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allmählich ein eigenes System, das Magazinsystem, ausgebildet. Der erste Anfang hierzu wurde beim Bau der Münchener Hofbibliothek (1832-43) gemacht, bei dem die Anwendung von Galerien den Gebrauch der Leitern zur Erreichung der obern Bücherreihen überflüssig macht. Weitere Fortschritte in den Magazinsystemen, namentlich durch hohe Seitenbeleuchtung und sparsamste Raumverwendung zeigten die Bauten des Britischen Museums (s. d.) in London [* 2] (1827-47), sowie der Ste. Geneviève (1843-50) und der Nationalbibliothek zu Paris. [* 3]
Die höchste Vollendung hat gegenwärtig das System wohl im Bau der Kongreßbibliothek zu Washington [* 4] (1888) erfahren, in der sich das Magazin strahlenförmig um einen achteckigen Lesesaal gruppiert. In allen diesen Bauten bildet das Büchermagazin von der Sohle bis zur Decke [* 5] des obersten Geschosses freie Hohlräume, in denen die eisernen Büchergerüste derart angeordnet sind, daß sie zugleich als Stützen des Daches dienen. In senkrechten Abständen von etwa 2,5 m, so daß auch die obersten Bücherreihen der Gestelle vom Fußboden aus erreicht werden können, sind die Gerüste horizontal geteilt durch eiserne, an den Gerüstpfosten befestigte Decken, deren Fußboden aus durchbrochenen Gußeisenplatten besteht.
Die Büchergestelle laufen senkrecht zu den Längswänden in Abständen von 1 m und sind von einem Mittelgang durchschnitten. Die Querbretter der Büchergestelle sind durch eiserne Stellzapfen verstellbar und bilden nach oben zu kleiner werdende Gefache, damit die Bücher nach drei Formaten gesondert aufgestellt werden können, die größeren (Folio) unten, die kleinern (Quart [* 6] und Oktav) oben, und zwar empfehlen sich der Raumersparnis halber als Maße für die lichte Höhe der Gefache bei Oktav 25 cm, Quart 35 cm, Folio 45 cm; für die Tiefe der Gestelle bei Oktav 20 cm, Quart 30 cm, Folio 40 cm; für die Weite der Gestelle 1 m. Die Galerien stehen unter sich durch Eisentreppen in Verbindung, die Bücherbeförderung wird durch Aufzüge [* 7] bewirkt, die Beleuchtung [* 8] durch eine Verbindung von Oberlicht mit zweiseitigem Seitenlicht.
Die Geschoßhöhe entspricht der von drei Bücherrängen. Die Dächer sind massiv oder in Wellblech [* 9] herzustellen, die Verwendung von hölzernen Konstruktionsteilen überhaupt möglichst auszuschließen. Zur Vermeidung der ungünstigen chem. Einflüsse, denen die Bücher durch feuchte oder zu trockne und warme oder verunreinigte Luft unterliegen, ist auf beständige Lufterneuerung innerhalb des ganzen Gebäudes Bedacht zu nehmen, was am besten durch Einrichtung von Luftheizung geschieht. Die Luftwärme darf in den Bücherräumen nicht unter 8° R. herabsinken. - Unter den Verwaltungsräumen sind zu nennen das Zimmer des Direktors, die Arbeitszimmer der Beamten, wo zumeist auch der bibliogr. Apparat und die Kataloge ihren Platz haben, sowie das Ausleihezimmer; notwendig sind weiterhin ein Zeitschriften- und womöglich ein Handschriftenzimmer und vor allem ein geräumiger, behaglicher Lese- und Arbeitssaal, in dem sich eine für die Leser bestimmte Handbibliothek befindet.
