Bulgarien (Bevölkerung. Ackerbau. Industrie. Handel. Verkehrswesen u. s. w.)
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719 Ebene der
Maritza in
Ostrumelien ist ausgezeichnetes Getreideland, während die fruchtbaren Längsthäler ihrer Nebenflüsse
am Südfuße des
Balkan durch ihre Rosenkultur berühmt sind. Zugleich ist die Linie der
Maritza die Hauptverkehrsstraße zwischen
Konstantinopel
[* 2] und
Serbien
[* 3] und weiterhin
Österreich.
[* 4] Das KlimaOstrumeliens zeichnet sich vor dem Donaubulgariens durch mildere
und kürzere Winter aus; die
Vegetation trägt einen mehr südländischen
Anstrich; die
Wälder sind auf
die Abhänge des
Balkan und der Rhodope beschränkt.
Bevölkerung
[* 5] betrug (1893) 3303810 E., d.i. 133 auf 1 qkm gegen 3154375 (1605389 männl., 1548986 weibl.)
E. im J. 1888.
Ostrumelien allein hatte (1885) 975030 E. Dem Religionsbekenntnis nach
waren 2605905
Griechisch-, 22617
Römisch-Katholische, 643242 Mohammedaner, 28307 Israeliten, 2386
Protestanten und 6643 Armenisch-Gregorianer;
der Nationalität nach 2504336
Bulgaren (s. d.), 569728
Türken, 60018 Griechen, 51754
Zigeuner, 27531
Juden, 1379
Russen, 3620 Deutsche,
[* 6] 91450 andere.
Die
Türken sind namentlich im östl.
Teil des Fürstentums
(Schumla, Silistria) ansässig; sie vermindern
sich durch fortgesetzte
Massenauswanderung. – Die Israeliten sind sog.
Spaniolen, aus
Spanien
[* 7] und
Portugal eingewandert.
Zigeuner
sind durch das ganze Land verbreitet. – Heiraten wurden (1891) 29658,
Geburten 127290, Todesfälle 87132 gezählt. In der
geistigen
Bildung und in dem Streben nach einer vollkommenern Erziehung sind die
Bulgaren den meisten Völkern
der
Türkei
[* 8] voraus.
Städte mit mehr als 20000 E. sind die Hauptstadt
Sofia mit (1893) 47000, Philippopel mit 36033, Rustschuk
mit 28121,
Varna mit 28174,
Schumla mit 22517, Slivno mit 23210 E. Von andern
Städten sind zu nennen: Eski-Zagra mit 17457,
Tatar-Pazardžik mit 16343, Vidin mit 14551,
Plevna mit 15546, Sischtow
(Šistov) mit 13212, Silistria
mit 11710,
Tirnova mit 12858, Köstendil mit 11383 E.
Ackerbau steht auf einer niedrigen
Stufe, die
Ackergeräte sind sehr einfacher Art; doch ist der
Boden im Durchschnitt
vortrefflich und trägt fast ohne Düngung, sodaß noch ein Überfluß an Getreide
[* 9]
(Mais, Weizen, Roggen, Gerste,
[* 10] Hafer
[* 11] und Hirse)
[* 12] ausgeführt werden kann, und die staatliche Fürsorge für theoretisch-landwirtschaftliche Ausbildung verspricht
baldigen Aufschwung. Die östl.
Teile B.s bringen hauptsächlich Weizen und Gerste, die westlichen größtenteils
Mais hervor.
Die mit Getreide bestellbare Bodenfläche beträgt 17918769
Dönüms (ein Dönüm [bulg. Uvrat] == 919,3 qm). Geerntet wurden
(1890) 4743528 Doppelcentner Getreide, 23 Proz. weniger als 1889; 2432362
Doppelcentner
Wein und (1889) 29719 Doppelcentner
Tabak.
[* 13] Auch ist der
Tabak-, Obst- und
Weinbau, in
Ostrumelien die Kornzucht
beträchtlich. Trotzdem dieBerg- und Thalweiden reichen Ertrag geben, ist doch die Viehzucht
[* 14] im ganzen schwach, nimmt aber
in letzter Zeit bedeutenden Aufschwung; Rinder
[* 15] und namentlich Schafe
[* 16] werden hauptsächlich nach
Konstantinopel
ausgeführt.
Die
Milch- und Käsewirtschaft ist primitiv. Die
Pferde
[* 17] sind unansehnlich und klein und werden hauptsächlich zum Reiten und
Lasttragen benutzt, wogegen als Zugvieh der
Büffel dient. Es wurden gezählt (1890) 7205339 Schafe, 1350357 Ziegen, 393329
Schweine,
[* 18] (1888) 124996
Stück Großvieh, 147147
Pferde, 61994 Esel
und 5495
Maulesel. Sehr bedeutend ist
die Seidenraupenzucht. Von
Bergwerken sind vereinzelte Eisenerzlager erwähnenswert (besonders bei Samokov), doch ist deren
Ausbeute vernachlässigt; ferner
Kohlenbergwerke (besonders bei
Sofia).
