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Aber um nicht den Einfluß zu verlieren, machte die Geistlichkeit jenen weltlichen Neigungen Zugeständnisse. Der Pfaffe Lamprecht schilderte nach franz. Quellen die Wunderfahrten Alexanders d. Gr. (um 1125), der Pfaffe Konrad von Regensburg [* 2] übertrug das franz. Nationalepos, das «Rolandslied» (um 1130). Vom Niederrhein wanderten diese Themata nach Bayern, [* 3] wo der Welfenhof ein litterar. Centrum bildete. Und wie schon im Anfang des Jahrhunderts die Legende vom heil. Anno im mittelfränk.
«Annolied» in die Beleuchtung [* 4] der Welthistorie gerückt war, brachte derselbe Pfaffe Konrad in Bayern auf Grund niederrhein. Vorarbeiten eine große profane Weltgeschichte in Reimen zu stande, die «Kaiserchronik», deren Hauptreiz die novellistischen Episoden waren (um 1150). Umgekehrt verließen die Spielleute die allzu profanen Stoffe des 10. Jahrh., putzten die Heldensage im König Rother, die histor. Sage im Herzog Ernst im Zeitgeschmack mit Kreuzzugsabenteuern aus und zogen sogar Legenden, wie die von Orendel und Oswalt (um 1190), ungeniert in ihren verwegen übertreibenden burlesken Spielmannston herab.
Ein elsäss. Fahrender,
Heinrich der Gleißner, brachte die von niederländ. und franz.
Geistlichen satirisch ausgebildete
Tiersage (s. d.) in seinem «Reinhart»
nach franz. Gedichten zuerst in deutsche
Verse (um 1175). So nähern sich im
Wettbewerb um die Gunst des ritterlichen Publikums
die Geistlichen und die
Spielleute einander in der
Wahl der
Stoffe. Vermittelte doch zwischen den feindlichen
Parteien eine Zwittergattung, auch aus
Frankreich überkommen, die
Vaganten, verlodderte
Studenten der
Theologie und mißratene
Kleriker, die singend und bettelnd durchs Land zogen und eine köstliche, ausgelassene
Wander-, Trink- und Liebeslyrik voll
heidn. Weltlust in leichtflüssigem Latein schufen (s.
Carmina burana). Diesen
Kreisen gehörte der geniale
Archipoeta (s. d.) an, ihnen entstammte der oratorienhafte «Ludus
de Antichristo», die glänzendste Verherrlichung des hohenstaufischen Kaisertums (etwa 1155).
Aber alle diese, Geistliche,
Spielleute und
Vaganten, traten zurück, als gegen das Ende des 12. Jahrh. der
Adel aufhörte bloß
Publikum zu sein, und selbst, die Fürsten nicht ausgeschlossen, mit glänzendem Erfolge der
Dichtkunst
sich widmete. Auch darin waren die nordfranz.
Trouvères, die südfranz.
Troubadours (s.
Französische Litteratur) mit gutem
Beispiel vorangegangen. Das deutsche
Rittertum stand unter den
Staufern auf der Höhe seines Ansehens; dem Kriegsruhm verband
sich, ebenso wie in den vorbildlichen franz.
Romanen von König
Artus (s. d.) und seiner
Tafelrunde, elegante
gesellschaftliche
Bildung und
Sitte, deren treueste Wächter, die Frauen, beherrschender Verehrung genossen; die deutsche
Dichtung,
die sich eine eigene, zwischen den Dialekten vermittelnde
Sprache
[* 5] schuf, hat kaum je wieder eine so hohe formelle Vollendung
erreicht wie in den
Händen dieser Ritter.
