Nationalliberalen, 14 Klerikalen, 3 Demokraten und 1 Konservativen. Sie genehmigte 1886 das Gemeindesteuergesetz, worin die
Einkommensteuer in die Gemeindebesteuerung eingeführt wurde, und die
Dotation von je 200000 M. auf neun Jahre für gering
besoldete evang. und kath.
Kirchendiener. Die gemäßigt-klerikale Fraktionsmehrheit unter Lender löste sich von der unversöhnlichen
Minderzahl, die sich unter den
Befehl Windthorsts stellte, förmlich los. Nach dem
Tode des Erzbischofs
Orbin wurde
Bischof Roos von Limburg
[* 2] Erzbischof von Freiburg.
[* 3]
Die
Wahlen zu dem Landtag von 1887-88, der am eröffnet wurde, hatten der ultramontanen Partei einen
Verlust von 5
Stimmen,
den Demokraten einen solchen von 2, beides zum
Vorteil der Nationalliberalen gebracht. Die Tagung der
Stände war besonders durch zwei
Vorlagen in
Anspruch genommen: ein Kirchengesetz und ein Gesetz über
Stellung und Gehaltsverhältnisse
der Staatsdiener aller
Stufen.
Schon die
Thronrede hatte erklärt, daß die Regierung auf einige vom staatlichen Interesse nicht
mehr gebotene Einschränkungen der kath.
Kirche verzichten werde.
Allerdings konnte sich die liberale
Majorität nicht entschließen, allen
Vorschlägen der Regierung zuzustimmen. Immerhin
bewies das am veröffentlichte Gesetz, zumal in der Bestimmung, daß es der
Kirche gestattet sei, Anstalten und
Konvikte zur Ausbildung ihrer Geistlichen zu errichten, daß sie und auch die Kammern bestrebt seien,
den Frieden zwischen
Kirche und
Staat herzustellen und zu sichern. Das Beamtengesetz wurde erst 1889 durchberaten und am 24. Juli mit
Gehaltsordnung und Etatsgesetz veröffentlicht; 1890 trat dasselbe ins Leben. Im Landtag von 1890 brachte die Regierung eine
wichtige Novelle zur Gemeindeordnung, die nach den
Beschlüssen der Kammern allen Gemeinden von über 500 E.
das
Recht giebt, die Einwohnergemeinde einzuführen,
Bürgermeister und Gemeinderat indirekt und zwar den erstern auf 9, statt
auf 6 Jahre zu wählen.
Bei den Reichstagswahlen im Febr. 1890 verlor die nationalliberale Partei alle Sitze (gewählt 8 Klerikale, 3 Konservative, 1 Freisinniger, 1 Demokrat, 1 Socialdemokrat).
Am 9. Okt. legte
Turban das Präsidium des Ministeriums des Innern nieder, das Eisenlohr übernahm, blieb aber Präsident des
Staatsministeriums.
SchwereVerluste erlitt die nationalliberale Partei bei den Landtagswahlen 1891, behielt aber die Mehrheit mit einer
Stimme.
Es wurde mit dem Landtag im April 1892 ein Gesetz zur finanziellen Ordnung des Elementarunterrichts vereinbart.
Ein von Demokraten und Ultramontanen befürworteter
Antrag zu Gunsten direkter Landtagswahlen und einer Gesamtrevision
der Verfassung
wurde 13. Mai trotz des
Widerspruchs der Regierung angenommen, dagegen ein
Antrag der Centrumspartei, der die Zulassung der religiösen
Orden
[* 4] zu erleichtern bezweckte, 28. Mai mit 31 gegen 28
Stimmen abgelehnt. Im März 1893 traten Ministerpräsident
Turban und Finanzminister Ellstätter zurück und an
Stelle des erstern der Justiz- und Kultusminister
Nokk mit Beibehaltung
seines Ressorts; Finanzminister wurde Ministerialrat Buchenberger, an die
Spitze eines neu errichteten vierten Ministeriums
(Auswärtiges u. s. w., s. S. 262a) trat der bisherige Gesandte
in
Berlin,
[* 5] von
Brauer.
