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teuch abbricht. Wie aber die Prophetie älter ist als das Gesetz, so wurden sicher einzelne Werke der eigentlichen (hintern) Propheten schon vor der Kanonisierung des Pentateuchs als heilig aufgefaßt. Hieraus erklärt es sich mit, daß sich die Reste der prophetischen Litteratur auch nach Einführung des Pentateuchs behaupteten und so den Kern zu einem zweiten Kanon bilden konnten. Daß die vorliegende Gestalt des Prophetenkanon verhältnismäßig jung ist, ergiebt sich daraus, daß die alexandrinische Überlieferung sie nicht kennt oder ignoriert.
Daß sie erst nach Eintritt der griech. Zeit entstanden sein kann, lehrt die kritische Untersuchung der einzelnen Teile. Beweisend dafür aber, daß der Prophetenkanon jünger als die Zeit Esras und Nehemias ist, ist der Umstand, daß ihn die Samaritaner (s. d.) nicht haben. Innerhalb des Prophetenkanons sind zahlreiche Trümmer der vorexilischen prophetischen und histor. Litteratur erhalten. Für das Verständnis der Geschichte Israels und der Entstehung des Judentums, damit aber auch des Pentateuchs, sind diese grundlegend.
Mit der Sammlung und Weiterüberlieferung der Reste der alten prophetischen Litteratur war eine Überarbeitung im Zusammenhang mit der Entwicklung der messianischen Hoffnung verbunden. Von der alten histor. Litteratur sind im Prophetenkanon nur solche Trümmer erhalten, die als Quellenbelege in die von den Ideen des Deuteronomiums (s. d.) und der Reform des Josia abhängigen, in und nach dem Exil entstandenen Geschichtsbücher aufgenommen werden konnten. Sowohl Richter als Samuelis und Könige sind in ihrer jetzigen Gestalt ein Erzeugnis dieses deuteronomistischen Schrifttums, in dessen Manier von 621 an, aber noch nach Esra geschrieben worden ist.
Das Charakteristische dieser Geschichtschreibung ist, daß sie die alte Entwicklung Israels als sündig verurteilt, weil sie den Voraussetzungen der Reform des Josia widerspricht. Daß sie trotzdem so umfangreiche ältere Stücke weiter überliefert hat, erklärt sich aus der Wichtigkeit, welche die Erinnerungen an die staatliche Vergangenheit Israels angesichts der messianischen Hoffnung hatten. Diese deuteronomistischen Bücher sind übrigens zu erbaulichen, religiösen Zwecken geschrieben, sie sind nicht Geschichtsbücher im modernen Sinn. Daraus ergiebt sich, daß nur die alten Quellenbelege, die sie gerettet haben, den Wert geschichtlicher Überlieferung besitzen. - Der Kethubimkanon (Hiob, Psalmen u. s. w.), dessen palästinische Gestalt Flavius Josephus vorführt, ist das Ergebnis einer Reduktion der nach Bildung der beiden frühern Kanones noch übrigen oder später entstandenen vaterländischen Bücher. Auch hier ist weder über die Geltung noch über die Normalzahl ein öffentlicher Beschluß erfolgt. Nur die auf der Synode zu Jamnia (Jabne), etwa 90 n. Chr., erfolgte Abwehr eines letzten Reduktionsversuches, welcher sich gegen Hohes Lied und Prediger wandte, ist nachzuweisen.
Die in Palästina [* 2] durch Reduktion entstandene Gestalt des alttestamentlichen Kanons ist im hellenistischen Judentum ignoriert worden. Die alten freiern Auffassungen blieben dort herrschend. Infolgedessen war in den griech. Bibelhandschriften (der Septuaginta, s. d.) nicht nur die Reihenfolge eine andere, sondern vor allem der dritte Kanon ein viel umfangreicherer. Über die dem palästinischen Kanon fehlenden Bücher der hellenistischen Bibel [* 3] s. Apokryphen.
