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jedenfalls Gottscheds Verdienst, daß er, wenn auch etwas schulmeisterlich und engherzig, die deutschen Dichter zu sorgsamer Reinheit der Rede und Feile [* 2] der Form erzog. Eine stattliche Zahl jüngerer Talente schloß sich dem Meister an: unter den Mitarbeitern seines von Schwabe geleiteten Organs «Belustigungen des Verstandes und Witzes» befinden sich Zachariä, der Verfasser komischer Epen im Stile Popes, der geistreiche aber allzu unpersönliche und mattherzige Satiriker Rabener, der witzige Epigrammatiker Kästner, der geistliche Dichter Joh. Ad. Schlegel, vor allem Gottscheds Kollege, Gellert (1715-69), der populärste Dichter seiner Zeit und noch heute nicht ganz veraltet.
Nüchtern, korrekt und zahm bis zur Schwäche, dabei tugendhaft und fromm, entsprach der sanfte Leipziger Magister so ganz den Wünschen des etwas gedrückten und mit Maßen strebsamen Mittelstandes; er ward ein Orakel guter Sitte, bürgerlicher Moral. Seine Kirchenlieder, getränkt zwar vom reflektierenden Geiste der Aufklärung, aber doch voll Wärme [* 3] und Klang, haben sich fast ebenso frisch gehalten, wie seine ausgezeichneten «Fabeln und Erzählungen» (1746); diese zumal zeigen ihn als Meister eines glatten und feinen Plaudertons, der gemessen an Gottscheds steifer Würde, den rohen Späßen des damaligen Lustspiels, ihm alle Herzen zuführen mußte und der von dem in der Erfindung seiner «Fabeln» originellern Lichtwer (1748) durchaus nicht erreicht wurde. Er war nicht ganz neu, dieser leichte Ton. Er war im Jahre vorher aufgetreten und trat im selben Jahre wieder auf in den tändelnden Liedern der Anakreontiker, einer von Halle [* 4] ausgegangenen Dichtergruppe, zu der namentlich Gleim, Uz und Göz gehörten, Männer, die Gottscheds Kreise [* 5] nicht eben fern standen: von Rosen und Wein, von Küssen und Liebe sangen sie im Stil der pseudoanakreontischen iambischen Dimeter unbedeutende, gleichmäßig dahinfließende Verschen, die aller innern Wahrheit entbehrend, doch durch ihre forcierte Grazie, ihre kokette Leichtfertigkeit Schule machten und noch bis in die Tage des jungen Goethe fortwirkten.
Und sie wie Gellert hatten ein glänzendes Vorbild des eleganten Konversationstons gehabt an den erzählenden und lyrischen Dichtungen des Hamburgers Friedr. von Hagedorn (1708-54), eines feingebildeten, etwas epikureischen und überlegenen Weltmannes, der an Horaz, den Franzosen und Engländern geschult, es meisterhaft verstanden hatte, ein Vorläufer Wielands und Langbeins, flüssige Plauderei und leichte Frivolität auch in deutsche Verse zu gießen.
Hagedorn nicht nur, sondern der ganzen nüchternen und weltlichen norddeutschen Art steht antipodisch gegenüber die ehrwürdige Gestalt des großen Schweizer Naturforschers Albrecht von Haller (1708-77). Strenger Ernst der Lebensauffassung, philosophische grüblerische Lehrhaftigkeit in schwerer, aber stets bedeutender, eindrucksvoller Sprache [* 6] vereint sich in seinen Gedichten mit starker Anschauung und Phantasie, mit tiefem Naturgefühl; in den «Alpen» [* 7] zumal erklingt eine Sehnsucht nach der schlichten Unschuld der Natur, wie sie Rousseau nur eben übernehmen konnte.
