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tung seiner Tochter mit einem Aliden den durch alidische Prätendenten fortwährend bedrohten innern Frieden herzustellen, brachte die mächtigen Abbâsiden gegen ihn zum Aufstande. Sie erklärten ihn des Throns für verlustig und riefen seinen Oheim Ibrâhîm als aus, unterwarfen sich aber wieder, als der Schwiegersohn gestorben und der Chalîf andern Sinnes geworden war. Al-Mamûn, ausgezeichnet durch Freiheit des Geistes, ein Feind und Bekämpfer der buchstabengläubigen Orthodoxie, begünstigte in erfolgreichster Weise die Wissenschaften.
Das große, in zahlreiche Statthalterschaften geteilte Reich der Araber, das sich über drei Weltteile ausbreitete, ließ sich immer schwerer unter Einem Scepter halten. Es beginnt nun der für die Einheit des Reichs verhängnisvolle Abbröckelungsprozeß, welcher durch die Vererbung der Statthalterwürde in den Provinzen zur Gestaltung selbständiger Vasallendynastien führte (Aghlabiden in Nordafrika, Tâhiriden in Choraßan u. a. m.), welche in der Folge immer unabhängiger auftraten. Im Kampfe gegen das Byzantinische Reich war Al-Mamûn nicht glücklich; zwei von ihm unternommene Züge gegen Konstantinopel [* 2] mißlangen völlig. Unter seiner Regierung eroberten um 830 die afrik. Araber Sicilien und Sardinien, [* 3] wo sie sich über 200 Jahre behaupteten, bis ihnen jenes 1061-91 von den Normannen, dieses 1052 von den Pisanern entrissen wurde.
Auf Al-Mamûn folgte Al-Mo’taßim-Billâhi (833-842), ein anderer Sohn Hârûns, welcher Samarra erbaute, wohin er seine Residenz verlegte. In seinen Kriegen gegen die Griechen und aufrührerischen Perser brauchte er zuerst türk. Söldner, die in der Folge zu immer mächtigerm Einfluß gelangten. In religiöser Beziehung fuhr er in der Beförderung der unter seinem Vorgänger begünstigten freisinnigen Lehren [* 4] fort und wollte dieselben durch Zwangsmaßregeln zum allgemeinen Bekenntnis erheben. Im selben Geiste regierte auch sein Sohn und Nachfolger Al-Wâthik Billâhi (842-847). Der nach seinem Tode eingetretene Erbfolgestreit wurde nicht ohne Einfluß der mächtigen türk. Prätorianer zu Gunsten seines Bruders Al-Mutawakkil Billâhi (847-861) entschieden.
Dieser Fürst war roh und grausam und zeigte einen blinden Haß gegen die Aliden, sowie er auch zu der durch seine Vorgänger verdrängten Orthodoxie zurückkehrte und auch gegen Nichtmohammedaner erniedrigende Maßregeln ins Leben rief. Endlich verschwor sich sein ältester Sohn, Muntaßir, dem er einen jüngern vorziehen wollte, mit der türk. Leibwache gegen ihn und ließ ihn umbringen. Die türk. Leibwache rief nun Muntaßir (861-862) zum aus, und nach dessen Tode Musta’în Billâhi (862-866), einen andern Enkel des Chalîf Mo’taßim.
Zwei Aliden warfen sich neben ihm zu Chalîf auf. Der eine, zu Kufa, wurde besiegt und getötet; der andere aber, Hasan ibn Seid, stiftete in Tabaristan ein unabhängiges Reich, das ein halbes Jahrhundert bestand. Uneinigkeit der türk. Söldner untereinander selbst vollendete die Zerrüttung des Reichs. 866 erhob eine der Parteien Al-Mu’tazz, den zweiten Sohn Mutawakkils, auf den Thron [* 5] und nötigte Musta’în abzudanken. Al-Mu’tazz Billâhi (866-869) ließ sowohl Musta’în als seinen eigenen Bruder Muajjad töten; auch dachte er daran, die türk. Söldner abzuschaffen; aber ehe er noch dazu kam, empörten sich diese und nötigten ihn, die Regierung niederzulegen.
