687 Wahlreformvorschläge ablehnte, fanden in
Brüssel
[* 2] und mehrern Industrieorten
Demonstrationen und Straßenunruhen statt,
die mit Gewalt unterdrückt werden mußten. Unter dem Eindruck dieser
Bewegung kam nun alsbald eine Einigung auf einen
Antrag
Nyssens zu stande, der das allgemeine, erst mit dem vollendeten 25. Lebensjahr beginnende
Wahlrecht mit dem Mehrstimmensystem
verband. (S. oben,
Verfassung und
Verwaltung, S. 671 belgien). Dieser
Antrag wurde mit großer Mehrheit 16. April in der
Kammer, 27. April im Senat angenommen.
Dadurch wurde die Zahl der
Wähler von etwa 130000 auf über 1200000 erhöht. Es wurde danach noch Wahlzwang beschlossen,
ferner die Möglichkeit des Erwerbs vonKolonien
(Kongostaat)
[* 3] vorgesehen, endlich dem König das
Recht beigelegt,
im Fall mangelnder männlicher Descendenz seinen Nachfolger unter Zustimmung der Kammern zu ernennen.
Über dasSystem der
Senatorwahlen einigte man sich nach langen Streitigkeiten erst Anfang September. Der Census derselben ward etwas herabgesetzt.
Am 6. Sept. unterzeichnete der König diese neuen Verfassungsbestimmungen.
Nach kurzer Vertagung traten die Kammern 17. Okt. wieder zusammen, und die Regierung legte nun
das neueWahlgesetz vor. Die
Beratung
zog sich wieder sehr in die Länge. Einen Zankapfel bildete namentlich die von der Regierung befürwortete Vertretung auch
der Minderheiten in beiden Kammern sowohl wie in den
Provinzial- und Gemeinderäten, was von einem
Teil
der Regierungspartei, der extrem-klerikalen Gruppe unter
FührungWoestes entschieden abgelehnt wurde. Dieser
Widerstand veranlaßte
den Ministerpräsidenten
Beernaert, März 1894 seine Entlassung zu nehmen, worauf der bisherige Minister des Innern,
De Burlet, 26. März Kabinettschef
wurde. Er zog die Regierungsvorlage über die proportionelle Vertretung alsbald zurück, und nun kam
endlich das
Wahlgesetz in der Kammer zu stande; mit der
Annahme desselben im Senat 27. Juni war die Verfassungsrevision abgeschlossen.
Die
Wahlen nach den neuen gesetzlichen Bestimmungen fanden 14. Okt. statt und zertrümmerten fast die nun wieder vereinigte
liberale Partei, während die
Socialisten in unerwarteter
Stärke
[* 4] ihren Einzug in die Repräsentantenkammer
hielten und auch die Klerikalen ihre
Mandate vermehrten. Nach dem Ergebnis der
Stichwahlen waren gewählt 104 Klerikale, 16 Liberale
und 32
Socialisten und Radikale. Auch im Senat erhöhte sich die klerikale
Majorität und ebenso gewannen die Klerikalen sowohl
wie die
Socialisten bei den Provinzialratswahlen im November. Anfang 1895 beherrschten die Fragen der
Annexion des
Kongostaates und die Regelung der Gemeinderatswahlen die Politik.
Litteratur.Kuranda, Belgien
[* 5] seit seiner Revolution (Lpz. 1846);
Exposéde la situation du royaume, publié par le ministre del'intérieur
(«Périodedécennale de 1841 à 1850», Brüss. 1852;
«Périodede 1851 à 1860», ebd. 1864;
«Périodede 1861 à 1875», ebd. 1878 fg.);
Juste,Histoire du congrès national de Belgique (2 Bde., ebd.
1850; neue Bearbeitung, ebd. 1880; deutsch ebd. 1850);
Namèche,Coursd'histoire nationale, Bd. 1–28 (Löwen
[* 6] 1853–91,
noch unvollendet);
Documentsstatistiques, recueillis par le ministère de l'intérieur, Bd.
1–14 (Brüss. 1857–70);
Thonissen, La Belgique sous le régne deLeopoldI. (2. Aufl., 3 Bde.,
Löwen 1862);
Juste,Les fondateurs de la monarchie belge,
Bd. 1–27 (Brüss.