Die christliche Kirche hat nun das Alte Testament nicht in seiner palästinisch-hebr., sondern in der altertümlichern Form übernommen, welche die griechische Bibel bot. Sobald man sich der Abweichung von der palästinischen, die man in allen Stücken für das Original anzusehen geneigt war, bewußt wurde, mußte Schwanken und Beunruhigung eintreten. Es erklärt sich so die Unsicherheit der alten Kirche über den Umfang des alttestamentlichen Kanons und hieraus der schon früh entstandene Streit über die Geltung der der hebr. Bibel fehlenden Stücke.
Melito von Sardes schließt sie aus, ebenso wie das Buch Esther. Origenes, der 22 kanonische Bücher zählt, nahm nur die griech. Zusätze zu den im hebr. Kanon enthaltenen Schriften (Buch Baruch, Brief des Jeremias, Stücke in Esther und Stücke in Daniel) an, benutzte aber auch die übrigen Apokryphen. Dieselben Grundsätze blieben in der griech. Kirche herrschend und erhielten auf dem Konzil zu Laodicea (zwischen 360 und 364) öffentliche Sanktion. Man nahm also nur die im hebr. Kanon enthaltenen Bücher an, aber in der Textgestalt, die sie bei der Septuaginta haben, also mit den griech. Zusätzen, doch mit Ausschluß der übrigen Apokryphen.
Dagegen war die lat. Kirche zu der Anerkennung auch dieser frühzeitig geneigt. Nachdem man sie auf dem Konzil zu Hippo (393) zum Lesen empfohlen hatte, suchte man auf dem Konzil zu Karthago [* 4] (397) den Unterschied zwischen beiden Teilen ganz aufzuheben und stellte selbst die Bücher der Weisheit, Sirach, Tobiä, Judith und der Makkabäer in den Kanon. Darauf führte ein abermaliges Konzil zu Karthago (419) alle Apokryphen als kanonische Bücher auf. Nur Hieronymus hielt den Unterschied zwischen beiden Teilen fest und bestimmte die Zahl der kanonischen Bücher, als bibliotheca divina, auf 22. Auch in der folgenden Zeit und das ganze Mittelalter hindurch regten sich gelegentliche Bedenken gegen die Gleichstellung der Apokryphen mit den übrigen kanonischen Büchern.
Während aber dann die evang. Theologie, den specifisch kath. Charakter der Vorstellung vom Kanon übersehend und ohne sich über Tragweite und Berechtigung dieses Schrittes klar zu sein, nur die hebräisch geschriebenen Schriften als kanonische anerkannte, bezeichnete das Tridentinische Konzil in der vierten Sitzung auch die Apokryphen als kanonische Bücher. Spätere kath. Gelehrte suchten diese Bestimmung dadurch zu mildern, daß sie einen doppelten Kanon des Alten Testaments annahmen. Den einen bezeichneten sie als protokanonische Bücher, d. h. die allgemein als echt anerkannten Bücher, den andern als deuterokanonische Bücher, die man nicht allgemein als echt anerkannte und jenen an Wert nachstellte. Zu diesem Teile zählten sie die Apokryphen.
Bibel. Das Neue Testament ist die Sammlung der Urkunden der christl. Religion oder der von der christl. Kirche für inspiriert, heilig und apostolisch geachteten Schriften der urchristl. Zeit, in denen die Geschichte Jesu Christi und der Gründung seiner Kirche erzählt und zugleich der ursprüngliche Ausdruck des christl. Heilsbewußtseins niedergelegt ist. Die Sammlung zerfällt nach Entstehung und Inhalt in drei Teile: I. historische Bücher: die Evangelien (s. d.) und die Apostelgeschichte (s. d.);
II. brieflich-didaktische Schriften: die Paulinischen Briefe (s. Paulus), die Katholischen Briefe (s. d.);
III. eine prophetische Schrift, die Offenbarung des Johannes (s. Apokalypse). Diese Sammlung ist indessen weder ursprünglich mit dem Christentum ¶
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selbst in allen Teilen hervorgetreten, noch in ihren einzelnen Teilen den Zweifeln alter und neuer Kritik entzogen geblieben. Die ersten Christen kannten nur das Alte Testament als Offenbarungsurkunde, zu welcher frühzeitig «die Sprüche des Herrn» in verschiedenen Fassungen und Sammlungen hinzutreten. Daneben finden sich bis in die Mitte des 2. Jahrh. nur sehr selten sichere Beziehungen auf apostolische (namentlich Paulinische) Briefe. Noch unsicherer aber sind, trotz zahlreicher Citate von «Sprüchen des Herrn», die Beziehungen auf unsere vier Evangelien, neben denen noch lange Zeit Evangelienschriften (wie das Hebräerevangelium, das Ägypterevangelium) in Gebrauch waren, die später als apokryphisch ausgeschieden wurden.
