innerlich erfahrene göttliche Liebe zu freier Gegenliebe getrieben, in der sittlichen Gemeinschaft, in der er steht, den
ewigen Liebeszweck
Gottes zu verwirklichen trachtet, also auch in allen seinen besondern sittlichen Pflichten ebenso viele
Aufgaben des höchsten Willens an ihn sieht. Die unerläßliche
Bedingung aber für den Eintritt in die neue
Gottesgemeinschaft oder ins «Gottesreich» ist die
Demut, als das tiefste Gefühl der eigenen sittlichen
Ohnmacht und Hilfsbedürftigkeit,
das sich im
Bewußtsein persönlicher sittlicher Verschuldung zur Ruhe oder zu dem reumütigen Eingeständnisse der eigenen
Sünde gestaltet.
Nicht als die, wenn auch noch so vollkommene
Lehre
[* 2] von dem wahren religiösen Verhältnisse des
Menschen
zu Gott, sondern als geschichtliche Offenbarung einer neuen göttlichen Lebensmacht, als ein sittlich erneuendes und befreiendes
Lebensprincip, welches von innen heraus alle sittlichen Lebensverhältnisse umgestaltete, ist das Christentum in die
Welt getreten. Durch diesen rein sittlichen Charakter ist zugleich der universelle Charakter der christl.
Religion als
einer für alle
Menschen und alle
Völker bestimmten bezeichnet, welche allen menschlichen Lebenslagen
und Lebensbedürfnissen gleicherweise entspricht und darum auch geeignet ist, die bleibende Grundlage und das zureichende
Princip alles sittlichen Strebens und Arbeitens in der Gemeinschaft zu bilden.
Von einer
Stiftung der christl.
«Kirche» durch
Jesus kann aber nur sehr bedingterweise gesprochen werden.
Das, was er als nahe herbeigekommen verkündigte, war vielmehr das
«Reich Gottes» (s. d.) oder das «Himmelreich».
Es konnte aber die Idee dieses Gottesreichs zunächst nur in Form einer besondern Religionsgemeinschaft verwirklicht werden,
und es war nur die innere
Notwendigkeit der Sache selbst, daß die ersten
Christen zur lebendigen Vertiefung
in die höchste religiöse Idee sich von aller Zerstreuung durch die «Welthändel»
und weltlichen Beschäftigungen zurückziehen mußten.
Darum ist die «Weltflucht» allerdings die Signatur des geschichtlichen
Christentum in seiner ältesten Gestalt. Aber wie schon
Jesus selbst in den großen Gleichnisreden über das göttliche
Reich deutlich
eine weit umfassendere
Aufgabe gezeichnet hatte, so war es eben die Allgemeingültigkeit des christl.
Princips selbst, die es immer mehr dazu drängen mußte, aus der
Stille des Privatlebens und der engsten
Kreise
[* 3] frommer Gemeinschaft
herauszutreten und alle menschlichen Lebensverhältnisse mit dem neuen
Geiste zu durchdringen.
Schon nach drei Jahrhunderten begann das Christentum seine civilisatorischeAufgabe in der Welt zu erfüllen. Es
ist eine
Thatsache, die kein
Historiker verkennen kann, daß die geistige und sittliche Umgestaltung des Völkerlebens im Gefolge
des Evangeliums Jesu Christi einhergeschritten ist, und daß noch heute die christl. Welt und
Menschheit die
Wiege aller durch wissenschaftliche und humanitäre Kultur bedingten Fortschritte in Kunst
und Wissenschaft, im bürgerlichen, polit. und häuslichen Leben ist. Es war geschichtlich begründet, daß das Christentum diese
seine welterneuernde Mission zunächst nur in kirchlich-dogmatischer Fassung übte; für die heutige Menschheit ist es notwendig,
Kirche und Christentum sorgfältig zu scheiden, und jene nur als die allerdings unentbehrliche Pflanzstätte des
specifisch religiösen Lebens zu betrachten, das als das lebendige Princip in alle sittlichen Lebensverhältnisse
überzugehen die Bestimmung hat, doch ohne daß diese darum selbst
in kirchliche Formen gegossen würden. Die Zeit einer kirchlichen
Universalmonarchie als alleiniger Trägerin des christl.
