Geistige Kultur.Unterrichtswesen. Die Unterhaltung der
Volksschulen, deren Besuch nach
der Verfassung obligatorisch
ist, liegt den Gemeinden ob, während die Errichtung von Gymnasien, Real- und Handelsschulen der Regierung anheimfällt;
doch ist auch für die
Kommunalschulen im Staatsbudget eine Unterstützung von 400000
Frs. vorgesehen. Das Staatsbudget des
öffentlichen Unterrichts belief sich 1891 auf 5140985
Frs. Das gesamte Schulwesen befindet sich noch
im
Stadium der Organisation.
Die Elementarschulen besuchten 1889 172183
Schüler von 6 bis 12 Jahren (davon 42206 Mädchen): Lehrer gab es 4386, Lehrerinnen 537. Schulpflichtige
Kinder zählte man aber 537724;
der stärkste Schulbesuch entfällt auf den
Kreis
[* 2] vonSchumla, der schwächste
auf den von Köstendil. 1891 bestanden 25
Staatsschulen, und zwar 2 klassische Gymnasien, 6 Realschulen, 2 theol.
Schulen
(Kloster Ljaskovec bei
Tirnova und Samokov), 5 höhere Mädchenschulen, 3 pädagogische Lehranstalten, 3 Staatsbürgerschulen, 2
Ackerbauschulen, 1 Handelsschule
und 1 Gewerbeschule, zusammen mit 286 Lehrern und 5669
Schülern. Seit 1888 besteht in
Sofia eine Hochschule
mit einer histor.-philol., jurist. Und mathem.-physik.
Abteilung, 1892 mit 19 Lehrern und 202 Hörern. In
Sofia besteht eine
Staatsdruckerei, ebendaselbst und in Philippopel Nationalbibliotheken.
Kirchenwesen.Allen Konfessionen
[* 3] im
Lande ist völlige
Religionsfreiheit zugesichert. Die Mehrzahl der
Bevölkerung
[* 4] gehört der
griech.-orthodoxen
Kirche an, welche in B. eine selbständige Landeskirche bildet. Die bulgar.-orthodoxe
Kirche, die früher von dem griech.-orthodoxen
Patriarchen in
Konstantinopel
[* 5] regiert wurde und deren Bischofssitze griech.-fanariotische
Bischöfe einnahmen, in deren
Kirchen das
Griechische Kirchensprache war, ist seit 28. Febr. durch einen Ferman des
Sultans von den Griechen unabhängig gestellt worden durch Gründung des bulgar.
Exarchats, wurde aber zugleich auch von der griech.
Kirche für schismatisch erklärt. An der
Spitze der bulgar.
Kirche (des
Fürstentums,
Ostrumeliens und eines
Teils von Macedonien), deren Organisation durch ein neuredigiertes
Statut bestimmt wird,
steht der in
Konstantinopel wohnende
Exarch, dem für wichtige kirchliche Angelegenheiten die aus 4 Metropoliten
bestehende
Synode zur Seite steht.
Das Fürstentum zerfällt in 12
Bistümer. Die
Bischöfe sind vom
Staate besoldet, der
Exarch erhält jährlich (1891) 207327
Frs. als Ersatz für aufgehobene Kirchensteuern. Zum
Unterhalt der Geistlichkeit steuert der
Staat 800000
Frs. bei. Außerhalb
B. sind die wichtigsten
Bistümer des
Exarchats die 1877 aufgehobenen und 1885 wieder errichteten von Ochrida
und Skopje. Unter den 92
Klöstern ist das berühmteste das Rilokloster auf dem Rilogebirge an der macedon. Grenze. Die Griechen
haben im
Lande 5
Bischöfe (Philippopel,
Varna u.s.w.), die Armenier 1
Bischof, die Katholiken 2 (Philippopel, Rustschuk); die
einheimischen
Protestanten, fast in allen größern
Städten vertreten, sind von Amerikanern gewonnene
Methodisten.
