1752, reiste 1776 nach Griechenland und legte die Ergebnisse der Reise in der «Voyage pittoresque de le Grèce» (1782; neue
Ausg. von Müller und Hase, 4 Bde., Par. 1841)
nieder, die ihm 1784 die Aufnahme in die Akademie der Wissenschaften verschaffte. Später zum franz. Gesandten in Konstantinopel
ernannt, betrachtete er sich auch nach dem Sturze der Bourbons als deren Vertreter und schickte seine Noten
an die in Deutschland lebenden Brüder Ludwigs XVI. Die republikanische Armee am Rhein fing diese Korrespondenz auf, und der
Konvent beschloß im Okt. 1792, ihn in Konstantinopel verhaften und nach Frankreich abführen zu lassen. Choiseul-Gouffier entkam
indes nach Rußland an den Hof Katharinas II. und wurde später von Paul I. zum Staatsrat und Direktor der Kunstakademie sowie
zum kaiserl. Bibliothekar ernannt. Er kehrte 1802 wieder nach Frankreich zurück und ward nach der Restauration Pair von Frankreich
und Mitglied des Kabinettsrates. Seine bedeutende Sammlung von Altertümern wurde von Ludwig XVIII. angekauft
und mit dem Museum im Louvre vereinigt. Choiseul-Gouffier starb zu Aachen.
(spr. schŏăsih lĕ rŏá)), Stadt im Kanton Villejuif, Arrondissement Sceaux des franz. Depart. Seine,
südlich von Paris, an der Linie Paris-Orléans der Franz. Orléansbahn, hat (1891) 8129, als Gemeinde 8449 E.,
Post, Telegraph, Reste eines von Ludwig XV. erbauten Schlosses, viele Landhäuser, ein Bronzedenkmal Rouget de l'Isles, der
hier 1836 starb; Fabrikation von Porzellan, Leder, Seife und Chemikalien, Wein- und Kohlenhandel. Choisy-le-Roi ist beliebter Ausflugsort
von Paris und durch Omnibus mit ihm verbunden. Im Sept. und Nov. 1870 fanden hier wiederholt Ausfallsgefechte
statt, darunter das des Generals Vinoy gegen das 6. preuß. Armeekorps.
bore (engl., spr. tschohkbohr), Würgebohrung, eine Bohrung, bei der sich der Gewehrlauf kurz vor der Mündung
etwas verengt und dann bis zu dieser wieder kugelgleich verläuft;
bewirkt größeres Zusammenhalten des Schrotes und gestattet
weiteres Schießen.
Gewöhnlich ist bei Doppelgewehren nur der linke Lauf Choke bore
(spr. tschocktah), Chactaw, Chacta, richtiger Tschachta, ein mit den Chickasaw (s. d.) und den Creek (s. d.)
sprachlich verwandter Indianerstamm, bewohnten die mittlern und südl. Teile des heutigen Staates Mississippi,
vom Lande der Chickasaw durch Berge und Wälder getrennt. Zur Zeit der Entdeckung bewohnten sie 50-70 Dörfer. Die franz. Kolonisten
in Louisiana bedienten sich der Sprache der Choktaw im Verkehr mit den verschiedenen Indianerstämmen, da sie von diesen allgemein
verstanden wurde. Jetzt sind die Choktaw in schwachen Überresten im Indianergebiete angesiedelt,
nur wenige Familien finden sich noch in der alten Heimat. - Über die Sprache der Choktaw vgl. F. Müller, Grundriß
der Sprachwissenschaft,
Bd. 2 (Wien 1882) und Forchhammer im «Compte rendu» des zweiten Amerikanistenkongresses (Par.
1877).
ein Volk der Maya (s. d.), das einen besondern, dem der Tzental und
Zo'tzil verwandten Dialekt spricht. Sie scheinen gegenwärtig auf fünf Dörfer des Depart.
Palenque im mexik. Staate Chiapas beschränkt zu sein. In ihrem Gebiete liegen die großartigen, jetzt von Urwald überwucherten
Ruinen von Palenque (s. d.). Sie sollen in vergangener Zeit über die Gebirgsgegenden
von Chiapas und die Wälder der Alta Vera Paz bis zur Lagune von Izabal (Golfo dulce) und den Küsten der
Bai von Honduras verbreitet gewesen sein. -
Vgl. Stoll, Zur Ethnographie der Republik Guatemala (Zür. 1884).
(grch.), künstliche (operative) Verbindung der Gallenblase mit dem Darm bei Verschluß der Gallenwege,
um den Tod durch Cholämie (Gelbsucht) zu verhindern.
(vom grch. choléra, Dachrinne, danach Brechdurchfall, nach andern vom grch. cholé, Galle, oder auch vom hebr.
Cholē ra, d. i. böse Krankheit), überhaupt ein massenhaftes, rasch eintretendes Erbrechen und Laxieren, ein Brechdurchfall.
Dieser häufig vorkommende Zustand beruht auf sehr verschiedenen, die Magen- und Darmschleimhäute reizenden
oder entzündenden oder die Nerven dieser Unterleibsorgane sonst erregenden Ursachen (Vergiftungen, Genuß unverdaulicher oder
verdorbener Speisen und Getränke, Verletzung gewisser Nervenpartien u. s. w.). In den heißen Sommermonaten namentlich kommen
nach Erkältungen und Diätfehlern, insbesondere nach dem Genuß von schlechtem Bier, unreifem Obst u. dgl. solche
Zustände alljährlich vor, die man unter Brechruhr, Sommer- oder europäischer, auch einheimischer Cholera (Cholera nostras) begreift
und die nur ausnahmsweise so heftig werden, daß überreiche weiße, reiswasserähnliche Entleerungen nach oben und unten
mit Blauwerden und allgemeiner Kälte der Haut, Einfallen des Gesichts, Wadenkrämpfen, Unfühlbarwerden des Pulses und Heiserkeit
der Stimme sich zeigen. Ähnliche Symptome stellen sich im Sommer bei künstlich aufgefütterten Kindern
nach dem Genuß von zersetzter und verdorbener Milch ein und sind als Cholera der Kinder (Cholera infantum) sehr gefürchtet (s.