In neuerer Zeit sind alle großen Neubauten deutscher Bibliotheken nach dem Magazinsystem erfolgt, so die Universitätsbibliothek zu Wien, [* 10] die Bibliotheken in Karlsruhe, [* 11] Rostock [* 12] (1871), Halle [* 13] (1880), Greifswald [* 14] (1881), Stuttgart [* 15] (1883), Kiel [* 16] (1884), Wolfenbüttel [* 17] (1886), Leipzig [* 18] (1888-91), sowie teilweise auch die Umbauten in Göttingen [* 19] und Bonn [* 20] (1890). Beim Leipziger Gebäude trat insofern eine Neuerung ein, als unter Beseitigung der hohen Hohlräume mit den zahlreichen, durch eiserne Roste hergestellten Geschossen niedrige doppelseitig beleuchtete Magazinsäle eingerichtet sind, wodurch ein sicherer Abschluß der Räume gegen Feuersgefahr erreicht und verhindert wird, daß Staub und Schmutz von Geschoß [* 21] zu Geschoß durchdringt.
Was das Beamtenpersonal betrifft, so ist erst neuerdings, namentlich in Anregung einer kleinen Schrift von Klette (anonym, Lpz. 1871), die «Selbständigkeit des bibliothekarischen Berufes» allgemein anerkannt worden. Die Vorbildung des Bibliothekars muß in wissenschaftlicher Beziehung eine encyklopädische sein, wobei vor allem auf Erwerbung reicher Sprach-, Geschichts- und Litteraturkenntnisse zu sehen ist, und in technischer Beziehung teils durch theoretische Vorlesungen über Bibliothekswissenschaft, für die jetzt an der Universität Göttingen ein eigener Lehrstuhl besteht (Professor Dziatzko), teils durch praktische Ausbildung an einer Bibliothek erreicht werden. Stets aber muß ein Fachstudium vorangegangen und die Befähigung zu selbständiger Forschung auf einem Specialgebiet dargethan sein; nur dann wird der Bibliothekar sich auch auf andern wissenschaftlichen Gebieten zurechtfinden und die litterar. Bewegung verfolgen können, während er ohne Einsicht in die Art und Wege wissenschaftlicher Forschung bloßer Registrator sein und der geistigen Verflachung und Halbbildung verfallen würde.
Bei Begründung des Bücherschatzes bestimmt der Zweck die Grenzen, [* 22] innerhalb deren sich die Sammlung bewegen soll. Zweckdienlich ist hier die Erwerbung eines geeigneten schon bestehenden Büchervorrats, der die Grundlage der Bibliothek zu bilden hat, woran sich dann der weitere Zuwachs anschließt. Würdige Erwerbungen sind in erster Linie die wissenschaftlich wichtigen, worunter umfangreiche und kostspielige Serienwerke und Zeitschriften hervorzuheben sind, in zweiter die durch Entstehung, Schicksale, Material und Aussehen merkwürdigen, dann seltene Werke, wie Handschriften, alte Drucke, verbotene Bücher, Prachtwerke. Alle in den Besitz der Bibliothek gelangenden Bücher sind sogleich durch einen Stempel zu kennzeichnen, am besten auf der Rückseite des Titelblattes.
Sodann sind die Titel der Werke, jede Schrift auf einem eigenen Zettel, mit Voranstellung des Verfassernamens oder bei Anonymen eines sachlichen Ordnungs- oder Stichwortes, genau aufzunehmen, d. h. der Zettelkatalog ist herzustellen, der allen weitern Katalogisierungs arbeiten als Unterlage zu dienen hat. Demnächst ist der systematische oder wissenschaftliche (Real-)Katalog anzulegen, nach dem zugleich die Aufstellung der Bücher zu erfolgen hat, so daß ein besonderer Standortskatalog, wie er bisher vielfach üblich und nötig war, ganz entbehrt werden kann.
