Nichtmitgliedern Darlehen und sogar nach Art der Banken verzinsliche Depositen mit kurzer Kündigungsfrist anzunehmen. Es
entstanden dann auch Baugesellschaften von unbegrenzter Dauer, die aber mehr und mehr die ursprüngliche Eigenart der Einrichtung
verloren und einfach zu Kreditanstalten wurden, durch die kleine Einleger Borgern aus den Mittelklassen große und ziemlich
hoch verzinste Hypothekardarlehen gewährten. Eine 1871 niedergesetzte parlamentarische Untersuchungskommission
schätzte die Zahl der in England bestehenden terminabeln und dauernden Baugesellschaften auf 2000 mit 800000 Mitgliedern.
Soweit sie wirklich dazu dienen sollen, den Arbeitern den Erwerb eines kleinen Hauses zu ermöglichen, sind sie in der Regel
derart eingerichtet, daß dies in 13½ Jahren durch wöchentliche Entrichtung einer Summe geschieht, welche
den Betrag des Mietzinses, den er andernfalls zu bezahlen hätte, nicht überragt. Geringere Bedeutung haben sich bis jetzt
die erst später aufgekommenen Land and Building Societies erworben, welche nicht wie die vorher genannten bloß Darlehen
zum Erwerb eines Hauses gewähren, sondern selbst Land kaufen und Häuser bauen, um ihren Mitgliedern
den Erwerb davon zu erleichtern.
In Deutschland ist die Zahl der nach den Grundsätzen von Schulze-Delitzsch gebildeten Baugenossenschaften durch längere Zeit
hindurch stetig zurückgegangen, was sich durch die ungünstige Geschäftslage und den an vielen Orten an die Stelle der Wohnungsnot
getretenen Wohnungsüberfluß leicht erklärt. Während der Anwaltschaft der Genossenschaften 1876 außer 10 österreichischen 54 deutsche
Baugenossenschaften bekannt waren, betrug die Zahl der letztern Ende 1880 nur 36, Ende 1888 nur noch 28; Ende 1890 ist
sie hingegen wieder auf 50 gestiegen, was mit der wachsenden Beachtung der Wohnungsfrage und wohl auch mit
dem günstigen Einfluß des neuen Genossenschaftsgesetzes vom zusammenhängt.
Schulze-Delitzsch machte mit Recht stets darauf aufmerksam, daß weder die Einlagen der Genossenschafter, die ja bei dem Austritt der
letztern zurückgezogen werden können, noch kündbare Darlehen als genügende Grundlage für die Operationen einer Baugenossenschaft
anzusehen sind, daß eine solche vielmehr dahin streben muß, größere Summen aufzunehmen, die auf längere
Fristen unkündbar oder langsam tilgbar sind. Andernfalls wird man genötigt sein, von den Mitgliedern die Ansammlung unkündbarer
«Hausanteile» zu verlangen.
Die meisten deutschen Baugenossenschaften bauen selbst, und zwar in großen Städten wegen der hohen Bodenpreise meistens größere
Häuser mit mehrern Wohnungen, die sie an ihre Mitglieder vermieten; nur da, wo es die Verhältnisse
zulassen, macht sich mit gutem Grunde mehr und mehr das Bestreben geltend, kleine Häuser für eine oder zwei Familien herzustellen,
diese auf eine gewisse Zeit in Miete zu geben und allmählich in das Eigentum der Mieter übergehen zu
lassen. Die deutschen Baugesellschaften sind teils für Beamte, teils für Arbeiter berechnet. - Mit dem Namen Baugesellschaften
werden zuweilen auch die Bauhütten (s. d.) bezeichnet.
Vgl. E. von Plener, Engl. Baugenossenschaften (Wien 1873);
Schall, Das Arbeiterquartier in Mülhausen i. E. (2. Aufl., Berl.
1877);
F. Schneider, Mitteilungen über deutsche Baugenossenschaften nebst einem Statut und Motiven (Lpz.
1875);
Schriften des Vereins für Socialpolitik, XXX und XXXI: Die Wohnungsnot der ärmern Klassen in deutschen Großstädten
und Vorschläge zu deren Abhilfe (2 Bde., ebd. 1886);
Reichardt, Grundzüge der Arbeiterwohnungsfrage (Berl. 1885);
Artikel
Baugenossenschaften im 2. Bande des Handwörterbuchs der Staatswissenschaften (Jena 1891).
im allgemeinen der Inbegriff aller die Ausführung von Bauten bezweckenden Thätigkeiten, mögen sie mittelbar
oder unmittelbar dabei beteiligt sein. Es gehört hierher die Gewinnung und Lieferung der Rohstoffe, die Bearbeitung und
Verbindung derselben, die Herstellung künstlicher Baustoffe, die Unternehmung, Ausführung und Leitung von Bauten oder
einzelner Bauarbeiten u. s. w. Im besondern versteht man unter Baugewerbe die
Ausübung eines Berufs, der mit der Ausführung von Bauten in Verbindung steht (s. Bauhandwerker und Architekt).
