in
Deutschland
[* 4] übliche Schreibung für
Camões (s. d.). ^[= (spr. kamóngsch oder kamŏängsch), Luiz de oder genauer Luiz Vaz de C., der größte Dichter ...]
(spr. kamóngsch oder kamŏängsch), Luiz de oder genauer Luiz
Vaz de Camões, der größte Dichter der Portugiesen und zugleich ihr größter Patriot. Wenige
Daten seines ereignisreichen Lebens
stehen mit Sicherheit fest. Besonders die Gestalt und das
Schicksal seiner Geliebten Caterina, die er unter dem
Anagramm Natercia
in so vielen seiner Gedichte gefeiert hat, ist in Dunkel gehüllt. 1525 oder 1524, dem Todesjahre
Vasco da
Gamas, geboren, wie man meisthin annimmt zu Lissabon,
[* 5] doch wahrscheinlicher in Coimbra, stammt aus einem altadligen galicischen
Geschlecht, das im 14. Jahrh. in
Portugal
[* 6] eingewandert und vom Könige
Dom Fernando mit Ehren und Würden überhäuft worden,
nun aber verarmt und gunstberaubt war.
Schon mehrere
Troubadours waren aus dem Geschlecht der Camões hervorgegangen. Die Eltern des Dichters sind der cavalleiro fidalgo
Simão Vaz de Camões, der als Indienfahrer ein bewegtes Leben hinter sich hatte und wahrscheinlich in
Indien starb, und
DonnaAnna
de Macedo aus Santarem. Durch seinen Großvater, Antão Vaz, einen jener Seehelden, die mit
Vasco da Gamadie erste Fahrt nach
Indien machten, war er mit des großen Entdeckers Familie verschwägert. Seine
Jugend scheint Camões in Coimbra
zugebracht zu haben, wohin der König
Johann III. 1537 die
Universität verlegte.
Sein
Name fehlt zwar in den Listen der Hochschule; doch hat Camões seine staunenswerte klassische
Bildung sowie seine Vertrautheit mit der neulat., portug.
und besonders span. und ital.
Dichtung wohl nur bei einer sorgfältigen und geregelten Erziehung erwerben können. Vielleicht
hat er unter der
Aufsicht seines Oheims,
DomBento de Camões, studiert, denn dieser
war in Coimbra Prior des
hochberühmten
Klosters von Sta.
Cruz, in dessen Schulen die
Blüte
[* 7] des portug.
Adels sich heranbildete, und dessen St. Michaelskollegium
ausdrücklich für arme Adlige eingerichtet worden war.
Die J. 1542 - 46 verlebte Camões bei
Hofe, wohin er als «cavalleiro fidalgo» Zutritt hatte, beglückt, wie
er selbst erzählt, durch Frauen- und Fürstengunst, die seinem
Herzen eine reiche Fülle von heitern
und gedankenvollen Gelegenheitsgedichten entlockte. Auch seine drei dramat. Versuche fallen
in diese Zeit. Einer Hofdame der Königin
Katharina, genannt
Katharina de Athaide, widmete er leidenschaftliche Liebe. Doch
war sein Liebeswerben nur kurze Zeit ein glückliches: er ward vom
Hofe verbannt, sei es um des öffentlichen
Anstoßes willen, den seine Liebe, angesichts der streng geregelten Hofsitten, erregte;
sei es, daß
Verleumdung ihm der Königin
Gunst entzogen;
sei es, daß sein geniales, unvorsichtiges, leidenschaftliches Wesen ihm gefahrvolle
Händel zugezogen;
sei
es, daß seine Komödie «Seleukus» allzu deutlich an das
Verfahren des Königs Emanuel erinnerte, der
die
Braut seines
Sohnes, des nun
regierenden
Johanns III., zu seiner dritten Gemahlin gemacht hatte.
Sicher ist, daß er verwiesen
ward, vielleicht nur einmal, vielleicht auch zweimal, vor 1550. Er trauerte fern von der Geliebten zuerst auf portug.
Boden, an den Ufern des
Tejo (Ribatejo), ungefähr ein Jahr lang, in banger Sehnsucht, die ihm wundervolle
Sonette und Elegien einflößte; dann kämpfte er zwischen 1546 und 1549 zwei Jahre lang auf afrik.
