mehr
waren. Unbedingt, meinte Bismarck, müsse aber auch Deutschland [* 2] sich auf jede Eventualität gefaßt machen. Dem 25. Nov. neueröffneten Reichstage wurde eine Militärvorlage gemacht, welche die Erhöhung des Friedenspräsenzstandes des deutschen Heers um 41000 Mann und die Erneuerung des Septennats forderte. Bismarck sprach bei der zweiten Beratung der Vorlage 11., 12. und lebhaft für dieselbe und verkündigte, als 14. Jan. die Reichstagsmehrheit die Vermehrung des Heers schließlich zwar genehmigte, aber nur auf 3, statt auf 7 Jahre, den kaiserl. Erlaß, der den Reichstag für aufgelöst erklärte.
Die Neuwahlen wurden auf 21. Febr. ausgeschrieben. Bismarck nahm auch nicht Anstand, die Einwirkung des Papstes auf die dem Septennat widerstrebende Centrumspartei in Anspruch zu nehmen. Als dann die Gegner in der Presse [* 3] ihm Einführung von Monopolen und Aufhebung des allgemeinen Wahlrechts als die eigentlichen Motive der Reichstagsauflösung unterschoben, bezeichnete er in einer 24. Jan. im preuß. Abgeordnetenhause gehaltenen Rede diese Angaben als Verleumdungen. Der Zweck der Militärvorlage werde auch ohne Reichstagsvotum erreicht werden; die verbündeten Regierungen, die, wie Bismarck sagte, die Pflicht hätten, für die Sicherheit des Vaterlandes zu sorgen, würden auf eigene Faust die zur Verstärkung [* 4] des Heers nötigen Anordnungen treffen. Die Reichstagswahlen ergaben eine dem Septennat günstige Majorität der nationalen durch ein Kartell vereinigten Parteien. 3. März trat der neugewählte Reichstag zusammen und nahm 11. März die Heeresvorlage unverändert an.
In der That streiften die Ereignisse der nächsten Wochen hart an den Krieg. Die Verhaftung des franz. Grenzbeamten Schnäbele, dessen Spionage bewiesen werden konnte, auf deutschem Gebiete führte im franz. Ministerium zu dem Antrage auf Mobilmachung, dessen Annahme nur der Präsident Grévy verhinderte. Bismarck verstand es in einer Note an den franz. Botschafter Herbette, 28. April, die Freilassung Schnäbeles in einer Weise zu motivieren, die der Würde des Reichs und dem Rechte der deutschen Behörden zu ihrem Vorgehen nicht das Geringste vergab.
Der wirksamste Hebel [* 5] der B.schen Friedenspolitik war die im März abgeschlossene und bei einer Zusammenkunft des ital. Ministers Crispi mit in Friedrichsruh (1. Okt.) bekräftigte Erneuerung des Verteidigungsbündnisses Deutschlands, [* 6] Österreichs und Italiens. [* 7] Bei dem Besuche des Zaren in Berlin [* 8] konnte dann Bismarck 18. Nov. demselben nachweisen, daß man gefälschte Aktenstücke benutzt habe, um das Vertrauen zu der Ehrlichkeit der deutschen Politik zu nehmen. Der Abschluß dieser spannungsreichen Zeit war die gewaltige Rede, die Bismarck im Reichstage hielt bei der Beratung der Finanzvorlage für das Wehrgesetz, durch welches dem deutschen Heere die Landwehr zweiten Aufgebotes wieder zugeführt wurde. Der Tod seines geliebten Herrn, des Kaisers Wilhelm Ⅰ., den Bismarck als einen Wendepunkt auch in seiner eigenen Wirksamkeit empfand, führte eine neue Zeit herbei.
