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und die Aufrechterhaltung der Integrität Österreichs, dem keine Gebietsabtretung zugemutet wurde, eine Mäßigung, die eine baldige Annäherung beider Großmächte möglich machte. Auf Grund des Prager Friedens (23. Aug.) schied Österreich [* 2] aus dem Bunde und trat seine Rechte auf die Elbherzogtümer an Preußen [* 3] ab, welches die Herstellung eines norddeutschen Staatenbundes und die Einverleibung mehrerer Staaten sich vorbehielt und den süddeutschen Regierungen die Konstituierung eines besondern Bundes anheimgab. Die franz. Einmischung und das Verlangen Frankreichs nach dem linken Rheinufer kam Bismarck bei den Verhandlungen mit den süddeutschen Staaten zu statten. Noch vor Unterzeichnung des Prager Friedens wurde durch geheime Schutz- und Trutzbündnisse mit Württemberg [* 4] (13. Aug.), Baden [* 5] (17. Aug.) und Bayern [* 6] (22. Aug.) die Einigung der nationalen Wehrhaftigkeit gesichert.
In Preußen hatte vor Ausbruch des Krieges der Verfassungsstreit an Ausdehnung [* 7] und Schärfe noch zugenommen. Der am eröffnete Landtag wurde 23. Febr. schon wieder geschlossen, und Bismarck regierte aufs neue ohne Budget. In den liberalen Schichten der Bevölkerung [* 8] aber hatte sich allmählich eine wesentliche Stimmungsänderung vollzogen. Das Attentat des Fanatikers Cohen-Blind vom auf Bismarck verschaffte ihm persönliche Sympathien. Angesichts der Wandlung der Verhältnisse und ihrer Rückwirkung auf die Volksstimmung erfolgte die Auflösung des Abgeordnetenhauses, und am Tage von Königgrätz [* 9] wurden die Neuwahlen vollzogen.
Abweichend von den in den Hofkreisen bestehenden Anschauungen wünschte Bismarck nach Erreichung seiner nächsten Ziele der Volksvertretung versöhnlich entgegenzukommen und beantragte daher bei derselben in der am 5. Aug. eröffneten Session Indemnität für die ohne Staatshaushaltsgesetz geführte Verwaltung. Infolgedessen trennte sich ein großer Teil der bisherigen Opposition behufs Unterstützung der deutschen Politik B.s als «nationalliberale» Partei von der Fortschrittspartei und genehmigte die Indemnität, bewilligte außerordentliche Kredite für Heer und Marine und Dotationen für und die preuß. Heerführer und wirkte bei der Einverleibung der annektierten Länder mit.
Die Bevollmächtigten von 22 Staaten versammelten sich 15. Dez. zu den Berliner [* 10] Konferenzen und unterzeichneten die vereinbarte Bundesverfassung. Der 12. Febr. durch allgemeine direkte Wahlen mit geheimer Abstimmung gewählte konstituierende Reichstag beriet vom 24. Febr. bis 16. April den Verfassungsentwurf, in welchem Bismarck die Diätenlosigkeit als Gegengewicht gegen das allgemeine Stimmrecht und die Fixierung der Friedenspräsenzstärke auf eine Reihe von Jahren durchsetzte. Der Norddeutsche Bund unter dem Präsidium und der Kriegsoberhoheit des Königs von Preußen mit Bundesrat und Reichstag war nun organisiert. Bismarck wurde Bundeskanzler und übernahm den Vorsitz des Bundesrats und die Verwaltung der Bundesangelegenheiten. Der legislatorischen Thätigkeit bot sich bald ein weiter Spielraum, besonders auf dem Zoll- und Handelsgebiete. (S. Norddeutscher Bund und Deutschland [* 11] und Deutsches Reich.)
