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Verwaltung. Die Stadt wird verwaltet durch einen Oberbürgermeister (Dr. Westerburg, 12000 M.), einen Bürgermeister (Klöffler, bis 1900, 7000 M.), 11 Stadtratsmitglieder (1 besoldetes), 48 Stadtverordnete und eine königl. Polizeidirektion (Polizeipräsident Graf Königsdorff), der 1 Polizeirat, 2 Inspektoren, 5 Kommissare und 52 Schutzleute unterstehen. Die Berufsfeuerwehr hat eine ständige Feuerwache (12 Feuerwehrleute unter einem Oberfeuerwachtmann); außerdem besteht eine Pflicht- und eine Freiwillige Turnerfeuerwehr. Die Wasserleitung [* 2] liefert täglich bis 5000 cbm Quellwasser; die Anlage eines zweiten Wasserwerkes ist nahezu fertig gestellt. Die Kanalisation umfaßt 30,514 km Schwemmkanäle, die 5,731 km alten Kanäle werden nach und nach umgebaut. Die Gasanstalt lieferte (1890) 3828080 cbm Gas für 1597 öffentliche und 19901 Privatgasflammen (2234 Gasmesser) [* 3] sowie für 41 Gasmotoren (120 Pferdestärken).
Der Verkehr auf dem städtischen Schlacht- und Viehhof betrug (1890/91) 46531 Schlachtungen (6714 Großvieh, 13144 Kälber, 9038 Hammel, 16876 Schweine, [* 4] 526 Pferde, [* 5] 233 Ziegen); der Viehauftrieb 11034 Stück (3254 Großvieh, 429 Kälber, 643 Hammel, 6708 Schweine).
Finanzen. Am betrug das Vermögen der Stadt 13109268 M., die Schulden 10654090 M. Nach dem Voranschlag für 1891/92 betrugen die Einnahmen 2058500 M., darunter 922037 M. direkte, 476740 M. indirekte Abgaben; für Unterrichtszwecke wurden aufgewendet 543580 M., für Beleuchtung [* 6] 100000 M., für Straßenreinigung [* 7] 49600 M., für Armenwesen 205100 M.
Behörden. Cassel ist Sitz des Oberpräsidiums der Provinz Hessen-Nassau, [* 8] der königl. Bezirksregierung, des Landratsamtes für den Landkreis Cassel, eines Oberlandesgerichts für den Reg.-Bez. Cassel, mit Ausnahme der Kreise [* 9] Rinteln und Schmalkalden, [* 10] und den Kreis [* 11] Biedenkopf (Landgerichte Cassel, Hanau, [* 12] Marburg), [* 13] eines Landgerichts mit 31 Amtsgerichten (Abterode, Allendorf, Bischhausen, Carlshafen, Cassel, Eschwege, Felsberg, Friedewald, Fritzlar, Grebenstein, Großalmerode, Gudensberg, Hersfeld, [* 14] Hofgeismar, Lichtenau, Melsungen, Naumburg, [* 15] Nentershausen, Netra, Niederaula, Oberkaufungen, Rotenburg, Schenklengsfeld, Sontra, Spangenberg, Veckerhagen, Volkmarsen, Wanfried, Witzenhausen, Wolfhagen, Zierenberg), eines Amtsgerichts, des Provinzial-Schulkollegiums, der Provinzial-Steuerdirektion, des Konsistoriums für den Reg.-Bez. Cassel, einer königl. Generalkommission, der Landesdirektion, einer Oberpostdirektion für den Reg.-Bez. Cassel mit Ausschluß des Kreises Schmalkalden und der Grafschaft Schaumburg und für das Fürstentum Waldeck [* 16] mit Ausschluß des Fürstentums Pyrmont, mit 286 Verkehrsanstalten, 1942,22 km oberirdischen Telegraphenlinien mit 8877,45 km Leitungen, einschließlich 401,50 km Stadtfernsprechanlagen, je eines Betriebsamtes der königl. Eisenbahndirektionen Elberfeld [* 17] und Erfurt, [* 18] mit 281,47 km bez. 252,95 km Bahnlinien, und zweier Betriebsämter der Eisenbahndirektion Hannover [* 19] mit 240,81 km bez. 308,07 km Bahnlinien, einer königl. Eisenbahn-Hauptwerkstätten-Verwaltung; endlich des Generalkommandos des 11. Armeekorps, der Kommandos der 22. Division, der 43. und 44. Infanterie-, der 22. Kavallerie- und der 11. Feldartilleriebrigade.
