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Mitteln seiner gewandten Dialektik, seines schneidenden Witzes und seiner bittern Ironie an und rettete, obgleich er die Annahme der Zollaufhebung nicht verhindern konnte, doch seine Partei vor gänzlicher Zersprengung. Nach dem Tode Bentincks 1848, dem er in «Lord George Bentinck. A biography» (Lond. 1851) ein treffliches litterar. Denkmal setzte, mußten seine toryistischen Parteigenossen, die bisher den jüd. Emporkömmling mit gewisser Zurückhaltung behandelt hatten, ihn in aller Form als ihren Führer im Unterhaus anerkennen. Im Febr. 1852 ernannte ihn Graf Derby zum Schatzkanzler; Beaconsfield ließ aus taktischen Gründen das schutzzöllnerische System fallen, hatte aber mit seiner Finanzverwaltung wenig Glück; die Verwerfung seines, vornehmlich von Gladstone bekämpften Budgets führte schon den Sturz des Ministeriums herbei.
Erst im Febr. 1858 gelang es den Tories, sich wieder der Regierung zu bemächtigen, worauf Beaconsfield im zweiten Ministerium Derby wieder seinen Posten als Schatzkanzler einnahm. Seine finanziellen Maßregeln hatten diesmal bessern Erfolg, aber der Widerstand gegen die von ihm eingebrachte Reformbill und die einer Parlamentsauflösung folgende Neuwahl nötigten das Kabinett schon zum Rücktritt. Gegenüber dem neuen Premierminister Palmerston hielt sich die Opposition in den nächsten Jahren zurück, Disraeli forderte nur größere Energie im Auftreten nach außen.
Nach Lord Palmerstons Tod 1865 begann eine neue Epoche für er bekämpfte, von einem Teil abtrünniger Liberaler, den sog. Adullamiten, unterstützt, die Reformbill des Ministeriums Russell-Gladstone und bahnte sich durch dessen Niederlage, in dem dritten Ministerium Derby von neuem den Weg ins Amt. Nun suchte er seinerseits sowohl seine eigenen frühern wie die letzten liberalen Vorschläge für Parlamentsreform durch einen in der Erweiterung des Wahlrechts noch radikalern Antrag zu überbieten.
Mit ganz hervorragendem Geschick erreichte er dessen Annahme auch bei der eigenen Partei, und als zugleich Graf Derby aus Gesundheitsrücksichten zurücktrat, übernahm Beaconsfield im Febr. 1868 die Leitung der Regierung. Er kündigte in seiner Antrittsrede «eine wahrhaft freisinnige Politik» an, stand aber bald einer oppositionellen liberalen Mehrheit im Unterhaus gegenüber. Trotzdem blieb er im Amt und ließ es auf den Entscheid der Neuwahlen ankommen. Als diese gegen ihn ausfielen, sah er sich genötigt, noch vor dem Zusammentritt des neuen Parlaments zurückzutreten Die von der Königin ihm angebotene Peerswürde nahm er für seine Gemahlin an, die zur Viscounteß von Beaconsfield erhoben wurde, während er seine leitende Stellung im Unterhaus beibehielt. Nach Graf Derbys Tod wurde er der alleinige Führer der konservativen Partei und blieb es bis zu seinem Tode.
Zunächst beschränkte er sich auf hartnäckige Opposition gegen Gladstone, vor allem gegen dessen auswärtige Politik; aber auch die Entstaatlichung der irischen Kirche, die irische Landbill, die Armeereform, die Erziehungsbill, die Ballotbill wurden mit mehr oder weniger Heftigkeit von ihm bekämpft. Inzwischen begann im Volk die Reaktion gegen das Übermaß und die Überstürzung der zahlreichen Reformen Gladstones, und als das Parlament März 1873 der Regierung mit der irischen Universitätsbill eine Niederlage bereitete, übernahm Disraeli die Leitung der Geschäfte, nachdem ihm die allgemeinen Neuwahlen im Jan. 1874 eine große Mehrheit gebracht hatten. Im Februar kündigte er als sein Programm vorzüglich die Verbesserung der öffentlichen Gesundheitspflege und der gesellschaftlichen Zustände der arbeitenden Klassen an; zugleich wurde angedeutet, daß in Bezug auf auswärtige Politik ein entschiedeneres Auftreten das durch die Liberalen eingebüßte Ansehen Englands im Auslande zurückerobern solle. Beaconsfield brachte eine Reihe socialer Reformmaßregeln durch, vor allem zeichnete er sich gegenüber seinem Vorgänger durch eine klare und geschickte auswärtige Politik aus. 1874 geschah die Einverleibung der Fidschi-Inseln, 1875 der Ankauf der Sueskanal-Aktien, April 1876 die Erhebung der Königin Victoria [* 2] zur Kaiserin von Indien, während durch Gathorne Hardy eine Armeereorganisation durchgeführt wurde.