Freilich, ihr Horizont [* 6] war eng; nur der ganz konventionelle, aus Frankreich importierte Minnesang (s. d.) und das in erträumten Märchenverhältnissen schwelgende, stilisierte Ritterepos der keltisch-franz. Artusromane galten dem vornehmen Adel als standesgemäß; höchstens verarmte fahrende Adlige, wie Walther von der Vogelweide und Wolfram von Eschenbach, wagten sich an das Lehrgedicht, den polit. Spruch und schilderten das Leben ausnahmsweise auch einmal mit realistischem Humor, wie es war oder doch sein konnte. In unsern Augen bezeichnen diese Männer, die die Bande des Konventionellen brachen, den Höhepunkt der Periode: aber nie wäre ihre künstlerische Höhe möglich gewesen ohne die virtuose Durchbildung von Form und Geschmack, die damals selbst den adligen Durchschnittspoeten eigen und die doch in Deutschland [* 7] stets so selten war.
Sie war nicht mit einem
Schlage da. Die Anfänge ritterlicher
Dichtung, die entzückenden volksliedartigen Gedichte des ältesten
österr.
Minnesangs (Kürenberg, Dietmar von Aist) und das prächtige, von gesundem
Patriotismus zeugende, mitteldeutsche
epische
Gedicht vom
Grafen
Rudolf (um 1170) entbehren ihrer noch, entschädigen freilich durch frische Ursprünglichkeit.
Auch der hildesheimische Ministeriale Eilhart von Oberge, der zuerst einen franz. Minneroman,
das für den höfischen Minnedienst vorbildliche
Thema von
Tristan und Isolde, verdeutschte, schwankt noch unbeholfen zwischen
volkstümlichem und höfischem
Stil und ist formell mangelhaft.
Als
Vater der höfischen
Dichtung galt schon seiner Zeit der
Mastrichter
Heinrich von
Veldeke, auch er ein
Norddeutscher
, wie denn der franz. Einfluß am stärksten durch die
Niederlande
[* 8] hereinflutete; aus seiner
Lyrik übertrug er
die Reinheit der Form und die höfische Minnereflexion in sein berühmtes Epos, die «Eneide»
(um 1180). Schnell siegt die neue höfische franz.
Richtung auf der ganzen Linie: der vornehme Pfälzer
Friedrich von Hausen (gest. 1190), vor allem der Elsässer Reinmar der
Alte, der in
Wien
[* 9] wirkte, treiben die melancholisch zartfühlende,
aller
Sinnlichkeit bare Modepoesie des höfischen
Minnesangs auf den Gipfel blendender, aber unwahrer Virtuosität, und der
feinsinnige, aber leidenschaftslose
Schwabe
Hartmann von Aue übertrug im letzten Jahrzehnt des 12. Jahrh.
Artusromane des humorvoll genialen Nordfranzosen
Chrétien de Troyes und andere
Vorlagen überaus elegant, aber farblos und
mit Verwischung alles Charakteristischen in wunderbar glatte Verse, gewählte Worte und durchsichtige
Sätze. Das war der
Triumph beschränkt höfischer Kunst.
Der
Rückschlag blieb nicht aus. Die bis zur Langenweile überfeinerte Reflexionsdichtung seines Lehrers
Reinmar überholte der größte mittelhochdeutsche
Lyriker, der
Österreicher
Walther von der Vogelweide, dem Anregungen des
bei aller höfischen Formvollendung heißblütigen
Thüringers
Heinrich von Morungen zu gute kamen, durch Liebeslieder, in
denen sich die geistige und formale Kunstvollendung des höfischen Sanges mit der Kraft,
[* 10] der Frische
und dem
Humor des
Volksliedes paarte; vom wandernden Spielmann, wie der
Bayer Spervogel einer war, entnahm er die bis dahin
vom
Adel verschmähte lehrhafte Spruchpoesie (s.
Spruch) und schwang sich in seiner kaisertreuen und papstfeindlichen polit.
