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erscheinen, den Satan auf 1000 Jahre fesseln, das röm. Heidenreich stürzen und die Weltherrschaft der Gläubigen beginnen. Nach Ablauf [* 2] dieser 1000 Jahre sollte Satan auf kurze Zeit loskommen, aber bald besiegt werden und nach der zweiten Auferstehung und dem Endgericht die ewige Seligkeit der Frommen in dem auf die Erde herabgestiegenen himmlischen Jerusalem [* 3] anheben. Der Chiliásmus war in den beiden ersten Jahrhunderten der christl. Kirche, namentlich in judenchristl. Kreisen, allgemeiner Glaube.
Selbst sinnliche Hoffnungen der krassesten Art fehlten nicht. Ein Kirchenlehrer des 2. Jahrh. versichert, es aus des Johannes eigenem Munde gehört zu haben, daß im Messiasreiche ungeheuere Kornähren und Weinstöcke wachsen und den Frommen ihre Früchte ohne Mühe zum Genusse entgegenbringen würden. Als gegen Mitte des 2. Jahrh. diese Hoffnungen weiter in die Ferne zurücktraten, kündigten neue Propheten das Tausendjährige Reich in unmittelbarer Nähe an (so die angeblichen Prophetenbücher des Hermas und des Elxai, die Weissagungen des Montanus, s. Montanisten). Als auch diese Erwartung getäuscht ward, schob man die Zeit immer weiter hinaus.
Doch fehlte es schon seit der Mitte des 2. Jahrh. nicht an einer geistigern Auffassung der künftigen Dinge. Während die «rechtgläubigen» Kirchenlehrer des 2. Jahrh., Papias, Justin, Irenäus, Hippolyt, Tertullian Chiliasten waren, traten ihnen zuerst die Gnostiker (s. Gnosis) mit ihrer Lehre [* 4] von einer nur geistigen Fortdauer, dann namentlich Origenes entgegen. Seit dem 4. Jahrh. wurde bei den Orientalen die von ihm angebahnte geistige Auslegung der Offenbarung des Johannes ziemlich allgemein. Im Abendlande teilten noch Commodian (um 250) und Lactantius (um 320) die sinnliche Hoffnung der alten Kirche.
Erst seit das Christentum Staatsreligion geworden war, brauchte man das «Reich Gottes auf Erden» nicht mehr in der Zukunft zu suchen. Dennoch tauchte die chiliastische Hoffnung in Zeiten großer äußerer Bedrängnis von Zeit zu Zeit wieder auf, wie ums J. 1000 n. Chr., wo man dem Jüngsten Tage entgegensah; danach riefen die Kreuzzüge, die Kämpfe der Hierarchie mit dem Kaisertum, der Sittenverfall des Klerus, der Schwarze Tod u. s. w. ähnliche Erwartungen hervor.
Gegen Ende des 12. Jahrh. verkündigte Joachim von Floris (gest. um 1202) ein «Ewiges Evangelium» (s. d.), und bei verschiedenen, von der Kirche verfolgten Parteien regte sich die Hoffnung auf ein nahe bevorstehendes Zeitalter des Geistes. In der Reformationszeit ward der Chiliásmus, als die Wiedertäufer das Reich Christi in irdischer Herrlichkeit aufrichten wollten, von der Augsburgischen wie von der Helvetischen Konfession verworfen, weil das 1000jährige Reich nicht in der Zukunft, sondern in der Vergangenheit liege.
Dafür fand der um so eifrigere Pflege bei theosophischen Schwärmern des 17. Jahrh. Während der Religionskriege in Frankreich und Deutschland, [* 5] der Revolutionsstürme in England suchten die Verfolgten Trost in chiliastischen Träumen. Die Böhmischen und Mährischen Brüder, die Camisarden in den Cevennen und kleinere mystische und theosophische Parteien beschäftigten sich viel mit dem Chiliásmus, und in England suchten gelehrte Naturforscher, wie Thomas Burnet und William Whiston, ihn geologisch zu rechtfertigen.
Die bis in die Mitte des 18. Jahrh. sehr beliebten Grübeleien über die prophetischen Bücher der Bibel, [* 6] besonders über die Apokalypse, unterhielten namentlich in pietistischen Kreisen den Geschmack an chiliastischen Vorstellungen. Aber erst mit Joh. Albr. Bengel (s. d.) eroberte sich der Chiliásmus gewissermassen Bürgerrecht in der luth. Kirche. Bengel berechnete die Zeit, in der das Reich Christi anbrechen werde, auf das J. 1830. Ähnliche Weissagungen machten Lavater und Jung-Stilling, Oetinger (s. d.) ersann eine eigene Theorie von der «Leiblichkeit» als dem «Ende der Wege Gottes».
Später haben Hofmann, Delitzsch [* 7] und Kurtz unter den Lutheranern, Joh. Peter Lange, Ebrard, Auberlen u. a. unter den Reformierten, Rothe im Zusammenhange mit andern theosophischen Ideen einen zum Teil bis ins einzelne ausgemalten Chiliásmus vertreten. Die Mormonen endlich legten als die «Heiligen der letzten Tage» den Grund zu dem neuen Zion, von wo die Wiederverklärung der Natur zur verlorenen Paradiesesunschuld erfolgen soll. (S. auch Antichrist und Apokalyptiker.) -
Vgl. Corrodi, Kritische Geschichte des Chiliásmus (2. Aufl., 4 Bde., Zür. 1794);
I. ^[Ignaz] von Döllinger, kleinere Schriften: Der Weissagungsglaube und das Prophetentum in der christl Zeit (Stuttg. 1890).