Bei den Landtagswahlen Okt. 1893 verloren
die Nationalliberalen zwei Sitze an das Centrum und büßten damit ihre langjährige
absolute Mehrheit ein (über die Zusammensetzung der
Zweiten Kammer wie die Ergebnisse der Reichstagswahl 1893 s. S. 262a).
In der 22. Nov. eröffneten, geschlossenen Landtagssession wurde eine
Erhöhung der Einkommensteuer
durch Einführung einer Progression bei den höhern Einkommen, die Erweiterung des Staatsbahnnetzes und eine Ergänzung zu
dem Gesetze über die Aufbesserung der Beamtengehalte beschlossen.
Von den verschiedenen klerikalen
Anträgen, wurde der auf unbeschränkte Zulassung der geistlichen
Orden abgelehnt, dagegen
wurde die Zulassung von Missionen durch Ordensleute genehmigt. Am nahm die
Zweite Kammer einen
Antrag auf Einführung der direkten Landtagswahl mit Proportionalvertretung an, und die Regierung sagte zu, auf
Grund dieses
Beschlusses, aber unter Berücksichtigung der örtlichen Interessen, einen Gesetzentwurf auszuarbeiten. 1894 wurde auch eine
Gesandtschaft an den
Höfen in
München
[* 6] undStuttgart
[* 7] errichtet.
Landesgeschichte (Freiburg
1834; 3. Aufl. 1864); Preuschen,
Bad. Geschichte (Karlsr. 1842); Bierordt,
Bad. Geschichte
bis zum Ende des Mittelalters (Tüb. 1865);
Bekk, Die
Bewegung in
[* 9] am Ende Febr. 1848 bis Mitte Mai 1849 (Mannh. 1850);
Fr.
von Weech, Die Zähringer in Baden (Karlsr. 1881);
ders.,
Bad.
Biographien (3 Bde., Heidelb.
und Karlsr. 1875-81);
1)
Kreis
[* 10] im Großherzogtum Baden, bildet das südl. Drittel des Landeskommissariatsbezirks
Karlsruhe,
[* 11] besteht aus
Teilen der alten Markgrafschaft Baden, der
Grafschaft Eberstein und der Ortenau und hat 1045,28 qkm, (1890) 137159
(68044 männl., 69115 weibl.) E., 27598 Haushaltungen in 99 Gemeinden. Von
der ortsanwesenden
Bevölkerung
[* 12] sind: 11567
Evangelische, 124505 Katholiken, 880 Israeliten und 207 sonstige.
2)
Amtsbezirk im
Kreis hat (1890) 27163 (12520 männl., 14643 weibl.) E. in 8 Gemeinden.
3) Baden, gewöhnlich
Baden-Baden
[* 13] genannt, Hauptstadt des Kreises und
Amtsbezirks Baden, einer der glänzendsten
und besuchtesten Badeorte Europas, liegt in 183 m Höhe in dem reizenden, durch mildes
Klima
[* 14] ausgezeichneten
Thale des Oosbachs,
das sich in das Rheinthal öffnet, an der Linie
Oos-Baden (4,21 km) der
Bad. Staatsbahnen.
[* 15]
^[Abb]
Die Temperaturmittel ergeben für den Winter +1,26° C.,
Frühling +8,91°,
Sommer +16,62°, Herbst +8,67° und
für das ganze Jahr 8,94°; der mittlere Luftdruck 742,70
mm, die jährliche relative Feuchtigkeit 79%. hat (1890) 13889 E.,
darunter 3512
Evangelische und 112 Israeliten, Post erster
Klasse und
Telegraph
[* 16] mit Zweigstellen, Fernsprecheinrichtung,
¶
mehr
Bezirksamt, Amtsgericht (Landgericht Karlsruhe), Zollamt, Hauptsteueramt, Zollabfertigungsstelle und Bahnamt (4,2i km Linien)
der Bad. Staatsbahnen. Der Ort ist in seinem ältern Teile amphitheatralisch an einem Hügel, in seinem neuern, ganz modern
angelegten, an prachtvollen Hotels, eleganten Villen und Privatwohnungen reichen größern Teile am Fuße desselben erbaut
und bat drei kath. und eine neue prot. Kirche in got. Stile, eine griech. Kapelle, 1863-66 von Klenze erbaut,
mit goldener Kuppel und den Gräbern der rumän. Fürstenfamilie Sturdza, eine russ. Kirche und eine Kirche für den anglikan.
