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ten letztlich auf eine und dieselbe Handschrift zurückgehen. Darüber nun, wann und aus welchen Gründen einst eine Handschrift der gesamten weitern Überlieferung zu Grunde gelegt worden ist, fehlt jede Überlieferung. Aber der Zustand der Handschriften zwingt zu dieser Annahme. Schon im vorigen Jahrhundert ist die Aufmerksamkeit der Bibelkenner auf diesen Umstand gelenkt worden infolge der von dem Engländer Bibel [* 2] Kennicott in Gemeinschaft mit dem Deutschen M. Bruns u. a. vorgenommenen Vergleichung der hebr. Bibelhandschriften.
Die Vergleichung von über 1100 Handschriften ergab keinerlei nennenswerte Varianten. E. F. K. Rosenmüller scheint zuerst ausgesprochen zu haben, hieraus müsse geschlossen werden, daß allen eine und dieselbe Handschrift zu Grunde liege. Die hohe Bedeutung dieses Umstandes wurde jedoch im allgemeinen nicht begriffen, und die Sache geriet in Vergessenheit. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist dieser Gedanke von J. G. Sommer, J. Olshausen und besonders von P. de Lagarde wieder ausgesprochen worden.
Der Umstand nun, daß wir im hebr. Alten Testament nur die Wiedergabe einer Handschrift mit allen ihren Zufälligkeiten besitzen, ist um deswillen ein sehr mißlicher, weil aus den Parallelstellen innerhalb des Alten Testaments z. B. durch eine Vergleichung von Samuelis mit Chronik oder 2 Sam. 22. mit Psalm 18. u. s. w. bewiesen werden kann, daß die alttestamentlichen Schriften in alter Zeit sehr frei überliefert sind. Auch besitzen wir im samaritanischen Pentateuch eine in manchen Stücken abweichende Recension des ersten und für das Judentum wichtigsten Teiles des Alten Testaments.
Hier hat man zugleich ein Mittel, am masoretischen Texte Kritik zu üben. Doch ist man hierauf nicht beschränkt, denn es giebt alte Übersetzungen des Alten Testaments, die man zur Vergleichung heranziehen kann. (S. Seite 959 bibel). Leider reicht nur eine derselben, die alexandrinische oder Septuaginta, in die Periode der freien Textüberlieferung zurück. Sie vertritt daher die Stelle einer abweichenden handschriftlichen Überlieferung und ist bei wissenschaftlicher Behandlung des Alten Testaments neben dem hebr. Texte zu benutzen.
Nicht wenige Fehler des hebr. Textes lassen sich nach ihr verbessern. Alle übrigen alten Übersetzungen geben im wesentlichen unsern jetzigen hebr. Text wieder und sind nur für seine Geschichte von Belang. Auch die jüd. Überlieferung betrifft nur ihn. Bei dieser Sachlage kann es nicht als eine lösbare Aufgabe bezeichnet werden, eine kritische Ausgabe des Alten Testaments zu veranstalten. Es fehlen alle Mittel, um für irgend eine frühere Zeit den hebr. Text für das ganze Alte Testament zu rekonstruieren. Es ist überall vom masoretischen Texte auszugehen und zu versuchen, inwieweit sich in einzelnen Fällen, in denen er schadhaft ist, etwa der ursprüngliche Text noch erschließen läßt. Auch bei Zuhilfenahme der freien Konjektur wird dies immer Stückwerk bleiben.
Die Einteilung des Textes ist sehr bunt. Jüd. Ursprungs ist die Einteilung des Pentateuchs in 669 sog. Paraschen (s. Sidra). Sie rührt wahrscheinlich aus der frühesten Zeit des öffentlichen Vorlesens der Heiligen Schrift her und findet sich bereits im Talmud, während die sog. großen Paraschen oder (54) heutigen Sabbathsperikopen jünger sind und in den Synagogenrollen nicht beobachtet werden. Ebenfalls schon im Talmud finden sich prophetische Lesestücke, Haphtaren (s. Haphtara) genannt, welche am Ende der gottesdienstlichen Versammlung gelesen zu werden pflegten. Die Kapiteleinteilung ist christl. Ursprungs und geht in die Mitte des 13. Jahrh. zurück. Dagegen ist die Einteilung der poet. Bücher in einzelne rhythmische Glieder [* 3] (Verse, Stichoi) uralt. Sie war durch die Gesetze des hebr. Versbaues von selbst an die Hand [* 4] gegeben; aus ihr hat sich die jetzige Verseinteilung entwickelt. Die Bezeichnung der Verse durch Zahlen stammt erst aus dem 16. Jahrh.
