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Drittteilen der kath. Konfession angehört, war der Kirche jede mit dem Gesamtwohle des Staates vereinbarliche freie Bewegung gestattet gewesen. Eine erwünschte Gelegenheit zur Erweiterung ihrer Macht fand in Deutschland [* 2] die röm. Hierarchie in der Bewegung von 1848. Die Frankfurter Versammlung hatte in die Grundrechte des deutschen Volks die Bestimmung aufgenommen, daß die Kirchen ihre Angelegenheiten «selbständig ordnen und verwalten» dürften. Diesen allgemeinen Satz über die sog. «freie Kirche im freien Staate» wußten die Führer der Hierarchie alsbald im Interesse ihrer Machterweiterung zu benutzen.
Die Oberrheinische Kirchenprovinz, zumal Baden, [* 3] schien nach den Ereignissen von 1849 besonders günstig für die klerikalen Angriffe zu sein. In einer Eingabe vom an die großherzogl. Regierung verlangte der Erzbischof von Freiburg, [* 4] auf Grundlage der von den deutschen Bischöfen in Würzburg [* 5] getroffenen Verabredungen, die in der Denkschrift vom niedergelegt waren, die Wiederherstellung der altkirchlichen Rechte, namentlich freie Besetzung der kirchlichen Pfründen, freie Verwaltung des kirchlichen Vermögens und anderes.
Bald darauf (1850) waren auf Einladung des Erzbischofs die Jesuiten und Liguorianer im Großherzogtum eingetroffen. Die damalige bad. Regierung zeigte sich diesen Vorgängen gegenüber schwach und wenig umsichtig. Als die Regierungen der Oberrheinischen Kirchenprovinz nach gemeinschaftlich zu Karlsruhe [* 6] gepflogenen Beratungen im März 1853 ziemlich gleichlautende Verordnungen zu Gunsten des kirchlichen Regiments bekannt machten, erließen die Bischöfe eine gleichlautende Antwort an ihre Regierungen, in der sie sich für nicht zufrieden gestellt erklärten, mit dem Beifügen, sie fänden sich nun auf den Standpunkt unausweichlich hingetrieben, wo sie ihr Verhalten nach dem apostolischen Ausspruche zu bestimmen hätten: man müsse Gott mehr gehorchen als den Menschen, und sie erklärten, daß sie den künftigen kirchlichen Vorschriften der Regierungen auf das entschiedenste entgegentreten würden.
Mit dieser Verleugnung der früher eidlich übernommenen Verpflichtungen war der Krieg gegen die staatliche Ordnung erklärt. Der Erzbischof von Freiburg, der sich auch weigerte, die Abhaltung von Seelenämtern bei den Trauerfeierlichkeiten für den verstorbenen Großherzog zu gestatten, versagte nun seine Mitwirkung bei Besetzung der Pfründen in der bisher geübten Weise, indem er viele Stellen ohne weiteres nach seinem Gutdünken besetzte. Zugleich erlaubte er sich, die Mitglieder des kath. Oberkirchenrats in Karlsruhe daran zu erinnern, daß sie als Katholiken in Übereinstimmung mit dem Episkopat, das einzig nur das kanonische Recht zur Richtschnur seines Handelns zu nehmen habe, ihr ferneres Verhalten zu regeln hätten. Als der kath. Oberkirchenrat dagegen Protest erhob und sich auf seinen Diensteid berief, wurde über die Mitglieder jener Staatsbehörde und über den Stadtdirektor Burger in Freiburg, der als großherzogl. Specialkommissar das landesherrliche Placet bei den Erlassen der erzbischöfl. Kurie zu wahren beauftragt war, die große Exkommunikation ausgesprochen und feierlich in den Kirchen verkündet.
