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fort und fort Bereicherungen zuflossen, wurde für sie die Einführung der schmerzstillenden Mittel durch Entdeckung der Wirkung der Schwefeläther- und Chloroformeinatmungen wahrhaft epochemachend. (S. Anästhesieren.) Der humane Fortschritt unserer Zeit zeigte sich auch darin, daß man daran ging, einen Teil des ausgedehnten Gebietes der Militärchirurgie, nämlich die Einrichtung des Sanitätswesens der Heere, zeitgemäß zu reformieren. Diese Bestrebungen fanden ihren Ausdruck in den Beratungen eines internationalen Kongresses, der auf Anregung Dunants und Appias im Okt. 1863 zu Genf [* 2] zusammentrat. (S. Genfer Konvention.)
Von besonderer Wichtigkeit sind die Neuerungen, welche der amerik. Bürgerkrieg in der Art und Beschaffenheit der Krankenhäuser angebahnt hat. Schon lange hatte man bemerkt, daß die Sterblichkeit der Verwundeten selbst in anscheinend gut eingerichteten Anstalten größer war, als man sie nach der Beschaffenheit der Verletzungen erwarten sollte. Vor allem handelt es sich hier um die Entwicklung und Anhäufung von mikroskopisch kleinen Pflanzen, Pilzen (s. Bakterien), und man erkannte in der neuern Zeit immer mehr, daß die Wundkrankheiten und Vergiftungen der Körpersäfte, daß jede Entzündung und Eiterung durch diese allgegenwärtigen Bakterien verursacht werden.
Mit dieser Erkenntnis war auch die Möglichkeit gegeben, die Krankheiten der Wunde zu verhindern und schon vorhandene noch zu heilen. Die Bakterien gelangen namentlich aus der Luft zu den organischen Stoffen (Wundsekreten) und gehen von den ausgetrockneten zersetzten Substanzen aus wieder in die Luft über, sodaß sie, als feinster Staub in der Luft suspendiert, vermöge ihrer giftigen Eigenschaften je nach ihrer specifischen Natur diese oder jene accidentelle Wundkrankheit hervorzurufen im stande sind. Vorkehrungen, welche die Luft in den mit Verwundeten belegten Räumen von den Emanationen organischer Substanzen möglichst rein zu erhalten im stande sind, werden daher das Auftreten der accidentellen Wundkrankheiten wenn nicht ganz verhindern, so doch auf ein ganz geringes Maß zurückführen. Diese Bemühungen haben in den sog. Barackenspitälern eine feste Gestalt gewonnen. (S. Baracke und Barackensystem.)
Neben den Bestrebungen, den Verlauf schwerer Wunden durch zweckmäßige Einrichtung der Hospitäler günstig zu gestalten, ging eine andere Reihe von Versuchen, welche die Wunde selbst zum Objekt ihres Angriffs machten und das Ziel verfolgten, den mikroskopischen Pilzen ganz und gar den Zutritt zur Wunde zu verwehren, oder dieselben, wenn sie bereits eingedrungen, unschädlich zu machen. Dies sind die Voraussetzungen der Versuche, aus denen die durch Joseph Lister (s. d.) eingeführte Methode der antiseptischen Wundbehandlung hervorgegangen ist.
Das Wesen der Antisepsis besteht in Desinfektion [* 3] des Operationsgebietes, der Hände des Operateurs, der Instrumente, Schwämme [* 4] u. s. w. Nach Beendigen der Operation wird die Wunde durch antiseptische Lösungen (Carbolsäure, Sublimat u. s. w.) desinfiziert und schließlich mit einem antiseptischen Deckverband versehen. Infolge dieser Behandlung wird die Entstehung der Eiterung und sonstiger Wundkrankheiten sicher vermieden, die größten Operationswunden heilen in kürzester Zeit durch direkte Verklebung. In neuerer Zeit ist für die Operationstechnik an Stelle der frühern Antisepsis die Asepsis getreten, d. h. man operiert unter peinlichster Reinlichkeit (Asepsis) des vorher gründlichst desinfizierten Operationsgebietes mit sorgfältigst desinfizierten Händen und Instrumenten.
