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letztere sie selbst beschließen. Insbesondere haben die Berufsgenossenschaft den Gefahrentarif, welcher wenigstens bei den industriellen Berufsgenossenschaft obligatorisch ist, aufzustellen, die einzelnen Betriebe in denselben einzuschätzen, die Feststellung der Renten vorzunehmen, die Beiträge auszuschreiben und von den Unternehmern einzuziehen; sie sind ferner befugt, Unfallverhütungsvorschriften für ihre Mitglieder und auch für die versicherten Arbeiter zu erlassen und deren Befolgung durch genaue Überwachung der Betriebe, sowie durch höhere Einschätzung oder Geldstrafen gegen die Zuwiderhandelnden zu erzwingen.
Die Berufsgenossenschaft unterliegen bei Durchführung ihrer Aufgaben der Beaufsichtigung durch das Reichsversicherungsamt (s. d.) oder, falls sie sich nicht über ein Staatsgebiet hinaus erstrecken, für das ein Landesversicherungsamt (s. d.) errichtet ist, der Beaufsichtigung dieses Landesversicherungsamtes; diese Aufsichtsbehörden sind zur Genehmigung des Statuts und seiner Abänderungen, des Gefahrentarifs, der Unfallverhütungsvorschriften u. s. w. befugt, sowie ferner dazu, die Geschäftsführung zu prüfen, Streitigkeiten über die Rechte und Pflichten der Genossenschaftsorgane sowie Strafbeschwerden zu entscheiden und die Inhaber der Genossenschaftsämter zur Befolgung der gesetzlichen und statutarischen Vorschriften durch Geldstrafen anzuhalten.
Die von den Berufsgenossenschaft oder ihren Organen getroffenen Entschließungen über die Bewilligung oder Ablehnung von Unfallrenten unterliegen zunächst der Berufung an das für die Berufsgenossenschaft errichtete Schiedsgericht, demnächst der Berufung an das Reichs- oder Landesversicherungsamt. Zur gemeinsamen Übernahme der Unfallversicherung können sich mehrere Berufsgenossenschaft zu Rückversicherungsverbänden zusammenschließen; leistungsunfähige Berufsgenossenschaft können durch den Bundesrat aufgelöst werden. Die für die knappschaftspflichtigen Betriebe gebildete Knappschafts-Berufsgenossenschaft hat einige besondere Bestimmungen, die in §. 94 des Unfallversicherungsgesetzes näher aufgeführt sind.
Einteilung. Die einzelnen und ihre Sitze sind folgende:
1) Knappschafts-Berufsgenossenschaft in Berlin; [* 2]
2) Steinbruchs-Berufsgenossenschaft in Berlin;
3) Berufsgenossenschaft der Feinmechanik in Berlin; 4‒11) 6 Eisen- und Stahl-Berufsgenossenschaft (Süddeutsche in Frankfurt [* 3] a. M., Südwestdeutsche in Saarbrücken, [* 4] Sächsisch-Thüringische in Leipzig, [* 5] Nordöstliche in Berlin, Schlesische in Breslau, [* 6] Nordwestliche in Hannover; [* 7] die Eisen- und Stahlindustrie in Rheinland-Westfalen hat sich in zwei Berufsgenossenschaft geteilt, nämlich die Rheinisch-Westfälische Hütten- und Walzwerks-Berufsgenossenschaft und die Rheinisch-Westfälische Maschinenbau- und Kleineisenindustrie-Berufsgenossenschaft, beide in Düsseldorf); [* 8] 12 und 13) 2 Edel- und Unedelmetallindustrie-Berufsgenossenschaft (Süddeutsche in Stuttgart [* 9] und Norddeutsche in Berlin);
14) Berufsgenossenschaft der Mnsikinstrumentenindustrie in Leipzig;
15) Glas-Berufsgenossenschaft in Berlin;
16) Töpferei-Berufsgenossenschaft in Berlin;
17) Ziegelei-Berufsgenossenschaft in Berlin;
18) Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie in Berlin;
19) Berufsgenossenschaft der Gas- und Wasserwerke in Berlin; 20‒27) 8 Textil-Berufsgenossenschaft (nämlich die Leinen-Berufsgenossenschaft in Bielefeld, [* 10] die Seiden-Berufsgenossenschaft in Krefeld, [* 11] sowie die Norddeutsche Textil-Berufsgenossenschaft in Berlin, die Süddeutsche Textil-Berufsgenossenschaft in Augsburg, [* 12] die schlesische Textil-Berufsgenossenschaft in Breslau, die Elsaß-Lothringische Textil-Berufsgenossenschaft in Mülhausen [* 13] i. E., die Rheinisch-Westfälische Textil-Berufsgenossenschaft in M.-Gladbach und die Sächsische Textil-Berufsgenossenschaft in Leipzig);
