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entschiedene Übergewicht der hussitischen Waffen [* 2] verwandelte Böhmen [* 3] thatsächlich in ein Wahlreich. So gelangte nach Ladislaus' Posthumus (1453-57) Tode der hussitisch gläubige, schlaue und kräftige Reichsverweser Georg von Podiebrad 1458 in den Besitz des böhm. Throns, auf dem er sich auch, trotz der päpstl. Bannstrahlen und der Feindseligkeit des Königs Matthias Corvinus von Ungarn [* 4] sowie eines großen Teils seiner vornehmsten Vasallen, bis zu seinem Tode behauptete. Sein Nachfolger, ein poln. Königssohn aus dem Hause der Jagellonen, Wladislaw II. (1471-1516), gelangte 1490 durch Wahl auch in den Besitz der ungar. Krone und verlegte hierauf seinen Sitz nach Ofen, wo auch sein Sohn und Nachfolger Ludwig (1516-26) residierte. Nachdem Ludwig 1526 in der Schlacht gegen die Türken bei Mohacs geblieben, kamen und Ungarn an den von den Ständen erwählten Gemahl seiner Schwester Anna, den Erzherzog Ferdinand von Österreich, [* 5] den spätern Kaiser Ferdinand I. Dieser wollte die Böhmen bewegen, in dem Schmalkaldischen Kriege wider den Kurfürsten von Sachsen [* 6] die Waffen zu ergreifen. Da sie aber seinen Wünschen schroff entgegentraten, strafte er nach seines Bruders Karl V. Siege bei Mühlberg die Widerspenstigen auf das empfindlichste, vernichtete auf dem sog. Blutigen Landtage von 1547 die Privilegien der Stände, besonders der autonomen Städte, und setzte wieder die Anerkennung der Erbrechte seines Hauses durch.
Ihm folgte 1564 sein Sohn Maximilian und diesem die Söhne Rudolf, 1576, und Matthias, 1611. Gegen das Lebensende des letztern entstanden wegen verletzter Religionsfreiheit der Protestanten Unruhen, die das Haus Österreich mit dem Verlust B.s bedrohten. Denn mit Übergehung Kaiser Ferdinands II., der schon bei Lebzeiten seines Vetters Matthias zum König von Böhmen gekrönt worden war, wählte man, in falschem Vertrauen auf die Hilfe seines Schwiegervaters Jakob I. von England, 1619 den Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz.
Als aber der Sieg am Weißen Berge bei Prag, [* 7] (s. Dreißigjähriger Krieg), zum Vorteil des Kaisers entschieden hatte, wurden 27 der Urheber und Teilnehmer des Aufstandes hingerichtet, 16 verbannt oder zu ewigem Gefängnis verurteilt und ihre Güter eingezogen. Letzteres Schicksal traf auch die bereits gestorbenen und die 29 entwichenen. Auch von solchen, die weniger beteiligt waren, wurden in Böhmen 480 Edelleute, in Mähren über 300 Personen ihres Vermögens ganz oder teilweise beraubt.
