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treibenden Belgiern, deren parlamentarische Sprache [* 2] das von den gebildeten Klassen gesprochene Französisch war, machte eine dauerhafte Vereinigung beider Lande fast unmöglich. (Ausführlicheres über diese Zeit s. Niederlande.) [* 3] Die Regierung hatte sowohl eine liberale wie eine ultramontane Opposition zu bekämpfen. Als diese 1828 sich vereinigten, wurde die Lage äußerst schwierig. Gewaltig wuchs die Agitation im Lande; die Opposition in der Zweiten Kammer erreichte fast die Mehrheit der Stimmen.
Als einer der Hauptagitatoren, de Potter, wegen eines Artikels in dem Oppositionsblatte «Courrier des Pays-Bas», zu einer 18monaligen Gefangenschaft verurteilt wurde, kam es in Brüssel [* 4] zu einer aufrührerischen Bewegung; dem Minister van Maanen wurden die Fenster seines Hauses eingeworfen. Anfang 1829 wurde als Agitationsmittel eine gewaltige Adressebewegung an die Generalstaaten veranstaltet. Das 10jährige Budget wurde Mai 1829 von der Zweiten Kammer verworfen.
Endlich glaubte die Regierung kräftiger einschreiten zu müssen. Eine königl. Botschaft wurde in der Kammer verlesen, worin der König in strengem Tone für seine königl. Rechte eintrat und das Volk gegen seine Verführer zu beschützen versprach; die Botschaft begleitete ein strenger Preßgesetzentwurf. Wirklich wurde die Opposition einigermaßen eingeschüchtert. Die Budgets gingen durch, das jährliche für 1830 freilich nur mit der Mehrheit einer Stimme.
Darauf wurden alle Abgeordneten, welche Staatsämter bekleideten, soweit sie gegen die Regierung gestimmt hatten, ihrer Ämter entsetzt, ebenso auch andere Beamte, auf deren Treue man sich nicht verlassen zu können meinte. Als de Potter, Fielemans und Barthels einen großen nationalen Verein zu Oppositionszwecken zu gründen beabsichtigten, wurden sie vor Gericht gestellt und wegen Verschwörung gegen das Wohl des Staates des Landes verwiesen, Später folgte die Veröffentlichung ihrer vom Gericht mit Beschlag belegten, für sie höchst kompromittierenden Briefe. Im Mai 1830 wurde das neue Preßgesetz angenommen.
Ein zweiter Petitionssturm richtete nichts aus. Bereits seit 1829 hatte aber die Regierung bedeutende Konzessionen gemacht. Der obligatorische Besuch des staatlichen Seminars für künftige Geistliche, Collegium philosophicum zu Löwen, [* 5] ward aufgehoben, die verhaßte Mahlsteuer und Verordnungen gegen den Gebrauch der franz. Sprache abgeschafft. Doch blieb eine tiefe Mißstimmung überall herrschend. Besonderes Ärgernis erregte es, daß die Regierung ihre Sache in ihren Blättern durch höchst unwürdige Personen, wie Libry-Bagnano, verteidigen ließ.
2) Geschichte seit 1830 bis zum Tode Leopolds I. 1805. Bei dieser Lage der Dinge brach die Julirevolution in Frankreich aus. Zahlreiche Emissäre fanden sich aus Paris [* 6] in Brüssel ein, welche auf eine revolutionäre Bewegung hinwirkten. Am sollte der Geburtstag des Königs durch Illumination und Feuerwerk gefeiert werden, aber beides unterblieb. Die Aufführung der Oper «Die Stumme von Portici» gab 25. Aug. den nächsten Anlaß zu einer ernstlichern Bewegung. Starke Volkshaufen zertrümmerten die Druckerei des ministeriellen Journals «National», zerstörten und verbrannten oder verwüsteten die Häuser des verhaßten Journalisten Libry-Bagnano, den Justizpalast, das Haus des Justizministers van Maanen und das des Polizeidirektors.
