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unbekannter Dichter feiert der Heldengesang, der unter der Oberfläche der Litteratur fortgelebt hatte, jetzt eine ruhmvolle Auferstehung in den Epen von den Nibelungen und von Gudrun, in denen die alten Einzellieder zwar mit Beibehaltung der strophischen Form, aber sonst in freier, dem höfischen Geschmack angepaßter Umdichtung zu einheitlichen Gedichten zusammengefaßt wurden. Die geistigen Mittelpunkte dieser mittelhochdeutschen Blüte [* 2] waren Walthers Lieblingsaufenthalt, der Hof [* 3] der Babenberger zu Wien, [* 4] und der gastfreie Hof Hermanns von Thüringen auf der Wartburg; dem poet. Treiben, das hier herrschte, setzte noch um 1250 ein Festspiel, das sog. Fürstenlob des Wartburgkrieges (s. d.), ein ehrendes Denkmal.
Diese lichteste Höhe der altdeutschen Ritterpoesie fällt ins erste Jahrzehnt des 13. Jahrh. Nur kurze Dauer war ihr beschieden: schon Walther klagt über den Verfall höfischer Zucht und Kunst;
diese klagen nehmen von Jahr zu Jahr zu, und als der vornehme steirische Ministeriale Ulrich von Liechtenstein [* 5] 1255 die Memoiren seines «Frauendienstes» abschloß, da wirkten sie in der veränderten geistigen Atmosphäre schon wie der Traum eines Don Quixote des Minnedienstes.
Der Ritterstand verarmt, während die Städte an Macht und Reichtum gewinnen; die ritterlichen Epigonen bleiben weit hinter den klassischen mittelhochdeutschen Dichtern zurück, und es fehlt dem Adel je länger je mehr an Lust und Geld, um die Kunst durch freigebige Gönnerschaft zu fördern; selbst der ritterliche Fahrende darf es nicht mehr verschmähen, auf den Geschmack von Bürgern und Bauern Rücksicht zu nehmen, wenn er vom Sange leben will. Und diesem demokratischen Zuge der Zeit entspricht es, daß neben dem Adel mehr und mehr bürgerliche, meist auch gelehrte Dichter, die sog. Meister, eine maßgebende Rolle spielen. Am wenigsten im eigentlichen Minnesang.
Ihm dienten in der ersten Hälfte des 13. Jahrh. noch treffliche adlige Talente, namentlich in Schwaben (Burkart von Hohenfels, Ulrich von Winterstetten, Gottfried von Neifen u. a.), die nur der epigonenhaften Sucht der formellen Verkünstelung sich nicht immer entzogen; daneben freilich regte sich in dem Fahrenden Tannhäuser der alte genial-frivole Geist der lat. Vaganten; und der begabte bayr. Ritter Neidhart von Reuental (um 1220) brachte durch seine Tanzlieder, die sog. höfische Dorfpoesie, welche Liebesabenteuer und Prügeleien der Bauern spöttisch schilderte, den Minnesang auf eine abschüssige Bahn, die zu wüster Verrohung führte, ohne daß seine sentimental-höfischen Züge ganz abwelkten (Steinmar, Hadlaub).
Andererseits wurde die Spruchpoesie, deren einziger namhafter adliger
Vertreter nach
Walther der wohlmeinende, aber pedantische
Reinmar von
Zweter (1225-50) war, bald fast ausschließlich von
Meistern gepflegt (Marner,
Friedrich von
Sonnenburg, dem Meißner);
die polit. Seite dieser
Dichtung verschwand ganz; eine gesunde reale Lebensweisheit vertraten in ihr zumeist
ein paar ungelehrte Norddeutsche, voran der wachse Raumsland; dafür wucherte eine anspruchsvolle und doch so dürftige scholastische
Gelehrsamkeit, die «Kunst», immer üppiger, bis sie den Doktor
der
Theologie
Heinrich Frauenlob von Meißen
[* 6] (gest. 1318) auf
einen Gipfel der Selbstüberhebung geführt hatte, von dem der begabte, aber eitle Mann verachtungsvoll
auf die
Meister der mittelhochdeutschen
Blüte hinabsah.
