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723 Šistov am 13. Juli nahm die Bedingungen durch Acclamation an. Die Verfassung wurde auf 7 Jahre suspendiert und dem Fürsten außerordentliche Vollmachten erteilt. Aber das neue aus Russen und gemäßigten Bulgaren gebildete Ministerium wurde bald von den Konservativen bekämpft und die liberale Emigration unter Karawelow in Ostrumelien bekämpfte in den dortigen Journalen heftig die Zustände im Fürstentum. Im Juli 1882 trat das Ministerium des Generals Sobolew ein mit General Baron Alexander Kaulbars als Kriegsminister, sonst aus bulgar. Konservativen bestehend.
Doch diese russ. Generale überwarfen sich bald mit den Konservativen und stellten im März 1883 ein neues provisorisches Kabinett aus farblosen Bulgaren zusammen. Endlich versöhnten sich die Parteien, durch das fürstl. Manifest vom wurde die suspendierte Verfassung von Tirnova wiederhergestellt, und da die Generale sofort ihre Demission einreichten, ein Koalitionsministerium mit Zankow an der Spitze eingesetzt. Bald riß sich aber von Zankows Liberalen die Mehrzahl als Radikale unter Karawelows Führung los.
Bei den Wahlen 1884 wurde Zankow geschlagen und im Juli trat ein radikales Kabinett unter Karawelow ein, unter dessen Verwaltung sich bald eine starke panbulgar. Bewegung gegen die Sonderexistenz Ostrumeliens und zur Befreiung Macedoniens bemerkbar machte. Die Russen schürten indessen gegen den Fürsten Alexander, der sich mit ihnen in polit. und militär. Fragen ganz überworfen hatte, und wurden darin von Resten der Partei Zankows unterstützt. In Ostrumelien herrschte inzwischen eine starke Gärung gegen die Provinzialregierung.
Zacharias Stojanow organisierte ein geheimes Komplott, an welchem zahlreiche Landtagsabgeordnete und die Oberoffiziere der Provinzialmiliz teilnahmen. In der Nacht vor dem brach in Philippopel eine unblutige Revolution los, der Generalgouverneur Gabriel Krestowitsch wurde von der Miliz im Regierungshause gefangen genommen, eine provisorische Regierung unter Stranski übernahm die Verwaltung und proklamierte die Union Rumeliens und B.s unter dem Fürsten Alexander.
Fürst Alexander nahm den Ruf der Rumelioten an und traf bereits 21. Sept. in Philippopel ein. Die Großmächte erklärten sich, mit Ausnahme von England, gegen diese Verletzung des Berliner [* 2] Vertrags, aber die Botschafterkonferenzen in Konstantinopel [* 3] blieben ohne Resultat. Der russ. Kaiser entsetzte den Fürsten aller seiner Würden in der russ. Armee und berief die zahlreichen russ. Stabs- und Instruktionsoffiziere aus B. und Rumelien zurück. Die Pforte verhielt sich gleichgültig. In Serbien [* 4] und Griechenland [* 5] verlangte eine starke Bewegung auch einen Länderzuwachs.
König Milan suchte den Krieg als Ausweg bei den unerfreulichen innern Zuständen seines Staates. Es folgte 13. bis der 14tägige Serbisch-Bulgarische Krieg. Die Serben rückten unter General Leschjanin gegen Vidin und unter General Jowanowitsch aus Pirot, Nisch und Branja konzentrisch gegen Sofia. Aber Vidin wurde von Kapitän Usunow tapfer verteidigt, und vor Sofia fanden die Serben längst vorbereitete ausgedehnte Schanzwerke bei Slivnica, hinter denen sich rasch die aus Rumelien ausrückende bulgar.-rumel.
Armee unter dem Oberbefehl des Fürsten Alexander sammelte. Nach dreitägigem Kampfe wurden die Serben 13. Nov. vor Slivnica zurückgeworfen, worauf Fürst Alexander ihnen nachrückte und in einer zweitägigen heißen Schlacht die serb. Stadt Pirot besetzte, bis die diplomat. Sendung des österr. Gesandten in Belgrad, [* 6] Grafen Khevenhüller, das Blutvergießen beendigte. Der Friede wurde in Bukarest [* 7] unter Vermittelung der Pforte erneuert, mit einem einzigen Artikel über die Herstellung friedlicher Beziehungen.
Inzwischen verständigten sich die Bulgaren auch mit der Pforte in einem Abkommen, das von den Großmächten durch das Konstantinopeler Protokoll vom 5. April bestätigt wurde. Danach war der Sultan bereit, den Fürsten von B. ohne Nennung des Namens des Fürsten Alexander von 5 zu 5 Jahren zum Generalgouverneur von Ostrumelien zu ernennen, worauf Schakir Pascha 25. April den Ernennungsferman in Sofia feierlich überreichte. Die Organisation Rumeliens wurde mit der des Fürstentums in aller Eile vollständig verschmolzen und die bulgar. Nationalversammlung durch rumel. Abgeordnete verstärkt.