Boden und zur See als Kreuzfahrer
gegen den Halbmond, gegen welchen die
Belagerung der Festung
[* 8] Mazagão gerade neue portug.
Truppen ins Feld gerufen hatte. In
diesen Kämpfen raubte ein
Splitter einer feindlichen Kanonenkugel ihm das rechte
Auge,
[* 9] wie es scheint
bei einem Seegefecht unweit
Ceuta.
[* 10]
Ein Streit mit einem gewissen Gonzalo Borges, bei dem Camões seinen Gegner verwundete, zog ihm Gefängnis zu. Vom
Mai 1552 bis dauerte seine Haft; zwei Wochen später, 24. oder26. März, verließ er
Portugal als
einfacher
Soldat und
Stellvertreter eines andern, mit einem Jahressold von 9000
Reïs. In der Zwischenzeit erschien das großartige
Geschichtswerk des portug.
Livius, João de
Barros (s. d.). Die Lektüre desselben soll in dem Dichter den längst gehegten
Wunsch vollends gereift haben, die Großthaten der Nation in einem
Heldengedicht zu verewigen.
Der
Plan zu seinen «Lusiadas» ward vielleicht im Gefängnis entworfen.
Jedenfalls wurden einige
Gesänge schon aus der
Heimat mit in die Fremde genommen. Nach 6
Monaten erreichte von der Flotte,
welche Camões nach
Indien führte, nur das eine Schiff,
[* 11] das ihn trug, den
Hafen von Goa (Sept. 1553). Sechzehn
Jahre führte Camões in
Asien
[* 12] ein buntes wechselreiches Leben. 1553 nahm er an einem Kriegszuge gegen den König von Chembe, 1554 an
einem andern in das
Arabische Meer teil, wo er bis zum
KapGuardafui kam; 1556 ward er nach Macao geschickt auf einen einträglichen,
Muße gönnenden Posten als Oberverwalter der
Güter verstorbener und abwesender Landeskinder.
Hier in einer Felsengrotte unweit von Macao, die heute noch eine darauf bezügliche
Inschrift trägt, beendigte er die ersten
sechs
Gesänge seiner «Lusiaden». 1558 aber, auf der Rückkehr nach Goa,
litt der Dichter an der Mündung des Mekong (Kambodscha) Schiffbruch und rettete, außer dem nackten
Leben, nichts als das Lusiadenmanuskript, das er schwimmend durch die Wogen trug. Nach diesem Unglück, vermutlich noch in
Kambodscha, dichtete er jene wundervolle
Paraphrase des 137. Psalms, in welchem der in
Babylon Klagende sich nach
Zion zurücksehnt.
In Goa angekommen, ward er zur Rechenschaft gezogen über seine Amtsverwaltung in
China
[* 13] und gefangen gesetzt
(1558 - 59). 1567 trat Camões die Heimfahrt an, als Begleiter eines Neffen des damaligen Vicekönigs, der als Gouverneur
nach
Sofala ging und ihm das Reisegeld dorthin vorschoß. Zwei Jahre lang hielt ihn
Mangel oder
Krankheit auf
Mozambique fest,
wo er sein Epos vollendete und seine lyrischen Gedichte zusammenstellte. Durch die Großmut einiger Freunde,
besonders des Geschichtschreibers
Diogo do Couto, konnte er endlich 1569 die Rückfahrt beenden.
Am betrat Camões, nach 17jähriger Entfernung, den
Boden der
Heimat. Am erhielt er von Sebastian, durch Vermittelung
eines treuen Freundes, des
DomManoel de
Portugal, die Erlaubnis zum Drucke seines Epos, das im März des
folgenden Jahres 1572 wirklich erschien, Der König belohnte den Dichter wegen seiner Kriegs-
^[Artikel, die man unter C vermißt, sind unter K aufzusuchen.]