Ritus in normann. Stile. Im Chor der im 15. Jahrh, aufgeführten, 1866 erneuerten Pfarr- oder Stiftskirche
finden sich die Grabmäler der kath. Markgrafen von Baden seit 1431. Auf einem Hügel über
der Stadt liegt das 1479 auf röm. Fundamenten angelegte, 1689 nebst der Stadt von den Franzosen zerstörte, dann teilweise
wiederhergestellte sog. Neue Schloß, in dem der Großherzog mit Familie mehrere Monate im Jahre residiert. 1891 wurde
beim Neubau des Rathauses in einer Tiefe von 10 m eineHöhle entdeckt mit Fundgegenständen der röm. und vorröm.
Zeit; dieselbe ist 3-10 m hoch und 3-5 m breit und war mit Wasser gefüllt. Die heißen Quellen, denen Baden seine Blüte
[* 18] und
seinen Ruf als Kurort verdankt, sind sehr zahlreich, (über 20) und liefern täglich ungefähr 800000
l Wasser von 44 bis 67° C. Sie entspringen aus dem Felsen der Schloßterrasse hinter dem neuen Friedrichsbad und der Pfarrkirche
und werden durch Röhren
[* 19] in die Bäder der Stadt geleitet. Die ergiebigste ist der «Ursprung» (68,63°
C.), mit einem röm. Überbau, über dem sich die großartigen Gebäude des neuen Friedrichsbades erheben.
Dieses, nach Entwürfen von Dernfeld im Renaissancestil aufgeführt und 1877 eröffnet, ist heute die eleganteste derartige
Anstalt in Europa.
[* 20] Weitere bedeutende Anstalten sind das neue prachtvolle «Kaiserin-Augusta-Bad» neben dem Friedrichsbade und
das großherzogl. Landesbad an der Gernsbacher Straße als Ersatz für das ehemalige Armenbad und das
von der Großherzogin gestiftete Ludwig-Wilhelms-Pflegehaus. Die Quellen gehören zu den erdigsalinischen Kochsalzthermen.
Ihr spec. Gehalt bleibt sich jedoch nicht gleich, ebensowenig ihre Temperatur. Man benutzt das Wasser zum Baden, zu Douchen,
Einspritzungen, aber auch zum Trinken und zur Bereitung von Pastillen, gegen Unterleibskrankheiten, Menstruationsstörungen,
Skrofeln, alte rheumatische und gichtische Übel, Hautkrankheiten,
[* 21] Störungen der Nieren und der Harnorgane, chronische Katarrhe,
Lähmungen u. s. w. Die im Friedrichsbade untergebrachte Anstalt für «Schwedische Heilgymnastik» ist das bedeutendste derartige
Institut in Deutschland.
[* 22] In der Falkenhalde (Stephanienbad und Stahlbad) und in Lichtenthal befinden sich drei schwache Stahlquellen.
Der Ruf des Bades stieg besonders gegen Ende des 18. Jahrh, durch den Besuch franz. Emigranten, und seit 1804 hat
die bad. Regierung alles gethan, um dasselbe in die Höhe zu bringen. Bereits 1815 zählte man 2460 Badegäste.
Seitdem ist und nicht zum wenigsten durch die 1872 aufgehobene Spielbank ein Modebad geworden, in dem
sich durch den Besuch von jährlich 60000 Gästen aus allen Ländern der Erde während des Sommers ein Leben entfaltet, das
an Reichtum und Glanz sich mit dem einer Weltstadt messen kann.