Nach
mehrern
Tagen der Unordnung wurde die inzwischen organisierte
Bürgergarde
Meister des
Aufstandes, nachdem die königl.
Wappen
[* 7] abgerissen und die brabant. Fahnen aufgepflanzt worden waren. Ähnliche
Auftritte, in deren Folge sich überall die
Bürger bewaffneten und Sicherheitskommissionen errichteten, fanden in
Lüttich,
[* 8] Verviers,
Brügge, Löwen
und andern größern belg. Orten statt. Aus
Brüssel ging eine Deputation von Notabeln nach dem Haag
[* 9] ab, welche als «treue
Unterthanen» beim König auf die Entlassung des Ministers
van Maanen und Zusammenrufung der Generalstaaten antragen sollte.
In betreff des erstern wollte der König keine Zusage machen, zu dem zweiten hatte er bereits selbst
den Entschluß gefaßt.
Inzwischen hatten sich die Söhne des Königs mit 5-6000 Mann Truppen nach Vilvorde (2 Stunden von Brüssel) begeben, wo sie ihr Hauptquartier aufschlugen. Auf die Bitte einer Deputation von Notabeln erschien der persönlich sehr beliebte Prinz von Oranien, nur von einigen Offizieren begleitet, in der aufrührerischen Stadt mitten unter den Barrikaden; einen Augenblick ward der zusammendrängende Pöbel ihm gefährlich; er wußte aber nach seinem Palast durchzubrechen, wo er sich mit mehrern Notabeln beriet.
Der allgemeine Wunsch ging damals in Belgien [* 10] nur auf eine administrative Trennung beider Lande und dieser wurde von den Notabeln dem Prinzen vorgetragen. Auch der König war dafür gestimmt und brachte die Sache vor die 13. Sept. versammelten Generalstaaten, welche 29. Sept. sich in demselben Sinne aussprachen. Ungeachtet der Vorstellungen des zu großer Nachgiebigkeit geneigten Prinzen von Oranien entschloß sich der König, zur Wiederherstellung der gesetzlichen Ordnung militärisch einschreiten zu lassen. In Brüssel herrschte große Gärung; die Bürgerwehr ward 20. Sept. so gut wie aufgelöst; der Herrschaft des Pöbels stand nichts mehr im Wege.
Einige Bürger Brüssels luden den Prinzen Friedrich, der zwischen Mecheln [* 11] und Vilvorde eine größere Truppenmacht zusammengezogen hatte, zu der als leicht ausführbar geschilderten Besetzung der Stadt ein. Darauf erließ, 21. Sept., Prinz Friedrich eine Proklamation, in der er ankündigte, daß er auf Verlangen der bessern Bürger seine Truppen in die Stadt führe, nicht als Feinde, sondern als Freunde und Mitbürger zur Aufrechthaltung der Ordnung; auch versprach er Begnadigung mit Ausnahme der Urheber der allzu verbrecherischen Handlungen. Am 23. Sept. erfolgte der Angriff mit etwa 10000 Mann und 26 Geschützen.
Der Prinz drang in die Stadt ein, stieß aber auf großen Widerstand. Den Insurgenten in Brüssel, mit denen sich eine Schar Lütticher unter der Anführung des spätern Ministerpräsidenten Rogier vereinigt hatte und die an dem span. Flüchtlinge Juan van Halen und dem franz. General Mellinet tüchtige Führer gefunden hatten, kam aus der Nachbarschaft während des Gefechts immer mehr Hilfe zu, so daß nach viertägigem Kampfe der Prinz genötigt war, sich mit sehr starkem Verluste nach Mecheln zurückzuziehen. Nach diesem Siege, der gegen 600 belg. Freiwilligen das Leben gekostet hatte, breitete sich der Aufstand rasch über ganz Belgien aus. Am 24. Sept. hatte sich eine zunächst aus Rogier, d'Hooghvorst, Kommandanten der Bürgergarde, Jolly, ehemaligem Genieoffizier, und den Sekretären Vanderlinden und de Coppin bestehende provisorische Regierung im Brüsseler Rathaus ¶
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gebildet, der sich am 26. Graf Felix de Mérode, Gendebien, van de Weyer, Nicolai (als Sekretär), [* 13] dann am 28. der eben im Triumphzuge aus Frankreich zurückgekehrte de Potter beigesellten. Am 4. Okt. erklärte diese Regierung die Unabhängigkeit der belg. Provinzen und kündigte die Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfs sowie die Zusammenberufung eines Nationalkongresses von 200 Deputierten an.
