also in der Menge von 271 Gewichtsteilen sich mit 1 Molekül Jodcalcium, bestehend aus:
1 Atom Calcium Ca = 40 Gewichtsteilen
+2 Atomen Jod J2 = 254"
also in der Menge von 294 Gewichtsteilen umsetzen und dadurch bilden:
1 Molekül Jodquecksilber, bestehend aus:
1 Atom Quecksilber = 200 Gewichtsteilen
+2 Atomen Jod = 254 "
also in der Menge von 454 Gewichtsteilen und 1 Molekül Chlorcalcium, bestehend aus:
1 Atom Calcium = 40 Gewichtsteilen
+2 Atomen Chlor = 71"
demnach in der Menge von 111 Gewichtsteilen.
Treten in einem chem. Prozesse unter den Ingredienzien oder Produkten mehrere
Moleküle auf, so wird der Formel der betreffenden Verbindung auf der Zeile die betreffende Ziffer vorgesetzt. Die multiplizierende
Wirkung dieser auf der Zeile stehenden Ziffern erstreckt sich nach rechts hin bis zum nächsten algebraischen Zeichen. So heißt
z. B.
2 HCl + Fe = FeCl2 + H2:
2 Moleküle Chlorwasserstoff liefern mit 1 Atom Eisen: 1 Molekül Eisenchlorür und 2 Atome Wasserstoff.
Soll dagegen die Multiplikation einer ganzen Formelsumme ausgeführt werden, so schließt man dieselbe in Klammern ein und
setzt den multiplizierenden Faktor entweder auf die Zeile vor den Ausdruck, oder unter (bez. über) die Zeile
dahinter. So bedeutet z. B. die Gleichung
daß 4 Moleküle Eisenvitriol (FeSO4 + 7 H2O) mit 1 Molekül Sauerstoff und 2 Molekülen Wasser sich zu 2 Molekülen des 14 Moleküle
Wasser enthaltenden basiscben Ferrisulfats verbinden können.
(grch.) wurde von ihrem Erfinder Chemitypie Piil, einem Dänen, die
Kunst genannt, durch ein chem. Verfahren Hochdruckplatten zum Abdruck von Illustrationen in der Buchdruckerpresse herzustellen.
Das Verfahren ist im wesentlichen folgendes: Auf einer blankpolierten Platte von reinem Zink wird in gewöhnlicher
Weise durch Gravierung und Ätzung eine vertiefte Zeichnung ausgeführt, welche einen Abdruck in der Kupferdruckerpresse geben
würde. Diese Zeichnung wird durch Einlöten eines leichtflüssigen Metalls (7 Teile Wismut, 16 Teile Zinn, 13 Teile Blei) ausgefüllt
und letzteres dann wieder genau bis auf die Oberfläche der Zinkplatte weggeschliffen, sodaß nur die
vertieften Züge ausgefüllt bleiben.
Wenn man sodann mit verdünnter Salpetersäure ätzt, die nur das Zink, jedoch nicht das ausfüllende Metall angreift, so
bleibt dieses als Relief stehen, indem es auf das genaueste die vorher vertieften Züge in hochstehenden Linien
wiedergiebt, sodaß die Platte nun in derselben Weise wie ein Holzschnitt sich behandeln läßt. Die Chemitypie hat jedoch nie vermocht,
dem Holzschnitt erfolgreich Konkurrenz zu machen, denn sie erreichte nie dessen Weichheit, auch hatten seine Lufttöne und
Ausgänge stets etwas Rohes und Dickes. Dagegen wurde sie viel
zur Herstellung von Karten und Plänen im
Buchdruck angewendet, während sie jetzt wohl überall durch die sehr vervollkommnete Zinkhochätzung (s. Zinkographie) ersetzt
ist.
1) Amtshauptmannschaft (ohne Stadt Chemnitz) in der sächs. Kreishauptmannschaft
Zwickau, hat (1890) 187 800 (91 749 männl., 96 051 weibl.) E., 3 Städte und 79 Landgemeinden.