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Camões thaten und seiner Verdienste als Schriftsteller mit einem Gnadensold von 15000 Reïs (nach heutigem Geld etwa 68 deutsche
Mark) jährlich, auf drei Jahre, die später aber bis zum Tode des Dichters verlängert und nach demselben, auf Befehl Philipps
II., auch der greisen Mutter bis an ihr Lebensende ausgezahlt wurden. Nur langsam drang der Ruhm des Dichters
durch Portugal (das ihn später freilich nahezu vergöttert hat) und über seine Grenzen.
[* 15] Des Dichters letzte Periode umfaßte
zehn trübe Jahre, obwohl noch immer manches schöne Lied von seinen Lippen strömte.
Die furchtbare Niederlage von Alcazar-Quivir in welcher der König mit seinen Getreuen das
Leben, das Vaterland aber seine Freiheit und Selbständigkeit verlor, brach auch dem Dichter das Herz. Als Philipps span. Truppen
in Portugal einzogen, starb Camões, vermutlich an der herrschenden Pestseuche. Die Erzählung, sein
javanischer DienerAntonio, der ihm treu ergeben nach Europa
[* 16] gefolgt sei, habe nachts in den Straßen von
Lissabon für seinen Herrn betteln müssen, ist eine Sage. In Armut und Verlassenheit aber starb er; ohne Sang und Klang wurde
er in der Kirche des St. Annenklosters beigesetzt.
Erst 16 Jahre später ließ ein Freund des Dichters, Dom Gonzalo Coutinho, ihm ein Grabmal setzen, auf
welchem die Inschrift stand: «Hier ruht Luiz de Camões, der Fürst der Dichter seiner
Zeit. Er starb 1579.» Der Zusatz: «Er lebte arm und elend und also starb
er», ist apokryph. Daß das Datum 1580 das richtige ist, bezeugt ein amtliches Dokument aus der Kanzlei Philipps II.
Das Grabmal wurde durch das Erdbeben
[* 17] von 1755 und durch Umbauten des Klosters zerstört; die Gebeine des großen Toten zu finden
war nicht möglich. Vereint mit allen andern, die überhaupt aus dem Boden der Klosterkirche ausgegraben wurden, hat man ihnen 1854 eine
neue Ruhestätte gegeben im Pantheon König Emanuels, der Klosterkirche von Belem, gegenüber der Aschenurne
Vasco da Gamas. Ein Standbild errichtete dem Dichter 1867 die Stadt Lissabon.
Seinen Weltruf dankt Camões dem Nationalepos, das er schuf: in alle Kultursprachen ward es übersetzt;
97 Ausgaben und 44 Übersetzungen
bezeugen das (7 spanische: Caldera, Tapia, Garcez, Gil, Conde de Cheste, Arques, Sanjuan; 7 italienische:
Paggi, Gazzano, Anonymus, Nervi, Briccolani, Carrer, Bellotti; 9 französische: Duperron de Castera, d'Hermilly und Laharpe,
Millié, Fournier und Des Paules, Ragon, Aubert, Albert, Azevedo, Cool; 1 lateinische: Thomé de Faria; 6 englische: Fanshaw,
Mickle, Musgrave, Mitchell, Aubertin, Duff; 7 deutsche: Heise, Winkler undKuhn, Donner, Booch-Arkossy, Eitner,
Wollheim da Fonseca, Storck; 1 holländische: Stoppendaal; 1 dänische: Lundbye; 1 schwedische: Loven; 1 böhmische: Pichla; 2 polnische:
Przybinsky, Pietrowsky; 1 russische: Dmitrieff, und 1 ungarische: Gyula).
«Os Lusiades», die «Lusiaden»
(nicht die «Lusiade»),
d. h. die Lusitanier oder Abkömmlinge des Lusus, des fabelhaften Ahnherrn der Portugiesen, sind unter
den sog. modernen Epopöen die einzige, die sich dem epischen, volkstümlich-ursprünglichen
Geiste nähert. Das Gedicht entstand unter Verhältnissen, jenen ähnlich, die allein ein echtes Epos erzeugen können,
in der Zeit der Heroenzüge der Portugiesen nach Afrika
[* 18] und Asien, unter dem durch diese Wunderthaten hervorgerufenen begeisternden
Aufschwunge des mächtig emporstrebenden Nationalbewußtseins.
