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besteht eine königl. Akademie der Wissenschaften, Litteratur und Künste, aus der 1769 gegründeten Litterarischen Gesellschaft hervorgegangen, eine Militär- und Kriegsschule, eine mediz. Akademie, Tierarzneischule, ein Athenäum (Gymnasium und Realgymnasium) mit 630 Schülern, ein Musikkonservatorium, Taubstummen- und Blindeninstitut, eine Handelsschule, eine Haushaltungsschule für junge Mädchen und von Gewerbeschulen je eine für Uhrmacher, Schriftsetzer und Schneider.
Für den elementaren Unterricht bestehen neben den Staats- und Gemeindeschulen und den von liberalen und religiösen Gesellschaften gegründeten Schulen zahlreiche Privatlehranstalten. Das Palais de Beaux-Arts, ein 1880 vollendeter klassischer Bau, enthält moderne Skulpturen und eine wertvolle Sammlung älterer Gemälde (600), insbesondere der niederländ. Schule. Die Bilder neuerer Meister in Öl und Aquarell sind jetzt in acht Sälen des Musée moderne aufgestellt. Brüssel [* 2] besitzt acht Theater, [* 3] darunter das Théâtre royal de la Monnaie mit 210 Vorstellungen jährlich, mehrere größere Musikgesellschaften, einige Vereine für Kunst und Wissenschaften, eine Philanthropische Gesellschaft und eine große Menge von Wohlthätigkeitsanstalten, darunter einen deutschen Hilfsverein, Schillerverein, der gegen 400 Mitglieder zählt und alljährlich gegen 25000 Frs. an bedürftige Landsleute verteilt. Über die Zeitungen s. Belgien [* 4] (Bd. 2, S. 674 b).
Industrie, Gewerbe, Handel. Von den Gewerbzweigen blühen hauptsächlich Spitzen-, Möbel-, Kutschen-, Papier-, Handschuh- und Lederfabrikation. Der Handel ist vornehmlich Luxus- und Kleinhandel; es giebt wohl eine Anzahl größerer Handelsfirmen, doch ist deswegen die Stadt nicht zu den Handelsplätzen zu zählen. Buch-, Kunst- und Musikalienhandlungen (verbunden mit Leihbibliotheken) sind zahlreich, ebenso Bankinstitute, wie die Société générale und seit 1851 die Banque Nationale und sonstige Handels-, Eisenbahn-, Versicherungs-, Bergwerks- u. a. Gesellschaften.
Zur Hebung [* 5] des Umsatzes besteht ein Handelsmuseum. Durch Konsuln sind in Brüssel vertreten: die Vereinigten Staaten [* 6] von Amerika, [* 7] Bolivia, [* 8] Chile, Columbia, [* 9] Costa-Rica, das Deutsche Reich, [* 10] die Dominicanische Republik, Ecuador, [* 11] Griechenland, [* 12] Guatemala, [* 13] Haïti, [* 14] Honduras, [* 15] Italien, [* 16] Japan, [* 17] Liberia, [* 18] Luxemburg, Monaco, [* 19] Nicaragua, [* 20] die Niederlande, [* 21] der Oranje-Freistaat, Österreich-Ungarn, [* 22] Paraguay, Persien, [* 23] Portugal, [* 24] Rumänien, [* 25] Salvador, [* 26] die Schweiz, [* 27] Serbien, Siam, Spanien, die Südafrikanische Republik, [* 28] die Türkei, [* 29] Uruguay, Venezuela.
Verkehrswesen. Dem auswärtigen Verkehr dienen außer den Kanälen (gegen 12000 Schiffe [* 30] und Boote jährlich mit etwa 1 300000 t Raumgehalt) die von drei durch Gürtelbahn (mit 8 Haltestellen) verbundenen Bahnhöfen ausgehenden Kunststraßen, vor allem aber Eisenbahnlinien: Brüssel-Herbesthal, Brüssel-Antwerpen, Brüssel-Ostende, Brüssel-Quiévrain, Brüssel-Arlon-Sterpenich, Brüssel-Tervueren, Brüssel-Luttre, Brüssel-Lille der Belg. Staatsbahnen; [* 31] ferner die Linien Brüssel-Tilbeck-Schepdael, Brüssel-Haecht, Brüssel-Anderlecht-St. Quentin der Belg.