Durchfall). Bei zweckmäßiger Behandlung (Bettruhe, absolutes Fasten, warme Tücher oder Umschläge auf den Leib, Eispillen,
Opium, bei Schwächezufällen Cognac oder Champagner, theelöffelweise genommen) gehen die Symptome der
ein-
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mehr
heimischen Cholera meistens rasch vorüber und führen nur sehr selten zum Tode. Die europäische Cholera tritt immer sporadisch auf und
steckt nicht an.
Die asiatische Cholera ergreift als verheerende Seuche gleichzeitig oft viele Menschen in einem Orte, von denen in der Regel über
die Hälfte stirbt.
Entstehung und Verbreitungsweise. Die Cholera ist seit alter Zeit in gewissen Teilen Ostindiens (Niederbengalen,
Malabarküste) heimisch, doch erst seit 1817 zeigt sie eine auffallende Neigung zur Ausbreitung und Wanderung. Nachdem sich
bereits 1816 an den Gangesmündungen zerstreute kleinere Choleraherde gebildet hatten, dehnte sich die Krankheit im folgenden
Jahre über die ganze Halbinsel aus, hatte am Schluß des J. 1818 bereits ganz Ostindien durchwandert,
richtete dann auf den Inseln des ind.-chines. Archipels große Verheerungen an, verbreitete sich 1820-21 über
ganz China und drang über Persien bis nach Astrachan.
Ausgehend von einer neuen Epidemie, die 1826 in Bengalen ausgebrochen war, erreichte die Cholera 1829 von neuem
die Ufer der Wolga, trat 1830 in Astrachan und zwei Monate später in Moskau auf und hielt nun ihren ersten großen Seuchenzug
über Europa, indem sie sich über das ganze europ. Rußland ausbreitete, 1831 als verheerende Seuche Deutschland zum erstenmal
überzog und 1832 nach England und Frankreich drang. In demselben Jahre wurde die Cholera durch Auswandererschiffe
nach Amerika gebracht.
Bis 1838 folgten dann in Europa viele kleinere Epidemien, dann trat eine vollständige Pause bis 1846 ein, in welchem Jahre
wiederum von Indien aus über Persien und Syrien ein neuer Seuchenzug sich bildete, welcher 1848 die deutschen Grenzen erreichte,
sich von hier aus über den größten Teil Europas und Nordamerikas ausdehnte und bis 1859 verschiedene
größere Epidemien auf der ganzen nördl. Hemisphäre der Erde verursachte. Eine vierte Cholera-Pandemie,
1865-75, unterschied sich von allen frühern durch ihren eigentümlichen Verlauf und die Schnelligkeit, mit der sie von Asien
nach Europa gelangte.
Während nämlich sonst die Krankheit stets von Indien über Afghanistan, Persien und das asiat. Rußland
nach Europa vordrang und mehr als ein Jahr gebrauchte, ehe sie die europ. Grenzen erreichte,
gelangte sie diesmal in nur wenigen Tagen auf dem Seewege von der Küste Arabiens aus nach Südeuropa und überzog innerhalb
weniger Wochen einen großen Teil Europas. Eine weitere Cholera-Epidemie brach, durch franz. Schiffe von
Indien eingeschleppt, 1884 in Toulon und Marseille aus, dehnte sich von da nach Italien, besonders Neapel, aus und suchte 1885 Spanien
heim. In Spanien trat sie auch 1890 auf. Im Sommer 1892 drang die Cholera von Persien aus nach Baku und Astrachan,
überzog von hier aus fast ganz Rußland und wurde im Aug. 1892 nach Hamburg (s. d.) verschleppt; gleichzeitig erschien sie
in Frankreich (Paris, Havre, Rouen) und in Belgien (Antwerpen); 1893 traten in Europa nur noch vereinzelte Fälle auf. Diese Epidemie
gab die Veranlassung zur Vereinbarung internationaler Maßregeln gegen die Verbreitung der Cholera auf dem 1893 in
Dresden abgehaltenen Hygieinekongreß (s. Hygieine) und Ausarbeitung eines deutschen Seuchengesetzes, das im Herbst 1893 an den
Reichstag gelangte.
Der Verlauf der asiatischen, epidemischen oder indischen Cholera ist in der Regel folgender: Meist gehen tagelang Abgeschlagenheit,
Verdauungsstörungen, namentlich schmerzlose wässerige Durchfälle (Cholerine) voraus;
oft
fehlen aber
auch solche Vorboten, sodaß das Übel gleichsam blitzschnell auftritt.
Plötzlich, meist in der Nacht, treten stürmische
und zahlreiche Ausleerungen ein, welche nur im Anfange noch aus gefärbtem Darminhalt, bald aber aus einer eigentümlichen
reiswasserähnlichen, alkalischen, zahllose Epithelzellen des Dünndarms sowie Fetttröpfchen, Blutkörperchen, Tripelphosphatkrystalle
und verschiedene Pilzformen enthaltenden Flüssigkeit bestehen. Dazu gesellt sich reichliches Erbrechen,
durch welches zuerst Mageninhalt und Galle, später aber gleichfalls eine reiswasserähnliche Flüssigkeit entleert wird.