Bei dem vielseitigen Charakter der Bauten geht natürlich das Baugewerbe oftmals mit dem Kunstgewerbe Hand in Hand und das niedere
Handwerk in die eigentliche Baukunst über. Da von der Haltbarkeit der von dem Baugewerbe gefertigten Arbeiten
Leben und Gesundheit vieler abhängt, so hat man sich in neuerer Zeit bemüht, wie überall so auch im B. durch das Vereinswesen
Verbesserungen und Vervollkommnungen herbeizuführen. Doch bleibt auf dem Gebiete des Lehrlingswesens, der Lohn- und Arbeitszeitverhältnisse,
der Verhütung von Massen-Arbeitseinstellungen (Streiks), der Einführung von Einigungsämtern, Schiedsgerichten
u. a. m. noch manches zu thun übrig, was durch den Weg der Vereinigung zu erstreben und zu regeln ist.
Infolge der Deutschen Gewerbeordnung vom welche zwar die bestehenden Innungen nicht aufhob, aber eine freie Konkurrenz
im B. zuließ, trat neben einer frischern Bewegung im B. mancher Auswuchs, insbesondere das auf gewinnsüchtige
Spekulation ausgehende Unternehmerwesen zu Tage (Gründerperiode). Neuerdings ist man wieder bestrebt, durch schärfere Handhabung
des Lehrlingswesens, Errichtung von Baugewerkschulen und Wiedereinführung der Meisterprüfungen im Baugewerbe eine Besserung
der Verhältnisse herbeizuführen und das Ansehen der Baugewerke zu heben.
Fachschulen für das Bauwesen zur Ausbildung von Maurer- und Zimmermeistern,
auch Polieren und Bauhandwerkern. Das Baugewerbe hat von alters her neben der praktischen Ausbildung eine gewisse theoretische
Schulung, namentlich in geometrischen Kenntnissen und in der Zeichenfertigkeit fordern müssen; die Bauhütten (s. d.) des
Mittelalters überlieferten solches Wissen im Kreise der Handwerksgenossen. Während den Lehrlingen anderer
Gewerbe nur der Abend und Sonntag für die Weiterbildung frei blieb, gestattete die dem Baugewerbe auferlegte Unterbrechung der
praktischen Arbeit während des Winters, einen zusammenhängenden, ausführlichern Unterricht zu erteilen. Unter den in Deutschland
bestehenden Baugewerkenschulen ist die älteste die 1823 zu München errichtete; ihr folgten 1831 Holzminden, 1837-40
die fünf Baugewerkenschulen Sachsens zu Dresden, Leipzig, Chemnitz, Zittau und Planen, 1845 Stuttgart. 1895 bestehen in Deutschland 45 Anstalten
dieser Art, meist staatliche oder staatlich unterstützte und beaufsichtigte Schulen, zum Teil mit etwas abweichenden Namen
(Bauschule), zum Teil in Verbindung mit
mehr
andern Lehranstalten. Verhältnismäßig gering ist noch immer die Zahl der in Preußen, das diesen Anstalten erst seit etwa 1880 umfassendere
staatliche Aufmerksamkeit und Unterstützung zugewendet hat. Von den 45 deutschen Baugewerkenschulen kommen 15 auf Preußen, wovon 5 Staatsanstalten
sind.
Außerhalb des Deutschen Reichs finden sich die Baugewerkenschulen nur selten in selbständiger Entwicklung; meist sind
sie mit andern Fachschulen verbunden, z. B. ein Bestandteil vieler Staatsgewerbeschulen Österreichs (s. Bauschulen und Staatsgewerbeschulen).
Die Baugewerkenschulen setzen allgemeine Volksschulbildung voraus, sind auch nicht auf Förderung einer über das
Fachbedürfnis hinaus greifenden allgemeinen Bildung gerichtet. Ihr Unterrichtsplan umfaßt die Baukunde mit ihren einzelnen
Zweigen, ferner Baukonstruktionen und Bauformenlehre, Geschichte der Baukunst, in hervorragender Weise
Zeichnen und Entwerfen, Projektionslehre, sowie niedere Mathematik, Physik und Mechanik, auch wohl Feldmessen, Modellieren,
deutsche Aufsätze und Buchhalten.
Praktische Bauthätigkeit muß in der Regel dem Unterricht vorangehen und begleitet ihn gewöhnlich in der Weise, daß mehrere
Jahre hindurch Sommerpraxis und Winterschule abwechseln; einzelne Baugewerkenschulen sind mit
Lehrwerkstätten versehen. Die Absolvierung einer Baugewerkenschule ist gewöhnlich die Vorbedingung für die Prüfung
als Baugewerksmeister, die unter dem Vorsitz eines Regierungskommissars vor einer aus Lehrern und Baugewerksmeistern gemischten
Prüfungskommission erfolgt. In Preußen gilt die an einer staatlich beaufsichtigten Baugewerkenschule bestandene Reifeprüfung
als wissenschaftlicher Teil der Innungsmeisterprüfung. (S. auch Fachschulen und Technisches Unterrichtswesen.)