Die bad. Regierung zeigte gegenüber diesem gesetzlosen Vorgehen große Schwäche. Sie erklärte zwar die gesetzwidrigen Schritte des Erzbischofs für null und nichtig; aber statt die Gesetze gegen die Urheber in Anwendung zu bringen, wandte sie sich mit Geld- und Freiheitsstrafen gegen die Vikare und einzelnen Pfarrer, die sich im Recht glaubten, wenn sie den Forderungen des nicht «suspendierten» Bischofs Gehorsam leisteten. Als der Erzbischof fortfuhr, sich nicht um die Staatsregierung und deren Einsprache zu kümmern, entschloß diese sich endlich, ihn zu verhaften, um ihn vor Gericht zu stellen Indes wurde der Prozeß auf Andrängen Roms alsbald wieder aufgegeben.
Schon vorher hatte man badischerseits die Vermittelung des röm. Stuhls angerufen und eine Gesandtschaft nach Rom [* 7] abgehen lassen. Dort wurde vor allem Niederschlagung des Prozesses und vollkommene Freiheit für den Erzbischof gefordert. Erst als diesem entsprochen war, kam ein sog. «Interim» zu stande, in welchem die Regierung entschieden den Rückzug antrat. An die Annahme desselben, das bekannt gemacht wurde, knüpfte überdies die röm. Kurie die Bedingung weiterer Verhandlungen. Diese zogen sich durch das spröde Verhalten der Kurie mehr und mehr in die Länge, erst wurde, ohne Zweifel unter dem Druck der ital. Ereignisse, die Konvention (vier Tage nach der Schlacht von Solferino) [* 8] in Rom abgeschlossen. Die Hierarchie hatte gesiegt.
Die Leitung der kirchlichen Angelegenheiten, namentlich aber die Unterhandlungen mit Rom, waren bald nach Ausbruch des bad. Kirchenstreites dem Ministerium des Innern abgenommen und dem Auswärtigen Amte übertragen worden, das in den Händen von Männern lag, die zu Österreich [* 9] hinneigten. Als der Landtag gegen Ende 1859 wieder zusammentrat, enthielt die Thronrede bezüglich des abgeschlossenen Vertrags, durch den die Leitung der Kirche dem Erzbischof überlassen war, die kurzen Worte: «Die mit dem päpstl. Stuhle gepflogenen Verhandlungen, worüber den Ständen die Aktenstücke vorgelegt werden sollen, sind zudem gewünschten Abschlusse gelangt.» Eine entgegengesetzte Überzeugung über den Wert des Konkordats hatte indes in allen Kreisen des bad. Volks platzgegriffen und gab sich in Versammlungen, Flugschriften und Petitionen in unzweideutiger Weise kund.
Der moralische Druck der öffentlichen Meinung auf die bisher in der Mehrheit sehr gefügige Zweite Kammer wurde allmählich so stark, daß die Kammer sich über die Aktenstücke durch eine Specialkommission Bericht erstatten ließ. Eine Folge dieses Berichts war der Antrag, «daß die Konvention nicht in Wirksamkeit zu treten habe». Nach zweitägigen lebhaften Debatten schloß sich die Zweite Kammer mit großer Mehrheit dem gestellten Antrage an und verlangte die Regelung der kirchlichen Angelegenheiten durch die Gesetzgebung.
Dieser im ganzen Lande freudig begrüßte Beschluß hatte 2. April den Sturz des Ministeriums Stengel [* 10] und einen Wechsel des bisherigen Regierungssystems zur Folge. Zwei der hervorragendsten Mitglieder der liberalen Opposition, Lamey und Stabel, traten in das Ministerium und wurden die Seele desselben. Ein landesherrlicher Erlaß vom machte die Grundsätze der neuen Verwaltung bekannt, die ein zeitgemäßes Fortschreiten auf dem Boden der Verfassung verhießen.