Bald genug war Bismarck wieder in der Lage, mit seiner Politik des Hinhaltens den franz. Interventions- und Kompensationsabsichten zu begegnen. Nachdem Napoleon Ⅲ. Bismarck einen neuen Vertragsentwurf durch Benedetti hatte vorlegen lassen ^[] und abgewiesen worden war, unterhandelte er mit dem Könige der Niederlande [* 12] über käufliche Erwerbung des Großherzogtums Luxemburg [* 13] (s. d.) für Frankreich. Bismarck bekämpfte dieses die deutsche Grenze bedrohende Projekt mit Entschiedenheit, ließ die Verteidigungsbündnisse mit den süddeutschen Staaten veröffentlichen, und am kam, nachdem Frankreich schon zu rüsten begonnen hatte, zu London [* 14] ein Vertrag zu stande, der die Neutralität Luxemburgs und die Schleifung der Festung [* 15] Luxemburg bestimmte.
Nach dem Mißlingen dieser Versuche wurde am franz. Hofe ein förmliches System von Einmischungs- und Bevormundungsversuchen Preußen gegenüber eingeführt, denen Bismarck mit ebenso großer Festigkeit [* 16] als diplomat. Feinheit entgegentrat, um seinerseits den richtigen Zeitpunkt abzuwarten. In die Verhandlungen des Norddeutschen Reichstags und des Abgeordnetenhauses von 1868‒70 griff Bismarck mit besonderm Nachdruck bei der Frage der welfischen Agitation und der Abschaffung der Todesstrafe ein. Als im Sommer 1870 bei dem Bekanntwerden der span. Thronkandidatur des Erbprinzen von Hohenzollern das franz. Kabinett und der franz. Gesandte Benedetti (s. d.) dem König Wilhelm nur die Wahl zwischen Demütigung und Krieg ließen, brachte Bismarck durch Veröffentlichung der franz. Allianzanträge der Napoleonischen Politik einen vernichtenden Schlag bei. (S. Deutsch-Französischer Krieg von 1870 und 1871.)
Der an Preußen erklärte Krieg war für die deutschen Waffen [* 17] siegreich. Vorzugsweise die geschickte und entschlossene Politik B.s, der in der Begleitung des Königs dem ganzen Feldzuge beiwohnte, hielt alle fremde Einmischung fern. Mäßigend wehrte er auch das allzu stürmische Drängen nach voller polit. Einigung, das auch Gewalt gegenüber den etwa widerstrebenden Bundesgenossen nicht verschmähen wollte, ab. Wichtiger als die Herstellung einer äußern Straffheit und Gleichförmigkeit durch die Verträge mit den süddeutschen Staaten erschien ihm die Erreichung der für eine kraftvolle Reichsgewalt in polit. und militär. Hinsicht notwendigsten Zugeständnisse. So erreichte er schließlich als Frucht des gemeinsamen Waffensiegs den Abschluß der Versailler Verträge (s. Versailles). [* 18] Am wurde König Wilhelm im Hauptquartier zu Versailles als Deutscher Kaiser proklamiert.
Nicht minder war B.s Werk der 26. Febr. mit Thiers abgeschlossene Präliminarfrieden von Versailles. Bismarck selbst wurde am Tage der Eröffnung des ersten Deutschen Reichstags, vom Kaiser Wilhelm in den erblichen Fürstenstand erhoben, ihm als Dotation eine Domäne im Amte Schwarzenbeck im Herzogtum Lauenburg [* 19] verliehen und sein Titel «Bundeskanzler» in «Reichskanzler» verwandelt. Am 10. Mai ward zu Frankfurt [* 20] a. M. nach viertägigen Verhandlungen zwischen und den franz. Bevollmächtigten der definitive Friede zwischen Deutschland und Frankreich abgeschlossen.