Die Güterkonfiskationen wurden in Böhmen auf einen Wert von 30, in Mähren von 5 Mill. Fl. geschätzt. Die Union der Böhmischen Brüder und die luth. Kirche, zu denen sich ein sehr großer Teil des Adels- und Bürgerstandes sowie ein Teil der Bauern bekannte, wurden unterdrückt, die frühere Verfassung 1627 aufgehoben, in ein rein monarchisches und rein kath. Erbreich verwandelt. An 36000 Familien, darunter 185 aus dem Herren- und Ritterstande, alle prot. Prediger und Lehrer, eine Menge Künstler, Kaufleute und Handwerker, die nicht katholisch werden wollten, wanderten aus nach Sachsen, Brandenburg, [* 8] Polen, Schweden, [* 9] Holland u. s. w. Durch den Ankauf der konfiscierten Güter bereicherten sich insbesondere Wallenstein (der Herzog von Friedland) und der Statthalter Fürst Liechtenstein. [* 10]
Sehr viele Besitzungen wurden vom Kaiser dem Erzbistum Prag, den Jesuiten und andern Geistlichen geschenkt. Furchtbar wütete nachher der Dreißigjährige Krieg im Lande. Von den 3 Mill. E., die Böhmen 1618 gezählt haben soll, waren 1648 nur noch 800000 übrig. Seitdem nahm das Land immer mehr einen provinziellen Charakter an, der gesetzlich durch die Pragmatische Sanktion Karls VI., der die Stände 1720 zustimmten, zum vollen Ausdruck gelangte. Nach Karls VI. Tode, 1740, machte Karl Albrecht, Kurfürst von Bayern, [* 11] auf Böhmen Anspruch und ließ sich in Prag von den Ständen huldigen; allein Maria Theresia behauptete das Land (s. Österreichischer Erbfolgekrieg); ebenso später, als im zweiten Schlesischen und im Siebenjährigen Kriege die Preußen [* 12] wiederholt nach oder vor Prag gerückt waren. Unter Joseph II. war Böhmen eins jener Länder, auf das sich die reformatorische Thätigkeit dieses Monarchen vorzugsweise richtete, wie es denn die Aufhebung der Leibeigenschaft ihm verdankt.
Durch die Kriege der Napoleonischen Zeit wurde Böhmen wenig betroffen; auch die franz. Julirevolution ließ Böhmen unberührt; erst später entwickelte sich dort eine Art ständischer Opposition, die sich, freilich vorsichtig und in untergeordneten Dingen, gegen den Druck des Metternichschen Systems richtete. Als jedoch die europ. Revolution von 1848 ausbrach, geriet auch in heftige polit. Bewegung. Mit der freien Regung der heimischen Elemente trat aber zugleich auch der Gegensatz derselben zu Tage.
Die deutsche Bevölkerung [* 13] B.s, von nationaler Begeisterung erfaßt, sah in der Nationalversammlung zu Frankfurt [* 14] das Bollwerk ihrer Freiheit, die czechische ihrerseits erblickte wieder in der Paulskirche die drohendsten Gefahren für ihren nationalen Bestand. Die Flamme [* 15] der Zwietracht loderte auf. Um dem deutschen Streben ein Gegengewicht zu setzen, wurde ein Slawenkongreß nach Prag berufen. Am trat derselbe zusammen, beendete aber seine Sitzungen nicht.
Denn ein Konflikt zwischen Volk und Militär am Pfingstmontage (11. Juni) erregte einen blutigen Straßenkampf, der 15. Juni ein Bombardement, die Unterwerfung Prags und die Sprengung des Slawenkongresses zur Folge hatte. Indessen dauerte der nationale Widerstreit fort. Auf dem ersten konstituierenden Reichstage Österreichs bildeten die czech. Deputierten in geschlossener Masse die Rechte, die zur Regierung hielt, während die deutschen Abgeordneten B.s mit wenig Ausnahmen der Linken angehörten. Beim Ausbruche der Wiener Oktoberrevolution flüchteten die czech. Deputierten und bewirkten namentlich die Verlegung des Reichstags nach Kremsier (in Mähren).
Sie stützten die Regierung in ihrem Kampfe gegen die Magyaren und übten einen bedeutenden Einfluß auf den Gang [* 16] der Dinge. Mit der Auflösung des Reichstags im März 1849 erreichte dieser Einfluß der Czechen sein Ende. Dagegen wurden im Lande die nationalczech. Bestrebungen dem deutschen Elemente gegenüber auf dem socialen und litterar. Gebiete fortgesetzt. Als der für Österreich ungünstige Ausgang des Italienischen Krieges von 1859 die innere Lage im Kaiserstaate änderte, trat die czech. Agitation auch auf dem eigentlich polit. Gebiete wieder hervor, und die Partei begann ihre Endziele, die Czechisierung des Landes und die Herstellung der «Krone Böhmen», aufzudecken. Auf dem im Frühjahr 1861 infolge des Oktoberpatents und der Februarverfassung versammelten böhm. Landtage hatte die czech. Partei das Übergewicht. Sie protestierte anfangs gegen die Reichsratswahlen, setzte aber hierauf die Wahl ihrer Parteiführer durch, die sich nun im ¶
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Abgeordnetenhause des Reichsrats an die Polen anschlossen und erst als sog. Autonomisten, dann als Föderalisten der konstitutionellen Centralisation, wie sie das Ministerium Schmerling anstrebte, entgegenarbeiteten. (S. Österreichisch-Ungarische Monarchie.) Zugleich entwickelte die czech. Tagespresse in Böhmen selbst eine wütende Agitation gegen das Deutschtum. Als sie erkannten, daß sie nicht im stande seien, eine slaw. Majorität im Abgeordnetenhause zu stande zu bringen, verließen sie dasselbe unter Protest (1863) und verlegten ihre ganze parlamentarische Thätigkeit in den Landtag.