Bei der sog. trocknen Cholera (Cholera sicca), einer besonders gefährlichen Form, die
aber selten auftritt, fehlen die reiswasserähnlichen Ausleerungen gänzlich, weil der zeitig gelähmte Darmkanal die in ihm
ausgeschwitzten Stoffe nicht auszutreiben vermag. Mit dem Eintritt der wässerigen Ausleerungen stellt sich ein quälender
Durst sowie ein beträchtliches Sinken der Eigenwärme und des Pulses ein, der Herzschlag wird matt, die Glieder, Nase und Ohren
werden blau und leichenkalt, das Gesicht ist verfallen, die Augen tiefliegend, die Stimme wird heiser und
klanglos, die Harnentleerung hört auf, es stellen sich schmerzhafte Krämpfe in den Waden und Füßen ein u. s. w. Man pflegt
dieses Stadium als das Kältestadium (Stadium algidum) zu bezeichnen.
Endlich verschwinden, zuweilen unter Nachlaß der Ausleerungen, der Puls, der Herzstoß, sogar die Herztöne gänzlich und der
Tod erfolgt gewöhnlich unter dem Zeichen eines allgemeinen Blutstillstandes und einer Nervenlähmung (Asphyktische
Cholera). Im glücklichen Falle aber kommen nach und nach die Körperwärme, der Puls und Herzschlag sowie die Harnentleerungen
wieder, Schlaf und Kräfte kehren zurück, die Stuhlgänge werden wieder gallenhaltig und fäkulent u.s.w. Oft aber tritt
in diesem Zeitabschnitt (der Reaktionsperiode) eine eigentümliche Fieberkrankheit ein, welche dem Typhus
ähnlich verläuft, das sog. Choleratyphoid, das bisweilen wochenlang dauert und die Befallenen oft noch hinwegrafft.
Die Leichenöffnung der an der Cholera Gestorbenen zeigt zwei Haupterscheinungen: einen heftigen, mit massenhafter
Ausschwitzung verbundenen Darmkatarrh und eine beträchtliche Eindickung der gesamten Blutmasse mit ihren beiderseitigen Folgen.
Im Darmrohr, zum Teil auch im Magen, findet man eine reichliche reiswasserähnliche Flüssigkeit, welche
aus massenhaft ausgeschwitztem Blutwasser und zahllosen abgestoßenen Darmepithelien besteht. Die Darmschleimhaut selbst ist
entzündet, zum Teil blutig unterlaufen und stellenweise ihrer schützenden Decke beraubt; ihre Zotten und Drüschen, oft auch
die Gekrösdrüsen, sind angeschwollen und hervorragend.
Das Blut ist dunkelblaurot, mehr oder weniger eingedickt, in den höhern Graden fast teer- oder pechartig
zähe. Es zeigt sich im Herzen angehäuft, fehlt hingegen in den Haargefäßen, sodaß das Zellgewebe, die Muskeln und andere
Teile blutarm, trocken, zähe und unelastisch, die Haut grau und runzelig, die serösen Häute klebrig gefunden
werden. Fast konstant sind die Nieren verändert und zeigen bei schweren Fällen die eigentümliche, unter dem Namen Eiweißniere
bekannte Entartung, welche sich auch bei Lebzeiten durch Eiweißgehalt des Harns und Zurückhaltung des Harnstoffs im Blute
kundgiebt. Nach alledem scheint somit der wesentlichste Teil der Krankheit die übermäßige Aus-
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mehr
schwitzung von Wasser aus den Blutgefäßen in die Höhle des Darmkanals zu sein, durch welche das Epithel der Darmschleimhaut
ganz ebenso abgehoben und schließlich abgestoßen wird, wie bei einer Verbrennung der äußern Haut die Oberhaut durch die
aus dem Blute ausgeschwitzte Flüssigkeit abgelöst und zu einer Blase emporgehoben wird. Durch den raschen
und übermäßigen Wasserverlust wird das Blut dickflüssig, bewegt sich langsamer und vermag nicht mehr die feinen Haargefäße
zu durchdringen.
Daher stockt der Atmungsprozeß in der Lunge, es tritt Atemnot und Beängstigung wie beim Ersticken ein. Das Gehirn wird infolge
der mangelhaften Blutcirkulation nicht gehörig ernährt, daher die Hirnsymptome. Da das eingedickte
Blut an Masse sehr beträchtlich abgenommen hat, so fehlt allen Teilen der Haut ihre sonstige Fülle. Die blaue Farbe des Blutes
erklärt sich aus der mangelhaften Atmung, denn nur der beim Atmen aufgenommene Sauerstoff färbt das Blut hellrot.
Gleichwie die gesamte Symptomengruppe der Cholera durch gewisse mineralische und organische Stoffe (z. B. weißen
Arsenik und giftige Schwämme) hervorgerufen wird, so nahm man schon seit längerer Zeit an, daß auch die asiatische
Cholera durch einen specifischen Infektionsstoff (wahrscheinlich einen niedrigen Organismus, Spaltpilz u. dgl.) hervorgerufen würde.
Die sichere Entdeckung des gesuchten Choleragiftes gelang aber erst Rob.
Koch, dem Führer der 1883 vom Deutschen Reich zur Erforschung der Cholera nach Ägypten und Indien gesandten wissenschaftlichen
Expedition.