Denn die Bibliothek soll in Katalog und Aufstellung die Entwicklung der Wissenschaften veranschaulichen und so ermöglichen, sämtliche auf einen bestimmten Gegenstand bezüglichen Werke schnell und sicher an einer Stelle beieinander zu finden. Seit dem Mittelalter sind die verschiedensten Systeme der Anordnung durchgeführt worden. Für die Ausarbeitung eines Systems hat die praktische Rücksicht auf den Zweck der Bibliothek, auf ihren Umfang und besondern Inhalt den Ausschlag zu geben. Je größer die ¶
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Bibliothek, desto weiter wird die Gliederung des Schemas zu gehen haben, dessen kleinste Unterabteilungen chronologisch, hier und da auch wohl besser alphabetisch anzuordnen sind. Das einmal gewählte System ist mit Strenge durchzuführen, bei zweifelhaften Fällen ist durch Verweisungen nachzuhelfen. Endlich ist aus dem Zettelmaterial durch Umordnung ein alphabetischer Zettelkatalog und der leichtern Handhabung und Übersicht wegen außerdem noch ein ganz knapp gehaltener alphabetischer (Nominal-)Index in Bandform zu schaffen.
Nützlich, aber nicht notwendig ist der vielfach empfohlene alphabetische Realkatalog, da die reiche Litteratur der Bibliographien als Ersatz für ihn eintreten kann. Von Specialkatalogen erscheinen notwendig nur der Handschriften-, Inkunabeln- und Cimelienkatalog sowie ein Katalog der sog. kleinen Schriften, d. h. der Dissertationen und Programme, die in die allgemeinen Kataloge aufgenommen diese allzusehr und dazu mit wissenschaftlich minderwertigem Material belasten würden.
Die Aufstellung der Bücher, die nunmehr zu erfolgen hat, geschieht weder in alphabetischer Anordnung noch in der Reihenfolge der Erwerbung, wie es früher empfohlen, sondern genau nach der Weise des wissenschaftlichen Katalogs, nur mit der durch Raumersparung gebotenen Einschränkung, daß die Formate nach den angegebenen drei Maßen zu trennen sind, außerdem bei jeder Unterabteilung für den künftigen Zuwachs ausreichende Lücken freigelassen werden. Als Regel gilt, daß in jedem Gestell mit dem untersten Fache begonnen und dann aufwärts stets von links nach rechts fortgeschritten wird. Zur Bestimmung des Raumbedarfes für die Aufstellung rechnet man allgemein für 100 Bände 1 qm Ansichtsfläche der Gestelle.
Bei der Signierung der Bücher, die gleichfalls genau dem Realkatalog zu entsprechen hat, wende man große lat. Buchstaben für das Wissenschaftsfach (z. B. Geschichte), kleine für die Hauptabteilung (z. B. preuß. Geschichte) an und zähle dann ohne Berücksichtigung der Formate von 1 an mit springenden Nummern, z. B. Lc 105, 120 u. s. w.
Für die Bewahrung des Bücherschatzes sorgen am besten jährliche Revisionen des Bestandes sowie öftere Reinigung der Bücherräume und der Gestelle, Ausstäuben der Bücher im Herbst, wodurch zugleich dem Einnisten der Insekten [* 24] vorgebeugt wird, Fernhaltung von Holzeinbänden, den Zufluchtsstätten des Bohrwurms.
Bei der Vermehrung des Bücherschatzes kommt wie bei seiner Begründung der Zweck der Bibliothek, ob Special- oder Centralbibliothek, in vorwiegende Berücksichtigung, Sie geschieht durch Einzelkauf zweckmäßiger als durch Massenkauf, bei dem der Erwerb von Dubletten und lückenhaften Serien unvermeidlich ist; ferner durch Austausch oder Verkauf der Dubletten, bei Institutsbibliotheken durch Austausch der Publikationen des Instituts, durch Zuwendung von Geschenken, endlich durch pflichtmäßige Ablieferung von Werken seitens der Buchhändler, der sog. Pflichtexemplare (s. d.). Jede dieser Erwerbungen ist in abgekürzter Form unter Angabe des Lieferanten und des Preises in das dem geschäftlichen Verkehr mit den Buchhändlern dienende Jahreszugangsverzeichnis sogleich einzutragen, dann binden zu lassen, in die verschiedenen Kataloge nachzutragen, zu signieren, zu stempeln und so dem Bücherschatze an der gegebenen Stelle einzuverleiben.