Die (Sommer-)Saison dauert
vom 1. Mai bis 1. Nov. und erreicht im Juli und August ihren Höhepunkt; die 1872 eingerichtete
Wintersaison zieht jedoch ebenfalls eine beträchtliche Zahl Kurgäste herbei. Vereinigungspunkt der Kurgäste ist das Konversationshaus, 1824 von
Weinbrenner im Renaissancestil erbaut, 1854 bedeutend vergrößert, mit prächtig geschmückten Speise-, Konzert- und Ballsälen,
von Alleen und Anlagen umgeben, die sich jenseit der 85 m langen Neuen Trinkhalle hinziehen und in der berühmten
Lichtenthaler Allee ihre Fortsetzung finden.
Die Trinkhalle, 1839-42 von Hübsch aufgeführt, ist mit 14 Freskendarstellungen aus den Sagen des Schwarzwaldes von Götzenberger
in der von korinth. Säulen
[* 23] getragenen Vorhalle geschmückt. Davor steht seit 1875 die Marmorbüste des Kaisers Wilhelm I.,
die der Kaiserin Augusta seit 1892 an der Lichtenthaler Allee. Am Eingänge zu dieser erhebt sich das nach
Plänen von Derchy 1861 erbaute Theater
[* 24] (1200 Plätze), in dem das Personal des Hoftheaters zu Karlsruhe und andere große Opern-
und Operettengesellschaften Vorstellungen geben; dahinter die Kunsthalle mit permanenter Ausstellung; auf dem Leopoldsplatze
das eherne Standbild des GroßherzogsLeopold (1861). hat ein Gymnasium, (Direktor Frühe, 18 Lehrer, 208 Schüler),
verbunden mit einer Realabteilung, eine höhere Mädchenschule, höhere weibliche Lehr- und Erziehungsanstalt im Kloster zum
heil. Grabe, eine Zweiganstalt des Victoriastifts in Karlsruhe, eine Gewerbeschule, ein Krankenhaus
[* 25] und andere Wohlthätigkeitsanstalten.
Seit 1857 werden alljährlich Ende August fünftägige große Pferderennen und Ende September zweitägige
Trabrennen in dem 7 km entfernten Iffezheim gehalten. Die interessantesten Punkte der Umgebung sind: das 3 km entfernte sog.
Alte Schloß (Hohenbaden, in 473 m Höhe, 1689 ebenfalls von den Franzosen zerstört), dessen Ruinen eine prächtige Aussicht
über das Rheinthal von Speier
[* 26] bis gegen Straßburg
[* 27] gewähren;
die Trümmer der Ebersteinburg (s. d.),
ebenfalls mit schöner Fernsicht;
das 1245 gestiftete Cistercienserinnenkloster Lichtenthal (186 m), in dessen Kirche sich
Grabmäler Baden-Durlacher Markgrafen finden und das noch von 16 bis 18 Cistercienserinnen bewohnt wird;
ferner der Merkur
[* 28] (672 m), das malerisch gelegene neue Schloß Eberstein (310 m, 1798 vollendet) und das 1725 von der Markgräfin
Sibylle Auguste im Barockstil erbaute Lustschloß Favorite (131 m), während der Belagerung von Rastatt
[* 29] 1849 preuß. Hauptquartier;
die Yburg mit prächtiger Aussicht, das Jagdhaus, die Fischzuchtanstalt Gaisbach. In unmittelbarer Nähe befinden sich neu
erbaute Luftkurorte, denen sich die großen Luftkurorte Oberplättig, Sand, Herrenwies und Hundseck in
weiterer Entfernung anschließen.
Die Römer,
[* 30] die die Heilquellen schon kannten, nannten, den Ort dem KaiserAurelius Severus Alexander zu Ehren Civitas Aurelia
aquensis und legten Bäder an, von denen später Stadt und Land denNamen erhielten, nachdem Baden im 12. Jahrh, in Besitz der Markgrafen
aus dem Hause Zähringen gelangt war. Letztere hatten seit dem Jahre 1110 auf dem sog.
Alten Schlosse nordöstlich der Stadt ihren Sitz, bis sie gegen Ende des 15. Jahrh, nach dem Neuen Schloß bei der Stadt übersiedelten.
Nach Teilung der bad. Lande blieb Baden bis 1689 die Residenz des Baden-Badenschen Zweigs, der dann nach Rastatt
übersiedelte und 1771 ausstarb.
¶