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ist fast ganz wendisch, die Stadt Bautzen [* 2] vorwiegend deutsch. Die Kreishauptmannschaft hat 2469,73 qkm, (1890) 370 739 (177 271 männl., 193 468 weibl.) E., 13 Städte mit 134,25 qkm, 83 646 (41 801 männl., 41 845 weibl.) E. und 526 Landgemeinden mit 2335,48 qkm, 287 093 (135 470 männl., 151 623 weibl.) E., 81 189 Familienhaushaltungen mit 354 412 Haushaltungsmitgliedern, 8330 Aftermietern und Schlafleuten und 1540 Besuchsfremden, 6647 einzeln lebende Personen mit eigener Hauswirtschaft und 392 Anstalten für gemeinsamen Aufenthalt mit 5069 männl. und 1388 weibl. Insassen.
Unter der ortsanwesenden Bevölkerung [* 3] sind 334 506 Evangelische, 34 303 Katholiken, 1641 andere Christen, 268 Israeliten; 3399 Militärpersonen. Von je 1000 E. (1885) waren geboren: im Königreich Sachsen [* 4] 912, im übrigen Deutschen Reiche 65 und im Ausland 22. Im J. 1890 waren vorhanden 1503 Fabrikanlagen, darunter 514 mit Dampfbetrieb, 660 mit sonstigen elementaren oder tierischen und 329 ohne Motoren;
799 feststehende Dampfkessel, [* 5] 818 Dampfmaschinen [* 6] mit 12 559 durchschnittlich geübten Pferdestärken.
Die Zahl der beschäftigten Fabrikarbeiter betrug 41 593 (25 042 männl., 16 551 weibl.), darunter solche über 12 bis 14 J. alt 1678 (1029 männl., 649 weibl.), über 14 bis 16 J. 3162. Die Kreishauptmannschaft zerfällt in folgende Amtshauptmannschaften:
Amtshauptmannschaften | qkm | Einwohner | Auf 1 qkm | Evangelische | Katholiken | Israeliten | |
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1. Bautzen | 826,49 | 15433 | 109799 | 133 | 99326 | 9895 | 58 |
2. Kamenz | 695,94 | 9234 | 62278 | 89 | 55446 | 6784 | 17 |
3. Löbau | 523,10 | 14460 | 96372 | 184 | 93141 | 2232 | 42 |
4. Zittau | 424,20 | 13684 | 102290 | 241 | 86593 | 15392 | 151 |
2) Amtshauptmannschaft in der Kreishauptmannschaft hat (1890) 109 799 (53 401 männl., 56 398 weibl.) E., 3 Städte, 253 Landgemeinden und 125 Gutsbezirke.
3) Bautzen, wend. Budyšin, bis 1868 amtlich Budissin genannt, Hauptstadt der Kreis- und Amtshauptmannschaft und des sächs. Markgrafentums Oberlausitz, liegt in 202 m Höhe, auf einer nach Westen steil abfallenden Anhöhe, rechts an der Spree, an den Linien Dresden-Grenze-Görlitz, Bautzen-Neustadt (36,22 km) und der Nebenlinie Bautzen-Königswartha (19,9 km) der Sächs. Staatsbahnen [* 7] und beherrscht eine weite, meist ebene, nur südlich von größern Bergen [* 8] (Sudetenausläufern) begrenzte Gegend. Es besteht aus der von Überresten alter Mauern und Türme umgebenen Stadt und zwei durch die an Stelle der frühern Wälle und Gräben angelegten Promenaden getrennten Vorstädten, während das Dorf Seidau (2907 E.) nördlich am andern Flußufer liegt, und hat (1890) 21 516 (11 193 männl., 10 323 weibl.) E., darunter 19 168 Evangelische, 2191 Katholiken, 49 Israeliten, in Garnison das 103. Infanterieregiment, 1391 bewohnte Gebäude, 4802 Haushaltungen, 10 Anstalten; Postamt erster Klasse mit Zweigstelle, 1 Bürgermeister, 2 Stadträte, im ganzen 7 Magistratsmitglieder und 24 Stadtverordnete. Bautzen ist Sitz der Kreis- und Amtshauptmannschaft, des landständischen Direktoriums, eines Landgerichts (Oberlandesgericht Dresden) [* 9] mit 17 Amtsgerichten (Bautzen, Bernstadt, Bischofswerda, Ebersbach, Großschonau, Herrnhut, Kamenz, [* 10] Konigsbrück, Löbau, [* 11] Neusalza, Neustadt [* 12] bei Stolpen, Ostritz, Pulsnitz, Schirgiswalde, Sebnitz, Stolpen, Zittau) [* 13] und einer Kammer für Handelssachen, eines kath. Domstifts (1213 von Bischof Bruno von Meißen [* 14] gegründet) mit 10 Domherren, 5 Vikaren, einer Schule und 40 Dörfern, eines kath. Konsistoriums, eines kath. Dechanten (jetzt gewöhnlich ein Weihbischof in partibus infidelium) und eines luth. Propstes (ein Meißener Domherr, da St. Petri Kollegiatstift von Meißen ist), eines Hauptsteuer- und Zollamtes, einer Gewerbeinspektion für die Kreishauptmannschaft und einer Reichsbanknebenstelle.