Erst in der zweiten Hälfte des 2. Jahrh. treten allmählich bestimmtere Anführungen der Evangelien (namentlich auch des Johannesevangeliums) und der meisten neutestamentlichen Briefe hervor. Die früheste Spur einer Sammlung neutestamentlicher Schriften findet sich um die Mitte des 2. Jahrh. bei Marcion (s. d.), der das Evangelium des Lukas und zehn Paulinische Briefe (das sog. Apostolikon, s. d.) in der Absicht, die urchristl. Lehre [* 6] wiederherzustellen, bearbeitet und verstümmelt hat.
Die neuerdings versuchte Scheidung eines judenchristlichen und eines paulinischen Kanons läßt sich nicht durchführen. Zu Marcions Zeiten haben vielleicht noch nicht einmal alle Schriften des heutigen Kanons existiert oder kamen, wie das Evangelium Johannis, ziemlich spät, und nur in einzelnen Kreisen in Ansehen. Die Notwendigkeit, einen neutestamentlichen Kanon zusammenzustellen, ergab sich aus dem Bedürfnis der werdenden kath. Kirche, eine Sammlung echt apostolischer Lehrschriften (als Urkunden des echt apostolischen, in allen Kirchen der Welt übereinstimmend festgehaltenen Glaubens) der Berufung der Gnostiker auf eine angebliche apostolische Geheimlehre gegenüberzustellen. So begann man zu Ende des 2. Jahrh. aus der Menge in kirchlichem Gebrauche befindlicher Schriften einen festen Kern kanonischer und für inspiriert geachteter Bücher auszuscheiden.
Abgesehen von den Evangelien, die als Sammlung «der Worte des Herrn» besonderes Ansehen genossen, galt als Kriterium für die Aufnahme in den Kanon lediglich die apostolische Verfasserschaft. In dieser Sammlung unterschied man zwei Bestandteile: das instrumentum evangelicum (grch. euangelion), die vier Evangelien umfassend;
das instrumentum apostolicum (grch. apostolos) mit den Paulinischen und übrigen Briefen. Um 180 stand dem Irenäus die Vierzahl der Evangelien bereits fest.
Von den Briefen waren zu Ende des 2. Jahrh. 13 Paulinische, der erste Brief Petri und der erste des Johannes allgemein anerkannt. Hierzu kam noch die mit dem Lukasevangelium als ein Werk zusammengefaßte Apostelgeschichte. Dagegen blieb hinsichtlich einer Reihe anderer Schriften das Urteil der Kirche über ihre apostolische Echtheit schwankend. So bezweifelt noch Origenes den Brief an die Hebräer, den Brief Jakobi, Judä, den zweiten Brief Petri, den zweiten und dritten Brief des Johannes.
Der Brief an die Hebräer wurde im Abendlande bis ins 4. Jahrh. als nichtpaulinisch vom Kanon ausgeschlossen; umgekehrt wurde im Morgenlande die Apokalypse aus dogmatischen Gründen bis in das 7. Jahrh. hinein in Zweifel gestellt. Außer den eigentlich kanonischen Schriften bildeten bis ins 4. Jahrh. hinein eine Anzahl anderer Schriftdenkmäler der Urzeit, die von Propheten oder Apostelschülern verfaßt sein sollten, eine Art Nebenkanon, von dem man einen wenn auch beschränkten kirchlichen Gebrauch machte.