Mit dem neugewählten Reichstage wurde es auch möglich, dem Reiche eine neue ergiebige Einnahmequelle durch das 17. Juni angenommene Branntweinsteuergesetz zu eröffnen; dagegen die von der Landwirtschaft begehrte Erhöhung der Kornzölle konnte wieder nur mit Hilfe des Centrums durchgesetzt werden ^[]
Die Regierung Kaiser Friedrichs Ⅲ. (s. d.) begann mit dem Danke für die Dienste, [* 9] die Bismarck dem kaiserl. Hause geleistet. Aber zugleich zeigte der Erlaß an den Reichskanzler vom daß der Kaiser gewillt war, im Innern nach eigenem Programm zu regieren. Anfang April entwickelte sich bereits durch das von Bismarck sogleich entschieden widerratene Projekt der Verheiratung der Prinzessin Victoria [* 10] mit dem in Rußland verhaßten Prinzen Alexander von Battenberg, dem entthronten Fürsten von Bulgarien, [* 11] eine Krisis, die den Rücktritt B.s herbeizuführen geeignet war, aber durch den Entschluß des Kaisers, die Angelegenheit vorläufig ruhen zu lassen, sogleich gelöst wurde. An den Vorgängen, die zur Entlassung des Ministers von Puttkamer, 8. Juni, wenige Tage bevor der Tod die Leiden [* 12] des kaiserl. Dulders endete führten, war Bismarck unbeteiligt und suchte vielmehr die Entlassung zu verhindern.
Mit Zeichen des Vertrauens und der Dankbarkeit für Bismarck begann auch die neue Regierung unter Wilhelm Ⅱ. Kaiser und Kanzler zeigten bald bei mehrfachen Gelegenheiten eine übereinstimmende Auffassung in der Begünstigung der gemäßigten Mittelparteien. Die Berufung des liberalen Theologen Harnack nach Berlin (Sept.) veranlaßte die theol. Fakultät in Gießen, [* 13] zur Verleihung der theol. Doktorwürde an Bismarck wegen seines «Eintretens für duldsames und praktisches Christentum», wie es Bismarck selbst bezeichnete.
Aus der Absicht, der B.schen Politik Schwierigkeiten zu erwecken, ging die Veröffentlichung des Tagebuches Kaiser Friedrichs aus dem Kriege 1870 und 1871 (in der «Deutschen Rundschau», Okt. 1888) hervor. Die Untersuchung, die in seinem Immediatberichte vom 23. Sept. sofort beantragte, ergab den Professor Geffcken, einen frühern hanseatischen Diplomaten und persönlichen Gegner der B.schen Politik, als Urheber. Wenig erfreuliche Erörterungen der Presse schlossen sich an, und eine «Verletzung des monarchischen Gefühls» durch Veröffentlichung jenes, den Kronprinzen bloßstellenden Immediatberichtes sowie der Anklageschrift gegen Geffcken wurde behauptet. Entschieden trat 1889 auch die Stellungnahme B.s gegen die christlichsociale und extremkonservative Richtung zu Tage; der Hofprediger Stöcker wurde veranlaßt, von der polit. Agitation zurückzutreten.
Die auswärtige Politik B.s trat während dieser Periode in keine neue Wendung ein. Der Friedensbund der drei mitteleurop. Großmächte empfing durch Zusammenkünfte der Herrscher und Minister wiederholte Bekräftigungen, eine Annäherung Englands vollzog sich, und die B.sche Politik brachte es im Juni 1889 sogar zu stande, daß sich aus Anlaß des Falles Wohlgemuth (s. Deutschland und Deutsches Reich, Geschichte) selbst Rußland, eingedenk der Interessengemeinschaft der monarchischen Staaten, an einer Mahnung an die Schweiz [* 14] beteiligte, die socialistische Agitation schärfer zu überwachen.
In der Kolonialpolitik war es B.s Bemühen, die Fühlung mit England zu behalten. Der Aufstand in Ostafrika im Herbst 1888 führte zu einer deutsch-engl. Blockade der ostafrik. Küste zur Unterdrückung des Sklavenhandels; aus Rücksicht auf England mißbilligte auch Bismarck das Unternehmen des Dr. Peters, Emin Pascha zu befreien. (S. Deutschland und Deutsches Reich, Geschichte.) Die anfangs für Deutschland sehr ungünstigen Ereignisse auf ¶
mehr
Samoa, [* 16] Dez. 1888, veranlaßten Bismarck zu einer Mißbilligung des übereilten Vorgehens des deutschen Konsuls daselbst; die von ihm vorgeschlagene und vom Grafen Herbert Bismarck geleitete Samoa-Konferenz in Berlin, April bis Mai 1889, brachte den Ausgleich der deutschen, amerik. und engl. Interessen.