[* 1] ^[Abb.]
Von den 6 Kirchen wird die frühgot. St. Petri-, Stifts- oder Domkirche am Fleischmarkt (1213 gegründet, 1441-97 ausgebaut), ein unregelmäßiger Hallenbau mit Turm [* 15] (94 m), 5 großen Glocken und kostbaren Kirchengefäßen, seit 1635 von Evangelischen und Katholiken gemeinschaftlich benutzt und ist durch ein eisernes Gitter in zwei Abteilungen getrennt; andere Kirchen sind die St. Maria- und Marthakirche, die evang. Dreifaltigkeits- oder Taucherkirche, die wendisch-protestantische St. Michaeliskirche und die wendisch-katholische Kirche Unserer Lieben Frau.
Von den zahlreichen, zum Teil sehr altertümlichen weltlichen Gebäuden sind erwähnenswert das auf dem höchsten Punkte gelegene Schloß Ortenburg (958 gegründet und nach wiederholter Zerstörung durch Feuer 1486 von König Matthias Corvinus neu erbaut), ursprünglich Dorotheenburg und häufig Residenz der böhm. Könige, mit lebensgroßem Steinbild des Matthias am Turm, jetzt Sitz der meisten königl. Behörden; die beiden Landschaftshäuser, das schöne Rathaus am Markt mit schlankem Turm und den Bildern sämtlicher Bürgermeister seit 400 Jahren, und das neue stattliche Gewandhaus (Kaufhaus, seit 1284 bestehend); die Dechanei (Kapitelhaus), die alte Kaserne nach Plänen von Semper, das Gymnasium, Seminar, Stadttheater, Stadtkrankenhaus sowie die Ruinen der 1634 abgebrannten Nikolai- und der Mönchskirche. Auf dem Fleischmarkt steht das Denkmal des Kurfürsten Johann Georg I. (Brunnenfigur, 1867 errichtet) und an der Ostseite des Reichenturms das Kaiser Rudolfs II. (1611).
Unterrichts- und Wohlthätigkeitsanstalten. hat ein königl. Gymnasium mit städtischem Kompatronat, 1527 gegründet, eine städtische Realschule, ein Predigerkollegium, ein evang. und ein kath. (das einzige in Sachsen) Lehrerseminar, eine höhere Mädchen- und Knabenschule, 5 Volks- und 1 wend. Schule, Landwirtschafts-, Industrie-, Handelsschule, Stieber-Museum (gestiftet vom Vicepräsidenten Stieber) im Gewandhaus, mit Altertümern und Bildern, 2 öffentliche Bibliotheken; ferner Landständische Bank, Sparkasse (Ende 1892: 28 781 Einlagebücher mit einem Guthaben von 13,324 Mill.M.); ein Stadtkrankenhaus (durchschnittlich 76 Kranke), Waisenhaus, Armenhaus mit Korrektionsanstalt, Garnisonlazarett, 1 Männer- und 3 Weiberhospitäler sowie eine Freimaurerloge (Zur goldenen Mauer).