Koch fand in dem Darminhalt der Cholerakranken, in der Darmwand der Choleraleichen, in der Wäsche sowie in dem Boden der durchseuchten
Ortschaften ganz regelmäßig massenhafte eigenartige Spaltpilze, welche sich als die eigentlichen Erreger der
asiatischen Cholera erwiesen haben. Die Cholerabacillen sind kleine gebogene, sehr lebhaft bewegliche Stäbchen von der Form eines
Komma (Kommabacillen), die sich gern in Form eines S oder auch längerer, spirillenförmiger Fäden aneinanderlegen, sodaß
sie hiernach sogar zu den Spirillen gerechnet werden können; eine sichere Sporenbildung ist noch nicht bekannt. (S.
Tafel: Bakterien,
[* ]
Fig. 5.) Die eigentümliche Form der Reinkulturen auf Gelatine beweist die Specificität
der Kommabacillen gegenüber zahlreichen ähnlichen Formen, die fälschlich für identisch mit ihnen erklärt worden sind
(namentlich der von Finkler und Prior gefundene Bacillus bei Sommerdiarrhöe der Kinder). In Gelatinekulturen entsteht bei
Zusatz von Mineralsäuren früher als bei andern Mikroorganismenkulturen eine Rotfärbung (sog.
Cholerarot) als Reaktion auf das darin gebildete Zersetzungsprodukt Indol.
Specifische Choleragifte sind aus den Kulturen noch nicht gewonnen worden, wenn auch einzelne Forscher gewisse Toxalbumine
und Toxoglobuline aus den Cholerakulturen dargestellt und als das specifische Gift bezeichnet haben. Bei geeigneter Temperatur
(17-40°, auf Kartoffeln nur über 24° C.) wachsen die Kommabacillen auf allen denkbaren Nährböden
(Reiswasser, Sagowasser, feuchter Wäsche, feuchter Erde), wenn dieselben feucht, nicht sauer und dem Zutritt von Sauerstoff
günstig sind.
Eintrocknung, Erhitzung u. a. tötet die Bacillen sehr rasch; ebenso verschwinden sie bald in Wasser, in welchem die gewöhnlichen
Wasserbakterien vegetieren. Säuren (Carbol-, Salzsäure) sind höchst verderblich für die Bacillen,
worauf die Widerstandsfähigkeit von Menschen
mit normal salzsaurem Magensaft gegen die Cholerainfektion beruht. Im alkalischen
Darminhalt der Cholerakranken (den «Reiswasserstühlen») finden sich die
Kommabacillen in ungeheurer Menge.
Die Erzeugung eines der Cholera gleichenden Krankheitsbildes bei Tieren durch die Bacillen gelingt bei gesunden
Tieren bei einfacher Verfütterung nicht; werden die Bacillen direkt in den Darm, oder durch den Magen nach vorheriger Alkalisierung
desselben eingebracht, so entsteht zwar eine etwas choleraähnliche Darmentzündung, doch kann das gleiche Krankheitsbild
bei diesem Verfahren auch durch andere Bakterien erzielt werden. Das negative Impfergebnis stimmt mit der Erfahrung überein,
daß die Cholera eine eben nur bei Menschen vorkommende Krankheit ist. Eine Infektion durch Cholerareinkulturen an einem damit arbeitenden
Arzt ist einmal in unzweifelhafter Weise bekannt geworden.
Sichere Schutzimpfungsmethoden (durch künstliche Abschwächung der Virulenz der Bacillen) sind bisher nicht bekannt; die
von Ferran versuchten sind wirkungslos. Neuerdings gelang es zwar Brieger, Kitasato und Klemperer, Tiere
teils durch abgeschwächte Cholerakulturen, teils durch Blutserum von Cholerakranken immun gegen eine Choleravergiftung zu
machen; jedoch fehlt es noch an Erfahrunq, inwieweit diese Versuche an Tieren sich auf den Menschen mit Erfolg übertragen
lassen.
Der Cholerabacillus ist ursprünglich ein Produkt des Bodens und des Klimas von Indien; aber obschon vom
Boden Indiens stammend, ist er doch auch in andere Länder und Weltteile durch den menschlichen Verkehr verbreitbar (verschleppbar),
wo er sich so lange erhalten und vermehren kann, als er gewisse örtliche Bedingungen vorfindet, deren er auch in seiner ursprünglichen
Heimat bedarf. Die Eigenschaft der Cholera, in ihrer Verbreitung zugleich vom Verkehr und von örtlichen Ursachen
(vom Boden und Drainageverhältnissen) abhängig zu sein, hat lange zu keinen richtigen Anschauungen über die Verbreitungsart
derselben gelangen lassen.
Anfangs faßte man die doppelte Abhängigkeit vom Verkehr und von der Örtlichkeit den herrschenden Schulansichten entsprechend
als etwas Gegensätzliches auf und dachte, daß die Cholera entweder vom Menschen, namentlich von Cholerakranken
verbreitet werde, und dann sei sie eine ansteckende, kontagiöse Krankheit, oder daß sie vom Boden stamme, und dann sei sie
eine miasmatische Krankheit. Erst die Untersuchungen Pettenkofers haben 1854 darauf hingewiesen, daß beides notwendig zusammengehören
könnte und sich nicht zu widersprechen brauchte. Auf diesem Grundgedanken, Cholerakeim und Choleralokalität
beide zusammen als wesentlich zu betrachten und gesondert zu behandeln, ist die neuere Lehre von der Verbreitungsart der Cholera entstanden.