Die Parteikämpfe ruhten aber nicht. Eine starke Opposition gegen den Fürsten und gegen Karawelow war mit der Form der vollzogenen Vereinigung nicht einverstanden. Im Heere gab es viel Unzufriedenheit unter den Offizieren aus Anlaß der Beförderungen und Ordensverteilungen nach dem Kriege. Während eine Partei zur Proklamierung der Unabhängigkeit B.s unter Alexander als König drängte, beschäftigten sich die Zankowisten und die unzufriedenen Offiziere mit Plänen zum Sturz des Fürsten.
In der Nacht nach dem umzingelten die Verschwörer mit der Kriegsschule, dem Infanterieregiment Struma und dem Artillerieregiment Nr. 1 das Palais von Sofia, nahmen den Fürsten gefangen, brachten ihn nach Reni in Russisch-Bessarabien, wo ihm die russ. Regierung die Weiterreise über Lemberg [* 8] nach Hessen [* 9] gestattete. Indessen gelang es den Meuterern, an deren Spitze der Major Grujew und der Kapitän Benderew standen, nicht eine feste Regierung einzusetzen, ja sie ließen sich nach wenigen Tagen von Major Popow mit den Truppen des Sommerlagers von Slivnica, obwohl derselbe keine Artillerie hatte, aus Sofia nach Pernik hinausmanövriercn, wo sie bald ohne Kampf auseinandergingen.
Inzwischen war im ganzen Lande eine Gegenrevolution im Gange, an deren Spitze der Kammerpräsident Stambulow in Tirnova und der Oberstlieutenant Mutkurow in Philippopel standen, die den Fürsten Alexander aus Lemberg eilig ins Land zurückriefen. Alexander traf über Rustschuk und Philippopel in einem Triumphzug 3. Sept. wieder in Sofia ein, hatte aber zuvor durch einen abweisenden Brief des russ. Kaisers, dem er unklugerweise seinen Thron [* 10] zur Verfügung gestellt hatte, alle Hoffnung auf ein Einverständnis mit Rußland verloren, dankte ab und reiste, feierlich begleitet, über Vidin ab. Vor der Abreise setzte er eine aus Stambulow, Mutkurow und Karawelow bestehende Regentschaft ein, sowie ein Ministerium unter dem Präsidium von Radoslawow.
Die Regentschaft geriet bald in Konflikt mit dem russ. Vertreter General Nikolaus Baron Kaulbars, der schroff mit den Forderungen seiner Regierung auftrat und 20. Nov. die diplomat. Beziehungen Rußlands mit B . abbrach, die seitdem nicht mehr erneuert wurden. Eine große Nationalversammlung in Tirnova wählte 10. Nov. den dän. Prinzen Waldemar zum Fürsten, derselbe nahm aber die Wahl nicht an. Während die Regentschaft jede Bewegung im ¶
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724 Lande mit eiserner Hand [* 12] niederhielt, bildete sich eine neue bulgar. Emigration in Konstantinopel, Rumänien, Serbien und Rußland. Verhandlungen mit Rußland durch Vermittelung der Pforte zerschlugen sich, da die Emigranten den Russen versprachen, durch eine Revolution rascher zum Ziele zu gelangen; aber ein Pronunciamento in Rustschuk und Silistria vom mißglückte, und die Anführer, meist Offiziere, die sich im serb. Kriege ausgezeichnet hatten, wurden sofort kriegsrechtlich erschossen.
Desgleichen wurden die zahlreichen Putschversuche in Burgas leicht unterdrückt. Aber die Regierungskreise selbst waren in Unfrieden; Karawelow wurde aus der Regentschaft ausgestoßen und durch Schiwkow ersetzt, und der Ministerpräsident Radoslawow bekämpfte offen die Regenten. Diese Zustände drängten zu einer raschen Fürstenwahl. Die große Nationalversammlung wählte den Prinzen Ferdinand von Coburg, [* 13] Offizier der ungar. Landwehrreiterei, der die Wahl annahm und 14. Aug. in Tirnova den Eid auf die Verfassung leistete.
Infolge des Widerspruchs Rußlands wurde der Prinz weder vom Sultan noch von den Großmächten anerkannt, behauptete sich aber im Lande. Die Regierung blieb in den Händen des energischen Stambulow als Ministerpräsidenten. Mehrfache Versuche eines Umsturzes mißlangen; Major Panitza wurde wegen einer Verschwörung erschossen, und ein Attentat gegen Stambulow führte zur Ermordung des Finanzministers Beltschew; die Thäter entkamen zunächst. In die größte Erregung wurde das ganze Land durch ein abermaliges Attentat auf einen bulgar. Staatsmann versetzt. Am wurde Vulkowitsch, der diplomat.