In den vielgelesenen prosaischen «Idyllen» (1756) seines Landsmannes Geßner dauert etwas von dieser sentimentalen Auffassung fort, aber freilich ins zierliche Rokoko der Meißner Porzellanschäfer abgeschwächt. Der große Stil Hallerscher Dichtung findet dagegen sein theoretisches Gegenbild in der Kunstkritik der Schweizer Bodmer und Breitinger. Wie er praktisch in Thomsons, Popes und Miltons Schule gegangen, so schließen sie sich in ihren theoretischen Darlegungen an die Engländer, vor allem an ihren großen religiösen Epiker an. Ihre Theorie ist weder klar noch konsequent, sie trifft aber, wenn auch nur tastend, den Kern poet.
Schaffens. Wenn sie die Dichtkunst fälschlich mit der Malerei vergleichen, so verraten sie dabei doch instinktiv Gefühl für den Wert der Anschauung;
Bodmer zumal weiß genau, daß dem Dichter große Leidenschaft, eine starke Prophetenkraft nötig sei;
der Phantasie, dem «Auge [* 8] der Seele», will er auch theoretisch Freiheit schaffen;
das erhaben Wunderbare, das er an Milton anstaunt, ist nicht nur erlaubt, sondern sogar höchst rühmlich;
anders die historische, anders die poet.
Wahrheit. Daß Gottsched diese noch dazu in einem schweizerisch schmeckenden Deutsch vorgetragenen Anschauungen nicht teilte, darf nicht verwundern: der Verfechter der Regel, des franz. Geschmacks, des meißnischen Schriftidioms mußte da opponieren. Aber der Fanatismus des Kampfes trieb ihn ins Extrem. Die Jugend fiel den Schweizern zu. Gottscheds französierender Groll gegen reimlose Verse, um so auffälliger, als er ihnen selbst einst das Wort geredet, verfeindete ihm den talentvollen Hallenser Pyra, den Verfasser eines in edler Sprache geschriebenen allegorischen Gedichts auf die Dichtkunst (1737), einen ernsten, an der Antike innerlich gebildeten Lyriker, ebenso, wie er ihm die Anakreontiker entfremdete;
aus den Reihen seiner engern Schüler fielen gerade die besten einer nach dem andern ab. An die Stelle der Schwabeschen «Belustigungen» traten die gegen Gottsched opponierenden «Neuen Beiträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes» (sog. «Bremer Beiträge», 1744);
die Bühne, die er beherrscht hatte, für deren berechtigte volkstümliche Bedürfnisse ihm aber jeder Sinn fehlte, öffnete sich wieder der von ihm verpönten Farce und Operette, ja sogar allerlei ihn verhöhnenden Späßen;
als er für das große litterar.
Ereignis der Epoche, den «Messias», nur faden Spott und verständnislose Ablehnung fand, sank sein Ansehen mit überraschender Schnelle. Sein Erbe in der Gunst des Leipziger Publikums wurde der harmlose Christian Felix Weiße (1726-1804), ein unbedeutender Vielschreiber, der aber in Kinderschriften und namentlich in seinen dank Hillers Kompositionen vielbeliebten Singspielen volkstümliche Töne fand und ein entschiedenes Bühnengeschick besaß, dabei als Redacteur einer gelesenen kritischen Zeitschrift immer einige Beachtung genoß. Mit ihm verliert Leipzig [* 9] jede litterar. Bedeutung: schon auf den jungen Goethe übte es wesentlich hemmenden Einfluß.
VI. Klassische Periode (1748-1832). Das einschneidende Ereignis, das die Niederlage Gottscheds entschied und den Anfang dieser neuen Periode, der bis zu Goethes Tode reichenden klassischen Blütezeit (1748-1832) bildet, war das Erscheinen der drei ersten Gesänge des «Messias» (1748 in den «Bremer Beiträgen»). In dem Preußen [* 10] Klopstock (1724-1803) war den Schweizern der lang ersehnte deutsche Milton, der poet. Messias erstanden. Ein begeisterter Jüngling hüllt den grandiosesten Stoff in das heroische Versmaß der Griechen, in eine zugleich ergreifende und erhabene Sprache, wie sie in deutscher Zunge noch nie erklungen. Der Erfolg war ungeheuer. Freilich, Klopstocks Wirkung war weit mehr lyrisch als episch, ¶
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selbst für einen Lyriker war er zu unsinnlich; aber er entfesselte das schwärmerische Gefühl sehnsüchtigster Frömmigkeit. Und die gleiche Empfindungsseligkeit, auf weltliches Gebiet übertragen, auf Freundschaft und Liebe, auf die Reize der Natur, auf die Genüsse der Freiheit, kommt in den antiken oder freien Rhythmen seiner «Oden» (1771) zum Ausdruck. Klopstock schafft, was Pyra nur eben vorbereitet, die ernste lyrische Sprache des gefühlvollen Herzens.