Vicinalbahnen. Den Verkehr in der Stadt sowie den mit den Vorstädten erleichtern 10 Pferdebahn-, 4 Dampftrambahn- und 11 Omnibuslinien. Zur Vermittelung des Postverkehrs bestehen außer der Hauptpost 20 Post- und Telegraphenämter (die der Vorstädte inbegriffen). Die Postanstalten sind zugleich auch Zahlstellen für die Sparkasse. Der Telephondienst - gegen 1200 Linien - bisher von einer Privatgesellschaft betrieben, wird demnächst in staatliche Verwaltung übergehen.
Die Umgebung ist zum Teil sehr schön. Besondere Anziehungspunkte neben dem Cambrewäldchen (im SO.) sind der Park zu Laeken im N., im O. der prächtige Park zu Tervueren sowie die im Soigneswald herrlich gelegenen, als Sommerfrischen stark besuchten Dörfer Watermael-Boitsfort, Groenendael (mit Hippodrom) und La Hulpe.
Geschichte. Brüssel erscheint zuerst um 870 als Brosella, im 10. Jahrh. dann als Bruoscella in der Geschichte. Gewöhnlich werden diese Worte von dem alten bro oder bruoc, dem heutigen vläm. brock = Sumpf und selle oder sele = Wohnung hergeleitet. Zuerst scheint es eine Villa der fränk. Monarchen gewesen zu sein. Eine Urkunde Ottos I. von 966 bestätigt das Vorhandensein einer Kirche, unter der neuere Forscher die Kirche zum heil. Michael verstehen, und an deren Stelle später die St. Gudulakirche erbaut wurde.
Gerberge, Schwester Ottos d. Gr., brachte die Ortschaft dem Herzoge Giselbert von Lothringen als Mitgift zu. Ihre Enkelin Gerberge heiratete den Grafen Lambert von Löwen. [* 32] Mit diesem kam der Bezirk Brüssel unter die Herrschaft der Herzöge von Niederlothringen und Brabant, durch deren Einfluß die Stadt zu großem Ansehen gelangte. Von Johann I. an (1251-59) scheint sie Wohnsitz der Fürsten geblieben zu sein, indes Löwen noch den Titel der Hauptstadt behauptete. Nach vielfachen Kämpfen der auf ihre Vorrechte eifersüchtigen Bürger mit den Patriciern oder mit den Fürsten, nach fürchterlichen Bürgerkriegen, die der Tod Johanns III. (1355) über die Stadt hereinbrachte, gelangte das Erbteil seiner Tochter Johanna an die Gräfin von Flandern, Gemahlin des burgund.
Herzogs Philipp des Kühnen, welche die Verwaltung Brabants und Limburgs ihrem Sohne Anton übertrug. Nach dem Tode der Söhne desselben (1480) trat Philipp der Gute, Herzog von Burgund, in den Besitz des Herzogtums Brabant, und unter seiner Enkelin Maria, Gemahlin Kaiser Maximilians, ging die stark befestigte, schon bedeutende Stadt an das Haus Habsburg über. Wiederholte Eingriffe desselben in die beschworenen Freiheiten gaben zu steten Aufständen Anlaß, die indes immer mit einer Aussöhnung endeten.
Karl V. bereits hatte Brüssel zur Hauptstadt der Niederlande gemacht und mit allem Glanze des Hoflebens umgeben. Unter Philipp II., der hierher den Sitz der Generalstatthalterschaft unter Margarete von Parma [* 33] verlegt hatte, wurde es der Hauptschauplatz der niederländ. Revolution. Nachdem Brederode an der Spitze des verbündeten Adels der Regentin die Beschwerde übergeben hatte, wurde hier am selben Abend der Geusenbund geschlossen. In Brüssel schalteten die Inquisition und Philipps Feldherr Alba [* 34] mit grausamer Blutgier und schnöder Verletzung der verbrieften Freiheiten.
In dem langen Befreiungskämpfe war Brüssel der Hauptwaffenplatz abwechselnd der Niederländer und der Spanier. 1576 wurde hier die Genter Pacifikation und die Brüsseler Union, deren Bedingungen Don Juan von Österreich [* 35] sich eine Zeit lang unterwarf, abgeschlossen. Nach seiner Entfernung zog Oranien als Ruwaert von Brabant in ein mußte aber schon nach Don Juans Sieg bei Gembloux die Stadt räumen. Trotz entsetzlicher Zustände im ¶
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Innern wußte sich diese mehrere Jahre lang unabhängig zu erhalten, bis sie endlich nach Oraniens Ermordung mit Alexander Farnese von Parma, Don Juans Nachfolger, kapitulierte Die Geistlichen, besonders die Jesuiten, boten hierauf alles auf, um den Protestantismus, der inzwischen tiefe Wurzeln geschlagen hatte, wieder auszurotten. Isabellas, der Tochter Philipps und Gemahlin Erzherzog Alberts, Regierung, der die treu gebliebenen südl. Provinzen übergeben wurden, forderte die Wiederherstellung geordneterer Verhältnisse, obgleich sie eine Unzahl Mönchsorden hervorrief und einem unwürdigen Bestechungssystem nicht zu steuern vermochte.