Selbst in Indien sind es nur wenige Bezirke, wo die Cholera ständig, endemisch vorkommt, und auch dort giebt es Zeiten, wo sie
schlummert. Außerhalb der endemischen Bezirke scheint der Keim nach einiger Zeit, in 1-2 Jahren, immer wieder abzusterben,
und die epidemische Cholera bedarf zu ihrem Wiedererscheinen neuer Einschleppung. Daß das wenigstens in Europa der Fall ist, spricht
sich jedesmal sehr deutlich im Fortschreiten der Epidemien von Osten nach Westen oder von Meeresküsten
ins Innere aus. Ein schlagender Beweis für das Absterben des Keims nach einer abgelaufenen Epidemie und für die Notwendigkeit
einer neuen Einschleppung ist das zeit-
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mehr
liche Auftreten der Epidemien auf den Inseln Malta und Gozzo im Mittelländischen Meere, welche seit 1835 bereits siebenmal von
der Cholera heimgesucht waren. Die beiden Inseln liegen sich sehr nahe, haben ganz gleichen Boden und gleiches Klima und haben sich
auch jedesmal gleich empfänglich für die Krankheit erwiesen, Gozzo verhältnismäßig sogar noch etwas
mehr als Malta; sie unterscheiden sich nur dadurch, daß Malta infolge seiner ausgezeichneten Häfen einen großen direkten
Verkehr mit allen Ländern hat, während Gozzo in Ermangelung jedes Hafens, ja selbst einer größern Bucht, mit der ganzen
übrigen Welt nur über Malta verkehrt. So oft nun Malta eine Cholera-Epidemie hatte, kam sie auch nach
Gozzo, aber jedesmal 3-4 Wochen später als nach Malta, was sich nur mit der Annahme verträgt, daß der Cholerakeim in Gozzo
nicht schon etwa von vorausgegangenen Epidemien her schlummernd vorhanden war, sondern jederzeit erst aus Malta wiedergebracht
werden mußte, denn sonst hätte die Cholera auf Gozzo hier und da gleichzeitig, manchmal sogar
früher als in Malta auftreten müssen. Es ist beachtenswert, daß die asiatische Cholera schon seit Jahrtausenden in Indien vorkommt,
jedenfalls so alt ist wie die ind. Kultur, daß sie aber doch erst im 19. Jahrh.
so um sich zu greifen und zu wandern anfing. Diese Thatsache hängt ohne Zweifel mit der Steigerung und
namentlich mit der Beschleunigung des Verkehrs in und außer Indien zusammen. Das Erscheinen des ersten Dampfschiffs in den
ind. Gewässern fällt in das J. 1826, das Erscheinen der Cholera in Europa ins J. 1831.
Neben dem Verkehr macht sich sowohl in Indien als außerhalb Indiens auch der Einfluß des Bodens und der
Jahreszeiten sehr deutlich bemerkbar. Es giebt Orte, welche sich bei jeder Gelegenheit als sehr empfänglich für die Cholera erweisen,
und andere, welche ihr auffallend und andauernd Widerstand leisten, wenn die Krankheit aus benachbarten, epidemisch ergriffenen
Orten auch mehrfach und wiederholt eingeschleppt wird. Unter den nichtempfänglichen (immunen) Orten
in Europa ist eins der merkwürdigsten Beispiele die große Fabrik- und Handelsstadt Lyon in Südfrankreich, durch welche sich
ununterbrochen der lebhafteste Verkehr zwischen zwei Hauptsitzen der Cholera, zwischen Marseille und Paris, zieht.
Orte in Gebirgen und Gebirgsthälern werden viel weniger und seltener ergriffen als in der Ebene, aber
auch da kommen ausgedehnte, oft von sehr armer Bevölkerung bewohnte Distrikte vor, welche verschont bleiben, so oft die Cholera in
ihrer Umgebung herrscht, z. B. die Moor- und Malariadistrikte an der Donau in Bayern und zwischen Spree und Röder in Sachsen.
Sehr häufig wird beobachtet, daß ein und derselbe Ort Teile hat, welche ebenso regelmäßig von Cholera stark
zu leiden haben, als andere Teile des nämlichen Ortes ebenso regelmäßig verschont bleiben.
Die örtliche Immunität kann zweierlei Ursachen haben: Bodenbeschaffenheit und Grundwasserverhältnisse. Orte oder Ortsteile,
welche auf Alluvialboden, in Mulden oder an steilen Abhängen liegen, zeigen sich für Cholera-Epidemien
viel empfänglicher als Orte, welche auf einem für Wasser und Luft undurchdringlichen Boden, z. B. auf kompakten Felsen oder
auf der Höhe zwischen zwei Mulden, auf einem Kamme liegen, wenn dieser auch nicht aus Felsen, sondern aus porösem Boden besteht.
Im erstern Falle ist die Bodenbeschaffenheit, im zweiten die Drainage entscheidend.
Wenn
man das gruppenweise Auftreten von Ortsepidemien in einem größern Umkreise, in einem ganzen Lande verfolgt, so findet
man, daß sich dieselben nicht nach Landstraßen, Eisenbahn- und Schiffahrtslinien aneinander reihen, sondern daß sie sich
nach den natürlichen Drainagegebieten, nach Flußgebieten hauptsächlich gruppieren. Da man gegen den
Einfluß des porösen Bodens und seiner wechselnden Durchfeuchtung (des Grundwassers) immer das Vorkommen von Cholera-Epidemien
auf Malta und auf dem Felsen von Gibraltar geltend machen wollte, reiste Pettenkofer (1868) eigens dahin und fand, daß die
Stadt Gibraltar nicht auf einem kompakten Felsen, sondern auf einer Böschung von roter Erde liegt, welche
sich an den sehr zerklüfteten steilen Felsen lehnt und sehr viel Wasser schluckt und zurückhält, sodaß in der Stadt mehr
als 100 gegrabene Brunnen sind, deren Spiegel viel höher als der Meeresspiegel ist. Der Felsen von Malta saugt wie ein Schwamm
Flüssigkeit an, ist so weich, daß er mit der Säge und dem Messer geschnitten wird, und so porös, wie
der Sand von Berlin.