4) Unter Friedrich 1800-70. Das liberale Ministerium, in das später (Mai 1861) Freiherr von Roggenbach als Minister des Auswärtigen eintrat, wußte seitdem durch eine Reihe von ¶
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Gesetzen und durch rühriges Auftreten nach außen die übernommene Aufgabe in befriedigender Weise zu lösen. Der Kirchenstreit wurde durch die der Zweiten Kammer vorgelegten sechs Gesetzentwürfe und durch endliche Vereinbarung mit dem Erzbischof hinsichtlich der Besetzung der Kirchenpfründen, Verwaltung des Kirchenvermögens und Einsetzung eines kath. Oberstiftungsrats geregelt. Daran reihte sich eine Umgestaltung der Verfassung der prot.
Landeskirche in liberalem Sinne und die Emancipation der Juden. Auch auf allen andern Gebieten des öffentlichen Lebens wurde der bad. Staat einer Umgestaltung entgegengeführt. Diese weitgreifenden Reformen waren: Einführung der Gewerbefreiheit, eine neue Gerichtsorganisation (nach dem Muster der hannoverischen), ein Polizeistrafgesetzbuch und insbesondere eine neue Organisation der innern Verwaltung mit weitester Ausdehnung [* 12] der Selbstregierung. Zugleich hörte die bisherige polit. Einteilung des Großherzogtums in vier Provinzen mit ebensoviel Mittelregierungen auf. Das Land zerfällt seitdem in 11 Verwaltungskreise.
Die Energie, mit der der Minister des Äußern, Freiherr von Roggenbach, bei jeder Gelegenheit dem nationalen Verlangen nach einer gründlichen Bundesreform Ausdruck gab, belebte auch außerhalb B.s die nationalen Hoffnungen, um so mehr, als man den Großherzog in diesem Gedanken mit seinem Minister einig wußte. Die eifrige Verwendung B.s für das kurhess. Verfassungsrecht 1862 auf dem Bundestage förderte die endliche Herstellung jenes Rechts durch Preußen. [* 13]
Der rasche Entschluß, dem von Preußen beantragten Französisch-Deutschen Handelsvertrage beizutreten, begünstigte aldann die Erneuerung des Zollvereins 1865. Im J. 1864 wurde das Land von neuem durch eine bald immer wiederkehrende klerikale Agitation beunruhigt. Der kath. Klerus war unzufrieden mit der staatlichen Einrichtung von Ortsschulräten, an denen auch Familienväter teilhaben sollten, und von Kreisschulinspektoren, und die kath. Pfarrer erhielten von der erzbischöfl.
Kurie den Befehl, die ihnen vorbehaltene Stelle in den Ortsschulräten nicht einzunehmen. Gleichzeitig machte ein erheblicher Teil der prot. Geistlichkeit den Versuch, die freiere kritische Richtung in der prot. Theologie zu unterdrücken. Der Versuch scheiterte aber an dem Widerstände der Liberalen, die bald darauf zur Gründung des Deutschen Protestantenvereins schritten und das Recht der freien Forschung, die Versöhnung des Christentums mit der modernen Bildung und eine Erneuerung der Kirche auf der Grundlage der Gemeindeverfassung auf ihre Fahne schrieben. Der Oberkirchenrat erkannte die Gleichberechtigung der verschiedenen Richtungen innerhalb des Protestantismus an und verwies die Vertreter der orthodoxen Richtung zur Ruhe.
Inzwischen wirkte der Konflikt zwischen Preußens [* 14] Regierung und Abgeordnetenhaus erkältend auf die Hoffnungen, die sich Preußen zugewendet hatten, und der Verlauf des schlesw.-holstein. Streites machte die bad. Volksvertreter allmählich zu Gegnern Preußens. Der Minister von Roggenbach trat zurück, und von Edelsheim kam an seine Stelle; er unternahm es, in das mittelstaatliche Lager [* 15] überzuführen und schließlich an Österreich anzuschließen.