Die «Lusiaden» sind
daher auch mehr ein episches Nationalgemälde
des portug. Heldentums als ein zur Feier eines einzigen Helden, einer vereinzelten Großthat gesungenes Gedicht. Die Unternehmung
Vasco da Gamas, die Entdeckung des Seewegs nach Ostindien,
[* 19] bildet zwar das Haupt- oder Mittelstück in dieser Heldengalerie;
an dasselbe aber sind die tapfern Thaten und die merkwürdigen Schicksale der übrigen Lusiaden angereiht,
doch nicht in langweiliger Reihenfolge, etwa chronikenmäßig hergezählt, sondern in kunstgerechten Gruppen in den Bau des
Epos eingefügt.
Dabei berichtet der Dichter mit stolzer Wahrhaftigkeit und vollkommener histor. Treue, ohne die dunkeln Flecken zu verwischen,
die er an einzelnen Helden rügen muß. Homer, Virgil und Ariost sind Camões' Muster, besonders der zweite; im
Geschmacke seiner Zeit verband er aber christl. Mythologie mit den Fabeln der heidnischen.
Überhaupt umwob er die Darstellung der Geschichte seines Volks mit Erfindungen seiner eigenen schöpferischen Phantasie. Die
Verse der «Lusiaden», die, dem «Rasenden
Roland» gleich, in Oktaven geschrieben sind, haben etwas überaus Anziehendes und Wohllautendes;
die Sprache
[* 20] ist von klassischer Reinheit und Rundung. Das allgemeine Interesse des Gedichts und das, was ihm eine Sonderstellung
unter allen modernen Epen giebt, besteht vorzüglich in dem feurigen, patriotischen Gefühl, von welchem es durchdrungen
ist; außerdem setzt aber die farbige Einkleidung der Handlungen und die lebendige Pracht und Treue seiner
Naturschilderungen in Staunen. Einen großen Seemaler nennt W. von Humboldt den portug. Dichter.
Nächst den «Lusiaden» schrieb Camões drei Komödien, «Die
Amphitrionen», «König Seleukus» und «Die
Liebe des Philodemo». Außerdem aber ist er ein großer lyrischer Dichter, der größte, den das 16. Jahrh.
hervorgebracht hat. Sein Parnaß, d. h. die Sonette (356),
kurz all die Gedichte, die er in ital. Versmaßen geschrieben hat, bilden zusammen mit seinem
«Cancioneiro», d. h. den kleinen Liedern
in trochäischen Kurzzeilen, die er nach span. Art gedichtet (über 150),
einen Gesamtbesitz so reich und mannigfaltig, wie nicht Petrarca, nicht Garcilasso, nicht Tasso ihn aufzuweisen haben. Leider
aber hat Camões nicht selber eine Ausgabe seiner «Rimas» besorgt, noch auch ein druckfertiges Manuskript
hinterlassen: ein solches, das er 1567 - 69 auf Mozambique zusammenstellte, soll ihm entwendet worden sein. In
alle Winde
[* 21] waren die Blättchen zerstreut, auf die er seine Gefühlsergüsse niedergeschrieben. Nur der Sorgfalt einiger Bewunderer
des Dichters ist es zu danken, daß überhaupt in den verflossenen drei Jahrhunderten nach und nach gesammelt worden ist,
was Camões' Namen trug. Ob aber alles, was so veröffentlicht ward, echt ist, hat die Kritik noch nicht endgültig
entschieden; die Textgestaltung der camonianischen Lyrik ist noch keine definitive; eine mustergültige Ausgabe davon giebt
es also noch nicht. Gewöhnlich bilden die «Rimas» einen Teil der Gesamtwerke; doch erschienen sie zuerst getrennt (1595).
Die vollständigste Ausgabe der sämtlichen Werke ist dem Visconde de Juromenha zu verdanken (mit Biographie
des Camões, 6 Bde., Lissab. 1860 -
69); die billigste und handlichste ist die von Theophilo Braga besorgte («Biblioteca da Actualidade», 3 Bde.,
Porto 1874); die in Deutschland verbreitetste ist die von Barreto Feio
^[Artikel, die man unter C vermißt, sind unter K aufzusuchen.]
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