Die Cholera-Epidemien kommen und gehen in ihrer Heimat sowohl als auch außerhalb derselben sehr regelmäßig mit den Jahreszeiten.
Unter den verschiedenen Einflüssen der Jahreszeit macht sich aber nicht Warme und Kälte als das Entscheidende
geltend, denn sonst könnte die Cholera nicht vom Indischen bis zum Eismeer, von Kalkutta bis Archangel vorkommen, sondern es sind
die Regen- und die davon abhängenden Grundwasserverhältnisse. In Niederbengalen (Kalkutta), wo während der Regenzeit vom
Mai bis Oktober etwa 150 cm Regen fallen, trifft das Maximum der Cholera regelmäßig auf den April, das Minimum
auf den August.
Beide Monate haben gleiche mittlere Temperatur, aber der April ist der Gipfel der heißen trocknen und der August der heißen
nassen Jahreszeit. Im Nordwesten Indiens, im Pandschab (Lahaur), herrscht fast dieselbe Hitze wie in Bengalen, da fallen aber
in der gleichen Regenzeit nur etwa 50 cm Regen. Während in Niederbengalen die Cholera immer zugegen ist, bleibt
das Pandschab oft viele Jahre hintereinander von Cholera-Epidemien frei, und wenn sie auftreten, zeigen sie sich da hauptsächlich
während der Regenzeit. Es scheint daher gerade ein gewisser Wassergehalt des Bodens und eine gewisse Schwankung erforderlich
zu sein. Auch bei den Epidemien in Europa tritt der Einfluß gewisser Monate und Zeiten sehr deutlich hervor:
da sind Sommer- und Herbstepidemien die Regel. Winterepidemien die Ausnahme und der Frühling (März, April und Mai) bleibt
immer fast ganz frei.
Eine fernere Eigentümlichkeit der Cholera, welche sie jedoch mit allen epidemischen Krankheiten teilt, ist
die ungleiche Empfänglichkeit der Individuen (individuelle Disposition) dafür, sodaß bei gleicher Infektionsgelegenheit
die einen schwer, die andern leicht, die Mehrzahl gar nicht erkranken. Schwächliche und schlecht genährte Personen, deren
Organe sehr wasserhaltig sind, haben die größte Disposition, an Cholera zu erkranken. Ebenso wird die Disposition durch alle Umstände
gesteigert, welche auch sonst einem Individuum Diarrhöe verursachen. Sehr konstant verschieden ist die Disposition in verschiedenen
Altersklassen. Das Alter von 6 bis 20 Jahren wird am wenigsten ergriffen; bei jeder Epidemie überrascht die verhältnismäßig
geringe Zahl von Todesfällen unter der schulpflichtigen Jugend. Vom
mehr
40. Jahre an steigt die Disposition. Genauere Untersuchungen haben ergeben, daß diese Unterschiede weniger in einer absoluten
Unempfänglichkeit, als in den höhern und niedern Graden der Erkrankung bestehen. Dem epidemischen Einflüsse ausgesetzt
erkranken ziemlich gleich viel, etwa die Hälfte, aber die einen nur an leichten Diarrhöen, welche in der Regel
keine weitere Beachtung finden und nicht gezählt werden, die andern an den schweren Formen, welche so häufig zum Tode führen.
Als Hauptfaktoren der Choleraverbreitung kann man demnach drei betrachten:
1) den Verkehr mit Cholera-Orten, welcher den specifischen Infektionsstoff (Cholerakeim) verbreitet, 2) die
individuelle Disposition, 3) die lokale (örtliche und zeitliche) Disposition, und man kann in diesen drei
Richtungen auf Mittel denken, der Ausbreitung der Krankheit entgegenzuarbeiten. Hinsichtlich der Schutzmaßregeln, welche zur
Abwehr der verderblichen Seuche zu ergreifen sind, differieren die Anschauungen Pettenkofers und seiner Schüler in wesentlichen
Punkten von denjenigen der Anhänger der Kochschen Lehre, welcher sich neuerdings die ganz überwiegende
Zahl der Ärzte und Hygieiniker zugewendet hat.
Pettenkofer, welcher den Cholerakeim als einen ektogenen, d. h. nicht vom Kranken produzierten, sondern außerhalb des menschlichen
Körpers sich entwickelnden ansieht und in den Darmentleerungen der Cholerakranken kein fertiges pathogenes Gift annimmt,
hält es für überflüssig, den Verkehr durch Absperrungsversuche, Quarantäne u. dgl. einzuschränken
sowie die Entleerungen, die Effekten und Wäsche der Kranken zu desinfizieren, fordert dagegen in erster Linie die allgemeine
Assanierung des Bodens durch Trockenlegung sowie durch prompte Beseitigung aller unreinen Äbfälle des menschlichen Haushalts.
Regelrechte Kanalisation und reichliche Versorgung mit reinem Wasser, Entfernung aller Senk- oder Versitzgruben, überhaupt
aller Gelegenheiten, welche den Boden unserer Wohnstätten bisher allgemein mit allzu reichlicher Nahrung
für das organische Leben in ihm versehen haben, Beseitigung der Stauungen für den Abfluß des Wassers auf der Oberfläche
und unter derselben, wodurch zeitweise so große Schwankungen im Feuchtigkeitsgehalte des Bodens eintreten: das sind nach
Pettenkofer die sichersten Mittel gegen die Cholera-Epidemien.