2) Selbständige Stadt, erste Fabrikstadt Sachsens und eine der bedeutendsten Deutschlands, etwa 35 km von der österr. Grenze,
liegt in 306 m Höhe (Bahnhof), 50° 50' von Greenwich, in einer Einsenkung des Erzgebirgischen Beckens,
am gleichnamigen Flüßchen und hatte (1888) im Mittel eine Jahrestemperatur von etwa 7° C., einen Luftdruck von 734 mm und
eine Niederschlagsmenge von 637 mm sowie einen Flächenraum von etwa 15,36 qkm.
Bevölkerung. Chemnitz hatte 1840 : 23 476, 1864: 54 827, 1880: 95 123, 1885: 110 808, 1890: 138 954 (67 864 männl., 71 090 weibl.)
E., d. i. eine Zunahme (1885-90) von 28 146 (25,4 Proz.) oder jährlich 5629 Personen;
Geburten (1892) 6218, Sterbefälle 4586,
Eheschließungen 1236, Zuzug (1892) 20 891, Abzug 19 902. Dem Religionsbekenntnis nach waren 129 176 Lutherische, 7138 röm., 440 deutsche
Katholiken, 278 Reformierte und 953 Israeliten;
der Staatsangehörigkeit nach 5531 Österreicher, 364 Angehörige der übrigen
europ. Staaten und 69 Nichteuropäer. In Garnison (1717 Mann) liegt das Infanterieregiment Prinz Friedrich August von Sachsen
Nr. 104. Rechnet man zu der Einwohnerzahl von 1890 (138 954) noch diejenige der Ortschaften,
welche an Chemnitz angrenzen, mit der Stadt in regem Verkehr stehen, und deren Bewohner daselbst
Beschäftigung finden, nämlich Altchemnitz (6398 E.), Altendorf (3834), Bernsdorf (2080), Borna (2299), Furch (1907), Gablenz
(9857), Hilbersdorf (4893) und Kappel (5245), zusammen 36 513 E., so erhält man für Groß-Chemnitz eine Einwohnerzahl von 175 467.
Anlage. Plätze. Bauwerke. Die Stadt ist nur in ihrem Mittelpunkte, der ehemaligen Festung, ältern
Ursprungs; die Vorstädte sind erst in diesem Jahrhundert entstanden. Etwa 50 ha des Weichbildes sind von freien Plätzen
und Promenaden bedeckt; zu nennen sind die Schloßteichanlagen, der Stadtpark, der große Festplatz am Küchwald und der
mit der Petrikirche besetzte Schillerplatz in der Nähe des Hauptbahnhofs. Chemnitz hat 7 evang.
Kirchen, darunter die Jakobikirche aus dem J. 1389, im 18. Jahrh. und 1879-80 abermals
im got. Stile umgestaltet, mit einem Gemälde von Lukas Kranach dem Ältern in der Sakristei; die 1514-25 in spätgot.
Stil vollendete Schloßkirche mit beachtenswertem Portal und Bildern der alten frank. Schule; die 1888 erbaute
got. Kirche St. Nikolai auf dem Niklasberge von Schramm und die ebenfalls neue Petrikirche von Enger; ferner eine kath.
Kirche. Von weltlichen Bauten sind zu erwähnen das alte spätgot. Rathaus mit Laubengängen und hohem Turm am Markt und das neue
Rathaus an der Poststraße, die Post, das Reichsbankgebäude, das auf dem Kaßberg, der Centralbahnhof,
die königl.
mehr
technischen Staatslehranstalten am Schillerplatz, das Hospital St. Georg, das Theater, die Börse, der großartige, vom Stadtbaurat
Hechler angelegte Schlacht- und Viehhof, die Gebäude der von Zimmermannschen Naturheilanstalt, einer mit etwa 750000 M. ausgestatteten
Stiftung des Geh. Kommerzienrats von Zimmermann, das Hedwigbad mit dem größten überdachten Schwimmbassin Deutschlands und
das neue Gesellschaftshaus der Kasinogesellschaft. (Hierzu: Stadtplan.)