Geistes ist vorüber, ebenso die Zeit eines dogmatisch beengten Lehrkirchentums oder einer exklusiv
religiösen, die ganze Fülle sittlicher Lebensgebiete und Kulturinteressen als profane, unheilige Welt von sich ausstoßenden
Praxis. Die hierarchisch gegliederte
Theokratie des mittelalterlichen
Katholicismus, der luth. Dogmatismus und der pietistische
Prakticismus haben ihre geschichtliche
Aufgabe erfüllt, und derselbe christl.
Geist, der sich jene Formen schuf, sucht sich
heute in der ganzen
Breite
[* 4] des sittlichen
Menschen- und Völkerlebene eine neue
Stätte seiner welterneuernden
und weltversöhnenden Wirksamkeit. Die Gesamtzahl der
Bekenner des Christentum beträgt etwa 495 Millionen.
Litteratur:Châteaubriand, Le
[* 5] génie du Christianisme (5 Bde., Par. 1802 u. ö.;
deutsch von Schneller, 2. Aufl., 2 Bde.,
Freib. i. Br. 1856-57);
Ludw.
Andr.
Feuerbach, Das Wesen des Christentum (Lpz. 1841);
Ullmann, Das Wesen des Christentum (Hamb.
1845; 5. Aufl., 2. Bd. der Werke,
Gotha
[* 6] 1865);
Bruch, Das Wesen des Christentum (in Schenkels
«Allgemeiner kirchlichen Zeitschrift», 1867);
eigentlich
Deutsche Gesellschaft zur Beförderung
[* 9] reiner
Lehre und wahrer Gottseligkeit genannt,
von dem 1806 in
Augsburg
[* 10] verstorbenen evang.
Senior Joh. Urlsperger zu Basel
1780 gestiftet, war eine weitverbreitete
Verbindung bibelgläubiger
Christen gegen den Zeitgeist der
Aufklärung. Durch die Monatsschrift «Sammlungen für Liebhaber christl.
Wahrheit» erhielt sie ihre zerstreuten Mitglieder im Verkehr und veranstaltete an den einzelnen Orten erbauliche Zusammenkünfte
ihrer Mitglieder, ließ sich auch die
Verbreitung alter und neuer
Schriften wider den Unglauben angelegen sein.
Spittler (gest. 1867 in
Basel)
leitete seit Anfang des 19. Jahrh. die Gesellschaft und gab den Anstoß
zu einer Reihe selbständiger Unternehmungen, in denen die Christentumsgesellschaft allmählich aufging, wie die
BaselerBibelgesellschaft (1804),
die
BaselerHeidenmission (1816) und der
Verein der Freunde Israels (1826), der Traktatverein, die Rettungsanstalt zu Beuggen
u. s. w.
Christenverfolgungen haben namentlich in den drei ersten Jahrhunderten
des Bestehens der christl.
Kirche stattgefunden.
Schon als nach der Kreuzigung Jesu sich die Gläubigen allmählich wieder
in
Jerusalem
[* 11] gesammelt hatten, kam es hier zu vereinzelten Gewaltmaßregeln der jüd. Obrigkeit
gegen die «Sekte der Nazaräer». Den ersten
Anlaß scheint jedoch nicht die Predigt von dem Gekreuzigten überhaupt, sondern
die Geltendmachung freierer Grundsätze über die Gesetzesbeobachtung und die Verwerfung des Tempelkultus durch griechisch
gebildete
Juden, wie
Stephanus, geboten zu haben. Noch größern Anstoß gab dem
Judentume das Evangelium des
Paulus von der
Abschaffung des Gesetzes im
Christentum und von der Gleichberechtigung der
Heiden mit den
Juden. Während der Haß
der
Juden gegen die gesetzesfreie Heidenpredigt in immer neuen
Ausbrüchen sich Luft machte, scheint das am Gesetze festhaltende
Judenchristentumbis in die
Zeiten des ersten jüd.