Die erste bulgar. Zeitschrift«Ljuboslovie»
(«Sprachliebe») erschien 1844–46 in Smyrna, dann seit 1849 eine, später
mehrere
Zeitungen in
Konstantinopel, darunter einige Zeit auch eine offizielle, die «Turcija»,
am wichtigsten war Slavejkovs «Makedonia» (seit 1867).
Blätter revolutionären Charakters erschienen in
Belgrad
[* 6] und namentlich
Bukarest
[* 7]
(von Rakowski, Karawelow u.a.),
meist von kurzer
Dauer. Von belletristischen waren die wichtigsten «Citalište», «Obštitrud» und «Bulgarski knižici». Im ganzen zählte man bis 1876 bereits 56 bulgar.
Zeitungen. Einen neuen Aufschwung gab der Zeitungspresse die Errichtung des Fürstentums
B. und der autonomen
ProvinzOstrumelien
(Südbulgarien). Am wichtigsten war die «Marica» (1878–85)
in Philippopel, die mit dem
Sturz Krestovičs aufhörte. Anfang 1890 erschienen im
Lande 41 Zeitschriften, davon 38 bulgarisch;
von den 20 politischen sind bemerkenswert in
Sofia«DeržavenVestnik»
(Staatsanzeiger),
die regierungsfreundliche «Svoboda»
sowie die wissenschaftlichen Zeitschriften «Periodičesko Spisanie», der
wissenschaftliche «Sbornik» des Unterrichtsministeriums, «Bibliothekasveti Clement» und «Iuridičesko Spisanie» (Juristische
Zeitschrift); außerdem erscheint in
Sofia die ebenfalls regierungsfreundliche «LaBulgarie» in franz.
Sprache.
[* 8] Die oppositionellen
«Narodni Prava» und «Makedonia»
sind eingegangen.
Die frühesten bekannten Bewohner des
Landes waren
Stämme der mit den iran. Völkern
Kleinasiens verwandten
Thraker, unter denen neben den Daciern oder Geten die Mösier eine so hervorragende Rolle spielten, daß
die
Römer
[* 9] nach ihnen das unter
Augustus dem
Weltreiche angegliederte Land zwischen Donau und
Balkan Mösia nannten. Das
Stromgebiet
der
Maritza samt der Landschaft von
Sofia gehörte zur
Provinz Thracia. Die Ureinwohner wurden an der Donau unter dem Einfluß
der Legionslager latinisiert, imBinnenland gräcisiert.
Während des Zeitalters der
Völkerwanderungen drangen nach dem
Abzug der
Germanen (Goten u.s.w.) die
Slawen bis zur untern Donau
vor und begannen im 6. Jahrh. die oström.
Provinzen zu beunruhigen. Im 7. Jahrh. saßen slaw.
Stämme schon in
Mösien, aber
um 680 setzte das türk.
Volk der
Bulgaren (s. d.), das sich eine Zeit lang auf dem Nordufer
der Donau heimisch gemacht hatte, über den
Strom und unterwarf die mösischen
Slawen. Ihr erster König oder Chan hieß Asparuch.
Seine Nachfolger bedrohten bald das byzant. Kaiserreich;
KaiserNikephoros I. fiel 811 gegen Chan Krum, der dann auch
Konstantinopel
belagerte. Gegen Krums Nachfolger Omortag hatte
Ludwig der Fromme sich in den von
Karl d. Gr. eroberten
Saveländern zu wehren. Im 9. Jahrh. traten friedlichere Verhältnisse ein, wo der Bulgarenfürst
Boris 864 von den Griechen das
Christentum annahm und selbst als
Michael getauft wurde. Die kriegerischen Gelüste der
Bulgaren
erlitten durch den Religionswechsel keinen Eintrag;
Michaels Sohn,
Symeon (890–927), bedrängte dreimal
die byzant.