Verwaltung. Die Stadt wird verwaltet durch einen Oberbürgermeister (Dr. André, lebenslänglich, 12000 M.), einen Bürgermeister
(Stadler), 6 besoldete Stadträte, darunter 1 Baurat, und 16 unbesoldete Stadträte, einen Polizeidirektor und 48 Stadtverordnete.
Dem Feuerschutz dient eine Berufs- und eine freiwillige Feuerwehr mit 89 in allen Teilen der Stadt aufgestellten
elektrischen Feuermeldern und 752 Hydranten. Das städtische Wasserwerk (Anlagekosten über 4 Mill. M.) führt aus dem Gebirge
das nötige Wasser zu und wurde 1890 mit einem Aufwand von 1300000 M. durch eine Thalsperre vergrößert. Die städtischen
Gasanstalten liefern jährlich etwa 8 Mill. cbm Gas, darunter 1,447 Mill. cbm für die öffentliche Beleuchtung.
Ein städtisches Elektricitätswerk zur Abgabe von Licht und Kraft an Private ist im Bau.
Finanzen. Das Vermögen betrug (Ende 1892) 13783496 M., die Anleiheschulden 13 ¾ Mill. M. An direkten Gemeinde- und
Schulanlagen wurden (1892) 2140581 M., an Kirchenanlagen 186460 M. vereinnahmt; die Bedürfnisse der polit.
Gemeinde betrugen 6793487 M., die der Schulgemeinde 1231616 M., denen Deckungsmittel in Höhe von 6780138 M. und 1320069
M. gegenüberstanden.
Behörden. Chemnitz ist Sitz der Amtshauptmannschaft Chemnitz, eines Landgerichts (Oberlandesgericht Dresden) mit 16 Amtsgerichten (Annaberg,
Augustusburg, Burgstädt, Chemnitz, Ehrenfriedersdorf, Frankenberg, Limbach, Mittweida, Oberwiesenthal, Penig, Rochlitz, Scheibenberg,
Stollberg, Waldheim, Wolkenstein, Zschopau), 5 Civil-, 5 Straf- und 2 Kammern für Handelssachen (569250
Gerichtseingesessene), eines Amtsgerichts (190994), eines Zollamtes, eines Hauptsteueramtes, einer Eisenbahnbetriebs-Oberinspektion
(375,58 km Bahnlinien), zweier Bezirksschulinspektionen, je einer königl. Gewerbe-, Berg-, Straßen- und Wasserbau- und Brandversicherungs-Inspektion
sowie eines Landbauamtes.
Schul- und Bildungswesen. Chemnitz hat ein königl. Gymnasium (1868 eröffnet, Rektor
Dr. Arnold, 34 Lehrer, 18 Klassen, 463 Schüler), ein Realgymnasium, 1857 gestiftet (Rektor Dr. Pflüger, 26 Lehrer, 17 Klassen, 411 Schüler),
Realschule (1893 eröffnet), technische Staatslehranstalten mit höherer Gewerbe-, Baugewerken-, Werkmeister-, Müller-, Färber-,
Seifensieder- und Gewerbezeichenschule, eine höhere städtische Webe-, eine Wirk-, eine landwirtschaftliche Schule, eine
höhere Knaben-, 2 höhere Mädchenschulen, ein Kindergärtnerinnenseminar, 15 Bezirksschulen (1892: 21950 Schüler)
mit 2 Abteilungen für hauswirtschaftlichen und Kochunterricht, eine kath. Volksschule, Fachschulen für Weber, Schneider, Maler,
Glaser, Barbiere und Friseure, Droguisten und Gastwirte, eine vom Handwerkerverein gegründete Handwerkerschule mit Abteilung
für Mädchen, eine Abendnähschule und mehrere Privatlehranstalten. Im Handwerkervereinshaus befindet sich das Gewerbemuseum,
in dem Gebäude des Vereins
«Kunsthütte» eine Kunstsammlung und die städtischen naturwissenschaftlichen
Sammlungen; im alten Schloß das königl. Meteorologische Institut. Ferner besitzt die Stadt eine Stadtbibliothek (26000 Bände),
ein Stadttheater und ein Sommertheater im Tivoli. In C. erscheinen vier polit. Zeitungen.