Sie erhoben Al-Muhtadî Billâhi auf den Thron (869), stürzten ihn aber schon nach 11 Monaten wieder (870), weil er sie einer strengern Zucht unterwerfen wollte. Unter Mutawakkils drittem Sohne, dem Lüstlinge Al-Mu’tamid Billâhi (870-892), der darauf zum Chalîf ausgerufen wurde, gelang es endlich dessen klugem Bruder Al-Muwaffak, dem verderblichen Einfluß der türk. Leibwache Einhalt zu thun. Mu’tamid verlegte den Sitz des Chalifats 873 von Samarra wieder nach Bagdad, wo er seitdem blieb. In demselben Jahre folgte in Chorassan auf die Dynastie der Tâhiriden die der Saffariden, die ihre Herrschaft in der Folge über Tabaristan und Sedschestan ausbreitete.
Auch der Statthalter von Ägypten [* 6] und Syrien, Ahmed ibn Tulun, machte sich 877, ohne vom Chalifat formell abzufallen, selbständig und gründete die Dynastie der Tuluniden. Zwar wendete der tapfere Muwaffak 881 vom Reiche die Gefahr ab, welche ihm in Mesopotamien von seiten der Zendsch ein Jahrzehnt hindurch drohte; aber das durch innere Revolutionen der Châridschiten, Aliden und anderer Aufrührer, sowie durch äußere Kämpfe zerwühlte Chalifat vor dem Zerfall zu erretten, vermochte weder er noch sein Sohn Al-Mu’tadhid Billâhi (892-902), der seinem Oheim in der Regierung folgte und durch manche heilsame Einrichtung die Verwaltung des Reichs zu reformieren strebte.
Unter seiner Regierung tritt die Sekte der Karmaten beunruhigend auf; sowohl er als auch sein Sohn Al-Muktafî Billâhi (902-909) beschäftigen sich mit der Bekämpfung derselben sowie es dem letztern auch gelang, das Überhandnehmen der Unabhängigkeitsgelüste der Tuluniden in Ägypten und Syrien (906) erfolgreich zurückzuweisen und auch die in Syrien einfallenden Griechen aufzuhalten. Nach dieser kurzen Zeit energischerer Handhabung der Herrschaft beginnt der unaufhaltsame Verfall des Chalifats unter Al-Muktadir Billâhi (909-931), dem Bruder Muktafîs, dem er in einem Alter von 13 J. folgte.
Dieser wurde von einer überhandnehmenden Camarilla ab- und wieder eingesetzt. Unter ihm erhob sich in Afrika [* 7] der alidische Prätendent Obeidallah, stürzte 909 die Dynastie der Aghlabiden und stiftete die der Fâtimiden (s. d.). In Persien [* 8] beginnt 925 die Dynastie der Bûjiden zu Ansehen und Macht zu gelangen. In Chorassan treten an der Saffariden Stelle die Sâmâniden als vom Chalifat unabhängige Herrscher; und auch in andern Teilen des Reichs herrschen Familien, die nicht viel um die Autorität des Chalîf sich kümmern (Hamdaniden in Mesopotamien, Ichschididen in Ägypten); in einem Teile Arabiens herrschten die ketzerischen Karmaten, die auch andere Teile des Reichs bedrohten.
Die Byzantiner nahmen den Mohammedanern bedeutende Gebiete ab. Al-Kâhir Billâhi (931-934), Mu’tadhids dritter Sohn, schon bei Lebzeiten seines Bruders ein- und wieder abgesetzt, wurde durch die türk. Söldner vom Throne gestürzt und starb 940. Sein Nachfolger Al-Râdhî Billâhi (934-941), der Sohn Muktadirs, entäußerte sich durch die Einführung der Würde des Emîr al-Umarâ, die er zuerst dem Türken Ibn Râik verlieh und mit der die Ausübung einer unumschränkten Gewalt im Namen des Chalîf verbunden war, ähnlich der der fränk. Hausmeier, aller Selbständigkeit und lieferte das Chalifat den Intriguen seiner türk. Würdenträger vollends aus. Seinem ihm nachfolgenden Bruder Al-Muttakî Billâhi (941-944) gelang es nicht, dieses Ein-
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flusses Herr zu werden und die Selbstregierung wieder für den Chalîf zu gewinnen. Für seinen Widerstand mußte er mit seinem Augenlicht und seinem Throne büßen. Ihm folgte sein Vetter Al-Mustakfî Billâhi (944-945), welcher vor den Usurpatoren des Chalifats bei den Bûjiden Hilfe suchte. Dadurch gelangte die Macht des Emir al-Umarâ jedoch nur in neue Hände, denn fortan beherrschte für lange Zeit die bûjidische Familie das Chalifat. Der erste bûjidische Emir, Mu’izz ed-daula, vererbte seine Würde auf seine Nachkommen.