Viel litt die Stadt in den Kriegen Spaniens mit Ludwig XIV. (Beschießung 1695 unter Villeroy) und Österreichs mit Ludwig XV. (Belagerung und Einnahme 1746 unter dem Marschall von Sachsen), [* 37] noch mehr aber durch den beständigen Gegensatz zu dem österr. Regierungssystem (Enthauptung des Zunftsyndikus Aneessens 1719), bis endlich nach dem Aachener Frieden Maria Theresias milderes Regiment eintrat. Brüssel erhielt in diesem Zeitraume viele wichtige Anstalten und Bauten und segnet das Andenken des Generalgouverneurs Karl von Lothringen, dem man noch 1848 ein Denkmal errichtete.
Mit Joseph Ⅱ. trat wieder eine schwere Zeit, bekannt unter dem Namen Brabanter Revolution (1789), ein. Kaum war nach kurzer Unabhängigkeit (1790) die österr. Herrschaft wieder eingesetzt, so fiel infolge der Schlacht von Jemappes Belgien den Franzosen anheim, und Dumouriez hielt 1792 (14. Nov.) seinen Einzug in Brüssel, das den Österreichern seit Beginn des Krieges als Hauptsammelplatz und den franz. Emigranten als Zufluchtsort gedient hatte. Der Sieg der Österreicher bei Neerwinden (März 1793) vertrieb die Franzosen aus der Stadt, und des Kaisers Franz Bruder, Erzherzog Karl, bezog aufs neue den Palast der Generalstatthalterschaft.
Selbst Kaiser Franz Ⅱ. erschien und beschwor feierlich die sog. Joyeuse Entrée oder Brabanter Verfassung. Einige Monate später brachte jedoch der Sieg Jourdans bei Fleurus aufs neue die Franzosen nach Brüssel das zur Hauptstadt des Dyle-Departements herabsank und auch unter Napoleons Schutz, der es mehrmals besuchte, nicht wieder den alten Glanz zu erreichen vermochte. Durch die Verbündeten im Febr. 1814 von franz. Herrschaft befreit, ward es 1815 (21. Sept.) mit ganz Belgien dem neugeschaffenen Königreich der Niederlande einverleibt. Abwechselnd mit dem Haag [* 38] war Brüssel nunmehr Sitz der Generalstaaten und des königl. Hoflagers. Trotz des bedeutenden Aufschwungs, den die materielle Wohlfahrt der Stadt nahm, brach doch nach der Französischen Julirevolution die lange genährte Gärung gegen Holland zuerst zu Brüssel in offenen Aufstand aus, und es wurde die denkwürdige viertägige Schlacht zwischen holländ. Militär und den Blusenmännern des Bürgerstandes geschlagen.
Der glückliche Ausgang dieser Empörung entschädigte Brüssel mit dem Titel und Range der Hauptstadt des unabhängigen Königreichs Belgien. Am zog der neue Souverän, Prinz Leopold von Sachsen-Coburg, in ein. Ohne erwähnenswerte Störungen ging auch der Sturm von 1848 über Brüssel hinweg, ebenso die übrigen polit. Erschütterungen, die seit jener Zeit die Nachbarstaaten zu bestehen hatten, und 1890 wurde hier unter glänzenden Festlichkeiten das ^[] 60jährige Jubiläum der belg. Unabhängigkeit gefeiert. 1890 tagte in Brüssel der Antisklavereikongreß (s. Sklaverei), 1891 der zweite internationale Arbeiterkongreß, 1892-93 die internationale Münzkonferenz. -
Vgl. Henne und Wauters, Histoire de Bruxelles (3 Bde., Brüss. 1845);
Hymans, Bruxelles. A travers les âges (2 Bde., ebd. 1885);
Guide de l'étranger dans Bruxelles et ses environs (15. Aufl., ebd. 1890);
Bruxelles-Guide (10. Aufl., ebd. 1891).