Die Industrie umfaßt die Fabrikation von Wollwaren (seit dem 17. Jahrh.), Handschuhen, Jacken, Tuchen, Cigarren, Strickmaschinen, Pulver, Sprit, Wagen, Leder- und Thonwaren, [* 16] Etiketten; ferner Eisengießerei [* 17] und Maschinenbau, mechan. Spinnerei und Weberei, [* 18] Lithographie, Ziegelbrennerei; es bestehen ein Kupferhammer, Kunstmühlen ¶
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und 3 Papierfabriken (jetzt vereinigt als «Vereinigte Bautzener Papierfabriken», s. d.). Bautzen ist Sitz der 5. Sektion der Sächs. Baugewerks-Berufsgenossenschaft. Der Handel erstreckt sich auf die Erzeugnisse der städtischen Industrie sowie auf Getreide [* 20] und Landesprodukte, Flachs, Garn, Leinwand und Wolle. Der früher bedeutende Wollmarkt (1869 eingebracht 91 374 kg, 1889: 2561 kg, davon verkauft 631 kg) ist aufgehoben; jährlich finden drei Kram- und Viehmärkte statt.
Die Umgegend bietet namentlich nach SO., E. und SW. hin viele romantische Punkte, besonders den etwa 8 km entfernten Berg Czorneboh (558 m) mit Aussichtsturm, einen ehemals heidn. Opferplatz (Čorny Bóh, d. i. schwarzer Gott), sowie südlich den Mönchswalderberg (456 m), den Falkenberg (606 m), beide mit Aussichtsturm. Etwa 3 km nordwestlich die Herrnhuterkolonie Kleinwelka (552 E.). -
Vgl. Führer durch und Umgebung (Bautzen 1891);
J. A. von Wagner, und seine Umgebung (Dresd. 1871).
Geschichtliches. Ursprünglich eine alte Landesfeste der slaw. Milzener, behauptete auch unter der im 10. Jahrh. begründeten deutschen Herrschaft diese Bedeutung und tritt daher seit 1002 zuerst in den Kämpfen der Deutschen gegen Boleslaw Chrobry von Polen mehrfach hervor. Das Schloß Ortenburg war seitdem der Sitz eines Burggrafen, später unter brandenb. wie unter böhm. Herrschaft des Landvogts der gesamten Oberlausitz. Eine deutsche Stadtgemeinde erwuchs erst zu Anfang des 13. Jahrh. Das ursprüngliche landesfürstl.
Erbgericht ging 1310 an die Stadt über und dehnte 1374 seine Zuständigkeit auch auf die allmählich erworbenen städtischen Dörfer (bis 1547 schon 28) aus, während die Gerichtsbarkeit im übrigen Weichbilde dem Landvogte verblieb. Handel und Gewerbe blühten rasch auf, namentlich infolge der durch flandr. (fries.) Handwerker eingeführten Tuchweberei, und die polit. Selbständigkeit der Stadt wurde 1346 durch Beitritt zum Sechsstädtebund gesichert. Streitigkeiten des Rates mit den Innungen führten 1405 zum Sturz des Rates und zur Einsetzung eines neuen aus den Tuchmachern gebildeten.
Auf persönliches Einschreiten König Wenzels 1408 wurden sämtliche Mitglieder des neuen Rates enthauptet und die Zünfte fortan unter die strengste Aufsicht des Rates gestellt. Im Hussitenkriege wurde Bautzen 1429 und 1431 ohne Erfolg belagert. Die Pfarrkirche zu St. Petri wurde 1221 zur Kollegiat- (Dom-) Kirche erhoben. Die Reformation faßte 1523 in Bautzen Fuß. In der kirchlichen Frage kam 1560 ein Ausgleich zu stande, der den Bestand des Kapitels rettete und die Petrikirche in eine Simultankirche verwandelte. Im Dreißigjährigen Kriege wurde Bautzen 1620 von den Sachsen genommen, 1633 von Wallenstein erobert, 1634 von den Sachsen wieder genommen, wobei auch das Schloß in Flammen aufging, 1639 von den Schweden [* 21] erobert.