Dahin gehören außer der prophetischen Schrift des Hermas die Briefe des Barnabas und Clemens Romanus. (S. diese Artikel und Apostolische Väter.) Der Kirchenhistoriker Eusebius unterscheidet im 4. Jahrh. drei Klassen neutestamentlicher Bücher:
1) allgemein anerkannte Schriften (homologumena), die vier Evangelien, die Apostelgeschichte, 14 Paulinische Briefe (einschließlich des Hebräerbriefs), den ersten Brief des Johannes und Petrus;
2) nicht allgemein anerkannte Schriften (antilegomena oder notha), darunter die Briefe Jakobi, Judä, den zweiten Brief Petri, den zweiten und dritten Brief des Johannes, sowie die Apokalypse, aber auch in zweiter Linie die später völlig verworfenen «Thaten des Paulus», das Buch des Hirten (Hermas), die Offenbarung Petri, den Brief des Barnabas, die Lehren [* 7] der Apostel und das Evangelium der Hebräer;
3) ungereimte und gottlose (ketzerische) Schriften. Gegen Ende des 4. Jahrh. verstummten allmählich im Orient die kritischen Zweifel an der apostolischen Echtheit der bisher angezweifelten Katholischen Briefe (s. d.), während die Apokalypse noch auf dem Konzil zu Laodicea (zwischen 360-364) ausgeschlossen wurde und auch in der Folgezeit nur sehr allmählich zur kirchlichen Anerkennung gelangte.
Schneller als der Orient entschloß sich der konservativere Occident zu einem kirchlichen Abschlusse. Die Synoden zu Hippo regius (393), zu Karthago (397), der röm. Bischof Innocenz I. im Anfange des 5. Jahrh. und das Concilium Romanum unter Gelasius I. (494) erkannten den gesamten gegenwärtigen Kanon des Neuen Testaments an. Nur vereinzelt regten sich später noch bescheidene Zweifel. Erst die Reformation brachte die alten Zweifel bezüglich einiger erst später in den Kanon aufgenommenen Bücher von neuem zum Vorschein.
Luther verwies die Antilegomena der alten Kirche in seiner Bibelübersetzung in den Anhang und bezeichnete den Hebräerbrief und die Apokalypse als Apokryphen. Die ältere luth. Dogmatik ließ die sieben Antilegomena der alten Kirche (2 Petri, 2 und 3 Johannis, Jakobi, Judä, Hebräer und Apokalypse) nur als «deuterokanonische» Schriften gelten. Indes ließ die Richtung der prot. Kirche seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrh. bis zu der Mitte des 18. Jahrh. eine freie wissenschaftliche Bibelforschung nicht aufkommen.
Ein freisinniger Katholik, Richard Simon (s. d.), machte zuerst die Idee einer das Alte und Neue Testament auseinanderhaltenden «historisch-kritischen Einleitung» in die Bibel geltend. Erst der Rationalismus, der den Inspirationsglauben durchbrach, eröffnete der prot. Theologie die Möglichkeit einer unbefangenen Schriftkritik. Nachdem schon Herder die Bibel von ihrer menschlich-ästhetischen Seite aufzufassen gelehrt hatte, begannen mit Semler, Griesbach, Michaelis und Eichhorn, darauf durch de Wette, Credner (s. die einzelnen Artikel) u. a. die umfassendsten und eindringendsten kritischen Untersuchungen über Echtheit, Integrität und Glaubwürdigkeit der biblischen Schriften. Nachdem man zuerst die Zweifel an den Antilegomena der alten Kirche wieder aufgenommen und namentlich die apostolische Abfassung des zweiten Briefs Petri, des Hebräerbriefs und der Apokalypse bestritten hatte, begann man auch die Homologumena in den Kreis [* 8] der kritischen Forschung zu ziehen und gegen die aposto- ¶