Große Hoffnung knüpften sie an den Sturz des Ministeriums Schmerling und den Antritt des föderalistisch gesinnten Ministeriums Belcredi das die Verfassung sistierte und einen «außerordentlichen Reichsrat» einberief. An dem energischen Widerstande der Deutschböhmen und an dem Ausfalle des Krieges von 1866 scheiterten Belcredis Pläne, der mit Beginn 1867 das Staatsruder an Beust übergeben mußte. Als dieser in verfassungsmäßige Bahnen einlenkte, den Ausgleich mit Ungarn abschloß und das sog. Bürgerministerium eingesetzt wurde, steigerte sich die Opposition der enttäuschten Czechen ins Maßlose.
Sie verweigerten die Wahlen in den Reichsrat, zogen dagegen demonstrativ zur ethnogr. Ausstellung nach Moskau, [* 18] veranstalteten erregte Volksversammlungen (Tabors) und verließen endlich auch den Landtag, dem sie ihre staatsrechtlichen und nationalen Forderungen in der sog. «Deklaration» vorlegten (Aug. 1868). Ihre Aussichten besserten sich erst, als das Bürgerministerium im Frühjahr 1870 wegen innerer Uneinigkeit seine Entlassung nahm und der ausgleichsfreundliche Potocki, nach ihm im Febr. 1871 aber das Ministerium Hohenwart kam, das die weitgehendsten Forderungen, wie sie in den «Fundamentalartikeln» niedergelegt waren, zu erfüllen sich bereit zeigte.
Doch auch diesmal mußte dem heftigen Widerstande der vereinigten Deutschösterreicher und der Einsprache der Ungarn Rechnung getragen werden. Die Sanktion der Fundamentalartikel wurde nicht gewährt, Hohenwart entlassen und das verfassungstreue Ministerium Auersperg eingesetzt (1871). Hierauf zogen sich die Czechen vollständig auf die passive Opposition zurück. Die Energie in der Verwaltung des Statthalters Koller und die Einführung der direkten Reichsratswahlen (1873) lähmten ihre Thatkraft vollends.
Nach mehrjähriger Passivität mußten jedoch die czech. Abgeordneten, gedrängt von ihrem eigenen Volke, besonders den Jungczechen, in den Vertretungskörpern, die sie verlassen hatten, wieder erscheinen. Sie beschickten zuerst (1878) den böhm. Landtag, in welchem sie sich allerdings anfangs in der Minderheit befanden, aber auch den Reichsrat (1879), seitdem durch die Ernennung des Ministeriums Taaffe wenigstens ihre nächstliegenden Wünsche (czech. Universität, Sprachenverordnung, Abänderung der Wahlordnung) Aussicht auf Erfüllung erlangt hatten. Seitdem standen sich die beiden Nationalitäten in Böhmen schroffer denn je gegenüber, und wie hochgradig die Erhitzung der Gemüter auf czech. Seite geworden war, zeigten die Excesse in Kuchelbad bei Prag (Juni 1881) gegen Studenten deutscher Nationalität, wodurch auch eine erhöhte nationale Bewegung unter den Deutschböhmen hervorgerufen wurde.