Krieges Dul-
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¶
mehr
dung genossen zu haben. Die Hinrichtung des ältern Jakobus durch Herodes Antipas (44 n. Chr.) und die Steinigung Jakobus'
des Gerechten durch den Hohenpriester Ananus (62) sind vereinzelte Fälle, deren nähere Veranlassung im Dunkeln liegt. Erst
seit der Zerstörung Jerusalems (70), besonders aber seit dem Aufstande unter Bar-Cochba (133), steigerte sich
der Haß der Juden gegen ihre der nationalen Sache entfremdeten Stammesgenossen zu einem leidenschaftlichen, aber mit dem
SturzeBar-Cochbas schnell vorübergehenden Terrorismus.
Die röm. Staatsgewalt nahm von den Christen anfangs wenig Notiz, da sie als jüd. Sekte gesetzliche Duldung genossen, aber
auch die auf den Juden lastende Verachtung teilten. Die Christenschlächterei unter Nero (64) scheint
sich nicht über Rom
[* 13] hinaus erstreckt zu haben, trägt auch noch nicht den Charakter einer eigentlichen Religionsverfolgung.
Der Tyrann wollte nur für den ihm von der Volksmeinung zugeschobenen Brand der Stadt Rom diejenigen büßen lassen, welche,
als von allen verachtet und gehaßt, zu jeder Schandthat für fähig galten.
Noch unter Domitian (81-96), welchen die Sage die zweite Christenverfolgang verhängen läßt, kam es höchstens zu vereinzelten
Todesurteilen in Rom, aus nicht ganz klaren Beweggründen, und zu Nachforschungen nach den Nachkommen der Davidschen Familie,
von deren Unschädlichkeit sich der Kaiser bald überzeugte. Einem förmlichen strafgerichtlichen Verfahren gegen
die Christen wegen staatsgefährlicher Verbindungen begegnet man erst unter Trajan (98-117), von dem der StatthalterPlinius von
Bithynien sich Verhaltungsbefehle erbat.
Nach der Weisung des Kaisers sollten die Christen nicht aufgesucht und anonyme Denunziationen nicht berücksichtigt, Überwiesene
und Geständige aber auf Grund der Staatsgesetze als Rebellen mit dem Tode bestraft werden. Dies blieb
auch für die folgenden Kaiserregierungen feststehende Regel. Seitdem die Zahl der Christen sich dermaßen vermehrt hatte,
daß an manchen Orten schon die Tempel
[* 14] zu veröden begannen, mußte die Staatsgewalt auf diejenigen ein wachsames Auge
[* 15] richten,
welche ungescheut den nahen Untergang des RömischenReichs und die Errichtung einer neuen Ordnung der Dinge
verkündigten, in welcher sie die Herrschenden sein und alle Heiden vertilgt werden sollten.
Die weitverzweigte geheime Verbindung der Christen konnte jetzt nicht mehr als jüd. Sekte Duldung beanspruchen: sie erschien
nicht bloß der herrschenden Staatsreligion, sondern der röm. Staatsordnung selbst gefährlich.
Die angeblichen Edikte Hadrians (117-138) und des AntoninusPius (138-160) zu Gunsten der Christen sind christl.
Fiktionen; doch hatte man unter diesen beiden Kaisern sowie in der ersten Zeit MarcAurels (160-180) verhältnismäßig Ruhe.
Erst in den letzten Regierunasjahren dieses Kaisers kam es gleichzeitig in den verschiedensten Teilen des Reichs, in Gallien,
Griechenland
[* 16] und im Orient, zu einem Verfolgungssturm, wie ihn die Christen bis dahin noch nicht erlebt
batten. Trajans Grundsätze wurden jetzt, namentlich von seiten der Statthalter in den Provinzen, vielfach überschritten. Ausführliche
Berichte aus jener Zeit haben wir namentlich über die Christenverfolgungen zu Lyon
[* 17] und Vienne. MarcAurels Nachfolger, Commodus (180-192), kehrte
zu der mildern Praxis des trajanischen Anklageverfahrens zurück. Der anfangs duldsamere Kaiser Septimius
Severus
(193-211)
gab durch sein 202 erlassenes Verbot des Übertritts zum Judentum oder Christentum das Signal zu einer, wie es scheint,
über verschiedene Teile des Reichs ausgedehnten Verfolgung. Doch war die Todesstrafe auch damals nicht die Regel, häufiger
scheinen Verbannungen und Deportationen zur Zwangsarbeit in den kaiserl. Bergwerken vorgekommen zu sein. Schon unter Severus
bereitete sich indes ein Umschwung in der Stellung des röm. Staates zum Christentume vor.