Aber er wirkt mehr. Seine Verdienste um Versbau und poet. Rede sind unschätzbar: mit heiligem Ernst, mit einem an den echten Meistern der Antike sicher gebildeten Geschmack arbeitet er unermüdlich an der würdigsten Form für seine frommen Gedanken, seine großen Empfindungen;
aber auch theoretisch lehrt er, was er über Vers und Rede gefunden hat. Er glaubt an seine Mission, vermag nichts anderes zu sein als Dichter und zwingt auch seiner Umgebung die Überzeugung aus, daß seine Poesie die ausfüllende Aufgabe eines begnadeten Menschenlebens, nicht das Beiwerk bloßer Nebenstunden sei. Er erobert der göttlichen Dichtung wieder den Respekt des Publikums;
die Stimme des Dichters wird wieder wie Prophetenwort.
Ein Zögling der Alten, ist er doch erfüllt von glühender Vaterlandsliebe; er will den griech. Olymp ersetzen durch einen deutschen Götterhimmel, den er sich aus der nordischen Mythologie zurecht gemacht; Macphersons dämmerig verschwommener «Ossian» wird ihm mißverständlich die Offenbarung des urdeutschen Sängertums der Barden, das er in teutonisierenden Oden und in unerträglichen Hermannsdramen, den «Bardieten», wieder zu erwecken sucht, auf daß es die verhaßten Franzosen, ja selbst die befreundete Muse Englands im poet.
Wettkampf schlage. So kindisch und künstlich uns diese gelehrt zusammengearbeitete Bardensprache heute scheint, so sehr steigerte und befriedigte sie das erregte Nationalgefühl jener Tage. Es schloß sich an Klopstock der Kreis [* 12] der Barden, deren friedliches Bardengebrüll in verdient üblem Rufe steht: nicht nur der platte Sachse Kretschmann und der ernsthaft steife Wiener Jesuit Denis steckten sich als Rhingulph und Sined (1772) in bardisches Kostüm, [* 13] auch der talentvollere Schleswiger Heinr. Wilh. von Gerstenberg huldigte eine Zeit lang der Mode, sonst ehrenvoller bekannt als kritischer Vorkämpfer Shakespeares in seinen «Schleswiger Litteraturbriefen» (1766) und als Vorläufer der Sturm- und Drangdramatik in seinem fürchterlichen Hungertrauerspiel «Ugolino» (1768). Und noch eine jüngere Dichtergruppe bekannte sich zu ihres anbetend verehrten Schutzpatrons Klopstock bardischen Träumen, der Göttinger «Hain», 1772 gegründet.
Doch zeigen die Lieder dieses wesentlich lyrischen Kreises, dessen Organ die von Boie und von Voß herausgegebenen Musenalmanache waren, neben Klopstocks und Ossians Einfluß die starke Einwirkung der engl. Poesie, des deutschen Minnesangs und wieder der Antike. Die zarten Naturbilder der engl. Lyrik kopiert vor allen Hölty; die berühmte Volksliedersammlung des Bischofs Percy regt den genialen, aber sittlich und auch künstlerisch haltlosen Gottfr. Aug. Bürger zu seinen wundervollen, dramatisch hinreißenden Balladen an, die den früher üblichen frivol spaßhaften Bänkelsängerton Gleimscher und Schiebelerscher Romanzen aus dem Felde schlagen und auch von Bürgers eigener glühend sinnlicher Minnelyrik nicht erreicht werden; antikisierenden Tyrannenhaß atmen die feurigen Oden der gräfl.