Die eigentliche Lehrdichtung ist nie beim Adel heimisch gewesen. Allerdings hat ein bayr. Ritter, der Winsbeke, und ein fränk. Edelmann, Thomasin von Zerklaere (1215), es nicht verschmäht, höfische Zucht in Reimen zu lehren. Aber der Vortrag der gemein menschlichen, d. h. damals bürgerlichen Lebensweisheit blieb unbestritten in den Händen bürgerlicher Fahrender, die biblische und volkstümliche Lehren [* 7] sammelten, ohne durch eigene originelle Gedanken glänzen zu wollen: die Zeit schätzte nur das Altüberlieferte und gestattete den Einfällen des Individuums nirgend Raum. So war auch Freidank, der Verfasser der «Bescheidenheit», einer mittelhochdeutschen Laienbibel, lediglich Sammler, aber seine Wirkung litt nicht darunter; das redselige Lehrgedicht des Bamberger Schulmeisters Hugo von Trimberg (um 1300),
«Der Renner», plünderte ihn stark, und noch in Sebastian Brants «Narrenschiff» zeigen sich seine Spuren.
Selbst dem Artusromane, dieser eigentlichen Domäne adliger Dichtung, blieben die Meister nicht ganz fern. Schon Gottfried von Straßburg, [* 8] ein blendendes Stiltalent, des tiefsinnig grübelnden Wolfram oberflächlicher Antipode, der der schwülen Sinnlichkeit seines Themas von «Tristan und Isolde» ganz anders gerecht wurde als sein Vorgänger Eilhart von Oberge, war Meister. Immerhin blieben die Adligen Beherrscher der Gattung. Das Ritterepos trieb in den Händen einiger begabten Epigonen noch ein paar freundliche Blüten, den «Wigalois» des Franken Wirnt von Grafenberg, das liebliche Gedicht von der Kinderliebe «Flores und Blanscheflurs» von dem Schweizer Konrad Fleck u. a.; aber es mußte welken mit der ritterlichen Weltanschauung selbst.
Als man nicht mehr an den wunderbaren Beruf des Ritters glaubte, wurden diese Romane langweilig. Freilich herrschte noch lange fruchtbare Produktion: unvollendete Epen der Blütezeit wurden fortgesetzt (Ulrich von Türheim, Heinrich von Freiberg); [* 9]
man suchte die alten den Franzosen nacherzählten Abenteuer durch geistlose, wüste Neuerfindungen zu überbieten (Heinrich von dem Türlin, der bayr. Fahrende Pleier, Konrad von Stoffel u. s. w.);
auf Wolframs Pfaden gehend, schwellte ein gewisser Albrecht mit großem Erfolg die Titurellieder des Meisters zu einem ungeheuern strophischen Epos voll ultramontaner Mystik und langweiliger Pracht, dem «Jüngern Titurel», auf (1275), das lange für Wolframs Werk galt.
Aber all das konnte die erstorbene Dichtung auf die Dauer nicht neu beleben.
Die Legendendichtung fand wieder ein großes Publikum. Hatte früher Konrad von Fußesbrunnen sein Gedicht von der Kindheit Jesu höfisch aufputzen müssen, um Beifall zu finden, so hörte man jetzt große Epen von den Wunderthaten und Martern des heil. Georg und der heil. Martina geduldig an, und im Deutschordenslande, das damals auch durch histor. Dichtung sich auszeichnete, entstanden um 1300 umfängliche poet. Legendensammlungen, das «Passional» und das «Buch der Väter». Legenden und sagenhaft histor. Stoffe (von Alexander, dem Trojanischen Krieg u. ähnl.) bevorzugten auch die beiden letzten bedeutenden Epiker der Zeit, beide sehr fruchtbar, der Schweizer Ritter Rudolf von Ems [* 10] (um 1250) und der bürgerliche Konrad von Würzburg [* 11] (gest. 1287); jener, ein vornehmer anmutiger Erzähler, hat durch seine unvollendete Weltchronik zuerst die genauere Kunde des Alten ¶
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Testaments unter die Ungelehrten getragen; dieser, ein ernst strebender Dichter, der die Kunst des mittelhochdeutschen Versbaues auf die höchste Stufe überfeiner Vervollkommnung steigerte, lieferte wahre Musterstücke der Reimnovelle, die mehr und mehr das Erbe des Reimromans antrat. Zahllose ernste und spaßige, moralische und schlüpfrige Geschichtchen, Anekdoten, Schwänke u. s. w. wurden in glatten Versen und flotter Erzählung unter dem stoffhungrigen Publikum verbreitet, so manche schon darunter, denen später Boccaccio einen Platz in der Weltlitteratur verschaffte.