Dichtung zum machtvollsten oratorischen Pathos auf. Der Bayer Wolfram von Eschenbach erhob in seinem «Parzival» eine schwache franz. Vorlage durch allerfreieste Erweiterung und Motivierung zu einem grandiosen psychol. Epos, das in seiner Verherrlichung der Ritter des heil. Grals dem konventionell faden und äußerlichen Artusrittertum geradezu den Krieg erklärt und tief sehnsüchtige, selbst ketzerische Mystik mit launiger, naiv rücksichtsloser Ursprünglichkeit der Darstellung vereinigt. Und durch das Verdienst ¶
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unbekannter Dichter feiert der Heldengesang, der unter der Oberfläche der Litteratur fortgelebt hatte, jetzt eine ruhmvolle
Auferstehung in den Epen von den Nibelungen und von Gudrun, in denen die alten Einzellieder zwar mit Beibehaltung der strophischen
Form, aber sonst in freier, dem höfischen Geschmack angepaßter Umdichtung zu einheitlichen Gedichten zusammengefaßt
wurden. Die geistigen Mittelpunkte dieser mittelhochdeutschen
Blüte
[* 12] waren Walthers Lieblingsaufenthalt, der Hof
[* 13] der Babenberger
zu Wien, und der gastfreie Hof Hermanns von Thüringen auf der Wartburg; dem poet. Treiben, das hier herrschte, setzte noch um 1250 ein
Festspiel, das sog. Fürstenlob des Wartburgkrieges (s. d.),
ein ehrendes Denkmal.
Diese lichteste Höhe der altdeutschen
Ritterpoesie fällt ins erste Jahrzehnt des 13. Jahrh.
Nur kurze Dauer war ihr beschieden: schon Walther klagt über den Verfall höfischer Zucht und Kunst;
diese klagen nehmen von Jahr zu Jahr zu, und als der vornehme steirische Ministeriale Ulrich von Liechtenstein [* 14] 1255 die Memoiren seines «Frauendienstes» abschloß, da wirkten sie in der veränderten geistigen Atmosphäre schon wie der Traum eines Don Quixote des Minnedienstes.
Der Ritterstand verarmt, während die Städte an Macht und Reichtum gewinnen; die ritterlichen Epigonen
bleiben weit hinter den klassischen mittelhochdeutschen
Dichtern zurück, und es fehlt dem Adel je länger je mehr an Lust
und Geld, um die Kunst durch freigebige Gönnerschaft zu fördern; selbst der ritterliche Fahrende darf
es nicht mehr verschmähen, auf den Geschmack von Bürgern und Bauern Rücksicht zu nehmen, wenn er vom Sange leben will. Und
diesem demokratischen Zuge der Zeit entspricht es, daß neben dem Adel mehr und mehr bürgerliche, meist
auch gelehrte Dichter, die sog. Meister, eine maßgebende Rolle spielen. Am wenigsten im eigentlichen Minnesang.
Ihm dienten in der ersten Hälfte des 13. Jahrh. noch treffliche adlige Talente, namentlich in Schwaben (Burkart von Hohenfels, Ulrich von Winterstetten, Gottfried von Neifen u. a.), die nur der epigonenhaften Sucht der formellen Verkünstelung sich nicht immer entzogen; daneben freilich regte sich in dem Fahrenden Tannhäuser der alte genial-frivole Geist der lat. Vaganten; und der begabte bayr. Ritter Neidhart von Reuental (um 1220) brachte durch seine Tanzlieder, die sog. höfische Dorfpoesie, welche Liebesabenteuer und Prügeleien der Bauern spöttisch schilderte, den Minnesang auf eine abschüssige Bahn, die zu wüster Verrohung führte, ohne daß seine sentimental-höfischen Züge ganz abwelkten (Steinmar, Hadlaub).
Andererseits wurde die Spruchpoesie, deren einziger namhafter adliger Vertreter nach Walther der wohlmeinende, aber pedantische
Reinmar von Zweter (1225-50) war, bald fast ausschließlich von Meistern gepflegt (Marner, Friedrich von Sonnenburg, dem Meißner);
die polit. Seite dieser Dichtung verschwand ganz; eine gesunde reale Lebensweisheit vertraten in ihr zumeist
ein paar ungelehrte Norddeutsche
, voran der wachse Raumsland; dafür wucherte eine anspruchsvolle und doch so dürftige scholastische
Gelehrsamkeit, die «Kunst», immer üppiger, bis sie den Doktor der Theologie Heinrich Frauenlob von Meißen
[* 15] (gest. 1318) auf
einen Gipfel der Selbstüberhebung geführt hatte, von dem der begabte, aber eitle Mann verachtungsvoll
auf die Meister der mittelhochdeutschen
Blüte hinabsah.