Über die Art der Benutzung des Bücherschatzes besteht an allen größeren Anstalten ein festes, meist durch Druck bekannt gegebenes «Reglement» oder «Regulativ», das die Zeit, während der die Bibliothek geöffnet ist, die Berechtigung zur Benutzung und die Bedingungen, unter denen die Bücherverleihung, wohl auch die Besichtigung der Anstalt stattfinden kann, näher bestimmt. Unbeaufsichtigter Zutritt zu den Bücherräumen ist stets nur einer geringen Anzahl von ortsansässigen und dem Beamtenpersonal genau bekannten Gelehrten gestattet. In engen Grenzen halten muß sich die eigenhändige Benutzung der geschriebenen Kataloge seitens der Besucher der Bibliothek, von denen nur die wenigsten sie richtig zu gebrauchen im stände sind.
Während es für die Benutzung der Bücher im Lesesaal, den man an größern Anstalten nicht nur tags über, sondern sogar bei Beleuchtung dem Publikum zu öffnen unternommen hat, keine nennenswerten Einschränkungen geben darf, sind bei der Bücherverleihung am Orte und noch mehr bei der Versendung nach auswärts, die nie die Interessen der ansässigen Benutzer schädigen darf, bestimmte Sicherheitsleistungen zu verlangen, wodurch dem einen Hauptgrundsatz der Verwaltung, dem der Erhaltung des Besitzstandes für die Zukunft, allein Genüge geschehen kann.
Dem andern Grundsatz, die Bibliothek der Wissenschaft so nutzbar als möglich zu machen, wird man dadurch gerecht werden, daß man mit Ausnahme der für den stetigen Gebrauch der Besucher des Lesesaals bestimmten Handbibliothek kein Werk von der Verleihung ausschließt, sobald das wissenschaftliche Interesse sie erfordert. Die Frist der Entleihung ist gewöhnlich eine vierwöchige, die, falls das Werk nicht anderweitig verlangt wird, verlängert werden darf. Kein Werk darf ohne Leihschein ausgegeben werden. Die Leihscheine, in sich geordnet nach den Namen der Entleiher, werden sogleich in ein Journal übertragen und zwar alphabetisch nach den Stichworten der Büchertitel. Bei den zur Aufrechterhaltung der Ordnung erforderlichen Revisionen, die wenigstens halbjährlich stattzufinden haben, ist im allgemeinen Rückgabe sämtlicher entliehener Werte zu verlangen (der sog. «Sturz»).
Litteratur. Schon im Mittelalter machten Gelehrte die Einrichtung von Bibliotheken zum Gegenstand von Schriften, so de Bury (Philobiblon, Köln [* 25] 1473) im 15. Jahrh., später Naudé (Par. 1627; Neudruck 1876), Kayser (Bayreuth [* 26] 1790);
doch erst im 19. Jahrh. wurde die Bibliothekswissenschaft als solche zugleich mit ihrem Namen durch Schrettinger in dessen Versuch eines vollständigen Lehrbuchs der Bibliothekswissenschaft (2 Bde., Münch. 1808-29) geschaffen und in F. A. Eberts Schriften: Über öffentliche Bibliotheken (Freiberg [* 27] 1811) und Die Bildung des Bibliothekars (2. Aufl., Lpz. 1820) weiter ausgebildet.
Seitdem haben sich besonders Molbech (über Bibliothekswissenschaft, deutsch von Ratjen, Lpz. 1833), Zoller (Die Bibliothekswissenschaft, Stuttg. 1846), Schleiermacher (Bibliogr. System der gesamten Wissenschaftskunde, 2 Bde., Braunschw. 1852) und Petzholdt (Katechismus der Bibliothekenlehre, neu bearbeitet von Gräsel, Lpz. 1890) verdient gemacht, während die Schriften von Constantin (Bibliothéconomie, 2. Aufl., Par. 1841) und Seizinger (Theorie und Praris der Bibliothekswissenschaft, Dresd. 1863) keinen Fortschritt bezeichnen. Des weitern seien erwähnt: Edwards, Memoirs of Libraries, including a handbook of library economy (2 Bde., Lond. 1859);
Green, Library aids (Neuyork [* 28] 1883);
Cousin, De ¶