722 Peter und Asen los, und so entstand ein neues Bulgarenreich mit der Residenz in Tirnova. Dasselbe hatte seine Glanzperiode,
als Asen II. (1218–41) durch Eroberungen im Westen beinahe die Grenze Symeons wiederherstellte. Aber noch im 13. Jahrh. wurde
B. durch die Byzantiner sehr eingeschränkt und litt viel durch die Einfälle der Tataren Südrußlands,
im 14. Jahrh. auch durch die der kleinasiat. Türken. Zar Joannes Schischman wurde (um 1360) dem türk. SultanMurad I. tributpflichtig,
worauf Bajazet I. 1393 dem Reiche von Tirnova ein Ende machte; Schischman starb in der Gefangenschaft.
Sein Bruder, Zar Sratzimir, Teilfürst von Vidin, wurde 1396 abgesetzt. – Gemäß der polit. Ereignisse
gab es im alten B. Zwei Nationalkirchen, die eine unter dem ZarenSymeon in Donaubulgarien, die im 10. Jahrh. nach Ochrida
in Macedonien übertragen wurde und dort blieb. Sie suchte sich später mit der von Kaiser Justinian privilegierten Kirche
von Justiniana prima zu identifizieren und wurde erst 1767 mit dem griech.
Patriarchat vereinigt. Eine zweite autokephal-bulgar. Kirche entstand 1186 in Tirnova, wurde aber um 1570 dem KonstantinopelerPatriarchat einverleibt.
Unter der türk. Herrschaft büßten die Bulgaren allmählich alle ihre nationalen und religiösen (das bulgar. Patriarchat)
Eigentümlichkeiten ein. Eine Wendung zum Bessern trat hierin erst ein, als 1835 aus Beiträgen zu Odessa
[* 12] seßhafter bulgar. Kaufleute die erste nationale Primärschule zu Gabrovo gestiftet wurde; bald brachte es die jungbulgar.
Bewegung zu einer, wenn auch meist aus Volksschriften und Schulbüchern bestehenden Litteratur; 1844 erschien die erste bulgar.
Zeitschrift.
Die Zahl der Volksschulen nahm stetig zu. Auch die wirtschaftlichen Verhältnisse erlebten einigen Aufschwung;
das Donauwilajet war in neuester Zeit eine der wenigen Gegenden des OsmanischenReichs, in denen sich ein Fortschritt der Kultur
bemerklich machte. Hierzu kam unter der Bevölkerung eine lebendige Bewegung auf kirchlichem Gebiete. Die hohe Geistlichkeit
B.s war seit Mitte des 18. Jahrh. fast ausnahmslos griech.
Nationalität und genoß beim Volke nicht das beste Ansehen.
Unter Berufung auf ihr altes Recht, nationale Bischöfe zu haben, machten deshalb die Bulgaren namentlich seit dem Krimkriege
(1853–55) dem griech. Klerus heftige Opposition, sodaß die Pforte 1870 sich veranlaßt sah, die Einsetzung eines autonomen
bulgar. Kirchenoberhauptes mit dem Titel«Exarch» zu genehmigen, doch erst 1872 bestätigte der Sultan den
Metropoliten Antim als unabhängigen bulgar. Exarchen. Hand
[* 13] in Hand mit der religiösen Bewegung ging der Drang nach polit. Freiheit;
mißlungene, meist von den Emigranten in Bukarest angezettelte Aufstandsversuche an der serb. Grenze und im Balkan waren die
ersten Lebenszeichen davon. Gleichzeitig bildeten sich große Geheimbünde in der Art der griech. Hetärie
(s. d.).
Nach dem Ausbruch des Aufstandes in Bosnien
[* 14] und der Herzegowina im Sommer 1875 nahm die Gärung in B. allmählich bedeutend zu.
Ohne genügende Leitung und Bewaffnung revoltierten Anfang Mai 1876 unter Führung der Geheimbündler die Orte der Sredna
Gora und der westl. Rhodope, jedoch wurde diese Erhebung von türk. Truppen schnell unterdrückt; andere Empörungen im Balkan
bei Gabrovo und Kotel hatten keinen günstigern Ausgang. Nun folgten bis Ende Mai nördlich und südlich vom Balkan fürchterliche
Metzeleien unter der
zum größten Teil gänzlich unbewaffneten christl. Bevölkerung durch den aufgebotenen
türk. Landsturm, zum Teil auch durch ihre mohammed. Landsleute, die Pomaken; gegen 60 Ortschaften wurden
zerstört, über 10000 Menschen jeden Alters und Geschlechts ermordet; das schlimmste Schicksal erlitt die Stadt Batak in der
Rhodope.