Im Innern des Reichs wurde Bismarck nun ein Kampf aufgedrängt, der, den alten Machtstreit zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt wieder aufnehmend, von den tiefsten Wirkungen auf die innere Entwicklung des neuen Reichs werden sollte. Das Vatikanische Konzil (s. d.) hatte das Unfehlbarkeitsdogma trotz der Opposition der deutschen Bischöfe angenommen und damit der röm.-kath. Kirche einen neuen Charakter gegeben, welcher die staatliche Unabhängigkeit schwer bedrohte. ¶
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Dennoch wäre es um des Unfehlbarkeitsdogmas willen allein nicht zum Kampfe gekommen, sondern in erster Linie der antinationalen Haltung der kath. Centrumspartei, die das Welfen- und Polentum begünstigte, schob Bismarck die Schuld an dem Ausbruche des Streites zu. So folgte denn im Einverständnisse zwischen und dem größten Teile der Volksvertretung eine Maßregel nach der andern zur Bekämpfung der hierarchischen Übergriffe. Es wurden Gesetze erlassen über die Ausweisung der Jesuiten, die Vorbildung, staatliche Prüfung und Anstellung der Geistlichen, die Schulaufsicht, die Rechte der Altkatholiken, die Aufhebung der Klöster, die Civilehe u. s. w. Zum Teil hatte Bismarck dem Vorgehen des Kultusministers Falk (s. d.) freilich nur mit schwerem Herzen und, wie er selbst sagte, durch die Notwehr gezwungen, zugestimmt, aber dann diesen Kampf mit Energie vertreten.
«Nach Canossa gehen wir nicht», sagte Bismarck als die Ernennung des national gesinnten Kardinals Hohenlohe (s. d.) zum Botschafter beim Vatikan [* 22] von Pius Ⅸ. zurückgewiesen wurde. Fanatische Agitation und Aufregung wirkte auf die kath. Bevölkerung dergestalt, daß ein kath. Böttchergeselle, Kullmann, «um der Kirchengesetze willen» auf in Kissingen [* 23] schoß; er verwundete ihn indes nur an der Hand. [* 24] Zur Erinnerung daran wurde Bismarck 1877 ein Denkmal in Kissingen (s. d.) gesetzt. So lange der von den Jesuiten beherrschte Papst Pius Ⅸ. lebte, war an keine Versöhnung zu denken. Aber sein Nachfolger Leo ⅩⅢ. (seit 1878) bekundete den Wunsch nach Herstellung des konfessionellen Friedens. So wurden wieder Verhandlungen mit der Kurie angeknüpft und mildernde Gesetze seit 1880 dem Landtage vorgelegt. Auch für Bismarck wurde es immer dringenderes Bedürfnis, die Unterstützung wenigstens eines Teils der Centrumspartei für seine übrige innere Politik zu gewinnen, denn auch hier hatte es nicht an Hemmungen gefehlt.
Als im Frühjahr 1874 dem Reichstage ein Militärgesetz vorgelegt wurde, durch welches die Reichsregierung die Stärke [* 25] des stehenden Heers ein für allemal festsetzen wollte, erhoben sich von neuem jene Bedenken, die dem preuß. Verfassungskonflikt so lange Nahrung gegeben hatten. Bismarck trat mit allem Nachdrucke für die Regierungsforderung ein, und ein neuer Konflikt stand bevor, als Bismarck heftig erkrankte und den Reichstagsverhandlungen fern bleiben mußte. Die grundsätzlich oppositionellen Parteien und ein Teil der Nationalliberalen wollten das Budgetrecht unter allen Umständen voll gewahrt sehen und verlangten jährliche Beratung des Militärbudgets. Nach mehrfachen Unterhandlungen zwischen dem Kaiser, und den Führern der nationalliberalen Partei des Reichstags gelang es, die Majorität für ein Kompromiß zu gewinnen, welches der Regierung ihre Forderung für die nächsten sieben Jahre bewilligte (das sog. Septennat).
Die Prozesse gegen den frühern Botschafter in Paris, [* 26] Grafen Harry von Arnim (s. d.), seit 1874 zeigten, daß Bismarck mit fester Entschlossenheit auf strenge Einheit der auswärtigen Politik hielt. B.s Versuch, sich allein auf die Leitung der Reichspolitik zu beschränken, mißglückte; das von ihm dem Grafen Roon übergebene Ministerpräsidium übernahm er bereits wieder. Nebenströmungen am Hofe brachten ihn 1877 dazu, um Entlassung vom Kanzlerposten zu bitten.