Nach und nach war den Chalîf von ihrer Macht nur geblieben die Erwähnung ihres Namens bei dem öffentlichen Gebet (Chutba, s. Chatîb) und auf den Münzen. [* 10] Aber auch diese Prärogative mußten sie mit den thatsächlichen Machthabern teilen. Auch der Titel des Chalîf war den Abbâsiden in verschiedenen Teilen der mohammed. Welt streitig gemacht worden. In Ägypten und den davon abhängigen Ländern richtete sich das fâtimidische Chalifat ein, in Spanien [* 11] galt das Chalifat von Cordoba. [* 12]
Auch diese Chalifate verfielen nach kurzer Dauer, wie das von Bagdad. Die Fâtimiden fielen, wie die Abbâsiden, unter die Gewalt ihrer Wesire, bis (1171) Saladin, der Gründer der ejjubidischen Dynastie (1171-1250), ihrer Geltung ein Ende machte. Die Omajjaden in Cordoba waren längst durch die Teilung Spaniens in viele kleine Reiche um alle Gewalt gebracht, als die Almoraviden sie völlig stürzten. Der Beherrscher von Turkestan, Ilek-Chan, eroberte Chorassan und stürzte die Sâmâniden, wurde aber wieder von Mahmûd, dem Fürsten von Ghasna, gestürzt, der dort 998 die Herrschaft der Ghasniwiden gründete. In Bagdad mußten die Bûjiden 1038 den Seldschuken weichen, welche an der Stelle der erstern das Chalifat bevormundeten, sich in verschiedene Dynastien teilten und die Herrschaft der Türken begründeten.
Die seldschukischen Sultane von Irak wurden 1194 von den Chowaresmiern und diese durch die Mongolen gestürzt. Al-Mustakfî, dem 23. abbâsidischen Chalîf, folgten in Bagdad noch 15 Träger [* 13] des Chalifentitels; unter dem 38., Al-Musta’ßim (1258), wurde das letzte Bollwerk des Chalifats, die Residenz Bagdad, die Beute der plündernden Mongolen. Sprößlinge der Abbâsidenchalifen flohen nach Ägypten, wo sie unter dem Schutze der Mamluken, welche die Herrschaft der Ejjubiden dort verdrängt hatten, als nominelle geistliche Oberhäupter des Islam ein verkümmertes Dasein fristeten und durch die Gnade der Mamluken den erblichen Titel des Chalifats aufrecht erhalten konnten, bis die Eroberung Ägyptens durch die osman.
Türken (1517) auch dieser schattenhaften Bedeutung der Abbâsiden ein Ende bereitete. Seitdem nahmen die türk. Sultane den Chalifentitel an, den noch gegenwärtig der Sultan in Konstantinopel, gestützt auf den Besitz der heiligen Insignien des Chalifats und auf seine Eigenschaft als Beschützer von Mekka und Medina, behauptet. Diese Würde wird aber dem nichtkoreischitischen Fürsten auch im sunnitischen Islam nicht allgemein zuerkannt. Auch die Sultane von Marokko [* 14] machen Anspruch auf den Chalifentitel. -
Vgl. Weil, Geschichte der Chalîf (5 Bde., Mannh. und Stuttg. 1846-62);
A. von Kremer, Kulturgeschichte des Orients unter den Chalîf (2 Bde., Wien [* 15] 1875-77);
Aug. Müller, Der Islam im Morgen- und Abendland (in Onckens «Allgemeiner Geschichte in Einzeldarstellungen», 2 Bde., Berl. 1885-87).