewandter Bühnendichter und trefflicher Bühnenleiter später einen geachteten Namen erwarb, Th. Mundt, der Gatte der Luise Mühlbach, der schreibseligen Fabrikantin histor. Romane, u. a. Varnhagen von Ense, der blasierte Reisebeschreiber Fürst Pückler-Muskau kokettierten aus der Ferne mit diesem Kreise. [* 4]
Ein starkes, aber unausgegorenes Talent, das in seiner wüsten, revolutionären Dramatik etwa an die Technik von Lenz und Klinger gemahnt, Georg Büchner (1813-37), starb zu früh. Zersetzender und erregender als all diese poet. Manifeste wirkten die theol. und philos. Arbeiten einiger radikalen Schüler Hegels, die, wie Dav. Friedr. Strauß [* 5] im «Leben Jesu» (1835) und Ludw. Feuerbach im «Wesen des Christentums» (1841), Hegels scharfe Dialektik benutzten, um den bestehenden Glauben zu erschüttern.
Daß im Dienste [* 6] der polit. Tendenz die Dichtung nicht gedeihen konnte, darüber war sich auch ein eifriger Liberaler, wie der Historiker Gervinus, klar, als er 1835 seine «Geschichte der deutschen Nationallitteratur» begann, ein ausgezeichnetes Werk, das in umfassender Gelehrsamkeit und Sicherheit des ästhetischen Urteils lange unerreicht dastand; sein Verfasser meinte damit der deutschen Poesie die Grabschrift zu setzen. So schlimm war es doch nicht. Stand die erste Gruppe polit.
Schriftsteller unbedingt im Zeichen der Prosa, so blüht etwa seit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. (1840) und schon etwas vorher die polit. Poesie, vor allem die politische Lyrik auf. Es flattern die Sturmvögel der Märzrevolution in die Lüfte. Während die «Gedichte» Friedr. von Sallets, des Verfassers eines von Feuerbachschem Geiste getränkten «Laienevangeliums» (1842),
noch wenig Beachtung fanden, entfesselten Herweghs rhetorisch mächtige «Gedichte eines Lebendigen» (1841) einen Sturm des Beifalls, dem auch der König sein Ohr [* 7] nicht verschloß. Der Philolog Hoffmann von Fallersleben (1798-1874), der glückliche Sänger volkstümlicher sangbarer Kinder- und Trinklieder, überträgt die leichte, zum Singen lockende Form auch auf seine zahllosen polit. Reime. Die feurigen Lieder zweier jüd. Dichter, des Ungarn [* 8] Karl Beck und des Böhmen [* 9] Mor. Hartmann, werden verschärft durch die noch immer gedrückte sociale Stellung ihrer Stammesgenossen.
Rob. Prutz gelingt eine geistreiche dramat. Satire «Die polit. Wochenstube» (1845),
der Glasbrenner satir. Epen zur Seite stellt. In wortprangenden «Canzonen» (1848) feiert Spiller von Hauenschild die Freiheit und beklagt die Schmach des gebundenen Vaterlandes. Ein Zug von weltmännischer Ironie geht durch die «Lieder eines kosmopolit. Nachtwächters» (1842) von Franz Dingelstedt, der den revolutionierenden Tendenzen seiner Jugenddichtung ebenso bald Valet sagte, wie der edle, formensichere und humorvolle Anastasius Grün (1806-76), den nur der erstickende Geistesdruck in Österreich [* 10] zeitweilig in das Lager [* 11] der unzufriedenen Poeten treibt.
Ihre Unduldsamkeit gegen Andersdenkende nicht nur, sondern auch gegen Gleichgültige setzt es bei dem Dichter farbenprächtiger Orientbilder, Ferd. Freiligrath (1810-76), durch, daß er die höhere Warte, die er selbst dem Dichter zuspricht, verläßt und sich zu einer leidenschaftlichen socialen Anklagedichtung hergiebt. Die Macht des Zeitgeistes läßt gar Bettina in ihren alten Tagen einer Art socialen Lehrromans huldigen. Es gehört in solchen Zeiten heißen oppositionellen Ringens ein größerer Mut dazu, die Ruhe und den Bestand zu predigen: weihte sich der an Platen geschulte, zumal in seinen Balladen hinreißende Graf Strachwitz (1822-47) dieser Aufgabe mit Wärme [* 12] und heftigem Pathos, so vertrat sie in edler Ruhe, unbeirrt durch die Angriffe der Gegner, Emanuel Geibel (1815-84);
ein wahrer, keuscher Dichter, dem die Kunst viel zu heilig ist für den Lärm des Tags, hat er mit seiner vornehmen, formvollendeten, bald frisch jubelnden, bald gedankenvoll ernsten, bald innig warmen, bald hymnisch gen Himmel [* 13] steigenden Lyrik die kurzlebigen Tendenzpoeten alle überdauert.
Mit dem Jahre 1848 ist die Zeit jener polit. Lyrik im wesentlichen wieder vorbei.