Aber der Kaiser hielt an seinem ersten und besten Ratgeber fest und lehnte das Gesuch ab. Doch wurde dem überbürdeten Reichskanzler vom Kaiser und Reichstage ein Stellvertreter für sämtliche und einzelne Stellvertreter für die einzelnen Departements durch das Stellvertretungsgesetz von 1878 gewährt. Dagegen übernahm Bismarck im Sept. 1880 zu seinen übrigen Ämtern auch die Leitung des preuß. Ministeriums für Handel und Gewerbe. Auf wirtschaftlichem Gebiete war das Ziel, das er jetzt mit warmem Eifer ins Auge [* 27] faßte, dem Verkehr freiere Bahn zu sichern, dem Reiche die nötigen Gelder auf eine den Einzelnen möglichst wenig bedrückende Weise vor allem durch indirekte Steuern zu verschaffen, die für die einzelnen Staaten und Gemeinden unerträglichen Lasten auf das Reich zu übernehmen und den Arbeiterstand vor den Lockungen des Socialismus zu bewahren.
Diese neue Wirtschaftspolitik führte auch zu neuen Gruppierungen der Parteien. Während die Fortschrittspartei fast in allen Fragen eine geschlossene Opposition bildete, hatte Bismarck jetzt auch an der nationalliberalen Partei, mit welcher seit 1879 («Sezession») die frühern nähern Beziehungen gelockert waren, keine feste Stütze, sodaß er sich nur auf die zwei konservativen Parteien ganz verlassen konnte. Dagegen fand er jetzt öfters die Unterstützung des Centrums, das in seinen rhein.-westfäl.
Mitgliedern viele schutzzöllnerische Elemente enthielt. – B.s Projekt, sämtliche deutschen Eisenbahnen an das Reich zu bringen, scheiterte an dem Widerspruch der Einzelstaaten, weshalb er sich vorderhand damit begnügte, in Preußen das Staatsbahnensystem durchzuführen und möglichst viele Privatbahnen [* 28] anzukaufen. Seinen weitern Plan, der eine Reform der Steuern und Zölle bezweckte, konnte er nur teilweise durchführen. Der von ihm 1879 vorgelegte Zolltarifentwurf wurde durch eine Koalition des Centrums und der Konservativen vom Reichstage 12. Juli genehmigt; aber für Einführung des Tabakmonopols fand er keine Mehrheit.
Der von ihm 1881 für Preußen berufene Volkswirtschaftsrat wurde als unnötige Konkurrenz des Landtags und Reichstags angesehen. Nach dem Attentat auf den Kaiser legte Bismarck dem Reichstage ein Socialistengesetz vor. Als dieses verworfen wurde und 2. Juni ein zweites Attentat folgte, wurde der Reichstag aufgelöst und der neugewählten Versammlung ein verbessertes Socialistengesetz vorgelegt, das 19. Okt. mit einigen Änderungen angenommen wurde und der Regierung die Macht zu strengern und nachhaltigern Maßregeln verschaffte. Seiner Aufforderung zum Anschluß an den Zollverein, von dem sich nur noch Hamburg [* 29] und Bremen [* 30] fern hielten, entsprach zuerst Hamburg durch Abschluß des Vertrags vom 1884 folgte Bremen.
Unbestritten waren B.s Erfolge in der äußern Politik. Sein Gedanke war, unter Wahrung der Ehre und Würde des Reichs den Frieden zu erhalten, dessen Deutschland für die Fülle seiner innern Aufgaben bedurfte. Die nächste Aufgabe war, die von ihm stets für Deutschland erwünschte Freundschaft mit Österreich wieder anzuknüpfen, die mit Rußland zu erhalten. Er erreichte im Sept. 1872 die Zusammenkunft der drei Kaiser von Deutschland, Rußland und Österreich in Berlin. [* 31] Bei dem Ausbruch der orient. Krisis beteiligte er sich im Interesse der Humanität und des Friedens an den verschiedenen Konferenzen. Als der Russisch-Türkische Krieg begann und der Vertrag von San Stefano 1878 England in die Schranken gegen Rußland zu ¶