28) Papiermacher-Berufsgenossenschaft in Berlin;
29) Papierverarbeitungs-Berufsgenossenschaft in Berlin;
30) Lederindustrie-Berufsgenossenschaft in Berlin; 31‒34) 4 Holz-Berufsgenossenschaft (nämlich die Sächsische in Dresden, [* 14] die Norddeutsche in Berlin, die Bayrische in München, [* 15] die Südwestdeutsche in Stuttgart);
35) Müllerei-Berufsgenossenschaft in Berlin;
36) Nahrungsmittelindustrie-Berufsgenossenschaft in Mannheim; [* 16]
37) Zucker-Berufsgenossenschaft in Berlin;
38) Brennerei-Berufsgenossenschaft in Berlin;
39) Brauerei- und Mälzerei-Berufsgenossenschaft in Frankfurt a. M.;
40) Tabak-Berufsgenossenschaft in Berlin;
41) Bekleidungsindustrie-Berufsgenossenschaft in Berlin; 42.) Berufsgenossenschaft der Schornsteinfegermeister in Berlin, 43‒54) 12 Baugewerks-Berufsgenossenschaft (nämlich die Hamburgische in Hamburg, [* 17] die Nordöstliche in Berlin, die Schlesisch-Posensche in Breslau, die Hannoversche in Hannover, die Magdeburgische in Magdeburg, [* 18] die Sächsische in Dresden, die Thüringische in Erfurt, [* 19] die Hessen-Nassauische in Frankfurt a. M., die Rheinisch-Westfälische in Elberfeld, [* 20] die Württembergische in Stuttgart, die Bayrische in München, die Südwestliche in Straßburg [* 21] i. E.);
55) Deutsche [* 22] Buchdrucker-Berufsgenossenschaft in Leipzig; 56 und 57) 2 Eisenbahn-Berufsgenossenschaft (nämlich die Privatbahn-Berufsgenossenschaft in Lübeck [* 23] und die Straßenbahn-Berufsgenossenschaft in Berlin);
58) Speditions-, Speicherei- und Kellerei-Berufsgenossenschaft in Berlin;
59) Fuhrwerks-Berufsgenossenschaft in Berlin; 60‒62) 3 Binnenschiffahrts-Berufsgenossenschaft (nämlich die Westdeutsche in Duisburg, [* 24] die Elbschiffahrts-Berufsgenossenschaft in Magdeburg und die Ostdeutsche in Bromberg); [* 25]
63) See-Berufsgenossenschaft in Hamburg;
64) Tiefbau-Berufsgenossenschaft in Berlin. Dazu treten dann noch 48 land- und forstwirtschaftliche Berufsgenossenschaft. Nach dem Berichte des Reichsversicherungsamtes weisen die 112 Berufsgenossenschaft (1893) auf:
Berufsgenossenschaften | Zahl | Sektionen | Betriebe | Versicherte Personen |
---|---|---|---|---|
Gewerbliche | 64 | 358 | 420874 | 5168973 |
Landwirtschaftliche | 48 | 556 | 4769243 | 12289415 |
Zusammen | 112 | 914 | 5190117 | 17458388 |
(Nähere statist. Angaben unter den Einzelartikeln.) Hierbei ist ferner zu berücksichtigen, daß noch 372 Ausführungsbehörden der Reichs-, Staats-, Provinzial- und Kommunalverwaltungen mit 660462 versicherten Personen beteiligt waren.
Nutzen und Wert der Berufsgenossenschaft An sich sind die ein Gebilde, welches auch zur Übernahme weiterer Aufgaben auf socialpolit. Gebiete geeignet ist; damit ist natürlich nicht gesagt, daß sie zu allen derartigen Aufgaben geeignet seien. So ist ihnen insbesondere die Durchführung der Invaliditäts- und Altersversicherung (für deren Übernahme übrigens auch manche Berufsgenossenschaft wenig Neigung zeigten) entgegen der Absicht der Reichsregierung nicht übertragen worden, weil die Auffassung überwog, daß bei dieser Maßregel, die den Verlauf des ganzen Arbeitslebens erfaßt, und bei dem häufigen Orts- und Berufswechsel der Arbeiter die Gleichheit des Berufs weder bei Arbeitgebern noch bei Arbeitnehmern ausschlaggebend sein könne, daß hier vielmehr die bei territorialer Organisation zu erzielenden Erleichterungen der Verwaltung den Ausschlag geben müßten.