An Vereinen bestehen 2 Freimaurerlogen, 33 Spar-, 7 Konsumvereine, eine Orts-, 4 Innungskrankenkassen, 69 Betriebskrankenkassen
und Begräbnisunterstützungsvereine, 22 Militärvereine, 66 Musikvereine sowie 65 Vereine für Kunst und Wissenschaft, darunter
die Kunsthütte und der Verein für Chemnitzer Geschichte, beide mit umfangreichen Sammlungen.
Wohlthätigkeitsanstalten. Chemnitz, dessen Armenpflege nach Elberfelder System eingerichtet ist, besitzt verschiedene größere
städtische Armen- und sonstige gemeinnützige Anstalten, z. B. die städtische
Leihanstalt, ein Versorghaus für Erwachsene, ein Kinderversorghaus, ein Waisenhaus, eine städtische Speiseanstalt, zwei
öffentliche Volksbäder, außerdem aber auch eine beträchtliche Zahl von Wohlthätigkeits- und Unterstützungsvereinen (60),
darunter den Verein zu Rat und That mit eigenem Grundstück, in dem sich ein Knabenhort befindet, den Frauenverein, der 2 Mädchenhorte
unterhält, 5 Kinderbewahranstalten, 3 Volkskindergärten, 1 Herberge zur Heimat, 1 Mägdeherberge, Marthaheim
genannt, und 1 Albertzweigverein.
Industrie und Gewerbe. Chemnitz ist in erster Linie Industriestadt; dem Emporblühen der Großindustrie verdankt es in der Hauptsache
sein schnelles Wachstum. Als Hauptindustriezweige sind zu nennen: Eisengießerei, Lokomotiven- sowie Maschinenbau aller Art,
Baumwollspinnerei, Weberei, hauptsächlich von Möbelstoffen, Tischdecken, Portieren, Wirkwarenfabrikation,
besonders Strumpf-, Handschuh- und Tricotstofffabrikation, Färbereien und Appreturen, chem. Industrie, Buchdruckergewerbe,
Kartonnagenfabrikation.
Hauptfirmen sind: Sächsische Maschinenfabrik, vormals Richard Hartmann (gegen 4000 Arbeiter), Sächsische Webstuhlfabrik,früherL. Schönherr, Chemnitzer Werkzeugmaschinenfabrik, früher J. ^[Johann] Zimmermann, Maschinenfabrik Germania, Dampf-
und Spinnerei-Maschinenfabrik (O. Schimmel & Co.), Chemnitzer Aktienspinnerei (über 80000 Spindeln),
Webereien von Wilhelm Vogel, Eduard Lohse, R. Hösel & Co., Joh. Giehler, Strumpfwarenfabrikation von Moritz Sml.
Esche, Ed. Creutznach Nachfolger, Hermann Stärker, Wex u. Söhne; Handschuhfabrikation: Heinr. Gulden, Gebr. Herfurth, Hoffmann
& Müller;
Tricotagen: William Jansen;
Färbereien: Chemnitzer Aktienfärberei und Appreturanstalt, Louis Hermsdorf, Gebrüder
Lohse;
Tintenfabrik: Eduard Beyer;
Orseille und Anilinfarbe: Theodor Peters;
Buchdruckerei: J. ^[Julius] Chemnitz F.
Pickenhahn u. Sohn;
Weberei für Kleiderstoffe von Ferd. Waldau.