Ein besonders fruchtbarer Dichter dieser kleinen Gattung war der in Österreich [* 13] vagierende Stricker, der durch seine «Bîspel», Gleichnisse und Tierfabeln mit lehrhafter Tendenz, schon der berühmten Fabelsammlung des Berner Mönches Ulrich Boner, dem «Edelstein», voranging. Die Bayern [* 14] und Österreicher übertreffen auch in dieser Zeit die andern Landschaften durch lebensvollen gesunden Realismus: keine einzige der zahllosen mittelhochdeutschen Novellen kann sich an kulturhistor. und poet.
Wert mit der entzückenden bayr. Dorfgeschichte «Meier Helmbrecht» von Wernher dem Gärtner messen. In dem unbekannten Verfasser der Seifried Helbling beigelegten Spruchgedichte erstand der Heimat Heinrichs von Melk wieder ein bedeutender Satiriker, und die Reimchronik des Steiermärkers Ottokar zeichnet sich vor der Überfülle damaliger Reimchroniken durch farbenreiches, lebenswahres Detail glänzend aus. Dem Heldengesange, der wieder unmodern geworden war, gedieh diese realistische Richtung freilich nicht zum Frommen: die Thaten Biterolfs und Dietleibs, Ortnits und Wolfdietrichs u. a., vor allem die unerschöpflichen Riesen-, Zwerg- und Heldenkämpfe Dietrichs von Bern [* 15] werden aus dem mächtigen Pathos des alten Heldengesangs zu einem unwürdigen Bänkelsängerton erniedrigt, der mit dem landläufigen Ritterroman in der Gleichgültigkeit gegen seelische Probleme, der Vorliebe für das Abenteuerliche wetteiferte und die ehrfurchtgebietenden Heldengestalten oft genug zu trivialster Spaßhaftigkeit herabzog.
Niederdeutschland hatte seit Heinrich von Veldeke kaum teil genommen an der Entwicklung deutscher Poesie. Wer dort dichtete, mußte die angestammte Mundart mindestens in den mitteldeutschen Dialekt umwandeln, um über den engsten Kreis [* 16] der Heimat hinaus bekannt zu werden; so schon Eilhart von Oberge, so später der sächs. Spruchdichter Raumsland, der Magdeburger Patricier Bruno von Schönebek, der Dichter eines Hohen Liedes (1276), so selbst der Lyriker Fürst Wizlav von Rügen.
Um so maßgebender wurde der niederdeutsche Norden [* 17] für die Geschichte der deutschen Prosa. Hier verfaßte schon 1230 der Schöffe Eike von Repkow das erste Rechtsbuch, den «Sachsenspiegel» (s. d.), der durch seinen ungeheuern Erfolg für die Geschichte des deutschen Rechts, ja für die innere staatliche Entwicklung Deutschlands [* 18] die überraschendste Bedeutung gewann; hier wurde etwa gleichzeitig das erste prosaische Geschichtswerk, die sogenannte sächs. Weltchronik, niederdeutsch verfaßt. Langsamer folgte der Süden, der gewohnt war, alles gehobene Deutsch in Reime zu kleiden. Aber auch er besaß schon im 13. Jahrh. eine reiche Predigtlitteratur, unter der die unwiderstehlich hinreißenden Volkspredigten des genialen Franziskaners Berthold von Regensburg [* 19] (gest. 1272) obenan stehen. Im Gegensatz zu dieser demagogischen Beredsamkeit, die damals zuerst als eine Macht erkannt wurde, trägt ein aristokratisches Gepräge die edle, innerliche Prosa des Dominikaners und Mystikers Meister Eckhart (gest. 1327); auch andere Mystiker schrieben deutsch; in Susos Schriften lebte die schwärmerische Sprache [* 20] des Minnesangs, aufs Göttliche angewendet, noch einmal auf. Diese oberrhein. Mystik zieht den Rhein abwärts; ihr dankt das noch heute viel gelesene Buch des Thomas a Kempis «Von der Nachfolge Christi» die Entstehung (1380).