Darüber, ob und welche weitern Aufgaben den Berufsgenossenschaft später zu übertragen sind, läßt sich zur Zeit ein zuverlässiges Urteil noch nicht gewinnen; dabei wird es vor allem auch darauf ankommen, ob die Berufsgenossenschaft selbst geneigt sind, weitere Aufgaben zu übernehmen, und ob sie sich auch ferner bewähren werden. Daß die Berufsgenossenschaft bisher die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt haben, muß trotz des Widerspruchs, der sich von einzelnen Seiten zuweilen erhebt, bedingungslos zugegeben werden; schon die Thatsache einer berufsmäßigen Zusammenfassung der einzelnen Berufszweige, der Erlaß von Unfallverhütungsvorschriften und die Einschätzung der Betriebe in Gefahrenklassen, sowie die ¶
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zweckmäßige Kontrolle der einzelnen Betriebe beweist dies zur Genüge.
Der Berufsgenossenschaft wird von ihren Gegnern insbesondere eine bureaukratische und kostspielige Verwaltung vorgeworfen. Beides ist unzutreffend. Die Berufsgenossenschaft haben kraft Gesetzes Selbstverwaltung und üben dieselbe auch thatsächlich aus; daß dabei einzelne Obliegenheiten nicht von dem vollbesetzten Vorstande oder den sonstigen Organen, sondern nur von einzelnen, zum Teil auch von bezahlten Beamten erfüllt werden können, liegt in der Natur der Sache und ist um so weniger bedenklich, als seitens der Aufsichtsbehörde mit Nachdruck darauf hingewirkt wird, daß die Geschäftsführer, d. h. die bezahlten Beamten der Berufsgenossenschaft, nicht über ihre Befugnisse hinausgehen und jedenfalls in solchen Angelegenheiten, in welchen Verpflichtungen von finanzieller Tragweite seitens der Berufsgenossenschaft übernommen werden müssen, oder in welchen die Berufsgenossenschaft als solche nach außen hin, z. B. im Verkehr mit Behörden, zu vertreten sind, nicht in den Vordergrund geschoben werden. In letzter Zeit sind denn auch erhebliche Übergriffe der Geschäftsführer nicht mehr zur Kenntnis der Behörden gekommen.
Was sodann die Höhe der Verwaltungskosten anlangt, so gestalten sich dieselben bei den einzelnen Berufsgenossenschaft natürlich ganz verschiedenartig, je nachdem sie kostspielige oder weniger kostspielige Einrichtungen getroffen haben, und mehr oder weniger an Entschädigung für Zeitaufwand der verwaltenden Mitglieder, bez. an Beamtengehältern u. s. w. gewähren. Aber auch aus innern Gründen erreichen die Verwaltungskosten eine verschiedene Höhe. So wirtschaftet eine Berufsgenossenschaft für wenige, aber intelligente Großindustrielle offenbar billiger als eine Berufsgenossenschaft mit einer großen Zahl kleiner Betriebe, eine Berufsgenossenschaft mit kleinem Bezirk in der Regel billiger als eine solche mit großem Bezirk und örtlich auseinander gezogenen Betrieben; endlich eine Berufsgenossenschaft, welche es mit der Unfallverhütung und der Kontrolle der Betriebe ernst nimmt, teurer als eine andere, welche in dieser Beziehung weniger thut. Im übrigen hat der Durchschnitt der laufenden Verwaltungskosten bei industriellen Berufsgenossenschaft, auf den Kopf der versicherten Personen berechnet, nur betragen 1887: 0,75 M., 1888: 0,74, 1889: 0,75, 1890: 0,75, 1891: 0,78, 1892: 0,83, 1893: 0,86 M., und dieser Durchschnitt erscheint thatsächlich nicht hoch.
Keinesfalls darf man diese Verwaltungskosten mit denjenigen Ausgaben in Vergleich stellen, welche die Berufsgenossenschaft zur Deckung der Unfallentschädigungen bisher jährlich aufgebracht haben; denn letztere werden nicht nach ihrem Kapitalwert, sondern nur in Höhe der Jahresbeiträge der thatsächlich zur Auszahlung gelangten Jahresrenten aufgebracht, müssen also wegen dieses Umlageverfahrens bis zur Erreichung des Beharrungszustandes jährlich wachsen, während die Verwaltungskosten sich gleich bleiben.