Die Fabrikation von Wirkwaren, deren Mittelpunkt Chemnitz ist und
die (1890) 50000 Arbeiter beschäftigte und etwa für 70 Mill. M. (1851: 7½ Mill. M.) Ware fertig stellte, darunter etwa 13 Mill.
M. Handschuhe, hat jedoch ihren Schwerpunkt in den Dörfern und einigen benachbarten kleinen Städten und ist noch immer wesentlich
Hausindustrie. Der Übergang zum Großbetrieb vollzieht sich nur langsam, und letzterer stellt nur gewisse Massenartikel
und Neuheiten her. Die meisten der sog. Fabrikanten sind jedoch thatsächlich nur Händ-
^[Artikel, die man unter C vermißt, sind unter K aufzusuchen.]
mehr
ler, die die Appretur der bezogenen Waren und die mannigfaltige Verpackung besorgen (1890: etwa 3500 Arbeiter). Die Möbelstofffabriken
beschäftigten (1890) etwa 3300 Arbeiter und lieferten für mehr als 20 Mill. M. Waren, die andern Webereien beschäftigten
600, die Färbereien und Appreturanstalten 2300 Arbeiter. Von den (1890) 12800 im Maschinenbau beschäftigten
Personen entfallen 5600 auf den Bau von Maschinen für Spinnerei, Weberei, Wirkerei, Strickerei und Appretur, 2500 auf Werkzeugmaschinenbau, 2700 auf
den allgemeinen Maschinenbau (Dampfkessel, Dampfmaschinen, Pumpen, Spritzen u. s. w.), 500 auf den Bau von Brauereimaschinen.
Die Gesamtproduktion des Maschinenbaues beträgt (1889) etwa 27 Mill. M. (1851: 4 Mill. M.). Am wurden
in Gewerbsanlagen, die mindestens 10 Arbeiter beschäftigen oder doch Dampfkessel oder Wind-, Wasser-, Gas-, Heißluftmaschinen
benutzen, gezählt 24087 männliche und 10565 weibliche Arbeiter, von diesen 34652 waren über 21 J. alt 22849, zwischen 16 und 21 Jahren:
7476, 14-16 Jahre: 3365, 12-14 Jahre: 962. Chemnitz ist Sitz der 9. Sektion der Papiermacher-
und der 4. Sektion der Sächsischen Baugewerks-Berufsgenossenschaft.
Handel. Der Handel bewegt sich hauptsächlich in Rohmaterialien und Halbfabrikaten, zum Teil auch in Ganzfabrikaten der genannten
Industriezweige sowie in Getreide und Petroleum. Größere Buch- und Kunsthandlungen bestehen 10, Musikalienhandlungen 2. An
Banken bestehen eine Reichsbankstelle (Gesamtumsatz 1892: 983½ Mill. M.), Chemnitzer Stadtbank (118½
Mill. M.), Chemnitzer Bankverein (183½ Mill. M.), Chemnitzer Viehmarktsbank mit dem Sitz im Schlacht- und Viehhof, Filialen
der Sächsischen Bank zu Dresden und des Dresdener Bankvereins sowie 9 kleinere Bankgeschäfte. Sämtliche Industriezweige,
mit Ausnahme der Appretur und teilweise der Färberei, exportieren. Die Ausfuhr aus dem Konsulatsbezirk
Chemnitz nach den Vereinigten Staaten von Amerika betrug ohne Glauchau (1892) 27 Mill. M. In C. besteht eine Handels- und Gewerbekammer
für die Stadt Chemnitz, die Amtshauptmannschaften Chemnitz, Flöha, Marienberg, Annaberg, Borna, Döbeln, Rochlitz und Glauchau.