Nach dem Kriege ließ Kurfürst Johann Georg I. das Schloß in seiner heutigen Gestalt wiederherstellen. In neuerer Zeit erlangte Bautzen histor. Bedeutung durch die von den Preußen [* 22] und Russen gegen Napoleon I. am 20. und gelieferte Schlacht bei (auch Schlacht bei Wurschen genannt). Die Verbündeten hatten sich nach der Schlacht bei Großgörschen oder Lützen [* 23] (2. Mai) auf das rechte Elbufer zurückgezogen. (S. Russisch-Deutsch-Französischer Krieg von 1812 bis 1815.) Napoleon ließ Ney über Torgau [* 24] gegen Berlin [* 25] vorgehen, während Lauriston und Reynier die Preußen und er selbst die Russen verfolgten.
Unterdessen waren Barclay de Tolly und General von Kleist mit ihren Truppen beim verbündeten Heere eingetroffen, das nun gegen 95000 Mann zählte. Napoleon befahl dem Marschall Ney, seine Bewegung auf Berlin einzustellen und über Hoyerswerda gegen die rechte Flanke der Verbündeten zu operieren, und begab sich von Dresden 18. Mai zur Armee, nachdem er die Division Peri zur Verbindung mit Ney entsendet hatte. Von seiten der Verbündeten wurden Barclay mit seinen frischen Truppen, eine russ. Grenadierdivision und das Yorcksche Korps abgeschickt, um die Verbindung Neys mit Napoleon zu verhindern.
Barclay vernichtete zwar am 19. größtenteils die Division Peri, Yorck dagegen traf bei Weißig auf Lauristons überlegene Macht, und beide eilten in die Stellung von Bautzen zurück. In der Hauptstellung der Verbündeten auf den Terrassen des rechten Spreeufers hatte Barclay den rechten Flügel, Gortschakow den linken Flügel, Blücher und Yorck die Mitte besetzt; Großfürst Konstantin mit den Garden stand in Reserve. Am 20. früh begann die Schlacht; 85000 Mann Verbündete standen 163000 Franzosen gegenüber.
Nach dem Übergange oberhalb und bei Bautzen ließ Napoleon seine Korps aufmarschieren, Oudinot auf dem rechten Flügel, dann Macdonald, Marmont, Bertrand; als Reserve die Garden unter Mortier und zwei Kavalleriekorps. Die Angriffe Oudinots auf die Höhen von Hochkirch [* 26] scheiterten, im Centrum war die Spreelinie genommen, auf dem linken Flügel nahm die Vorhut Neys den Übergang bei Klir, ohne ihn jedoch zu überschreiten. Napoleon hatte sein Hauptquartier in Bautzen, die verbündeten Monarchen in Wurschen. Am 21. war die Hauptschlacht.
Oudinot stürmte wiederum unter großem Verluste gegen die Höhen; der Kaiser versagte ihm Unterstützung, weil die Entscheidung durch die drei Korps von Ney auf dem linken Flügel gegeben werden sollte. Bis dahin wurde im Centrum nur ein Artilleriekampf geführt. Als Ney endlich eintraf, griff er sofort Barclay in der rechten Flanke an; er nahm Preititz und die Höhen von Gleina. Napoleon ließ jetzt die Kreckwitzer Höhen im Centrum, den Schlüssel der Stellung Blüchers, stürmen. Nach furchtbarem Kampfe wurden dieselben genommen. Ney seinerseits bedrohte die rechte Flanke dermaßen, daß der Rückzug der Verbündeten notwendig wurde; derselbe wurde meisterhaft ausgeführt. Der Verlust der Franzosen wird auf 20000 Mann, der der Verbündeten auf 12-13000 Mann und 5 Geschütze [* 27] angegeben. - Auch nach 1815 blieb Bautzen Hauptstadt der sächs. Oberlausitz und wurde 1835 Sitz einer Kreisdirektion; zugleich wurde seine Verfassung nach der Städteordnung von 1832 umgestaltet. -
Vgl. Böhland, Die merkwürdigsten Schicksale der Oberlausitz und ihrer Hauptstadt Bautzen (Bautzen 1831);
C. Wilke, Chronik der Stadt Bautzen (ebd. 1843);
Meerheimb, Die Schlachten [* 28] bei am 20. und (Berl. 1873);
Knothe, Urkundliche Grundlagen zu einer Rechtsgeschichte der Oberlausitz bis ins 16. Jahrh. (Görlitz [* 29] 1877);
ders., Geschichte des Tuchmacherhandwerks in der Oberlausitz (Dresd. 1882).