Bibel. Das Neue Testament. Der neutestamentliche Text wurde schon früh schwankend. Bei der großen Anzahl von Abschriften waren zahlreiche Schreibfehler unvermeidlich: außerdem wurde der Text gerade in den ersten Jahrhunderten mit der größten Willkür behandelt, bald ergänzt, bald berichtigt, wobei neben mehr gelehrten Interessen vielfach auch dogmatische sich geltend machten. Kritische Arbeiten und die Anfertigung von Kirchenexemplaren, die man dann spätern Abschriften zu Grunde legte, stellten zwar eine gewisse Stetigkeit her, vermehrten aber auch die lokalen Verschiedenheiten der Textüberlieferung, ohne den Abschreibefehlern und willkürlichen Änderungen völlig zu steuern, so daß die Varianten auf wenigstens 80000 anzuschlagen sind.
Unter den Handschriften sind die ältern (vom 4. bis 10. Jahrh.) mit Majuskeln (s. d.), die jüngern (vom 10. Jahrh. an) mit Minuskeln geschrieben. Die wichtigsten sind der Codex Vaticanus aus dem 4. Jahrh., der von Tischendorf (s. d.) entdeckte, wohl ebenfalls aus dem 4. Jahrh. stammende Codex Sinaiticus, der in London [* 5] aufbewahrte Codex Alexandrinus (5. Jahrh.) und der Codex Ephraemi (ein Palimpsest mit darüber geschriebenem Texte des Kirchenvaters Ephräm, s. d.), sämtlich (mit größern oder kleinern Lücken) die ganze griechische Bibel. Alten und Neuen Testaments enthaltend.
Hierzu kommen zahlreiche Handschriften, die nur einzelne Schriften umfassen, so der Codex Cantabrigiensis oder Bezae (Evangelien und Apostelgeschichte), der Codex Claromontanus (Paulinische Briefe) u. a. m. In den kritischen Ausgaben werden die Uncialhandschriften mit großen lat., griech. und hebr. Buchstaben bezeichnet: Sinaiticus ^[Sonderzeichen hebräisch «alif»],, Alexandrinus A, Vaticanus B, Ephraemi rescriptus C u. s. w. Die Einteilung des Textes in Zeilen, d. h. Absätze, wie sie beim Vorlesen unterschieden werden sollen (stichoi, daher stichometrische genannt), rührt bei den Paulinischen Briefen, der Apostelgeschichte und den kath. Briefen von Euthalius, Diakon in Alexandria (um 462), her. Sie wurde später auf die Evangelien und die Apokalypse, auch auf nichtkanonische Schriften übertragen. Die Einteilung in Kapitel ist erst im 13. Jahrh. durch Kardinal Hugo entstanden, die in Verse durch Stephanus in seiner Ausgabe von 1551.