Das nächste Resultat der in ganz Europa
[* 15] durch die bulgar. Greuel hervorgerufenen Entrüstung
war der Vorschlag der im Dez. 1876 zu Konstantinopel zusammengetretenen Konferenz der Großmächte, zwei
autonome bulgar. ProvinzenTirnova und Sofia mit christl. Gouverneuren zu bilden; die Pforte ging jedoch hierauf nicht ein, und
der Russisch-TürkischeKrieg brach aus. Der Präliminarfriede zu San Stefano vom der ihn beendigte, setzte die Errichtung
eines autonomen, der Pforte tributären Fürstentums B. fest, das nicht nur Donau-Bulgarien, sondern auch den größten Teil
von Thrazien und fast ganz Macedonien umfassen sollte; doch bestimmte der Berliner
[* 16] Friedensvertrag (s. Berliner Kongreß) vom
daß das selbständige, aber dem Sultan tributpflichtige Fürstentum B. nur das Land zwischen Donau und
Balkan umfassen, aber das südlich vom Balkan und östlich von der Rhodope gelegene, der Mehrheit der Bevölkerung nach von
Bulgaren bewohnte Land derTürkei
[* 17] verbleiben, jedoch als autonome ProvinzOstrumelien (s. d.) unter einem christl. Gouverneur
eingerichtet werden sollte. Die von Bulgaren bewohnten Landschaften Macedoniens blieben unmittelbares Gebiet der
Türkei.
Die vom russ. Kommissär, Fürsten Dondukow, in Tirnova eröffnete konstituierende Notabelnversammlung hatte die
neue Verfassung des Fürstentunis zu beraten, wofür ein von der russ. Regierung ausgearbeiteter
Entwurf die Grundlage bildete. Am 28. April wurde die neue Verfassung nach heftigen Parteikämpfen von sämtlichen Abgeordneten
unterzeichnet und die Versammlung geschlossen. Sofort trat 29. April eine neugewählte große Nationalversammlung
zur Fürstenwahl zusammen und wählte von den drei vorgeschlagenen Prinzen: Prinz Reuß,
[* 18] Prinz Waldemar von Dänemark
[* 19] und
Prinz Alexander von Battenberg, einstimmig den letztern.
Dieser nahm die Wahl an, erhielt vom Sultan den Investitur-Ferman, leistete in der Nationalversammlung zu Tirnova9. Juli den
Eid auf die Verfassung, hielt 13. Juli seinen Einzug in der Hauptstadt Sofia und übernahm vom Fürsten Dondukow die Regierung.
Indessen ruhten die in Tirnova entfesselten Parteifehden nicht; die Liberalen verteidigten die Verfassung, die Konservativen
wollten eine Einschränkung derselben und wurden vom Fürsten unterstützt, dessen Popularität dadurch
sehr litt.
Die beiden ersten Ministerien, das konservative Burmows und das gemäßigte des Bischofs Kliment, waren unhaltbar. Im April 1880 trat
ein liberales Ministerium ein mit Zankow, später Karawelow an der Spitze. Die unaufhörlichen Parteiungen veranlaßten Alexander
durch ein Manifest vom seine Abdankung anzukündigen, mit dem Bedeuten, daß er eine Neuwahl
nur unter bestimmten Bedingungen annehmen werde. Gegen die Opposition hielt ihn während des darauf folgenden Wahlkampfes
meist die Unterstützung der Großmächte, besonders Rußlands, welches die Heeresverwaltung seit der Besetzung in den Händen
behalten hatte und durch seine Kriegsminister in B. einen starken Einfluß ausübte. Die große Nationalversammlung
zu
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