Der Gegensatz gegen Rußland und dessen Ausdehnungsgelüste in Asien [* 3] wie am Mittelmeer leitete Beaconsfield vor allem in der russ.-türk. Verwicklung. Zwar hielt er sich im Kriege neutral, nahm aber nach dem Siege Rußlands eine drohende Haltung an, versammelte Truppen und Schiffe [* 4] Jan. und April 1878 im Mittelmeer, bis Rußland in die Berufung eines europ. Kongresses nach Berlin [* 5] einwilligte. Bei seiner Rückkehr von dem Berliner Kongreß, [* 6] auf dem er große Erfolge errungen hatte, Juli 1878, wurde Beaconsfield mit großen Ehren von Königin und Volk empfangen, überhaupt stand er um diese Zeit auf der Höhe seiner Macht und seines Ruhms.
Bereits vorher hatte er wegen seines vorgerückten Alters, in welchem er den Aufgaben des Unterhausführers nicht mehr genügen konnte, sich als Viscount Hughenden und Graf von Beaconsfield ins Oberhaus erheben lassen. Allmählich aber machte sich ein Rückschlag bei dieser in ihrer Größe zugleich kostspieligen Politik fühlbar. Bereits während des Russisch-Türkischen Krieges hatte ihn die geschickt geleitete Opposition Gladstones zum Maßhalten gezwungen; der nun folgende Krieg mit Afghanistan [* 7] war zwar erfolgreich, forderte aber große Opfer, der Krieg gegen die Zulukaffern, der schließlich mit vollem Sieg endete, hatte unglücklich begonnen.
Die von der Opposition genährte Mißstimmung war stärker, als Beaconsfield selbst ahnte; in der Hoffnung auf eine neue Mehrheit löste er das Parlament März 1880 vorzeitig auf; aber die Neuwahlen brachten eine große liberale Mehrheit, und Beaconsfield reichte infolgedessen 18. April seine Entlassung ein. Er beteiligte sich jedoch noch ferner an öffentlichen Fragen, bekämpfte Gladstones afghan. Politik, erkrankte aber im Frühjahr 1881 und starb Er wurde an der Seite seiner Gemahlin auf seinem Landsitze Hughenden in Buckinghamshire bestattet; auf Antrag Gladstones beschloß das Parlament die Errichtung eines Denkmals in der Westminsterabtei. Das Monument in der Pfarrkirche von Hughenden wurde ihm von der Königin gewidmet. Die Peerswürde erlosch mit ihm, zum Erben seines Vermögens hatte er seinen Neffen Coningsby Disraeli eingesetzt.
In seinen spätern Jahren hatte Beaconsfield noch schriftstellerischen Erfolg mit seinen Romanen «Lothair» (3 Bde., Lond. 1870) und «Endymion» [* 8] (3 Bde., ebd. 1881; deutsch von Böttger, 3 Bde., Lpz. 1881) errungen. Beaconsfield war mehr ein schlagfertiger Wortkämpfer als ein kunstvoller Redner. Seinen Bewunderern ist er ein wahrhaft großer Staatsmann, seinen Gegnern nur ein höchst geschickter ¶
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Komödiant. Entschieden hatte er große leitende Ideen, welche er mit Klarheit und Energie durchführte, war aber nicht immer fehlerlos in der Wahl seiner Mittel und Wege.
Seine Reden sind gesammelt in: Church and Queen, five speeches delivered 1860–64 (Lond. 1865), Constitutional reform, five speeches 1859–65 (ebd. 1866), Parliamentary reform, series of speeches 1848–66 (2. Aufl., ebd. 1867), Speeches on conservative policy of the last 30 years (ebd. 1870), Selected speeches of the late Right Hon. the Earl of Beaconsfield (hg. von Kebbel, 2 Bde., ebd. 1882); seine Briefe in: Home letters, written by the late Earl of Beaconsfield 1830–31 (ebd. 1885), Correspondence with his sister (ebd. 1886).
Vgl. Mill, Disraeli the author, orator and statesman (Lond. 1863);
Benj. Disraeli Earl of a political biography (ebd. 1877);
Brandes, Lord Beaconsfield. Ein Charakterbild (Berl. 1879);
Hitchman, the public life of the Earl of Beaconsfield (3. Aufl., Lond. 1885);
Cucheval-Clarigny, Lord et sons temps (Par. 1880);
Ewald, The Right Hon. Benj. D. Earl of and his times (2 Bde., Lond. 1882);
Althaus in «Engl. Charakterbilder» (2 Bde., Berl. 1870) und im «Neuen Plutarch», Bd. 9 (Lpz. 1882);
J. A. Froude, The earl of Beaconsfield (Lond. 1891).