Jetzt war das Band [* 14] zwischen Holland und Belgien zerrissen, und erfolglos blieb der Versuch des Prinzen von Oranien, Belgien dadurch seinem Hause zu erhalten, daß er sich bereit erklärte, es als unabhängiges Reich zu regieren und sich an die Spitze der Bewegung zu stellen (16. Okt.). Der König von Holland selbst erklärte diesen Schritt des Prinzen für ungültig und die provisorische Regierung antwortete (19. Okt.) in einer Proklamation, daß die Unabhängigkeit der Nation, durch die Waffen [* 15] erkämpft, keiner Anerkennung mehr bedürfe. Indessen rückten (27. Okt.) belg. Truppen in Antwerpen [* 16] ein und brachen die früher mit dem Kommandanten der Citadelle, General Chassé, abgeschlossene Kapitulation, worauf dieser die Stadt bombardieren ließ. Dies erweiterte die Kluft zwischen und Holland noch mehr und rief zugleich lebhafte Reklamationen der beteiligten Kaufleute des Auslandes gegen Holland hervor. In Belgien selbst kam es hier und da zu anarchischen Pöbelscenen. Doch erhielt allmählich die für die Einführung einer unabhängigen konstitutionellen Monarchie gestimmte Mehrheit des Klerus, des Adels, der reichen Grundbesitzer und Kaufleute das Übergewicht, so daß ebensowohl die republikanische Partei, mit de Potter an der Spitze, als die einer Vereinigung B.s mit Frankreich Geneigten in den Hintergrund traten. Der 10. Nov. versammelte und von de Potter eröffnete Nationalkongreß proklamierte abermals die Unabhängigkeit B.s, mit Vorbehalt der wegen Luxemburgs mit dem Deutschen Bunde einzugehenden Beziehungen, und, unter Ausschließung des Hauses Oranien vom belg. Throne, die konstitutionelle Monarchie nach dem Zweikammersystem. Unter 187 Stimmen lauteten nur 13 für republikanische Verfassung.
Inzwischen konstituierte sich in London [* 17] eine Konferenz der Großmächte, entwarf in einem ersten Protokoll den von beiden Teilen angenommenen Waffenstillstand, und erkannte 20. Dez. die Auflösung des bisherigen Königreichs der Vereinigten [* 18] Niederlande an. Weitere Protokolle vom 20. und setzten die allgemeinen Bedingungen der Auseinandersetzung fest; aber diese vom Haager Kabinett angenommenen Trennungsgrundlagen (ungefähr die Grenzverhältnisse aus der Zeit der Republik und der österr. Herrschaft mit Belassung Luxemburgs unter holländ. Scepter und im Verbande mit Deutschland; [* 19] die größere Hälfte der Nationalschuld des Königreichs der Niederlande wurde Belgien aufgebürdet) wurden vom belg. Nationalkongreß verworfen und hierauf von der Konferenz zu Gunsten B.s bedeutend modifiziert. In dieser veränderten Gestalt sind sie unter dem Namen der 18 Artikel bekannt geworden. Im belg. Kongreß wurde 3. Febr. zur Wahl eines Königs geschritten, bei welcher der Herzog von Nemours mit 97 Stimmen unter 192 den Sieg über die Kandidatur des Herzogs von Leuchtenberg davontrug; aber Ludwig Philipp lehnte entschieden die Wahl seines Sohnes ab, und schon 7. Febr. erklärte die Konferenz zu London, daß auch der Herzog von Leuchtenberg niemals von den Großmächten würde anerkannt werden.
