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bäuerlichen Bevölkerung [* 2] erschwer, teilweise unmöglich gemacht ist, während andererseits die rasch emporgeblühte Industrie im Laufe der letzten Jahrzehnte immer zahlreichern Händen Beschäftigung gegeben und die Seßhaftigkeit der Bevölkerung der betreffenden Gegend gesteigert hat. Während vor 1855 die beiden westl. Provinzen fast immer eine bedeutend größere Zahl von Auswanderern lieferten als die sechs östl. Provinzen zusammengenommen, hat seitdem die Zahl der letztern die der erstern mehr und mehr überholt.
Was die übrigen größern deutschen Staaten anbetrifft, so zeigt sich in Sachsen [* 3] wieder die Fähigkeit einer hochentwickelten Industrie, trotz einer außerordentlich dichten Bevölkerung die Auswanderung verhältnismäßig gering zu erhalten. Andererseits aber lehrt das Beispiel Bayerns, daß ein mehr Ackerbau treibendes Land bei günstigen bäuerlichen Besitzverhältnissen wohl im stande ist, seine Bevölkerung einigermaßen zusammenzuhalten. Die starke von Württemberg [* 4] und Baden [* 5] dürfte mehr auf Überlieferung und Unternehmungslust als auf schwere, drückende Notstände zurückzuführen sein. Das merkwürdigste Beispiel einer durch wirtschaftliche Not unterhaltenen Massenauswanderung bietet jedenfalls Irland dar, dessen Bevölkerung von (1841) 8175124 Seelen teils durch große Sterblichkeit, hauptsächlich aber durch Auswanderung bis auf (1891) 4704750 zurückgegangen ist.
Die starke Beteiligung der ländlichen Bevölkerung, nicht nur der kleinen Besitzer, sondern auch der an rauhe Arbeit gewöhnten Tagelöhner und Dienstboten sowie der ländlichen Handwerker an der Auswanderung ist durchaus natürlich. Leute dieser Klassen vermögen nicht nur zu der wirtschaftlichen Eroberung der für den Ackerbau geeigneten Länder das meiste beizutragen, sondern haben von Haus aus außerdem auch das eifrige Streben nach Grundbesitz, das sie in der Heimat gar nicht oder nur in geringem Maße befriedigen können, während jenseit des Meers das Land noch ganz oder fast unentgeltlich zu haben ist (in den Vereinigten Staaten [* 6] von Amerika [* 7] z. B. auf Grund des Heimstättengesetzes), die gewöhnliche Arbeit dagegen gut bezahlt wird und daher auch dem Mittellosen die Möglichkeit geboten ist, das nötige kleine Kapital für einen eigenen Betrieb zusammenzubringen.
Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Auswanderung ist keineswegs allein nach dem Privatwirtschaftlichen Nutzen zu beurteilen, den die Auswanderer in der Regel aus dem Verlassen ihrer alten Heimat und dem Aufsuchen neuer Wohnsitze zu ziehen vermögen. Als einen sehr wesentlichen Umstand hat man daneben die Folgen ins Auge [* 8] zu fassen, die sich für die zurückbleibende Bevölkerung, den Heimatstaat, ergeben. Da ist nun kaum darauf zu rechnen, daß die Mißstände einer etwaigen verhältnismäßigen Übervölkerung durch Verminderung der Volkszahl mittels Auswanderung beseitigt werden könnten. In einem dünn bevölkerten, auf Landwirtschaft angewiesenen Gebiete wird die Verminderung der Arbeitskräfte möglicherweise sehr nachteilig wirken, indem die Lage der größern und mittlern Landwirte erschwert wird, während von den kleinern viele in das ländliche Proletariat versinken.
Auch in anderer Beziehung ist eine starke Auswanderung für das Mutterland eine nichts weniger als erfreuliche Erscheinung. Die Auswanderer gehören vorzugsweise zu den energischern und kräftigern Bestandteilen der wirtschaftlich bedrängten Bevölkerung, während die schwächlichen und verkommenen Elemente zurückbleiben. Die Auswanderer sind meist nicht ganz mittellos, es sind in der Regel solche, die den Untergang herannahen sahen, aber vor dem vollen Ausbruche desselben sich zur Auswanderung aufgerafft haben, oder solche, die durch längeres Sparen (z. B. als Dienstboten) ein kleines Kapital zusammengebracht haben. So ist es zweifellos, daß durch die Auswanderung dem Lande zahlreiche Arbeits- und Kapitalkräfte entzogen werden.
Vielfach hat man nun versucht, den wirtschaftlichen Wert dieser Arbeitskräfte nach dem in demselben angelegten Erziehungskapital zu schätzen, und ist dabei oft zu ganz außerordentlich hohen Summen gelangt. Man betrachtet dabei jenes Kapital, soweit es noch nicht durch die Arbeitsleistungen der betreffenden Personen abgetragen ist, als für das Mutterland verloren. Ebenso hat man die Geldsummen veranschlagt, die die Auswanderer mit sich führen, und diese Ausfuhr als eine arge Schädigung des nationalen Wohlstandes beklagt.
Derartige Schätzungsmethoden gehen jedoch meistens von mehr oder minder unzutreffenden Voraussetzungen aus. Will man die menschliche Arbeitskraft als wirtschaftliches Gut in Geldwert veranschlagen, so sind hierbei nicht die aufgewendeten Erziehungskosten zu Grunde zu legen, sondern die thatsächlichen Leistungen dieser Arbeitskraft, ihre Verwendbarkeit bei der wirtschaftlichen Erzeugung. Hat das Inland für die Arbeitskraft keine Beschäftigung, so ist auch ihr wirtschaftlicher Wert gleich Null und der Versuch des Arbeiters, im Auslande eine angemessene Verwertung seiner Kräfte zu suchen, keineswegs zu beklagen.