Schul- und Bildungswesen. Das königl. pädagogische Seminar zur Ausbildung von Kandidaten ^[] des höhern Schulamtes besteht seit 1885; königl. Friedrichsgymnasium (1779 gegründet, Direktor Dr. Vogt, 15 Lehrer, 9 Klassen, 275 Schüler), königl. Wilhelmsgymnasium (1866 eröffnet, Direktor Dr. Heußner, 32 Lehrer, 18 Klassen, 510 Schüler), städtisches Realgymnasium (Direktor Dr. Wittich, 33 Lehrer, 16 Klassen, 484 Schüler), städtische Realschule (Direktor Dr. Ackermann, 32 Lehrer, 18 Klassen, 604 Schüler), städtische Neue Realschule (Direktor Dr. Quiehl, 14 Lehrer, 7 Klassen, 200 Schüler); israel. Lehrer-Bildungs- und Schulanstalt mit Internat, Knabenvorschule, höhere Mädchenschule mit Lehrerinnenseminar, Mädchenmittelschule, 2 private höhere Mädchenschulen, 8 Bürgerschulen, darunter eine katholische; königl. Kunstakademie, gewerbliche Zeichen- und Kunstgewerbeschule, Kriegsschule, Militärvorbereitungsanstalt und Postfachschule.
Das Museum Fridericianum enthält antike Skulpturen, Gipsabgüsse ägypt. Statuen und Reliefs, kleinere antike Kunstwerke und Bronzen, antike und hess. Münzen, [* 20] antike und neuere Gemmen [* 21] und Kameen sowie Korknachbildungen alter röm. Bauwerke aus dem 18. Jahrh. In demselben Gebäude befindet sich die Landesbibliothek (170000 Bände und 1600 Handschriften, darunter das Hildebrandslied [9. Jahrh.]) sowie die ständige Ausstellung von Handschriften und seltenen Drucken; von 1814 bis 1830 waren Jakob und Wilhelm Grimm hier Bibliothekare.
Die Bildergalerie enthält im Erdgeschoß Gipsabgüsse mittelalterlicher und neuerer Skulpturen, Werke der Kleinkunst und des Kunstgewerbes sowie die Wilhelmshöher Porzellan- und Fayencesammlung; im ersten Stockwerk die in den zwanziger Jahren des 18. Jahrh. vom Landgrafen Wilhelm Ⅷ. angelegte Gemäldegalerie mit Bildern der flandr. und holländ. Schule (Rembrandt und Franz Hals); im Treppenhause 8 allegorische Marmorstatuen der kunstgeschichtlich bedeutendsten Länder von Echtermeyer. Das königl. Theater [* 22] (1177 Sitzplätze, Saison September bis Juli) befindet sich seit 1766 in dem jetzigen Gebäude; mit ihm verbunden sind eine Pensionsanstalt (1845 gegründet), ein Unterstützungsfonds (1826) für ausgediente Orchestermitglieder sowie deren Witwen und Waisen und eine Chor-Kranken- und Unterstützungskasse.
Vereine. Deutscher und österr. Alpenverein, Hessischer Bezirksverein deutscher Ingenieure, Architekten- und Ingenieurverein, Vereine für Hessische Geschichte und Landeskunde (1834 gestiftet), für Erdkunde, [* 23] für Naturkunde (1836), für vereinfachte deutsche Rechtschreibung, zur Förderung der Bienenzucht, [* 24] zur Revision und Überwachung von Dampfkesseln, für Innere Mission, gegen Mißbrauch geistiger Getränke, zur Beförderung des Gartenbaues, Arbeiter-, Frauenbildungsverein, Fischerei-, Geometer-, Gärtner-, Handels- und Gewerbe-, Hausbesitzer-, Jagdschutzverein sowie zahlreiche Gesang-, Musik-, Krieger-, Radfahrer-, Turn-, Stenographen- und Rudervereine.
Wohlthätigkeitsanstalten. Landkrankenhaus (Charité) zu Bettenhausen bei Cassel,. Hessisches Diakonissenhaus zu Wehlheiden (s. d.) bei Cassel mit Filiale Diakonissenheim zu Cassel, Krankenhaus [* 25] vom roten Kreuz, [* 26] Entbindungsanstalt, Kinderhospital «zum Kinde von Brabant», je ein luth., reform., kath., israel. Waisenhaus, Kleinkinderschule und -Bewahranstalt, städtische Armenversorgungsanstalt, allgemeines Armenhaus, Armenhaus für Obdachlose,
^[Artikel, die man unter C vermißt, sind unter K aufzusuchen.] ¶
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Asyl für gefallene Mädchen, Speise- und Suppenanstalt, Volksküche und Kaffeestube.
Industrie und Gewerbe. Die Henschelschen Maschinenbauwerkstätten mit bedeutendem Lokomotiven- und Turbinenbau (1892: 1965 Arbeiter) und die Fabrik für mathem. und physik. Instrumente von Breithaupt sind weltbekannt; ferner erstreckt sich die Industrie auf mechan. Weberei, [* 28] Fabrikation von Eisenbahnwagen, Maschinen, Eisenmöbeln und Eisschränken, Klavieren, Gold- und Silberwaren, Messern, Porzellan, Tabak, [* 29] Leder, Handschuhen, Wachstuch, Möbeln, Chemikalien, Buntpapier, Kartonnagen und Papierwaren, Zündhölzern und Brauerei. Cassel ist Sitz der 5. Sektion der Papierverarbeitungs-, der 3. der Lederindustrie-, der 5. der Hessisch-Nassauischen Baugewerks-, der 18. der Fuhrwerks-Berufsgenossenschaft und Sektion Cassel-Stadt der Hessisch-Nassauischen Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft.