Die letztern werden durch Kochen in 1 Proz. Sodalösung keimfrei gemacht (sterilisiert), das Verbandmaterial wird durch heißen Wasserdampf von den Bakterien befreit, die giftigen antiseptischen Mittel (Carbolsäure, Sublimat) werden von der Wunde ferngehalten. Verletzungen, unreine, infizierte Wunden werden noch wie früher nach den Regeln der Antisepsis gereinigt, d. h. keimfrei gemacht. Mit Hilfe der antiseptischen und aseptischen Wundbehandlungsmethode hat die heutige Chirurgie die gewaltigsten Fortschritte gemacht; es werden jetzt Operationen ausgeführt, die man früher nie für möglich gehalten hätte. Andererseits hat aber auch die konservative Chirurgie an Gebiet gewonnen, da mit Hilfe der Antisepsis und Asepsis gegenwärtig Organe, Gelenke, ganze Extremitäten erhalten werden in Fällen, in denen es früher nicht möglich war.
Von technischen Fortschritten der neuesten Zeit sind namentlich hervorzuheben die Entwicklung der Laryngoskopie und Laryngochirurgie, d.i. die Erkenntnis der Kehlkopfkrankheiten mit Hilfe des Kehlkopfspiegels (Garcia, Czermak) und deren operative Behandlung unter Leitung des Spiegels (Dürck, von Bruns u. a.); die Galvanokaustik (Middeldorpf), welche darin besteht, daß man mit galvanisch glühend gemachten Instrumenten von Platin Operationen auf unblutige Weise ausübt.
Wie erwähnt, wurde die chirurg. Operationstechnik in vorzüglichster Weise ausgebildet, besonders auch die Operationen an den innern Organen, z. B. am Gehirn, [* 5] an den Lungen, in der Brust- und Unterleibshöhle mit ihren verschiedenen Organen, die operative Behandlung der Frauenkrankheiten (Gynäkologie), die plastische Chirurgie. Die letztere beschäftigt sich mit Operationen, durch welche Substanzverluste (Gewebsdefekte) ersetzt werden. Zu ihr gehört z. B. die Lippenbildung oder Cheiloplastik, die Augenlidbildung oder Blepharoplastik, die Gaumenbildung oder Uranoplastik und Staphylorraphie, endlich die Nasenbildung oder Rhinoplastik, d. i. die Kunst, verstümmelte Nasen wiederherzustellen.
Die Überhäutung großer Wundflächen beschleunigt man durch Aufheilen feinster Hautstücke (Haut-Transplantation von Réverdin und Thiersch) u. s. w. Endlich sei noch erwähnt die Verbesserung der Lokal-Anästhesie, d.h. die schmerzlose Ausführung von Operationen unter Anwendung des Äthersprays (zerstäubten Äthers) oder des Cocains u. s. w. Durch die Antisepsis und Asepsis ist die gesamte chirurg. Operationstechnik so vorzüglich ausgebildet, daß die Sterblichkeit selbst bei schweren, früher meist tödlich verlaufenen Operationen, wie z.B. bei Kropf, bei Geschwülsten des Unterleibs u. s. w., äußerst gering ist.
Die Technik der Militär- und Kriegschirurgie, in Bezug auf Verband [* 6] und Operation, hat besonders in Deutschland [* 7] namhafte Vertreter, wie Stromeyer, von Langenbeck, von Esmarch, H. Fischer u. a. Die operative Technik an den Extremitäten erfuhr eine sehr wesentliche Verbesserung durch das von Esmarch eingeführte Verfahren zur Herstellung einer künstlichen Blutleere an den Teilen, an welchen zu operieren ist (s. Amputation). Unter den vielen bedeutenden Chirurgen der Neuzeit, denen die Chirurgie wichtige Arbeiten verdankt, sind außer den schon genannten noch anzuführen: Billroth, von Bardeleben, R. von Volkmann, Pitha, von Nußbaum, Thiersch, Hüter, Lücke,
^[Artikel, die man unter C vermißt, sind unter K aufzusuchen.] ¶
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Socin, von Bergmann, Albert, Czerny, Koenig, Kocher, Gussenbauer, Küster, Mikulicz, H. Braun, Wölfler, Bruns, Trendelenburg, Schede, Tillmanns, von Bramann, Hahn, [* 9] Heineke, Riedel, Angerer, Madelung, Krönlein u. a., ganz abgesehen von den engl., amerik., franz., ital. und russ. Chirurgen.