So befand sich zum Ende der B.schen Geschäftsführung die auswärtige Politik in klaren und einfachen Verhältnissen, die Kolonialpolitik in gesichertem und entschiedenem Aufstreben. Schon aber drängte der Ausbruch des rhein.- westfäl. Bergarbeiterstreiks im Mai 1889 zu weitern socialpolit. Reformen, namentlich hinsichtlich des Arbeiterschutzes und des Verhältnisses zwischen Arbeiter und Arbeitgeber, denen Bismarck zurückhaltender gegenüberstand, da sie nach seiner Meinung die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Industrie und das Recht des Arbeiters, seine volle Arbeitskraft auszunutzen, schmälerten.
Deshalb hatte er sich schon gegen verschiedene Arbeiterschutzanträge des Reichstags ablehnend verhalten. Eben diesen Fragen wandte Kaiser Wilhelm Ⅱ. seine thatkräftigste Teilnahme zu. Die kaiserl. Erlasse vom mit ihrem weitgehenden Programm der Arbeitergesetzgebung entbehrten der Gegenzeichnung durch Bismarck, da er ihre Veröffentlichung wiederriet ^[Fehler?: ihrer Veröff. widerriet]; irrtümlicherweise wurde behauptet, daß ihn auch in der Frage der Aufhebung des Socialistengesetzes eine grundsätzliche Meinungsverschiedenheit vom Kaiser trennte.
Zum formalen Konflikt zwischen Kaiser und Kanzler führte die Weigerung B.s, in die Aufhebung der Kabinettsorder vom die den Ministern verbot, ohne Anwesenheit des Ministerpräsidenten dem Monarchen Vortrag zu halten, zu willigen. Am reichte Bismarck auf wiederholtes Verlangen des Kaisers sein Entlassungsgesuch ein, das der Kaiser in anerkennendster Weise unter Verleihung der Würde eines Herzogs von Lauenburg [* 17] an und Ernennung desselben zum Generalobersten der Kavallerie am 20. März genehmigte. Die Abreise des Fürsten von Berlin nach Friedrichsruh am 29. März führte zu einem gewaltigen Ausdrucke der tiefen Bewegung, die das Ereignis des Rücktrittes in der Bevölkerung [* 18] erregt hatte.
Auch als Privatmann wendet Bismarck den polit. Fragen ein unausgesetztes, scharfes Interesse zu, und wiederholt empfing er Vertreter der ausländischen und deutschen Presse in Friedrichsruh, wo er seit seinem Rücktritte meist weilt, und suchte namentlich auf die Stimmung des Auslandes im Sinne seiner Friedenspolitik zu wirken. Am wurde Bismarck von dem 19. hannov. Wahlkreise Kehdingen-Neuhaus zum Reichstagsabgeordneten gewählt; er nahm die Wahl an, ohne jedoch an den Sitzungen teilzunehmen, und lehnte 1893 eine Wiederwahl ab. Daß die Verehrung und Dankbarkeit, die Bismarck im deutschen Volke gewidmet wird, sich seit seinem Rücktritte nicht vermindert hat, bewiesen die zahlreichen Huldigungen, die ihm bei verschiedenen Gelegenheiten dargebracht wurden. Am deutlichsten zeigte sich dies aber 1892 bei der Reise, die Bismarck zur Hochzeit seines Sohnes Herbert nach Wien [* 19] unternahm.
Schon auf der Hinreise wurde er in Dresden [* 20] jubelnd begrüßt. In Wien waren ihm durch die Reichsregierung Schwierigkeiten sogar in der Pflege seiner gesellschaftlichen Beziehungen bereitet worden. In einer Unterredung mit einem Wiener Journalisten sprach Bismarck sich sehr abfällig über die Politik seines Nachfolgers aus. Darauf veröffentlichte der Reichsanzeiger zwei gegen Bismarck gerichtete frühere Erlasse des Reichskanzlers Grafen von Caprivi. Der eine ersuchte den deutschen Botschafter in Wien, Prinzen Reuß, [* 21] einer Einladung zur Hochzeit auszuweichen, und wies die Möglichkeit zurück, daß der frühere Reichskanzler jemals wieder irgend welchen Einfluß auf die Leitung der Geschäfte gewinnen könne.