Dies veranlaßte die Ernennung des Präsidenten des Kongresses, Baron Surlet de Cholier, zum provisorischen Regenten des Landes (24. Febr.), an Stelle der bisherigen provisorischen Regierung. Die Konstitution war seit dem 7. Febr. zum Abschluß gebracht. Auf Empfehlung Englands trat das belg. Ministerium mit dem Prinzen Leopold von Sachsen-Coburg wegen Übernahme der Krone in Unterhandlung, und 4. Juni wurde er mit 152 unter 196 Stimmen vom Kongreß als Leopold I. (s. d.) zum König der Belgier erwählt.
Der Prinz willigte ein unter der Bedingung einer Annahme jener 18 Artikel durch den belg. Kongreß, und als diese Annahme erfolgt war, hielt er am 21. seinen Einzug in Brüssel und leistete den Eid auf die Verfassung. Jetzt verwarf aber Holland die 18 Artikel und ließ zu Anfang des Aug. 1831 eine Armee unter dem Prinzen von Oranien in Belgien einrücken, welche die noch dürftig organisierten belg. Trnppen bei Hasselt und Löwen schlug und zersprengte, selbst die Eroberung Brüssels wurde nur durch das schnelle Einrücken einer franz. Hilfsarmee unter Marschall Gerard verhindert, worauf sich, auf Andringen der Gesandten Englands und Frankreichs, die holländ. Truppen wieder über die Grenze zurückzogen.
Nach neuen Unterbandlungen erhielt zwar Holland viel vorteilhaftere Bedingungen durch die nun von der Konferenz (6. Okt.) beschlossenen und für unumstößlich erklärten 21 Artikel, nach welchen Luxemburg und Limburg [* 20] teilweise zu Belgien, teilweise zu Holland geschlagen wurden, und Belgien jährlich 8 400000 Fl. als Zinsen seines Anteils an der holländ. Staatsschunld bezahlen sollte; auch wurde die Neutralität B.s festgesetzt. Da jedoch Holland diese Bestimmungen gleichfalls zurückwies, während Belgien sie annahm, erfolgte von seiten Englands und Frankreichs der Beschluß von Zwangsmaßregeln gegen Holland, Embargo auf die niederländ. Handelsschiffe, Blockade der niederländ. Küste durch eine engl.-franz. Flotte, sowie das abermalige Einrücken eines franz. Heers unter Marschall Gerard.
Dasselbe eroberte nach 24tägiger Belagerung die von den Holländern noch besetzte Citadelle von Antwerpen, die Belgien übergeben wurde. Ein Präliminarvertrag vom zwischen England, Frankreich und Holland machte sodann den Zwangsmaßregeln ein Ende. Bis zum Definitivtraktat sollte Holland im einstweiligen Besitze der die Schelde beherrschenden Forts Lillo und Liefkenshoek, in dem von Luxemburg und Limburg, außer den Hauptstädten Luxemburg und Maastricht, [* 21] bleiben.
Am hatte sich König Leopold mit der ältesten Tochter Ludwig Philipps, der Prinzessin Luise von Orléans, [* 22] vermählt. Der erstgeborene Sohn aus dieser Ehe starb, doch die spätere Geburt zweier Prinzen (1835 und 1837) sicherte der coburg. Dynastie die Succession auf dem belg. Throne. Durch die Verheiratung des Königs war die Stellung des neugegründeten Königreichs im europ. Staatensysteme noch mehr befestigt worden. Um so leichter konnte nach der Übergabe der Citadelle von Antwerpen die auf den Wiederbeginn des Krieges gegen Holland dringende Partei niedergehalten werden. Schon nach Auflösung der Repräsentantenkammer im April 1833 zeigte sich die Mehrheit derselben dem Friedenssystem der Regierung geneigter. Es folgte eine Zeit der Ruhe, in welcher die Industrie einen raschen Aufschwung nahm.
Sofort arbeitete Belgien unter der umsichtigen Leitung seines Königs mit gutem Geschick an der Vollendung ¶