Verkehrswesen. Der wiederholt, zuletzt 1888 erweiterte und zur Verbindung zweier Stadtteile untertunnelte
(230000 M. Kosten) Centralbahnhof im O. der Stadt, nahe dem Schillerplatz, nimmt folgende Linien der Sächs. Staatsbahnen
auf: Chemnitz-Dresden (79,7 km), Chemnitz-Annaberg-Weipert (74,60 km), Chemnitz-Döbeln-Riesa (66,10 km), Chemnitz-Zwickau-Reichenbach (71,5 km), Chemnitz-Aue
(50,93 km), Leipzig-Kieritzsch-Chemnitz (83 km), Chemnitz-Reitzenhain-Komotau (48 km) sowie die Nebenlinien Chemnitz-Wittgensdorf-Limbach (16,7
km), Chemnitz-Hainichen-Roßwein (46 km) und Chemnitz-Stollberg (33,1 km); außerdem besteht im S. der Stadt der Haltepunkt
Nikolaivorstadt. 1890 verkehrten auf dem Haupt- (und dem mit ihm verbundenen Werkstätten-) Bahnhof insgesamt 88220, d. i.
täglich 242 Züge, mit 1584472 Wagen.
Die 1133761 Fahrkarten brachten 1,972 Mill. M. ein. Im Güterverkehr gingen ein 406094 t, aus 409259 t. Eine
Pferdebahnlinie durchzieht die Stadt vom Schlachthof (im NO.) bis nach dem Vorort Schönau (SW.); gleichzeitig ist eine neue
Linie von Altendorf durch die Hartmannsstraße über den Markt und die Reitbahnstraße entlang nach dem neuen Friedhof angelegt
worden; auf beiden Linien ist elektrischer Betrieb eingerichtet. Ausserdem besteht
ein lebhafter Omnibusverkehr
mit den entferntern Ortschaften.
Den Post- und Telegraphenverkehr vermitteln 2 Postämter erster, 4 Postämter zweiter Klasse und ein Telegraphenamt mit insgesamt 109 Beamten
und 211 Unterbeamten. 1890 gingen ein 8238700 Briefe, Postkarten, Drucksachen und Warenproben, 709066 gewöhnliche und Wertpakete, 62290 Geldbriefe, 67594 Nachnahmesendungen, 28580 Postaufträge
im Werte von über 4½ Mill. M., Postanweisungen im Betrage von 33,089 Mill. M. und 2750110 Zeitungsnummern.
Abgesandt wurden 9910900 Briefe u. s. w., 912629 Pakete, 67940 Geldbriefe, Anweisungen im Betrage von 23,681 Mill. M. 1890 kamen
an 123022 Telegramme, gingen ab 112252. Die Stadtfernsprecheinrichtung umfaßt über 1100 Sprechstellen.
Geschichte. Die Stadt hat ihren Namen von dem Flusse Chemnitz (kurz nach 1000 Camenizi, d. i. Steinfluß). Ein
offener Ort (locus Kameniz) bestand indes bereits, als Kaiser Lothar (gest. 1138) hier ein Benediktinerkloster, jetzt Schloß
Chemnitz, stiftete und dasselbe mit jener Ortschaft wie mit ausgedehnten Gütern in der Umgegend ausstattete, die damals Reichsgut
war. Indem König Konrad III. dann 1143 dem Kloster das Marktrecht verlieh, gab er den ersten Anlaß zur
Begründung einer größern städtischen Niederlassung an der Stelle der heutigen Altstadt.
Das rasche Aufblühen derselben wird im 13. Jahrh. durch die Existenz der Pfarrkirche zu St. Jakob (erwähnt 1254) und einer
zweiten Kirche zu St. Johannis (extra muros) bezeugt (1264). In derselben Zeit erscheint Chemnitz als
befestigter Ort (civitas, 1254); 1298 hat es ausgebildete städtische Verwaltungsbehörden (magister civium, consules, d.
i. Bürgermeister und Ratsherren). Als das Pleißnerland, zu dem Chemnitz damals gehörte, 1290 an das Reich zurückgenommen wurde,
erhielt Chemnitz (Kemnicz) die Eigenschaft einer Reichsstadt, kam aber am Anfange des 14. Jahrh.
mit dem Pleißnerlande endgültig an die Wettiner. 1414 erhielt es sein ältestes Stadtrecht.