1866–82);
ders., Histoire de Belgique (4. Aufl., 3 Bde.,
ebd. 1868);
ders., La révolution belge de 1830 d'après des documents inédits (2 Bde.,
edd. 1872);
(spr. beldscho-),Stadt in der ital.
Provinz und dem
Kreis
[* 10] Pavia, in fruchtbarer Ebene zwischen dem Po und
der untern
Olona, an der Linie
Pavia-Cremona des
AdriatischenNetzes, hat (1881) 3796, als Gemeinde 4557 E.,
einen von
Herzog Galeazzo II. von Mailand
[* 11] gegen 1460 errichteten
Aquädukt und einen von prächtigen Gärten umgebenen eleganten
Palast, der, im 15. Jahrh. von den
Grafen Barbiano d'Este erbaut, die Belgiojoso als Fürstentum zu
Lehen erhalten hatten, jetzt der
fürstl. Familie Belgiojoso von Mailand gehört. Hier wurdeFranz I. 1525 gefangen gehalten.
(spr. beldscho-),Cristina, Fürstin von ital.
Schriftstellerin und Patriotin, geb. aus dem Geschlecht
Trivulzio (s. d.), wurde 1824 mit Emilio Barbioni Belgiojoso vermählt,
trennte sich aber bald von ihrem Gatten, lebte dann zuerst in Mailand, wo sie den von
Österreich
[* 12] verfolgten Patrioten Schutz
und Rückhalt gewährte, darauf in
Paris,
[* 13] von wo aus sie durch die Zeitschriften
«Gazettaitaliana» und
«Ausonia» für
Italiens
[* 14] Erhebung zu wirken suchte. 1842–43 gab sie (anonym) den «Essai sur la formationdu dogme catholique» heraus.
Nach
Pius' IX. Regierungsantritt errichtete sie auf eigene Kosten ein
Freikorps; nach der Einnahme
Roms
durch die
Franzosen 1849 ging sie nach dem
Orient, bis ihr 1855 die Rückkehr in die
Heimat gestattet wurde. Die
Früchte dieses
Aufenthalts sind: «Souvenirsd'exil» (zuerst im «National» veröffentlicht),
«Asie-Mineure etSyrie» (Par. 1856). Seit 1858 verwitwet, trat sie 1859 nochmals im
polit. Leben
Italiens hervor, indem sie für den Anschluß an die Savoyer wirkte, in welchem
Geiste sie auch die
Zeitungen«Italia»
und «Perseveranza» gründete. Seit 1860 lebte sie in Mailand. Sie starb
Eisenbahnen.InBelgien, welches unter den
Ländern Europas zuerst Staatsbahnen
[* 15] baute und betrieb,
betrug die Länge des
Eisenbahnnetzes 4719 km, einschließlich der
Strecken der Nationalen Nebenbahngesellschaft
jedoch 5796 km, so daß auf 100 qkm 19,6 und auf 10000 E. 9,4 km entfielen.
Belgien steht in
Bezug auf das Verhältnis der
Eisenbahnen zum Flächeninhalt allen
Ländern der Erde voran.
Die erste Eisenbahn war die vom
Staate auf
Grund des Gesetzes vom erbaute und betriebene
¶
mehr
Bahn von Mecheln
[* 17] nach Verviers mit Abzweigungen nach Brüssel, Antwerpen
[* 18] und Ostende,
[* 19] deren Teilstrecke Mecheln-Brüssel, die erste
Eisenbahn auf dem europ. Festlande und die erste Staatsbahn Europas, bereits eröffnet wurde. Durch Gesetz vom wurde
der Bau einer Bahn von Gent nach der franz. Grenze mit einer Abzweigung nach Tournai und Zweiglinien nach
Namur,
[* 20] Limburg
[* 21] und Luxemburg genehmigt. Im Mai 1840 hatte das belg. Staatsbahnnetz schon eine
Ausdehnung
[* 22] von 323 km. Von 1842 ab wurde der Eisenbahnbau
[* 23] auch der Privatunternehmung überlassen;
indes wurden die wichtigsten Linien in der Zeit von 1870 bis 1880 wieder vom Staate erworben. Sitz der
Direktion der Staatsbahnen ist Brüssel. Das Staatsbahnnetz umfaßte 3249 km. Jetzt bestehen nur noch 13 Privatbahnen
mit 1478 km. In den nachfolgenden Übersichten sind die Belgische Eisenbahnen und ihre Betriebsergebnisse für 1891 zusammengestellt.