Daß dieselben wirklich gegen Cholera-Epidemien helfen, davon liegt der Beweis in den Städten vor, welche in neuerer Zeit viel
in dieser Richtung gethan haben, und in ihrem Verhalten zu Cholerazeiten jetzt im Vergleich gegen früher. Die geringe Ausdehnung
und die geringe Intensität der Cholera in England 1866, die Nichtbeteiligung Englands an den
spätern Cholera-Epidemien des benachbarten Kontinents gegenüber den zahlreichen und heftigen Epidemien, welche England in
den dreißiger, vierziger und fünfziger Jahren hatte, sind ein Beweis, daß man praktisch auf dem rechten Wege ist.
Auch deutsche Städte können bereits zum Beweise herangezogen werden. So oft im Regierungsbezirke Danzig
überhaupt die Bedingungen zu Cholera-Epidemien gegeben waren, war die Stadt Danzig ein Hauptsitz der Krankheit, und 1873 war
die Cholera im Regierungsbezirke so heftig wie sonst, ja sie rückte bis vor die Thore der Stadt in die Dörfer Heubude und Strohteich,
aber in der Stadt Danzig selbst ging es diesmal mit etwa 100 Fällen ab, von denen die Mehrzahl, namentlich
lokal gehäuftere Erkrankungen, fast ausschließlich auf
Häuser trafen, welche ihr altes Senkgrubensystem noch beibehalten
hatten.
Die Anhänger der Kochschen Lehre, welche den Erreger und Weiterverbreiter der Cholera in dem Kommabacillus erblicken, sind weit
davon entfernt, die Wichtigkeit einer allgemeinen Assanierung des Bodens als eines wirksamen Mittels zur
Bekämpfung der Cholera zu leugnen; aber sie legen das Hauptgewicht des ganzen Schutzverfahrens auf die richtige Handhabung
der Prophylaxis beim Auftreten der ersten Cholerafälle durch sofortige Isolierung der Erkrankten und durch die denkbar peinlichste
Desinfektion ihrer Entleerungen und Effekten, eine Anschauung, welche in neuerer Zeit, als die Cholera 1884 von
Frankreich her die Grenzen des Deutschen Reichs bedrohte, in dem Erlaß des preuß. Kultusministers zur Abwehr der Cholera auch offiziell
acceptiert wurde. Da eine vollständige Absperrung gegen durchseuchte Länder bei den heutigen Verkehrsverhältnissen nicht
möglich ist, so kommt es vor allen Dingen darauf an, die ersten Cholerafälle sofort als solche zu erkennen,
was bei dem heutigen Stand der Wissenschaft (bakterioskopische Untersuchung der Darmentleerungen durch Mikroskop und Reinkulturen)
nicht schwer hält, um sofort durch strenge Isolierung der Erkrankten und energische Desinfektionsmaßregeln die weitere
Verbreitung des Krankheitsgiftes zu verhüten. Zu diesem Behufe sind an allen Grenzstationen, welche
den Hauptverkehr mit dem verseuchten Lande vermitteln, Sanitätsämter zu errichten, welchen die Revision der ankommenden
Reisenden, die sofortige Isolierung der Cholerakranken, selbst der Choleraverdächtigen, in bereits vorhandenen oder improvisierten
Choleraspitälern sowie die Fürsorge für die peinlichste Desinfektion der Darmentleerungen, der Effekten, Wäsche u. dgl.
obliegt.
Auch die sanitätspolizeiliche Überwachung der Flußschiffahrt ist von größter Wichtigkeit, da durch
cholerakranke Schiffer die Seuche leicht über weite Stromstrecken verschleppt wird. Ebenso haben die Sanitätsbehörden
die Sauberhaltung der Straßen, Plätze und öffentlichen Brunnen, die fleißige Reinigung der Rinnsteine, der Aborte und Dünggruben
zu überwachen sowie die Logierhäuser, Herbergen und die Mietskasernen der Arbeiterbevölkerung hinsichtlich
aller hygieinischen Verhältnisse gehörig zu kontrollieren. Da ferner bei Massenansammlungen die Anwesenheit eines an Choleradiarrhöe
leidenden Menschen zur Infektion vieler Veranlassung geben kann, wie dies unzähligemale bei dem Zusammenströmen der Pilger
in Mekka und anderwärts beobachtet wurde, so ist zu Cholerazeiten der Zusammenfluß größerer Menschenmassen bei Volksfesten,
Jahrmärkten und Messen, Wallfahrten, Prozessionen u. dgl. nach Kräften zu verhindern; ebenso müssen größere Truppenbewegungen,
wenn nicht taktische Gründe im Kriege dazu zwingen, ganz unterbleiben. Da der Krankheitskeim auch durch Obst, frisches Gemüse,
Butter, Weichkäse, Leib- und Bettwäsche, gebrauchte Kleider, Hadern und Lumpen importiert werden kann, so ist die Einfuhr
derselben aus Choleraländern sowie auch aus Choleraorten des eigenen Landes mit allen Mitteln zu verhindern. Die Leichen sollen
mit Sublimatlösung gewaschen und in besondere Räume gebracht, jede Ausstellung derselben streng verboten und das Leichengefolge
möglichst beschränkt werden. Alle minder wertvollen verbrennbaren Effekten der Erkrankten und Verstorbenen müssen, wenn
sie auch nur der Infektion verdächtig
^[Artikel, die man unter C vermißt, sind unter K aufzusuchen.]