Neben der uralten Leinweberei und einer ausgedehnten, durch Regierungsmonopole geschützten Bleicherei erreichte das Tuchmachergewerbe
bald einen für damalige Zeiten großartigen Umfang, und als die Stadt 1485 bei der Teilung Sachsens an die
Albertinische Linie kam, war sie eine der blühendsten im Meißnerlande. 1539 wurde durch Heinrich den Frommen die Reformation
eingeführt und 1546 das reiche, bei der Stadt befindliche, von Lothar 1125 begründete Benediktinerkloster (Schloßchemnitz)
aufgehoben. Im Dreißigjährigen Kriege wurde die Stadt 1633-36 fast gänzlich zerstört; erst in der letzten Hälfte des 17. Jahrh.
erhob sich die Baumwollweberei als ein neuer Nahrungszweig, welcher 1739 schon 2000 Stühle beschäftigte und 20 Jahre später
alle deutschen Konsumtionsplätze mit rohen Kattunen versorgte. Chemnitz wurde 1765 Sitz der in den umliegenden Dörfern verbreiteten
Strumpfwirkerei.
Schlüssel aus Hamburg legte hier 1770 die erste sächs. Zeugdruckerei an. Die engl.
Piquéweberei wurde 1775, die engl. Handspinnmaschine 1790 durch Forkel und Irmscher, die Baumwollmaschinenspinnerei nach
Arkwrightschem System 1799 durch Wöhler und Whitfield eingeführt. Alle diese Gewerbe erhoben Chemnitz während der Kontinentalsperre
zur höchsten Blüte, die aber nach dem Pariser Frieden durch die unglückliche Handelspolitik des Landes erheblich beeinträchtigt
wurde, bis Chemnitz 1834
^[Artikel, die man unter C vermißt, sind unter K aufzusuchen.]
mehr
nach dem Beitritt Sachsens zum Zollverein, besonders durch den mächtigen Aufschwung des Maschinenballes von neuem aufblühte.
-
Vgl. Mitteilungen des Statistischen Bureaus der Stadt Chemnitz (hg. von Flinzer, Chemn. 1873 fg.);
Mitteilungen des Vereins für Chemnitzer
Geschichte (Bd. 1-6, ebd. 1876-89);
Urkundenbuch der Stadt Chemnitz (im «Codex diplomaticus Saxoniae regiae»,
II, Bd. 6, Lpz. 1879);
Beschreibende Darstellung der ältern Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen, Heft 7: Amtshauptmannschaft
Chemnitz, von Steche (Dresd. 1886);
Zöllner, Geschichte der Fabrik- und Handelsstadt Chemnitz (Lpz. 1888);
Bogislav Philipp von, Geschichtschreiber, Enkel von Martin Chemnitz, geb. zu
Stettin, trat in holländ., dann in schwed. Kriegsdienste,
ward von Königin Christina zum Rat und Historiographen ernannt, 1648 in den Adelstand erhoben und starb auf seinem Gute zu
Hallstad in Schweden Er ist wahrscheinlich der Verfasser der unter dem Namen Hippolytus a Lapide erschienenen Flugschrift
«De ratione status in imperio nostro Romano-Germanico etc.» (1640; 2. Aufl., Freystadt 1647),
in der die habsburg. Dynastie heftig angegriffen und eine freiere Behandlung des Staatsrechts angebahnt wurde. C.’ Hauptwerk,
eine wichtige Quelle für die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, ist «Der königl. schwedische in Teutschland
geführte Krieg» (1. Tl. deutsch und lateinisch, Stettin 1648; 2. Tl. nur deutsch, Stockh. 1653); das 1. Buch
des 3. Teils und den 4. Teil gab Nordström heraus (Stockh. 1855); die übrigen Teile sind verloren.
[* ] Joh. Hieronymus, Zoolog, geb. in Magdeburg, war Geistlicher und starb in Kopenhagen.