III. Bibelausgaben. A. Das Alte Testament. Die Geschichte der hebr. Bibeldrucke ist eine sehr mannigfaltige. 1477 erschien (wahrscheinlich zu Bologna) zuerst der Psalter mit dem Kommentare Kimchis (s. d.) gedruckt; 1488 zu Soncino zuerst das ganze Alte Testament in klein Folio, welcher Ausgabe die von Brescia (1494) gefolgt zu sein scheint, deren sich Luther bei seiner Übersetzung des Alten Testaments bediente. Berühmte, für spätere grundlegende Ausgaben sind außerdem die die ganze Bibel umfassende Biblia Polyglotta Complutensis (1514-17), die zweite Biblia Rabbinica Bombergs, besorgt von Rabbi Jakob ben Chajim (Vened. 1525 ¶
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-26), welcher Ausgabe die meisten andern Ausgaben gefolgt sind; ferner die (auch das Neue Testament enthaltende) Antwerpener Polyglotte (8 Bde., 1569-72), die von Elias Hutter (Hamb. 1587 u. ö.), Buxtorf (Basel [* 7] 1611) und namentlich die von Jos. Athias (Amsterd. 1661 u. 1667) gedruckte Ausgabe. Unter den in Deutschland [* 8] gedruckten ist mit Recht die von J. Heinr. Michaelis (Halle [* 9] 1720) die geschätzteste. Durch Schönheit und Deutlichkeit des Druckes empfehlen sich die von Jablonski (Berl. 1699) und die von Everard van der Hooght (Amsterd. 1705); sie sind den neuern Abdrücken von Hahn, [* 10] Theile u. s. w. bei weitem vorzuziehen. 1861 hat S. Bär begonnen die einzelnen Bücher des Alten Testaments nach den masoretischen Regeln herauszugeben.
Bibel. Das Neue Testament. Der erste Druck ist von 1514 in der Complutensischen Polyglotte, dann folgen seit 1516 die wiederholten (bis 1535 fünf), aber kritisch nicht eben sehr sorgfältigen Ausgaben des Erasmus. Die weitern zahlreichen Ausgaben des Neuen Testaments folgten meist dem Erasmus oder der complutensischen Ausgabe, oder vermischten beide. Erst Theodor Beza brachte durch Benutzung der Sammlungen des Heinr. Stephanus die Kritik des Neuen Testaments um einen Schritt weiter (erste griech.-lat. Ausg., Par. 1565). Aber seine Nachfolger wiederholten nur das bisherige unkritische Verfahren. Die berühmtesten der auf seine Recension zurückgehenden Mischausgaben sind die unter dem Namen des Textus receptus verbreiteten Ausgaben der Elzeviers (s. d., zuerst Leid. 1624). Doch finden sich selbst in diesem angeblich mit großer Übereinstimmung fortgepflanzten Texte zahlreiche Schwankungen. Viele Varianten wurden in Waltons Londoner Polyglotte (1657 fg.), den Ausgaben von Fell (Oxf. 1675) und besonders von Mill (ebd. 1707) und Joh. Jak. Wetstein (Amsterd. 1751) angehäuft.
Eine Verwertung dieses Apparats für die Textkritik versuchte zuerst Edw. Harwood (Lond. 1776), mit größerer Zurückhaltung und besserm Erfolge Joh. Albr. Bengel (Tüb. 1734). Aber erst die histor.-kritische Schule Deutschlands [* 11] drang zu einer Sichtung der verschiedenen Textgestalten und zur Abwägung ihres Werts für die Feststellung des ursprünglichen Textes vor. Der Begründer der neuern Textkritik war Joh. Jak. Griesbach (s. d.), welcher seit 1774 eine Reihe neuer Ausgaben veröffentlichte (Hauptausg., 2 Bde., Halle 1796-1806). Er unterschied drei Arten von Handschriften: die occidentalische, die alexandrinische, die konstantinopolitanische, und wog den Wert derselben sorgfältig gegeneinander ab, blieb aber bei der Elzevierschen Lesart überall stehen, wo nicht zwingende Gründe zu Abweichungen nötigten.