Seit 1883 gelang es den Czechen, mit Hilfe der Feudalen auch die Mehrheit im böhm. Landtage zu erringen. Ebenso wurden die bis dahin deutschen Handelskammern von Prag und Budweis durch oktroyierte Wahlordnungen czechisiert und der slaw. Vorstoß ins deutsche Sprachgebiet mit immer größerm Erfolg betrieben. Der Sprachenverordnung von 1880, vermöge der auch in rein deutschen Bezirken nur Beamte mit der Kenntnis beider Landessprachen (also meist Czechen) zur Anstellung gelangen dürfen, folgte 1886 eine zweite, die die Czechisierung des Oberlandesgerichts und die Verdrängung der internen deutschen Amtssprache notwendig nach sich ziehen mußte.
Die im Reichsrate wie im Landtage in der Minderheit befindlichen Deutschen kämpften vergeblich gegen die immer weiter schreitende Slawisierung des Landes an. Ihre Anträge auf Aufhebung der Sprachenverordnungen und auf Durchführung einer administrativen Trennung des Landes nach Sprachengebieten wurden konsequent verworfen, obwohl gerade sie geeignet gewesen wären, die schwer geschädigte Ruhe und Ordnung im Lande wiederherzustellen. Eine tiefgehende Beunruhigung bemächtigte sich des deutsch-böhm. Volks in dem ihm aufgedrungenen Kampfe um die eigene Existenz.
Als ein von den deutschen Abgeordneten im Landtage eingebrachter Antrag zur Schlichtung der schroffen nationalen Gegensätze durch die nationale Abgrenzung der Bezirke nicht einmal einer Kommissionsverhandlung zugewiesen, sondern von der czechisch-feudalen Mehrheit bei der ersten Lesung abgewiesen wurde, verließen die Deutsch-Böhmen den Landtag mit der Erklärung, denselben erst dann wieder zu besuchen, wenn ihnen Bürgschaften für die sachliche Erwägung ihrer Wünsche und Anträge geboten sein würden.
Auch das Zerwürfnis der czech. Parteien wurde immer größer. Die Haltung der Altczechen im Reichsrate, besonders ihre Unterstützung der gegen das liberale Schulgesetz gerichteten Anträge, verminderten ihre Popularität im Lande und verschafften den Jungczechen immer mehr Anhänger. Bei den Landtagswahlen im Sommer 1889 setzten diese so viele (42) Kandidaten durch, daß sie bei der Fernhaltung der deutschen Abgeordneten in der Kurie der Landgemeinden die Mehrheit erhielten und dadurch auch in den Landesausschuß gelangten.
Aber die Furcht vor der steigenden Bedeutung dieser Partei veranlaßte die Regierung, durch Einberufung von Vertrauensmännern der Deutschen, Altczechen und Großgrundbesitzer Anfang Jan. 1890 Ausgleichsverhandlungen zu veranlassen, die in Wien [* 19] stattfanden und nach zweiwöchigen Beratungen zum Ziele führten. Ihre Ergebnisse wurden von den verschiedenen Parteien, mit Ausnahme der Jungczechen, angenommen. Es wurden dabei die meisten Forderungen der Deutschen, die Errichtung einer eigenen deutschen Sektion im Landesschulrat und im Landeskulturrat, wie die nationale Abgrenzung der Gerichtsbezirke und die Errichtung eines deutschen Senats beim Oberlandesgericht in Prag, bewilligt und zugestanden, daß bei 15 von den 41 Ratsstellen vom Erfordernisse der Kenntnis der czech.
Sprache [* 20] Abstand genommen werden solle. Auch eine Revision der Sprachenverordnung von 1880 wurde nach Durchführung der nationalen Abgrenzung der Gerichtssprengel in Aussicht gestellt, ebenso für die Wahlen des Großgrundbesitzes in den Landtag die Teilung desselben in mehrere Wahlkörper nach territorialer Abgrenzung, wie dies bei den Wahlen für den Reichsrat schon der Fall ist. An die Stelle der bisherigen, besonders für die Wahlen der Landesausschußmitglieder ¶