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sind, durch Feuer vernichtet, die übrigen durch heiße Dämpfe oder trockne Hitze gehörig desinfiziert werden. Eine anderweitige,
nicht minder wichtige Aufgabe der Sanitätspolizei ist die Beruhigung des Publikums und die Bekämpfung der so schädlichen
Cholerafurcht durch geeignete Veröffentlichungen.
Was die individuellen Vorsichtsmaßregeln anlangt, so kann sich der Einzelne sehr wohl vor der Krankheit
schützen, wenn er beim ersten im Orte eintretenden und wirklich konstatierten Cholerafall sofort in eine entfernte gesunde
Gegend reist und nicht eher wieder heimkehrt, als bis die Krankheit völlig erloschen; reist er jedoch zu spät ab, so kann
er schon den Cholerakeim in sich aufgenommen haben; kehrt er zu früh zurück, so scheint er, vielleicht
durch die umgeänderte Lebensweise, sogar empfänglicher für das Choleragift geworden zu sein.
Für diejenigen, welche den infizierten Ort nicht verlassen können oder mögen, verdient die strengste Beobachtung von Mäßigkeit
und Vorsicht jeder Art, insbesondere durch Vermeiden von Erkältungen, Diätfehlern und allen Excessen,
das meiste Vertrauen. In keiner Weise ändere man seine gewohnte Lebensweise, wenn sie sonst normal und vernünftig ist. Abgesehen
davon, daß man jede unnütze Berührung mit Kranken meiden und sich nicht mutwillig durch Benutzung fremder Aborte der Gefahr
einer Ansteckung aussetzen soll, vermeide man sorgfältig alles, was erfahrungsgemäß leicht dünnen
Stuhlgang bewirkt, zumal schwer verdauliche Speisen sowie saftreiche, durch ihren Wasserreichtum leicht Durchfall erregende
Früchte (Pflaumen, Gurken, Melonen).
Alle Speisen sowie das Trinkwasser dürfen nur nach gründlichem Kochen genossen werden. Als Getränk wähle man nur abgekochtes
Wasser, ein Glas guten Rotwein, Rum oder kräftiges, nicht junges Bier; schlechtes Bier dagegen ist sehr
schädlich. Weiterhin ist Warmhalten der Füße und des Leibes durch Flanell und wollene Leibbinden dringend anzuraten. Man
wasche sich täglich öfters die Hände und reinige sie insbesondere vor jeder Mahlzeit auf das sorgfältigste mit Wasser und
Seife.
Wer mit Cholerakranken in Berührung gekommen, wechsele vor der Mahlzeit seine Kleidung und bediene sich
zur Reinigung seiner Hände einer Sublimat- oder Carbolsäurelösung. Auch beim leichtesten und anscheinend unverdächtigsten
Durchfall schicke man sofort zum Arzte, weil sich eine leichte Diarrhöe leicht in eine Choleradiarrhöe mit nachfolgendem
Anfall umwandelt, lege sich zu Bett, trinke einige Tassen heißen schwarzen Kaffee oder Pfefferminzthee und
nehme von den «Choleratropfen», die man sich im voraus von seinem Arzte verschreiben lassen muß.
Die Behandlung der wirklich ausgebrochenen Krankheit selbst darf indes unbedingt nur Sache des Arztes sein. Gegen den Choleradurchfall
erweisen sich Opiumpräparate am wirksamsten, in neuester Zeit wird auch das Kalomel warm empfohlen; ital. Ärzte rühmen
Darmeingießungen von lauwarmer Tanninlösung oder auch von desinfizierenden Flüssigkeiten. Die Kranken werden außerdem in
warme Tücher eingewickelt, frottiert oder mit warmem Öl eingerieben; auch heiße Bäder sind mitunter nützlich.
Gegen den quälenden Durst dienen Eispillen, gegen das Erbrechen und die schmerzhaften Wadenkrämpfe subkutane Morphiumeinspritzungen.
Je mehr die Herzthätigkeit sinkt, um so mehr müssen kräftige Reizmittel (Wein, starker Kaffee, eiskalter
Champagner, Kampfer- oder Äthereinspritzungen) in Anwendung kommen. Um der drohenden Eindickung
des Blutes vorzubeugen, hat
man die Einspritzung großer Mengen einer schwachen Kochsalzlösung unter die Haut oder direkt in die Blutadern empfohlen und
in vielen Fällen mit Erfolg ausgeführt.
Litteratur. Lebert, Vorträge über die Cholera (Erlang. 1854);
Griesinger, Infektionskrankheiten (ebd. 1864);
Pettenkofer, Choleraregulativ (mit Griesinger und Wunderlich, Münch. 1867);
ders., Was man gegen die Cholera thun kann (ebd. 1873);
ders., Verbreitungsart der Cholera in Indien (nebst Atlas, Braunschw. 1871);
ders., Über den gegenwärtigen Stand der Cholerafrage
(Münch. 1873 u. 1887);
ders., Über Cholera (ebd. 1893);
Amtliche Denkschrift über die Choleraepidemie 1892 (ebd.
1893);
Bellew, Nature, causes etc. of the Cholera in India 1862-81 (Lond. 1887);
Cunningham, Die Cholera. Was kann der Staat thun, sie
zu verhüten? (mit Vorwort von Pettenkofer, Braunschw. 1885).
Die Arbeiten Kochs über die Cholera finden sich in der Denkschrift der Cholerakommission für das Deutsche Reich
(Berl. 1873), in dem Berichte der Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage (ebd. 1884), in der «Deutschen Medizinischen Wochenschrift»
(Jahrg. 1885) und in den «Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte» (Bd.
3, Berl. 1888).