Handel hat in neuester Zeit einen bedeutenden Aufschwung genommen und betrug (1892) 151943000
Frs., darunter 77303000
Frs. Einfuhr.Hauptartikel der Ausfuhr sind Getreide, besonders Weizen und
Mais (1892: 57527000
Frs.), Mehl
[* 20] und Mühlenfabrikate (1890: 20359 Doppelcentner), daneben Vieh,
Wolle,
Häute (14128 Doppelcentner), Hülsenfrüchte,
Seide,
[* 21] Wein (1890: 424 Doppelcentner),
Honig,
Wachs,
Talg, Fische,
[* 22] Wild,
Bauholz,
Thonwaren,
Käse,
Butter, Pflaumen, Rosenöl und
Rosenwasser
(1890 gingen aus
Ostrumelien 3164 kg im Werte von 1771427
Frs. aus).
Hauptausfuhrhäfen sind
Varna und
Burgas. Die Einfuhrartikel sind: gewebte Waren,
Eisen,
[* 23] Zucker,
[* 24] Waffen,
[* 25] Öle
[* 26] und
Steinkohlen. In
Sofia hat die bulgar. Nationalbank ihren Sitz mit einem Aktienkapital von 8 Mill.
Frs. Außerdem sind
Sparkassen, landwirtschaftliche Hilfsvereine und eine Feuerversicherungsgesellschaft gegründet worden. Das
Maß- und Gewichtssystem
B.s ist das metrische; hinsichtlich des Münzwesens ist B. 1880 der
Lateinischen Münzkonvention beigetreten,
deren Einheit der
Frank ist. In B. heißt der
FrankLev i. Löwe), der Centime
Stotinka i. Hundertel).
über die Eisenbahnen s.
Bulgarische Eisenbahnen. Ein
Netz von Chausseen, dessen Knotenpunkte Rustschuk,
Schumla und
Sofia sind, ist noch in der letzten Zeit der osman. Herrschaft entstanden. Im Postwesen betrugen 1892 die
Einnahmen 2095348, die
Ausgaben 2567183
Frs. 311
Beamte versehen in 128
Bureaus (1879 nur 36) den Postdienst.
Telegraphenbureaus
gab es (1892) 147; die Länge der Linien betrug 4755 km. Die Zahl der beförderten
Briefe und Postkarten betrug 5976000, die
der
Warenproben, Drucksachen und
Zeitungen 5446000, die der
Telegramme 1056616.
Sofia und Philippopel sind
telephonisch verbunden.
und
Verwaltung. B. ist eine im Mannsstamme und in direkter Linie erbliche und konstitutionelle Monarchie
im Vasallenverhältnisse zur
HohenPforte. Die Verfassung vom 16./28. April 1879 wurde 15./27. Mai 1893 revidiert. Die Fürstenwürde
ist von der Nationalversammlung in
Tirnova am 17./29. April 1879 durch Zuruf einstimmig dem Prinzen
Alexander
von
Battenberg und nach dessen Rücktritt am ebenfalls in
Tirnova einstimmig dem Prinzen Ferdinand von
Sachsen-Coburg
übertragen, der am 14. Aug. desselben Jahres nach geleistetem
Eid auf die Verfassung als Ferdinand I. die
Regierung antrat. Der Fürst (Knjas) führt in amtlichen
Urkunden den
TitelCarsko Visočestvo, d.h. Königliche
[* 27] (nicht
Kaiserliche)
Hoheit und residiert in
Sofia. Die Nationalversammlung(Narodno sobranie) besteht
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720 aus 161 Abgeordneten, je einer auf 20000 E., durch direkte Wahlen bei allgemeinem Stimmrecht vom Volke gewählt. Die für
fünf Jahre gewählten Abgeordneten müssen 30 J. alt sein sowie lesen und schreiben können. Aktive Militärpersonen, Mönche
und Beamte im betreffenden Wahlbezirke sind nach dem Wahlgesetz vom 17./29. Dez. 1880 nicht wählbar. Die
Wähler müssen 21 J. alt sein. Die Nationalversammlung tritt nach der Verfassung jährlich einmal zusammen, und zwar vom 15. Okt. bis 15. Dez. Für
außerordentliche Fälle sind außerordentliche Sitzungen vorgesehen. In bestimmten Fällen, namentlich wenn die Verfassung
abgeändert werden soll, oder zur Wahl eines neuen Fürsten oder zur Einsetzung einer Regentschaft während
der Minderjährigkeit des Fürsten (majorenn mit 18 Jahren), muß die sog. Große Nationalversammlung (Veliko narodno sobranie)
zusammenberufen werden, die doppelt so stark ist als die der gewöhnlichen Nationalversammlung.
Alle Staatsangehörigen sind gleich vor dem Gesetze, nachdem schon die türk. Herrschaft
alle Standesvorrechte (mit Ausnahme des Klerus) aufgehoben hatte; der Adel darf nicht verliehen werden.