Brüder Stolberg; [* 14] Friedrich Leopolds Übersetzungen Ossians, des Äschylus und der Ilias, an die auch Bürger seine Kräfte wagte, werden tief in den Schatten [* 15] gestellt durch die meisterhafte Homerübersetzung (1781) des Mecklenburgers Joh. Heinr. Voß (1751-1826), der auch als Dichter von Idyllen in antiken Metren, zumal als Autor der «Luise» (1784), einen großen, in mancher Augen bald mit Goethe wetteifernden Dichterruhm erwarb. Voß, eine harte Kraftnatur von Schrot und Korn, dabei ein echter Sohn des Volks, wurde bald die Seele des Bundes, dessen volkstümliche Tendenzen schon auf Herdersche Einflüsse zurückgehen. Die Stärke [* 16] des Kreises, das gesungene Lied, fand einen besonders glücklichen, bis heute nicht ganz außer Mode gekommenen Vertreter an dem Dichter heiterer Genügsamkeit, an Matthias Claudius, dem Wandsbecker Boten, der den Göttingern aus der Ferne nahe stand.
Die Steigerung des nationalen Gefühls, die sich in Klopstocks und anderer Dichtung so mächtig kundgab, war keine rein litterar. Erscheinung. Sie wurzelte in den Thaten des großen Preußenkönigs, die weit über die Grenzen [* 17] seiner engern Heimat, die in ganz Deutschland [* 18] Bewunderer hatten. Friedrich der Große gab durch seine gewaltige Persönlichkeit den Deutschen einen nationalen Helden, ihrer Litteratur nach Goethes berühmtem Wort erst den wahren und höhern eigentlichen Lebensgehalt.
Seine heroische Gestalt steht im Hintergrunde zahlloser Dichtungen: Klopstock dachte ihn in einer Ode zu feiern, die er erst später in verletzter Dichtereitelkeit auf Heinrich den Vogler umschrieb;
Wieland stellte ihn als Cyrus dar;
Lessings «Philotas» atmet den stoischen Heldengeist des damaligen Preußen, in seiner «Minna von Barnhelm» ist der König der deus ex machina im edelsten Sinne.
Der Philosoph Thom. Abbt feiert 1761 den Tod fürs Vaterland. Einer der Offiziere Friedrichs, der bei Kunersdorf [* 19] gefallene Major Ewald von Kleist, läßt einem beschreibenden Gedichte im Geschmacke Thomsons, dem «Frühling» (1749),
der mit Schillers «Spaziergang» manche Verwandtschaft zeigt, ein kleines heroisches Epos voll der mannhaftesten Kriegsstimmung folgen, «Cissides und Paches» (1759),
und selbst Gleim schwang sich unter den: Eindrucke der großen Zeit zu den volkstümlich kräftigen «Preuß. Kriegsliedern von einem Grenadier» auf (1758). Der bewunderte König selbst freilich kümmerte sich nicht um die deutschen Sänger: ihn beherrscht zeitlebens der Geist der franz. Aufklärung, wie er sie in Voltaire allzu hoch schätzte;
seine 1780 erschienene Schrift «De la littérature allemande» zeigt zugleich eine rührende Zuversicht, daß auch der deutschen Dichtkunst eine große goldene Zukunft winke, und die vollständigste Unklarheit darüber, wie es mit der Litteratur seines Vaterlandes bereits stand.
Aber diese Gleichgültigkeit Friedrichs beeinträchtigte seine Bedeutung für unser Geistesleben kaum. Gerade seine Mißachtung stachelte die deutschen Dichter und Denker zu den höchsten Leistungen. In seinen Staaten herrschte eine Freiheit des Denkens und der Kritik, wie nirgend sonst in Deutschland; seine Schulreform begründete den humanistischen Charakter unserer Gymnasien; vorurteilsloser Respekt vor der geistigen Arbeit war in seinem Machtbereich selbstverständlich.
Wie der König, steckte seine Residenz Berlin [* 20] tief im Banne der Aufklärung. Außer dem steif ¶