Vertreter B.s bei der Pforte, in Konstantinopel auf der Straße überfallen und getötet. Die Mörder wurden von der Türkei [* 14] ermittelt und 10. Mai zum Tode verurteilt, aber die Anstifter des Mordes konnten nicht erlangt werden, da sie nach Rußland geflüchtet waren und von dort nicht ausgeliefert wurden. Inzwischen hatte sich auch der Tod Beltschews als die Frucht einer weitverzweigten, selbst auf Ermordung des Fürsten abzielenden Verschwörung herausgestellt, und 19. Juli wurden vier Teilnehmer an derselben zum Tode, acht andere Angeklagte, darunter der frühere Ministerpräsident Karawelow, zu längern Gefängnisstrafen verurteilt.
Gleichzeitig begann die bulgar. Zeitung «Svoboda» eine Reihe angeblich der russ. Gesandtschaft in Bukarest entwendeter Aktenstücke zu veröffentlichen, die geeignet waren, die russ. Regierung arg bloß zu stellen, da sie die Beteiligung ihrer Beamten an den mit Mordanschlägen verbundenen Plänen bulgar. Emigranten zur Beseitigung der gegenwärtigen bulgar. Regierung nachwiesen. Die russ. Regierung bestritt die Echtheit der Aktenstücke, versetzte aber ihren durch dieselben besonders kompromittierten Gesandten in Bukarest, Hitrowo, nach Japan. [* 15] Sehr zur Befestigung der Verhältnisse in B. trug die Vermählung des Fürsten mit der Prinzessin Marie Luise von Parma [* 16] und die Geburt eines Thronerben
Um diese Vermählung zu ermöglichen, hatte schon im Dez. 1892 die Sobranje eine von der Regierung vorgeschlagene Verfassungsänderung angenommen, wonach nicht nur der erwählte Fürst, sondern auch sein erster Thronfolger ihren Glauben beibehalten dürfen. Die nach der Verfassung berufene und 15. bis tagende Große Sobranje bestätigte diese wie eine Reihe anderer Verfassungsänderungen (Herabsetzung der Mitgliederzahl der Sobranje, Verlängerung [* 17] der Wahlperioden u.s.w.).
In der nach diesen neuen Bestimmungen gewählten und 27. Okt. zusammengetretenen Sobranje zählte die Opposition nur neun Vertreter. Einen großen Erfolg errang die Regierung auch durch ein für die bulgar. Wünsche günstiges Abkommen mit der Pforte über die bulgar. Kirchen- und Schulverhältnisse in Macedonien. Inzwischen waren aber Mißhelligkeiten zwischen den sehr selbstbewußt und rücksichtlos auftretenden Ministerpräsidenten Stambulow und dem Fürsten Ferdinand eingetreten und veranlaßten den Rücktritt Stambulows. Der zur liberalen Opposition gehörige, auf dem Boden der Verfassung stehende, aber doch Rußland freundlicher gesinnte frühere Justizminister Stoilow bildete darauf ein Kabinett.
Litteratur. Hilferding, Geschichte der Serben und Bulgaren (aus dem Russischen, 2 Abteil., Bautz. 1856 u. 1864);
Wutzer, Reise in den Orient Europas (2 Bde., Elberf. 1860–61);
Heinr. Barth, Reise durch das Innere der europ. Türkei (Berl. 1864);
Dumont, Les Bulgares (2. Aufl., Par. 1872);
Kanitz, Donau-Bulgarien und der Balkan (3 Bde., 2. Aufl., Lpz. 1882);
Jireček, Dĕjiny národa bulharského (Geschichte des bulgar. Volks, Prag [* 18] 1875; deutsch, 1876);
Huhn, Der Kampf der Bulgaren um ihre Nationaleinheit (Lpz. 1886);
Tuma, Die östl. Balkanhalbinsel, [* 19] militär-geographisch, statistisch und kriegshistorisch dargestellt (Wien [* 20] 1886);
Govčević, B. und Ostrumelien (Lpz. 1886);
Samuelson, B. Past and Present (Lond. 1888);
von Mach, Elf Jahre Balkan (Bresl. 1889);
Hungerbühler, Die schweiz. Militärmission nach dem serb.-bulgar. Kriegsschauplatz (Frauenfeld 1886);
Möller, Der Serbisch-Bulgarische Krieg (Hannov. 1888);
Toula, Reisen und geolog.
Untersuchungen in B. (Wien 1890);
Prinz Franz Joseph von Battenberg, Die volkswirtschaftliche Entwicklung B.s von 1879 bis zur Gegenwart (Lpz. 1891);
Jireček, Das Fürstentum B. (Wien 1891);
Lamouche, La Bulgarie dans le passé et le présent (Par. 1892);
Kriwoschiew, Karte von B. (in bulgar. Sprache), [* 21] 1:420000 (10 Blätter, Wien 1893).