Die eigentliche Lehrdichtung ist nie beim Adel heimisch gewesen. Allerdings hat ein bayr. Ritter, der Winsbeke, und ein fränk. Edelmann, Thomasin von Zerklaere (1215), es nicht verschmäht, höfische Zucht in Reimen zu lehren. Aber der Vortrag der gemein menschlichen, d. h. damals bürgerlichen Lebensweisheit blieb unbestritten in den Händen bürgerlicher Fahrender, die biblische und volkstümliche Lehren [* 16] sammelten, ohne durch eigene originelle Gedanken glänzen zu wollen: die Zeit schätzte nur das Altüberlieferte und gestattete den Einfällen des Individuums nirgend Raum. So war auch Freidank, der Verfasser der «Bescheidenheit», einer mittelhochdeutschen Laienbibel, lediglich Sammler, aber seine Wirkung litt nicht darunter; das redselige Lehrgedicht des Bamberger Schulmeisters Hugo von Trimberg (um 1300),
«Der Renner», plünderte ihn stark, und noch in Sebastian Brants «Narrenschiff» zeigen sich seine Spuren.
Selbst dem Artusromane, dieser eigentlichen Domäne adliger Dichtung, blieben die Meister nicht ganz fern. Schon Gottfried von Straßburg, [* 17] ein blendendes Stiltalent, des tiefsinnig grübelnden Wolfram oberflächlicher Antipode, der der schwülen Sinnlichkeit seines Themas von «Tristan und Isolde» ganz anders gerecht wurde als sein Vorgänger Eilhart von Oberge, war Meister. Immerhin blieben die Adligen Beherrscher der Gattung. Das Ritterepos trieb in den Händen einiger begabten Epigonen noch ein paar freundliche Blüten, den «Wigalois» des Franken Wirnt von Grafenberg, das liebliche Gedicht von der Kinderliebe «Flores und Blanscheflurs» von dem Schweizer Konrad Fleck u. a.; aber es mußte welken mit der ritterlichen Weltanschauung selbst.
Als man nicht mehr an den wunderbaren Beruf des Ritters glaubte, wurden diese Romane langweilig. Freilich herrschte noch lange fruchtbare Produktion: unvollendete Epen der Blütezeit wurden fortgesetzt (Ulrich von Türheim, Heinrich von Freiberg); [* 18]
man suchte die alten den Franzosen nacherzählten Abenteuer durch geistlose, wüste Neuerfindungen zu überbieten (Heinrich von dem Türlin, der bayr. Fahrende Pleier, Konrad von Stoffel u. s. w.);
auf Wolframs Pfaden gehend, schwellte ein gewisser Albrecht mit großem Erfolg die Titurellieder des Meisters zu einem ungeheuern strophischen Epos voll ultramontaner Mystik und langweiliger Pracht, dem «Jüngern Titurel», auf (1275), das lange für Wolframs Werk galt.
Aber all das konnte die erstorbene Dichtung auf die Dauer nicht neu beleben.
Die Legendendichtung fand wieder ein großes Publikum. Hatte früher Konrad von Fußesbrunnen sein Gedicht von der Kindheit Jesu höfisch aufputzen müssen, um Beifall zu finden, so hörte man jetzt große Epen von den Wunderthaten und Martern des heil. Georg und der heil. Martina geduldig an, und im Deutschordenslande, das damals auch durch histor. Dichtung sich auszeichnete, entstanden um 1300 umfängliche poet. Legendensammlungen, das «Passional» und das «Buch der Väter». Legenden und sagenhaft histor. Stoffe (von Alexander, dem Trojanischen Krieg u. ähnl.) bevorzugten auch die beiden letzten bedeutenden Epiker der Zeit, beide sehr fruchtbar, der Schweizer Ritter Rudolf von Ems [* 19] (um 1250) und der bürgerliche Konrad von Würzburg [* 20] (gest. 1287); jener, ein vornehmer anmutiger Erzähler, hat durch seine unvollendete Weltchronik zuerst die genauere Kunde des Alten ¶