Mit den Demokraten verbündet und der Ultramontanen sicher, nahm Edelsheim an den mittelstaatlichen Konferenzen in Augsburg [* 16] und Bamberg [* 17] teil und brachte die Kammer, die sich noch für den Bismarckschen Antrag (Einberufung eines deutschen Parlaments zum Zweck einer Neugestaltung der Bundesverfassung) mit allen gegen drei Stimmen ausgesprochen hatte, nach und nach zu dem Entschluß, durch inniges Zusammengehen mit den andern süddeutschen Staaten Heil für Baden zu suchen, was thatsächlich gleichbedeutend war mit Krieg gegen Preußen.
Der Großherzog, der mit Mathy auf preuß. Seite stand, mußte, als ihm auf eine Anfrage in Berlin [* 18] die Antwort erteilt wurde, Preußen sei nicht im stande, Baden militärisch zu schützen, dem Andrängen der Mehrheit des Ministeriums und des Landes nachgeben. Durch Bundestagsbeschluß vom 14. Juni ward der Krieg gegen Preußen entschieden, der die bad. Division unter dem Befehl des Prinzen Wilhelm den unglücklichen und wenig ruhmvollen Mainfeldzug mitmachen ließ (s. Deutscher Krieg von 1866). Die preußisch gesinnten Mitglieder des Ministeriums wurden verdrängt: die Ministerialräte Jolly und Freydorf wurden 26. Juni ihrer Stellen enthoben;
Mathy, Präsident des Handelsministeriums, mußte 30. Juni seine Entlassung nehmen.
Nach den preuß. Siegen [* 19] in Böhmen [* 20] und am Main schlug die öffentliche Meinung in Baden ebenso rasch wieder um. Schon 22. Juli baten 39 Abgeordnete in einer Adresse den Großherzog, den nutzlosen Krieg aufzugeben und den Anschluß an Preußen zu bewerkstelligen. In gleichem Sinne sprach sich die Bevölkerung in Adressen und Volksversammlungen aus. Am 23. Juli reichte Edelsheim, 26. Juli Stabel, Lamey, Vogelmann ihre Entlassung ein und 27. Juli erhielt Mathy den Auftrag, ein neues Ministerium zu bilden: Mathy wurde Staatsminister und übernahm wieder die Leitung des Handels, vorläufig auch der Finanzen;
Freydorf wurde Präsident des Ministeriums des Auswärtigen, Jolly des Ministeriums des Innern;
General Ludwig, dessen Entlassung nicht angenommen worden war, behielt das Kriegsministerium, und Staatsrat Nüßlin blieb Mitglied des Ministeriums ohne Portefeuille.
Die Truppen wurden 29. Juli zurückgerufen, 3. Aug. Waffenstillstand und 17. Aug. in Berlin der definitive Friede und ein Allianzvertrag mit Preußen geschlossen. Baden hatte eine Kriegskontribution von 6 Mill. Gulden an Preußen zu bezahlen. Der Friedensvertrag wurde sofort von beiden Kammern genehmigt, und Annäherung B.s an Preußen und an den Norddeutschen Bund als nächstes, die Vereinigung Süddeutschlands mit demselben zu einem Deutschen Reiche von Regierung und Volksvertretung als Endziel der bad. Politik bezeichnet.
Bei der Eröffnung des Landtags sprach der Großherzog in der Thronrede seinen «festen Entschluß» aus, «der nationalen Einigung unausgesetzt nachzustreben» und jedes Opfer zu diesem Zwecke zu bringen. Die Allianz- und Zollverträge, das an die Kriegsverfassung des Norddeutschen Bundes sich anschließende Wehrgesetz wurden von beiden Kammern genehmigt. Ein Ministerverantwortlichkeitsgesetz, ein Preßgesetz und ein Schulgesetz folgten.
Schon vor dem Schlusse des Landtags war Mathy gestorben. Infolgedessen wurde das Ministerium 12. Febr.
neugebildet:
Jolly übernahm das Staatsministerium und das Innere, Freydorf das Auswärtige, Ellstätter die Finanzen, Dusch den Handel, Obkircher
(jedoch erst
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