Wollte man die Ausgaben für Unfalllasten mit denen für die Verwaltung in Vergleich stellen, so müßte man nicht die zur Auszahlung gelangten Jahresbeträge der erstern, sondern deren Kapitalwert in Ansatz bringen; dann ergiebt sich bei annäherndem Überschlag, daß die Verwaltungskosten nur etwa 8 Proz. der Gesamtbelastung ergeben haben. Dies ist überaus wenig, insbesondere wenn man bedenkt, daß die Privatgesellschaften, soweit bekannt, nicht unter 18, wohl aber bis zu 40 Proz. ihrer Gesamtausgaben für Verwaltungskosten aufzuwenden hatten.
Die Gesamtzahl der Verletzten, für welche Entschädigungen festgestellt worden sind, betrug (1893) 206086, darunter 58724 Verletzte aus dem J. 1893. Die anzurechnenden Jahreslöhne betrugen 3366587329 M., die Summe der Entschädigungen (Renten u. s. w.) 34173471 M., wozu die Einlagen in den Reservefonds bis 12285879 M.), die Kosten der Unfalluntersuchungen, Unfallverhütung und der Schiedsgerichte (2318489 M.) sowie die der Verwaltung (5768408 M.) hinzukommen. Die effektiven Ausgaben betrugen 54548616, die effektiven Einnahmen 65974560 M.
Wie sehr die Bildung der Berufsgenossenschaft dem Zuge der Deutschen nach korporativer Vereinigung entspricht, beweist u. a. der Umstand, daß die überwiegende Mehrheit (45) der gewerblichen Berufsgenossenschaft sich wiederum zu einem Verband [* 27] zusammengeschlossen hat, der, in einer am zu Berlin abgehaltenen Versammlung von Berufsgenossenschaftsvertretern geplant, zu Frankfurt a. M. am konstituiert wurde. Der Verband der deutschen hat den Zweck, eine Vereinigung für den Meinungsaustausch und den persönlichen Verkehr der Berufsgenossenschaft zu bilden, die gemeinsamen Angelegenheiten der Berufsgenossenschaft zu vertreten und die weitere Entwicklung der berufsgenossenschaftlichen Gliederung zu fördern.
Seine Satzungen sehen als Vertreter des Verbands den Berufsgenossenschaftstag und den geschäftsführenden Ausschuß vor. Der Ausschuß wird aus mehrern Berufsgenossenschaft gebildet. Derselbe wählt seinen Vorsitzenden, der wiederum dem Berufsgenossenschaftstag präsidiert, und hält Sitzungen nach Bedarf ab. Jeder Berufsgenossenschaftstag bestimmt den Ort der nächstjährigen Zusammenkunft. Bis jetzt fanden Berufsgenossenschaftstage in Frankfurt a. M., Köln, [* 28] Berlin, Straßburg, München, Hamburg, Stuttgart und Dresden statt.
Der Verband hat das Verdienst, ohne jurist. Persönlichkeit zu besitzen, einsichtsvoll seine Aufgaben zu erfüllen. Dem Reichsversicherungsamt steht er als ein mit ihm in den besten Beziehungen stehendes beratendes und vermittelndes Organ zur Seite. Von seinen Bestrebungen sind insbesondere die auf Errichtung von Unfallkranken- und Rekonvalescentenhäusern, von Pensionskassen für die Beamten der Berufsgenossenschaft, Führung einer Lohnstatistik, Erlaß von Normal-Unfallverhütungsvorschriften für gleichartige Gefahren u. s. w., erste Hilfeleistung bei Unfällen durch Schaffung sog. Unfallstationen (s. d.) u. s. w. gerichteten hervorzuheben.
Der Mitte des J. 1894 veröffentlichte Entwurf eines Gesetzes betreffend die Erweiterung der Unfallversicherung will für den größten Teil derjenigen Betriebe, auf welche der Versicherungszwang erstreckt werden soll (Handwerk, Kleingewerbe, Fischerei, [* 29] Seeschiffahrt auf kleinen Fahrzeugen, Handelsgewerbe u. s. w.), eine neue Organisationsform, nämlich bezirksweise zu errichtende Unfallversicherungsgenossenschaften einführen, welche ohne Scheidung der Berufszweige sämtliche in dem Bezirk vertretenen Betriebe umfassen sollen und deren Verwaltung den Kommunalverbänden obliegen soll. Der Entwurf verspricht sich von diesen Genossenschaften eine erhebliche Herabminderung der Verwaltungskosten und eine schnellere Erledigung der Geschäfte. Nur für einzelne besonders leistungsfähige Gruppen der obengedachten Betriebe soll, wenn dies in den Wünschen der Beteiligten liegt, die berufsgenossenschaftliche Organisation nicht ausgeschlossen sein.
In Österreich [* 30] erfolgt die Unfallversicherung im wesentlichen durch territoriale Versicherungsanstalten; neben diesen ist die Bildung von Berufsgenossenschaft nur ¶