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Unter furchtbaren Stürmen wurde die Entfernung beweibter Priester von ihren Funktionen in Deutschland, [* 2] Frankreich und Oberitalien [* 3] durchgesetzt. Fast allerorten erhob sich der niedere Klerus zum Widerstande: Bischöfe und pästl. Legaten wurden, wenn sie die Verordnungen von 1074 publizierten, mißhandelt und mit dem Tode bedroht. Allein Gregor führte die Volksmassen gegen die verheirateten Priester in den Kampf. In Deutschland trieben außerdem die innern Kämpfe gegen die Kaisergewalt den größern Teil der Reichsfürsten und der Bischöfe ins päpstl.
Lager. [* 4] Auch nach Gregors Tode war die Priesterehe noch nicht völlig vertilgt, wie eine Verordnung Urbans II. vom J. 1089, die Beschlüsse eines Konzils von Reims [* 5] 1119 und zweier Lateransynoden (1123 und 1139) beweisen. Trotzdem ermattete allmählich der Widerstand, und im 12. Jahrh. verschwindet die Priesterehe völlig im Bereich der abendländ. Kirche, mit Ausnahme des german. Nordens, wo sie nach Ausweis der altnord. Rechtsbücher noch im 14. Jahrh. anerkannt war.
Nach kanonischem Recht darf kein Beweibter die höhern Weihen empfangen, außer wenn seine Gattin das Gelübde der Keuschheit ablegt, d. h. ins Kloster geht; Subdiakone, Diakone, Priester und Bischöfe, welche nach der Weihe eine Ehe schließen, verlieren Pfründe und Amt, die Ehe selbst aber ist null und nichtig; dagegen sind die Ehen der Kleriker der niedern Weihegrade gültig, und der Bischof kann ihnen, falls sie eine Jungfrau geheiratet haben, auch die Ausübung der Funktionen gestatten, zu denen die niedern Weihen befugen.
Die Klagen über die große Sittenverderbnis des Klerus sind so alt wie die Errichtung des Cölibat, mehren sich aber in erschreckendem Maße seit dem 14. Jahrh. Die hussitische Bewegung brachte den Streit über den Cölibat aufs neue in Gang. [* 6] Wohl räumten die Baseler Kompaktaten den Utraquisten die Priesterehe ausnahmsweise ein, aber Rom [* 7] erkannte diese Konzessionen nicht an, und auf dem Tridentiner Konzil wurden nur die alten, heute noch gültigen Bestimmungen bestätigt. Auch im 19. Jahrh. wurden Versuche zur Abschaffung des Cölibat gemacht, doch von Gregor XVI. und Pius IX. mit aller Schärfe zurückgewiesen, ja der erstere gestattete 1833 nicht einmal den Rücktritt Geistlicher höherer Weihen in den Laienstand.
Erst der Altkatholicismus hat, allerdings erst nach langen Verhandlungen, mit dem Cölibat gebrochen. Das Preuß. Landrecht hat das Ehehindernis der höhern Weihen unberücksichtigt gelassen, ebenso der franz. Code civil. In Frankreich hat sich indessen, nachdem in der Revolution viele vereidigte Priester sich verehelicht, das Konkordat von 1801 aber wieder den Cölibat fixiert hatte, die Praxis der Gerichte für die Nichtigkeit der Ehen der Geistlichen entschieden. Ausdrücklich aufrecht erhalten ist das Ehehindernis der höhern Weihen zur Zeit noch in Österreich [* 8] (doch cessiert es nach Gesetz vom bei dem Übertritt des Geistlichen zu einer andern Konfession). In Italien [* 9] ist es bei Einführung der Civilehe gefallen, und ebenso im Deutschen Reiche durch das Reichsgesetz vom welches für ganz Deutschland den kath. Geistlichen die Möglichkeit der Eingehung der Ehe gewährt hat; doch verlieren solche nach Kirchenrecht Amt und Pfründe. Ob der Staat zur Durchführung dieser Rechtsfolgen verpflichtet sei, ist streitig.
Vgl. die Sammlung der Cölibatsverordnungen bei Roskovany, Coelibatus et breviarium, Bd. 1-4 (Pest 1861);
Theiner, Die Einführung der erzwungenen Ehelosigkeit bei den christl. Geistlichen und ihre Folgen (2 Bde., Altenb. 1828; 2. Aufl. 1845);
Carové, Ûber das Cölibatsgesetz des röm.-kath. Klerus (2 Bde., Frankf. 1832-33);
ders., Das röm.-kath. Cölibatsgesetz in Frankreich und Deutschland (Offenb. 1834);
Lea, Historical sketch of sacerdotal celibacy (Philad. 1867; 2. Aufl., Boston [* 10] 1884);
Holtzendorff, Der Priestercölibat (Berl. 1875);
von Schulte, Der Cölibatzwang und dessen Aufhebung (Bonn [* 11] 1876);
Laurin, Der Cölibat der Geistlichen nach kanonischem Recht Wien [* 12] 1880).
Die evangelische Kirche hat von Anfang an den Priestercölibat aufgegeben. In der Schrift «An den christl. Adel deutscher Nation von des christl. Standes Besserung» (1520) hat Luther die Priesterehe ausführlich gerechtfertigt, entschloß sich auch 1525 selbst «mit seinem Beispiele voranzutraben». Schon vorher hatten mehrere evang. Geistliche diesen Schritt gethan. Die Augsburgische Konfession (Art. 23), die Apologie (Art. 11), die reform. Bekenntnisse (z. B. Erste helvet. Konfession, Art. 37; Zweite helvet. Konfession, Art. 29) und die Anglikanische Kirche begründen das Recht der Geistlichkeit auf den Ehestand aus der Naturordnung, der Heiligen Schrift und der altkirchlichen Sitte, zugleich mit Hinweis auf die Folgen des erzwungenen Cölibat. -
Vgl. Meuß, Leben und Frucht des evang. Pfarrhauses (Bielef. 1877);
Wiener, Das evang. Pfarrhaus in seiner socialen Bedeutung (Gotha [* 13] 1881).