Der andere kehrte sich gegen die über die gegenwärtigen Anschauungen B.s durch die Presse verbreiteten Äußerungen, denen ein aktueller Wert nicht beizulegen sei, und betonte, daß der Kaiser zwischen «Bismarck früher und jetzt» unterscheide. Die Folge dieser Veröffentlichung war, daß dem Fürsten auf der Rückkehr von Wien die großartigsten Huldigungen entgegengebracht wurden. Als Bismarck Sommer 1893 in Kissingen [* 22] schwer erkrankte, gab dies dem Kaiser Veranlassung, sich von Güns in Ungarn [* 23] aus, wo er zur Jagd weilte, telegraphisch nach dem Befinden des Fürsten zu erkundigen und ihm eins der kaiserl. Schlösser als Wohnung anzubieten. Bismarck lehnte dieses Anerbieten zwar ab, doch war damit der erste Schritt zu einer Wiederannäherung gethan.
Als der Kaiser sein 25jähriges Militärjubiläum feierte und den Fürsten nach altem Brauch durch seinen Flügeladjutanten, Grafen Moltke, zur Teilnahme an dem Fest einladen ließ, folgte Bismarck dem Ruf und begab sich, begleitet von seinem Sohn Herbert, 26. Jan. nach Berlin, wo er von dem Kaiser mit den größten Ehren empfangen und vom Volk mit stürmischem Jubel begrüßt wurde. B.s Ernennung zum Chef des 7. Kürassirregiments erfolgte an demselben Tage. Bald darauf (19. Febr.) besuchte der Kaiser den Fürsten in Friedrichsruh.
Umfassende Sammlungen sind für ein Denkmal (Bronzestandbild) B.s in Berlin und für einen Bismarck-Turm am Starnbergersee veranstaltet worden. Das erstere soll auf der erweiterten Rampe des neuen Reichstagsgebäudes Aufstellung finden. In Köln [* 24] wurde ein Denkmal B.s von Schaper, in Düren [* 25] eins von Uphues enthüllt; am Leipziger Siegesdenkmal (1888) befindet sich ein Reiterstandbild B.s.
Bismarck war seit vermählt mit Johanna von Puttkamer (geb. gest. in Varzin). Dieser Ehe entsprossen: Gräfin Marie Elisabeth Johanna von Bismarck, geb. vermählt mit Cuno Grafen zu Rantzau (s. d.); Graf Herbert von Bismarck-Schönhausen (s. d.); Graf Wilhelm von Bismarck-Schönhausen (s. d.).
Litteratur. Das urkundliche Hauptwerk ist L. Hahn, [* 26] Fürst Bismarck. Sein polit.
Leben und Wirken urkundlich in Thatsachen und des Fürsten eigenen Kundgebungen (5 Bde., Berl. 1878‒91), das darstellende Hauptwerk (zunächst bis 1867 reichend): H. von Sybel, Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm Ⅰ. (1. bis 3. Aufl., 1.‒5. Bd., Münch. 1889, 1890).
Sammlungen der Reden: Fürst Bismarck als Redner, hg. von Böhm und Dove (bis 1891 16 Bde., Stuttgart, [* 27] Kollektion Spemann);
Fürst B.s polit. Reden.
Histor.-kritische Gesamtausgabe von Kohl Bd. 1‒10, Stuttg. 1892‒94);
Fürst B.s gesammelte Reden, hg. von Walden (3 Bde., Berl. 1892);
Discours (15 Bde., Berl. 1870‒89).
Vgl. außerdem: (W. R. Schultze), Graf Bismarck. Ein Lebensbild (Altenb. 1867);
Bamberger, Herr von Bismarck (Bresl. 1868; auch in franz. und in engl. Sprache): [* 28] Vilbort, L'œuvre de M. de Bismarck, 1863‒66. Sadowa et la campagne des sept jours (Par. 1869; deutsch, ¶