IV. Frühneuhochdeutsche Periode (vom Anfang des 14. bis in den Anfang des 17. Jahrh.). Mit den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrh. ist die adlige Dichtung völlig überwunden; die tirolischen Spätlinge der Minnelyrik, der steife lehrhafte Hugo von Montfort (gest. 1423) und der fratzenhaft abenteuerliche Oswald von Wolkenstein (gest. 1445) sind Ausnahmen, und von dem alten Minnesang sind doch auch sie weit entfernt. Es giebt keine Kunstpoesie mehr, die, auf einen höchsten Stand beschränkt, sich von der Volksdichtung sondert; die höfische temperierte Sprache versinkt in den nur durch Schreibertraditionen modifizierten Mundarten; diese machen sich in den Dichtungen jetzt kaum minder fühlbar, als in den Urkunden, die seit 1300 immer häufiger deutsch abgefaßt werden.
Das Volk dominiert um so ausschließlicher, als der weltliche Gelehrtenstand, die Vorstufe der heutigen «Gebildeten», eben erst mit dem Aufkommen der Universitäten sich heranzubilden begann. Harte materielle Interessen überwiegen; das ideale Streben der Zeit gilt vorwiegend der kirchlichen Reformation, wie denn das Konzil von Konstanz, [* 21] die Hussitenkämpfe eine große Menge satir. Verse hervorriefen (z. B. «Des Teufels Netz»). Die Dichtung verroht unaufhaltsam.
Der stets aristokratische Sinn für Form geht dieser Zeit demokratischen Ringens der Städte und Bauern verloren. Das Publikum verlangt nur hungrig und wenig wählerisch nach derbem Unterhaltungsstoff. Selbst die bürgerliche Lehrdichtung, noch mehr die Ausläufer der Minnepoesie bedürfen mindestens einer stofflichen Einkleidung: von den Schachgedichten Heinrichs von Beringen, Konrads von Ammenhausen, den minniglichen Jagdgedichten des verdienstlichen Ritters Hadamar von Laber (um 1340) u. a. bis zu Brants «Narrenschiff» und Murners «Gäuchmatt» kann kein Lehrgedicht des allegorischen Aufputzes entbehren.
Die kurze Novelle, der zotige Schwank sind die Lieblinge des Publikums, selbst die Predigt muß sich mit Geschichten (Predigtmärlein) und derben Allegorien (Geiler von Kaisersberg) beladen, und Novellensammlungen, wie die «Gesta Romanorum», das «Buch von den 7 Meistern», das Hans der Büheler in seinem «Diocletian» (1412) reimte, werden in Versen und in Prosa die gesuchteste Lektüre. Von den alten Ritterfesten und -Tugenden spricht zumeist die ganz äußerliche Wappen- und Heroldsdichtung, deren Hauptvertreter Suchenwirt ist und die schnell zur Pritschmeisterei herabsinkt.
Der Heldengesang, der in «Heldenbüchern» gesammelt wurde, verfällt immer mehr in rohe Bänkelsängerei, soweit er nicht das Alte einfach nachspricht. An die oft geistreichen und bedeutenden Sprüche der wandernden Berufsdichter des 13. Jahrh. erinnert höchstens noch der vortreffliche, Frauenlob an Klarheit der Gedanken überlegene, an Reichtum vergleichbare Muskatblüt (um 1430); sonst ist die Spruchpoesie fast durchweg zum öden Meistergesang (s. d.) verknöchert. Seit der Schmied Regenbogen ¶