Der religiöse Synkretismus, dem die ausländischen Kaiser, namentlich Heliogabalus (218-222) und Alexander Severus (222-235),
ergeben waren, gewährte auch dem Christengotte eine Stelle in dem heidnischen Pantheon. Der Christenhaß
des Kaisers Maximinus (235-238), mehr noch die durch öffentliche Unglücksfälle gesteigerte Volksleidenschaft gab den Anstoß
zu vorübergehenden, aber harten Drangsalen der Christen in einigen Provinzen. Dagegen trat unter seinen Nachfolgern, von denen
einer, Philippus (244-249), der Sage nach sogar Christ geworden sein soll, eine längere Ruhe ein.
Die Periode der allgemeinen Christenverfolgungen beginnt erst unter Kaiser Decius (249-251). Um die alte röm. Staatsreligion, auf welcher ihm
auch die polit. Wohlfahrt zu ruhen schien, aufs neue zu befestigen, begann er gegen das Christentum einen Kampf auf Leben
und Tod. Decius leitete die Verfolgungen selbst; kaiserl. Edikte bedrohten die säumigen Statthalter mit
harten Strafen. Die gegen die Christen angewendeten Zwangsmittel schritten stufenweise bis zum sichersten fort. In Rom, Alexandria,
Karthago,
[* 18] Pontus scheint die Verfolgung am ärgsten getobt zu haben; vornehmlich war es auf die Bischöfe abgesehen, denn die
inzwischen ausgebildete festgegliederte kirchliche Verfassung erschien als ein fremdartiger Staat im Staate
ganz besonders gefährlich.
Die Zahl der Opfer war diesmal weit bedeutender als in den frühern Verfolgungen. Nach dem Tode des Decius ließen die Verfolgungen
nach, wurden aber von dem anfangs günstiger gestimmten Valerian (253-260) noch einmal erneuert. Doch bestrafte man fast
nur Bischöfe und Priester mit dem Tode. Der hierauf folgenden langjährigen, nur durch KaiserAurelian (274)
vorübergehend unterbrochenen Ruhe wurde durch die Edikte Diocletians (284-305) ein Ende gemacht. Nachdem dieser Kaiser neun
Jahre hindurch den Christen unbedenklich den Zutritt zu den höchsten Ehrenstellen bei Hofe und im Heere gestattet hatte, begann 303 die
letzte, aber furchtbarste Verfolgung.
Den Anlaß gab der Fanatismus seines Mitkaisers Galerius, der nur von der Ausrottung der Christen die erneute Gunst der zürnenden
Götter und den Sieg der röm. Waffen
[* 19] erwartete. Drei Edikte gegen die christl. Religion und die Vorsteher christl. Gemeinden
folgten 303 rasch aufeinander; ein viertes ward 304 gegen die Christen überhaupt erlassen. Im ganzen
RömischenReich wurden die christl. Kirchen zerstört, die heiligen Bücher weggenommen und verbrannt, die gottesdienstlichen
Versammlungen verboten: Verlust aller Ehrenämter, Beraubung des Vermögens, Gefängnis und zuletzt der Tod drohte allen, die
sich nicht bequemen wollten, den Göttern zu opfern. Die Zahl der Opfer war wenigstens in der ersten Zeit
an manchen Orten äußerst bedeutend. Dennoch erwiesen sich alle Versuche, das Christentum auszurotten, als vergeblich. Noch
zu Ende des J. 304 hob Diocletian die Todesstrafe
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