Handel. Cassel hat eine Handelskammer für die Stadt und den Landkreis Cassel, eine Reichsbankstelle, 16 Bank- und Wechselgeschäfte, je einen Kredit-, Gewerbe-, Vorschuß-und Spar-, allgemeinen Vorschußverein, eine städtische Sparkasse und eine solche für den Landkreis, eine Beamten-Spar- und Vorschuß-, eine Landeskreditkasse, eine National-Viehversicherungs-Gesellschaft sowie 2 Messen und 4 Jahrmärkte, darunter einer mit Wollmarkt.
Verkehrswesen. Cassel hat einen Centralbahnhof, in der Oberstadt einen Güterbahnhof und einen Bahnhof in der Vorstadt Bettenhausen und liegt an den Linien Cassel-Hannover (166,1 km), Cassel-Gießen-Frankfurt a. M. (200 km), Cassel-Bebra (58,2 km), Cassel-Schönfelde-Schwerte (189,7 km), Cassel-Nordhausen-Halle a. S. (217,6 km) und der Nebenlinie Cassel-Waldkappel (49,9 km) der Preuß. Staatsbahnen. [* 30] 1890 gingen 100267 t Güter ab und 314113 t kamen an. Eine Dampfstraßenbahn (5,509 km, jährliche Beförderung etwa 990000 Personen) verbindet Cassel mit Wilhelmshöhe; außerdem besteht eine Pferdebahn (6,5 km, 920000 Personen). - Cassel besitzt zwei Postämter erster Klasse, ein Bahnpostamt, ein Telegraphenamt erster Klasse und Fernsprecheinrichtung mit 325 Sprechstellen.
Vergnügungsorte und Umgebung. Dicht vor der Stadt im S. und in Verbindung mit dem Orangerieschloß, in dem zur westfäl. Zeit öfters Hofbälle und Maskeraden gegeben wurden, befindet sich die Aue (Karlsaue), ein 1709 nach Plänen des Pariser Gärtners Le [* 31] Nôtre angelegter Park mit schönen Bäumen und dem vom Landgrafen Karl (gest. 1730) 1720-28 erbauten Marmorbade (s. Tafel: Bäder Ⅰ, [* 27] Fig. 5) mit Marmorskulpturen des Franzosen Monnot. Als Luftkurort gewinnt Wilhelmshöhe (s. d.) eine immer größere Bedeutung; südwestlich der Aue das Schlößchen Schönfeld oder Augustenruhe, und 8 km entfernt in einem anmutigen Thale das Lustschloß Wilhelmsthal. Die etwa 3 km entfernte Kaltwasserheilanstalt Bad [* 32] Wolfsanger ist durch Omnibus mit Cassel verbunden.
Geschichte. Eines Ortes Chassala wird schon 913 in einer Urkunde König Konrads Ⅰ. gedacht. Der Landgraf Hermann der Jüngere von Thüringen bestätigte 1239 den Bürgern von Cassel aufs neue ihre Rechte und Freiheiten. Philipp der Großmütige verstärkte die Befestigungen der Stadt, Landgraf Karl legte 1688 die Oberneustadt an. Im Siebenjährigen Kriege wurde Cassel mehrmals von den Franzosen besetzt; nahmen Friedrichs d. Gr. ^[] Verbündete nach langer Belagerung die von den Franzosen verteidigte Stadt; bald nachher wurden die Festungswerke abgetragen.
Nach dem Tilsiter Frieden ward Cassel 1807 die Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Westfalen. [* 33] Nach kurzer Beschießung mußte die Stadt dem General Tschernitschew übergeben werden, der sie aber bald wieder räumte. Jedoch kehrte König Jérôme nur auf wenige Tage zurück. Nach seiner Flucht hielt am 21. Nov. Kurfürst Wilhelm Ⅰ. von Hessen [* 34] seinen Einzug. Am wurde Cassel von preuß. Truppen unter General von Beyer besetzt und ist seitdem preußisch.
Vgl. Piderit, Geschichte der Haupt- und Residenzstadt Cassel (Cass. 1844; 2. Aufl. 1882);
Hahndorf, Cassel vor fünfzig Jahren (ebd. 1863);
Fr. Müller, Cassel seit siebzig Jahren (2 Bde., ebd. 1876-79);
A. Duncker, Landgraf Wilhelm Ⅳ. von Hessen und die Begründung der Bibliothek zu Cassel (ebd. 1881);
Oberbeck, Touristenführer für die Umgebung von Cassel (5. Aufl., ebd. 1886);
H. Brunner, Cassel im Siebenjährigen Kriege (ebd. 1884);
Führer durch Cassel, Wilhelmshöhe und Umgebung (8. Aufl., ebd. 1887);
Woerls Reisehandbücher, Führer durch Cassel und Umgebung nebst Wilhelmshöhe (2. Aufl., Würzb. 1888);
Dehn-Rothfelser und Lotz, Die Baudenkmäler im Regierungsbezirk Cassel (Cass. 1870);
ders., Das Gemäldegaleriegebäude in Cassel (Berl. 1879).