So lärmend sie sich bis dahin hervordrängt, es gab auch in den beiden Decennien von 1830-50 noch Dichter, die der Schönheit und Wahrheit dienten und nicht den «modernen Ideen». Erst in dieser Zeit wächst Karl Immermann (1796-1840) zur Dichterhöhe heran; in den «Epigonen» (1836) schafft er, freilich in Goethes Fußstapfen, einen Roman des modernen Lebens und streut damit eine Saat, die reich aufgeht; in dem unvollendeten Epos «Tristan und Isolde» (erschienen 1841) sucht er die Dichtung des Mittelalters mit glänzendem Gelingen neu zu beleben und steht damit an der Spitze jener epischen Richtung, der K. Simrock, Wilh.
Hertz, Wilh. Jordan später angehören; dem geistsprühenden satir. Roman «Münchhausen» (1838 fg.) fügt er seine westfäl. Dorfgeschichte, den «Oberhof», ein, der die ganze lange Litteratur der Dorfgeschichten einleitet. Berth. Auerbach, [* 14] der meist als ihr Schöpfer gilt, ist ebenso wie Felder und später Rosegger didaktischer, Jer. Gotthelf realistischer bis ins Unschöne hinein, M. Meyr umständlicher und Steub genrehafter; die Lebensfülle der Gestalten Immermanns hat keiner der Nachfolger erreicht. Von andern Romanschriftstellern der Zeit hat Sealsfield durch seine amerik. Erzählungen die ethnogr. Romane Gerstäckers vorbereitet; auch Mügges nordländ. Geschichten, wie «Afraja» (1854), huldigen ähnlicher Tendenz. Die elegantere Gesellschaft der Zeit fand sich geschildert in den Romanen Alex. von Ungern-Sternbergs, eines ¶
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Lieblings des Berliner [* 16] Salons, und der hocharistokratischen Gräfin Ida Hahn-Hahn; Henriette von Paalzow dankte den Erfolg ihrer scottisierenden Romane sehr wesentlich dem Interesse Friedrich Wilhelms IV. Im Gegensatz zu dieser Gruppe stellte der lebenserfahrene K. von Holtei (1797-1880) in seinen äußerst bunten und belebten Romanen mit Vorliebe und entschiedener packender Kraft [* 17] die amüsantere schlechte Gesellschaft dar. Ein heiterer Humorist war der Freiherr von Gaudy, ein sentimentaler in Jean Paulscher Art der Verfasser des «Prinzen Rosa Stramin», Ernst Koch. Fehlt es Meinholds archaisierenden Hexenromanen nicht an starker reaktionärer Tendenz, so beherrscht Stifters Novellen eine quietistische Hingabe an die Natur, für die die Menschengeschicke kaum mehr als Staffage sind.
Dieser Naturkult lebt in der Lyrik der Zeit wesentlich fort in den Ausläufern und Verwandten der Schwäbischen Schule. Frisch gedeiht die volkstümliche Dialektdichtung, so in Kobells oberbayr., Nadlers pfälz., Holteis schles. Gedichten; einen starken heimatlichen Erdgeruch atmen auch die Dichtungen der elsäss. Brüder Stöber, die sich von Herzen als Deutsche [* 18] fühlen, und des westfäl. urkath. Freifräuleins Annette von Droste-Hülshoff, einer überraschend wahrhaften und kräftigen, etwas spröden poet.
Persönlichkeit. Der Rhein sieht im Bonner Maikäferverein eine Gruppe fröhlicher, dabei warm patriotischer Sänger vereint, denen wir manch noch heute gesungenes Lied danken, so den politisch bekannten Gottfr. Kinkel, der aber Politik und Poesie selten vermischte, ferner Karl Simrock, Nik. Becker, Alex. Kaufmann; ähnlich heitere Gesellschaftslieder stimmten der Berliner Wilh. Wackernagel und der Hannoveraner Hoffmann von Fallersleben an. Das muntere Kinderlied pflegte der Maler Reinick, die Kinderfabel Wilh.
Hey, die komische Ballade der prächtige Aug. Kopisch, während die Balladen Eberts und Mosens mit Vorliebe ernste histor. Stoffe, zuweilen auch tendenziös behandeln. Freiligraths exotische Lyrik fand noch an Ad. Bube einen Fortsetzer. An die geistliche Lyrik des Schwaben Alb. Knapp schloß sich später der Schwabe Gerok in formsichern schönen Liedern an; auch des Thüringers Jul. Sturm fromme Lieder stehen unter schwäb. Einflüssen; verbreiteter war Spittas Sammlung «Psalter und Harfe» (1833). Eine gesunde Gnomik, die nichts mit den modernen Tendenzen zu schaffen hat, sondern an unsere Klassiker anknüpft, pflegt Ernst Freiherr von Feuchtersleben. So zeitigt die Epoche neben der gärenden polit. Lyrik eine stattliche Reihe liebenswürdiger, frischer lyrischer Sänger. Der nach Mörike weitaus bedeutendste freilich, der Ungar Nik. Lenau (1802-50), spiegelt in seiner leidenschaftlichen Sehnsucht, seiner tiefen Zerrissenheit, die den Unglücklichen zum tragischen Vertreter des deutschen Weltschmerzes macht, das ganze Elend der unbefriedigten Zeit ab, die seinem stürmenden Dichterherzen nirgend eine Zuflucht gewährte.