Er schrieb die Fortsetzung von Martinis «Neues systematisches Conchylienkabinett» (11 Bde.,
Nürnb. 1769-95; in neuer Ausg. von Küster, Kobelt und Weinkauff 1838 u. fg.; noch im Erscheinen).
[* ] auch Kemnitz, Martin, luth. Theolog, geb. zu Treuenbrietzen, studierte zu Frankfurt a. O. und zu Wittenberg
Mathematik und Astronomie, mußte aber seine Studien mehrfach unterbrechen, um als Lehrer zu Calbe a. S. und
zu Wrietzen seinen Unterhalt zu erwerben. Er ward zu Königsberg Rektor der Domschule, 1548 Magister und 1550 Bibliothekar
des Herzogs Albrecht von Preußen. Nunmehr wandte sich Chemnitz der Theologie zu; er ging 1553 nach Wittenberg, wo er
Tischgenosse und eifriger Zuhörer Melanchthons wurde und Vorlesungen über dessen «Loci communes» hielt. 1554 wurde
Chemnitz Koadjutor, 1567 Superintendent in Braunschweig.
Hier entfaltete er eine reiche Thätigkeit als Prediger und Haupt der braunschw. Kirche und als Teilnehmer an den wichtigsten
theol. und kirchlichen Verhandlungen. In diesen zeigte sich Chemnitz immer mehr als Anhänger der streng luth.
Lehrweise und entschiedenen Gegner der mildern Melanchthonischen Richtung. Nachdem er 1584 sein Amt niedergelegt hatte, starb
er Sein dogmatisches Hauptwerk sind die «Loci theologici» (hg.
von Leyser, Frankf. 1591). Gegen die Melanchthonisch-Calvinische Auffassung des Abendmahls richtete er die Schriften «Vera et
sana doctrina de praesentia corporis et sanguinis Christi in coena Domini» (Lpz. 1560)
und «Repetitio sanae doctrinae etc.» (ebd.
1561; deutsch von Zanger).
Mit Jak. Andreä (s. d.) ordnete Chemnitz das Kirchenwesen des
Herzogtums Braunschweig-Wolfenbüttel und entwarf als Lehrordnung
das «Corpus doctrinae Julium» (1569) und war um Abfassung und Einführung
der Konkordienformel (s. d.) bemüht. Für Preußen verfaßte er mit Mörlin das «Corpus doctrinae Pruthenicum»
(1566). In einem Gutachten über den «Wittenberger Katechismus» (1571) wandte er sich gegen den Kryptocalvinismus. Gegen die
Katholiken gerichtet sind «Theologiae Jesuitarum praecipua capita» (Lpz.
1562) und «Examen concilii Tridentini» (4 Bde., ebd. 1565-73;
neue Ausg., Frankf. 1707; deutsch bearbeitet voll Bendixen, Lpz.
1884). Die von ihm angefangene «Harmonia evangelistarum» vollendeten Leyser und Joh. Gerhard. -
Vgl. Lentz, Dr. Martin Kemnitz.
Ein Lebensbild aus dem 16. Jahrh. (Gotha 1866); Hachfeld, Martin Chemnitz nach seinem
Leben und Wirken (Lpz. 1867).
Matthäus Friedr., der Dichter des Liedes «Schleswig-Holstein
meerumschlungen», geb. in Barmstedt in Holstein, studierte in Kiel Jura, wurde 1840 Advokat in Schleswig, mußte
nach 1849 seine Heimat verlassen, wurde 1851 Sekretär bei der Maindampfschiffahrt in Würzburg, kehrte 1864 nach Holstein
zurück und ward 1867 Amtsrichter in Altona, wo er 14./15. März 1870 starb. Das genannte Lied, das 1848-49
und wieder 1863-64 in ganz Deutschland viel gesungen wurde, erschien 1844 in den «Itzehoer Nachrichten»;
es wurde vom Organisten G. Bellmann komponiert und auf dem Sängerfeste zu Schleswig zum erstenmal vorgetragen.