Die Minister sind dem Fürsten und der Nationalversammlung verantwortlich. An der Spitze derVerwaltung stehen 8 Ministerien:
des Krieges, des Äußern (des Kultus), des Innern, der Finanzen, der Justiz, des Unterrichts, des Handels (des Ackerbaus und
der Industrie) und der öffentlichen Arbeiten und Verkehrswege.
Der Kreisrat (okružni sojet) besteht aus 1 Präsidenten, 4 wirklichen und 4 Ehrenmitgliedern. Dieselben werden von den Wahlmännern
des Distrikts gewählt und vom Fürsten bestätigt. An der Spitze jedes Bezirks steht ein Bezirksamtmann.
Justiz. Die Justizpflege wird von einem Kassationsgerichtshofe in Sofia (1 Präsident, 1 Vicepräsident, 4 Mitglieder), 4 Appellationsgerichtshöfen
(Sofia, Rustschuk, Tirnova, Philippopel mit je 6–5 Mitgliedern) und einer größern Zahl Kreisgerichte(okružni sud) mit
je 6 oder 4 Mitgliedern wahrgenommen.
Für Bagatellprozesse bis zu 600 Frs. ist das Institut endgültig entscheidender Friedensgerichte (mirovisud) vorläufig eingeführt. Die provisorische russ. Administration der Occupation hat eine Civilprozeßordnung und eine Strafprozeßordnung
ausgearbeitet. Diese Gesetze bilden die Grundlage des heutigen Prozeßrechts B.s, ändern somit die dieses Gebiet
betreffenden
Teile der ottomanischen Gesetze ab. Die erwähnten russ. Prozeßgesetze sind von der Nationalversammlung
abgeändert worden, und diese abgeänderten Gesetze bilden jetzt die Gerichtsverfassung und Prozeßordnung B.s.
Was das Recht und die Rechtspflege anbelangt, so gelten in allen andern als den oben angegebenen Punkten die ottomanischen
Gesetze, wie sie in der Sammlung von Aristarchi-Bei enthalten sind. Somit ist z. B. der türk.
Codepénal geltendes Strafgesetzbuch für das Fürstentum B. Doch wurde von der Nationalversammlung
ein Strafgesetzbuch für die Friedensrichter ausgearbeitet; dasselbe enthält Bestimmungen über Übertretungen und ist eine
Vervollständigung des oben genannten Codepénal.
Finanzen. Nach dem Budget für 1893 betrugen die Einnahmen und Ausgaben je 89369334 Frs. Die direkten Steuern waren auf 41,38
Mill., die indirekten Steuern undZölle auf 19,18 Mill., andere Einnahmen auf 28,80 Mill. Frs. veranschlagt. Die öffentliche
Schuld verzehrte 14,14 Mill., das Heer 23,24, die Finanzen 18,42, die Justiz 5,6, Kultus und Auswärtiges 6,2 Mill. Frs. Für
die innere Verwaltung des Landes werden 10,03 und für den Unterricht 9,92 Mill. aufgewendet.
Armee. Nach dem Gesetz vom 18./30. Dez. 1880 ist jeder Bulgare vom vollendeten 20. Jahre an für 10 Jahre dienstpflichtig,
davon 2 Jahre in der aktiven Armee und 8 Jahre in der Reserve. Die Armee bestand 1890 aus 24 Infanterieregimentern zu 2 Bataillonen, 1 Schwadron
Leibgarde-Kavallerie, 4 Regimentern Kavallerie zu 4 Schwadronen, 6 Regimentern Artillerie zu 4 Batterien, 2 Artillerie-Ersatzabteilungen, 2 Belagerungsbatterien, 1 Regiment
Genietruppen zu 3 Bataillonen, 1 Disciplinarcompagnie, zusammen mit einer Friedensstärke von 1604 Offizieren, 34203 Mann und
einer Kriegssollstärke von 2304 Offizieren, 122703 Mann. Die Flotte besteht aus 1 Jacht, 3 Dampfern, 4 Dampfschaluppen und 2 Torpedofahrzeugen,
mit 12 Offizieren und 334 Mann. Die Offiziere werden ausgebildet auf der Kriegsschule von Sofia. Die Nationalfarben B.s sind
Weiß, Grün, Rot in horizontaler Streifung. (S. Tafel: Flaggen
[* 31] der Seestaaten.)
Das Wappen des Fürstentums zeigt einen von einer Königskrone bedeckten Schild;
[* 32] dieser Schild selbst zeigt in rotem
Feld einen schreitenden gekrönten goldenen Löwen.
[* 33] Als Schildhalter dienen zwei goldene Löwen, deren jeder mit der linken
Pranke ein weiß-grün-rot quer geteiltes Bannerfähnlein hält. Das Ganze wird umschlossen von dem roten königl.
Wappenzelt, das wie der Schild gekrönt und auf dem Baldachin mit goldenen Krönchen besetzt ist. Es giebt zwei
vom Fürsten Alexander gestiftete Orden,
[* 34] den Alexanderorden und den Militärverdienstorden, und einen vom Fürsten Ferdinand 1891 gestifteten
Civilverdienstorden sowie 2 Medaillen.
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