Die deutschen Chirurgen traten auf die Anregung Bernhard von Langenbecks 1872 zu der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie zusammen, welche alljährlich in Berlin [* 10] einen starkbesuchten Chirurgenkongreß abhält. Über die auf diesem Kongreß gehaltenen Vorträge und Demonstrationen geben die alljährlich erscheinenden «Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie» eingehenden Bericht. Die Gesellschaft tagt seit 1892 in einem eigenen Hause in Berlin, im Langenbeck-Haus.
Litteratur. Sprengel, Geschichte der Chirurgie (2 Bde., Halle [* 11] 1805‒19);
Häfer, Übersicht der Geschichte der Chirurgie und des chirurg. Standes (in Billroth und Lückes «Deutsche [* 12] Chirurgie», Lfg. 1, Stuttg. 1879);
Fischer, Chirurgie vor hundert Jahren.
Histor. Studie (Lpz. 1876);
W. Busch, Handbuch der Chirurgie (2 Bde., Berl. 1860);
Wernher, Handbuch der allgemeinen und speciellen Chirurgie (4 Bde., Gießen [* 13] 1846‒57; zum Teil in 2. Aufl., 1862‒63);
Stromeyer, Handbuch der Chirurgie (2 Bde., Freib. i. Br. 1844‒68);
Pitha und Billroth, Handbuch der allgemeinen und speciellen Chirurgie (4 Bde., Stuttg. 1865‒81);
Hueter, Die allgemeine Chirurgie (Lpz. 1873);
Hueter-Lossen, Grundriß der Chirurgie (6. Aufl., 2 Bde., ebd. 1888‒90);
Bardeleben, Lehrbuch der Chirurgie und Operationslehre (8. Aufl., 4 Bde., Berl. 1879‒82);
Roser, Handbuch der anatomischen Chirurgie (7. Aufl., Tübing. 1875);
Billroth, Die allgemeine chirurg. Pathologie und Therapie (15. Aufl., von von Winiwarter, Berl. 1893);
König, Lehrbuch der allgemeinen und speciellen Chirurgie (5. Aufl., 3 Bde., ebd. 1893);
Albert, Lehrbuch der Chirurgie und Operationslehre (4. Aufl., 4 Bde., Wien [* 14] 1892);
Billroth und Lücke, Deutsche Chirurgie (Stuttg. 1879 fg.);
Tillmanns, Lehrbuch der allgemeinen und speciellen Chirurgie (3. Aufl., Lpz. 1893 fg.);
Landerer, Handbuch der allgemeinen chirurg. Pathologie und Therapie (Wien 1889);
Leser, Die specielle Chirurgie in 50 Vorlesungen (Jena [* 15] 1890);
H. Fischer, Lehrbuch der allgemeinen und speciellen Chirurgie (2 Bde., Stuttg. 1887 und Berl. 1892);
Treves, Handbuch der chirurg. Operationslehre (aus dem Englischen von Teuscher, 2 Bde., Jena 1892‒93);
Esmarch und Kowalzig, Chirurg.
Technik (4. Aufl., Kiel [* 16] 1893 fg.).
– Zeitschriften: «Archiv für klinische Chirurgie» (Berl. 1860 fg.),
«Deutsche Zeitschrift für Chirurgie» (hg. von Lücke und Rose, Lpz. 1872 fg.),
«Centralblatt für Chirurgie» (ebd. 1874 fg.) u. a.