Die Ausgaben von Matthäi (2 Bde., Riga [* 12] 1783-88), auf Grund von mehr als 100 ziemlich jungen Moskauer Handschriften, und von Scholz (2 Bde., Lpz. 1830, 1836) legten in der Hauptsache den konstantinopolitanischen Text zu Grunde, der unter allen der jüngste und dein Elzevierschen verwandteste war. Erst Lachmann wandte die strengen Grundsätze der neuern philol. Kritik auf das Neue Testament an. Indem er nicht den ursprünglichen, sondern nur den ältestbezeugten Text herzustellen suchte, ging er lediglich auf die alexandrinische Recension zurück und stellte den Text nach einigen wenigen, aber durch ihr Alter ausgezeichneten Handschriften her (Stereotypausgabe, Berl. 1831; große Ausgabe von Lachmann und Buttmann, 2 Bde., ebd. 1842-50). Hatte Lachmann noch auf Grund eines sehr lückenhaften Materials gearbeitet, so brachte Tischendorf einen weit reichhaltigern handschriftlichen Apparat zusammen. In den kritischen Grundsätzen schloß sich Tischendorf besonders in der ersten Ausgabe (Lpz. 1841) in der Hauptsache an Lachmann an, hat sich aber in den folgenden Ausgaben, namentlich der zweiten Leipziger (1849), der sog. Editio septima (2 Bde., Lpz. 1859) und der (8.) Ausgabe letzter Hand (ebd. 1864-72; 3. Bd., die Prolegomena enthaltend, bearbeitet von Gregory, bisher 2 Hefte, ebd. 1884-90), dem Griesbachschen Texte genähert und die Lachmannschen Grundsätze durch anderweite Auffassungen durchkreuzt. Dadurch ist der neutestamentliche Text in größeres Schwanken gekommen als je zuvor. Die neueste hervorragende kritische Ausgabe ist die von Westcott und Hort (2 Bde., Cambridge und Lond. 1881). Ihren und den letzten Tischendorfschen Text legt O. von Gebhardts «Novum Testamentum graece» (5. Aufl., Lpz. 1891) vergleichend vor. (S. auch Polyglotte.)
IV. Bibelübersetzungen. A. Jüdische Übersetzungen des Alten Testaments. Sie wurden den Juden Bedürfnis, nachdem diese sich in der Diaspora außerhalb Palästinas gewöhnt hatten, griechisch zu reden, und in Palästina [* 13] selbst das Hebräische aufgehört hatte Volkssprache zu sein.
1) Griechische Übersetzungen. Die wichtigste ist die noch jetzt erhaltene Septuaginta (s. d.), zur Zeit Jesu im allgemeinen Gebrauch der griechisch redenden Juden, wegen ihrer freiern Haltung jedoch bei den orthodoxen Palästinensern wenig beliebt. Und da auch die Christen sie für ihre Lehre [* 14] fruchtbar zu machen verstanden, traten gegen Ende des 2. Jahrh. n. Chr. neue jüd. Übersetzer auf, vor allem Aquila (s. d.), ferner Theodotion (s. d.) und Symmachus (s. d.). Der Kirchenvater Origenes (s. d.) im 3. Jahrh. hat alle diese Bibelübersetzungen nebst Fragmenten einiger anderer noch benutzt für seine Herstellung des Bibeltextes in sechsfacher Gestalt (Hexapla).
2) Die aramäischen Wiedergaben der meisten Bücher des Alten Testaments in umschreibend-erklärender Form, die sog. Targumim (s. d.).
3) Das samaritanische Targum zum Pentateuch. (S. Samaritaner.)
Bibel. Die Übersetzungen der Bibel für Christen wurden Bedürfnis, sobald das Christentum zu Völkern drang, bei denen das Griechische nicht Volkssprache war.
1) Im Altertum. a. Die syrische Übersetzung, Peschita genannt, d. h. die einfache, umfaßte zunächst nur die kanonischen Bücher des Alten Testaments. Sie ist immer im Besitze der Christen gewesen, schließt sich aber eng, wenn auch nicht überall gleichmäßig, an die jüd. Auslegung an. Der Sage nach reicht ihr Ursprung ins 2. Jahrh. n. Chr. zurück; ihre Überlieferung ist durch die Septuagintaüberlieferung getrübt, teilweise auch bewußt nach ihr bearbeitet worden.
Früh schon kam dann der neutestamentliche Teil hinzu. bibel. Die altlateinische Übersetzung beruht in ihrem alttestamentlichen Teil ganz auf der Septuaginta, die in der Christenheit des ganzen Westens geradezu als der biblische Urtext betrachtet und angenommen worden war, so daß sich die Sammlung der griechisch geschriebenen neutestamentlichen Schriften diesem Grundstocke konform angeschlossen hatte. Von der altlat. Übersetzung der Septuaginta sind nur noch Fragmente erhalten (einzelne Bücher ganz, wie Psalmen, Esther, mehrere Apokryphen), während sich das aus dem griech. Originaltext übersetzte Neue Testament ¶