Lenau hat auch histor. Epen hinterlassen, wie denn das Epos, lange ein Stiefkind unserer Litteratur, jetzt neuen Boden gewinnt. In dem Berliner «Tunnel [* 19] über der Spree» gedieh nicht nur die Ballade (Strachwitz, Fontane, später Kugler, Heyse, Dahn); dem ungefügen, aber schwungvollen Chr. Fr. Scherenberg gelingt hier das preuß. Schlachtenepos («Waterloo», [* 20] 1849). Und bemerkenswert genug bricht für das Epos eine romantische Nachblüte an, die in Mosens tief symbolischem «Ritter Wahn» (1831),
in Zedlitz' duftigem «Waldfräulein» (1843) und Kinkels anmutigen, aber allzu lyrisch gestimmten poet. Erzählungen («Otto der Schütz», 1841) sich ankündigte und bald weitere Früchte tragen sollte.
Auch im Drama findet die Romantik noch einen späten, bemerkenswerten Vertreter in Friedr. Halm (1806-71), bei dem freilich ungesunde und rührsame Elemente nur selten rechte Befriedigung aufkommen lassen. Sind die psychol. Probleme, die er sich stellt, interessant aber gesucht und nicht immer überzeugend, so war ein psychol. Realist ersten Ranges der größte Dramatiker der Zeit, Friedr. Hebbel (1813-63). Ein dithmarsischer Eisenkopf von harter, oft nüchterner Wahrhaftigkeit, ein unermüdlich ringender Geist, reflektiert, vergrübelt, dabei von unstillbarer Sehnsucht nach dem Ideal erfüllt, hat er sich die Bühne nur sehr langsam erobert, sowohl für seine gewaltigen Jambendramen wie «Gyges und sein Ring» (1854) und die «Nibelungen» (1862),
als für seine Prosastücke «Judith» (1841),
«Maria Magdalene» (1844). Gerade in dieser politisch aufgeregten Zeit hat das große Publikum keinen Sinn für ernste Kunst: da ist die Zeit für die leicht satir. Salonstücke Bauernfelds, für die harmlosen Lustspiele Benedix', für die effektvoll trivialen Stücke der fruchtbaren Charl. Birch-Pfeiffer, die beliebte Romane massenhaft auf die Bühne bringt und in der Gunst der Berliner Raupach ablöst. Erfreulich hebt sich das geistreiche Lustspiel «Pitt und Fox» von Rud. Gottschall aus dem theatralischen Durchschnittsmaß heraus.
Der Überblick über die Jahre 1830-50 zeigt immerhin, wie wenig die polit. Unruhen die Poesie begünstigen; das Aufblühen der Tagesjournalistik, in der neben Heine und Börne der alberne Witzler Saphir Effekt machte, bot dafür wahrhaftig keinen Ersatz. Nach der Märzrevolution glätten sich die Wogen, und so wenig in der Zeit von 1850 bis 1870 die Politik schweigt, so führt sie in der Poesie doch nicht mehr das große Wort. In begreiflichem Rückschlag erzeugt die Ermattung geradezu eine Art Nachromantik, die sich namentlich im Epos kundgab.
Einen großen, heute unbegreiflichen Erfolg erzielte Oskar von Redwitz mit seiner süßlich frömmelnden «Amaranth» (1849); ausgeprägt kath. Romantik spricht aus Jos. Papes mittelalterlichen epischen Erzählungen, während seines jüngern Landsmanns Webers «Dreizehnlinden» mehr der kräftigen Art Annette Drostes verwandt ist. Träumerische und heitere Wald- und Weinromantik pflegen im Anschluß an Zedlitz der Märker Gans zu Putlitz («Was sich der Wald erzählt», 1850) und Otto Roquette («Waldmeisters Brautfahrt», 1859); der lustige wandernde Spielmann wird wieder epischer Held in Beckers «Jung Friedel» (1854) und vor allem in Viktor von Scheffels köstlichem «Trompeter von Säckingen» (1854). Mosens symbolische Romantik endlich dauert fort in den mannigfachen epischen Versuchen des farbenglühenden und gedankenschweren Robert Hamerling (1830-90),
dem doch sein nahes Verhältnis zur Antike bei aller üppigen Pracht der Rede eine gewisse Strenge der Form erhielt. Die Liebe zur Antike erzeugt Gregorovius' epische Dichtung «Euphorion» (1858). Die Antike, im Bunde mit orient. und romantischen Elementen, zugleich mit Einflüssen der bildenden Kunst versetzt, bestimmt stark einen Münchener Dichterkreis, der sich auf Veranlassung König Maximilians II. in Isarathen ¶