Übrigens werden jene Erziehungskosten im allgemeinen überhaupt nicht aus dem Volksvermögen, sondern aus dem Volkseinkommen bestritten, und man ist nicht zu der Annahme berechtigt, daß dieselben andernfalls erspart worden wären; sie würden vielfach im Interesse einer bessern Lebenshaltung verwandt worden sein. Was endlich die bar ausgeführten Geldsummen anlangt, so ist zu beachten, daß wenn die betreffenden Personen nicht ausgewandert wären, sondern ihr kleines Vermögen wegen mangelnder Erwerbsgelegenheit unfruchtbar im Lande verzehrt hätten, der Verlust an Nationalvermögen ebenso groß gewesen wäre.
Dasselbe gilt für den Fall, daß sie zwar selbst Verwendung für ihre Arbeitskraft gefunden, aber durch ihren Wettbewerb andere zu unfruchtbarer Verzehrung oder gar zur Beanspruchung von Armenunterstützung genötigt hätten. Daß in diesen letztern Fällen «das Geld im Lande geblieben wäre» ist volkswirtschaftlich von keinem Belange. Die Auswanderung ist nach alledem zwar häufig ein Zeichen ungesunder wirtschaftlicher Verhältnisse im Mutterlande, jedoch weder als ein Heilmittel für dieselben, noch auch andererseits an sich für so bedenklich anzusehen, wie sie auf Grund statist. Berechnung vielfach hingestellt zu werden pflegt.
Die Aufgaben des Staates gegenüber der Auswanderung bilden gegenwärtig den weitaus wichtigsten Teil seiner Bevölkerungspolitik überhaupt. Auch wenn die Nachteile der Auswanderung größer wären als sie sind, wäre der auf den Grundsätzen der bürgerlichen Freiheit stehende Staat nicht berechtigt, die Auswanderung seiner Angehörigen zu verbieten oder wesentlich zu beschränken (Princip der Auswanderungsfreiheit). Die frühern Beschränkungen dieser Art hingen entweder (wie das Detraktrecht, die Nachsteuer) mit der Hörigkeit zusammen, oder waren Ausflüsse der Willtür des absoluten Polizeistaates. In der neuern Zeit ist der Grundsatz der Freiheit der in den ¶
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Kulturstaaten zur allgemeinen Anerkennung gelangt. Nach dem deutschen Reichsgesetz vom über die Reichs-(Bundes-) und Staatsangehörigkeit darf die Entlassung aus dem Staatsverbande zur in Friedenszeiten nicht verweigert werden, sofern nicht die Bestimmungen des §.15 zur Anwendung kommen, nach denen Angehörigen der aktiven Armee und zum aktiven Dienst eingezogenen Reservisten und Landwehrmännern vor der Auflösung diesem Verhältnisses die Entlassung zu versagen ist, ebenso denjenigen, welche in dem Alter von 17 bis vollen 25 Jahren stehen, sofern sie nicht ein Zeugnis darüber beibringen, daß sie die Entlassung nicht bloß in der Absicht nachsuchen, sich dem Militärdienst zu entziehen.
Die Militärpflichtigen, die unbefugterweise auswandern, werden durch das Reichs-Strafgesetzbuch mit einer Geldstrafe von 150 bis 3000 M. oder mit Gefängnis von einem Monat bis zu einem Jahr bedroht, während beurlaubte Reservisten und Landwehrmänner bei unerlaubter Auswanderung zu einer Geldstrafe bis zu 150 M. oder zu Haft verurteilt werden. Militärpflichtige, die ohne Erlaubnis ausgewandert, aber in den Vereinigten Staaten naturalisiert sind und sich 5 Jahre ununterbrochen dort aufgehalten haben, sind nach dem deutsch-amerik.
Vertrage vom (Baneroft-Vertrag) straffrei. Jedoch verliert ein naturalisierter Deutsch-Amerikaner durch mehr als zweijährigen Aufenthalt in Deutschland [* 10] wieder sein amerik. Bürgerrecht. Wer von allen militär. Verpflichtungen frei ist, kann ohne Paß [* 11] oder Entlassungsurkunde außer Landes gehen; seine Staatsangehörigkeit verliert er durch zehnjährigen Aufenthalt im Auslande, falls er sich nicht bei einem Konsulat hat einschreiben lassen. Die Mehrzahl der Auswanderer verläßt die Heimat ohne Entlassungsurkunde.
Die Auswanderungsunternehmer und Auswanderungsagenten sind noch besondern gesetzlichen Bestimmungen unterworfen, jedoch vorwiegend zu Gunsten der Auswanderer, nicht mehr, um die Auswanderung zu beschränken. Nach der Gewerbeordnung bleibt dieser Gegenstand den Landesgesetzen vorbehalten, und in Preußen [* 12] ist daher in betreff der Zulassung dieser Thätigkeit noch das Gesetz vom maßgebend. Jedoch bedroht das Reichs-Strafgesetz allgemein diejenigen mit Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren, die ein Geschäft daraus machen, Deutsche [* 13] unter Vorspiegelung falscher Thatsachen oder wissentlich mit unbegründeten Angaben oder durch andere auf Täuschung beruhende Mittel zur Auswanderung zu verleiten.
Die beteiligten Bundesstaaten haben auch in betreff der Einrichtung der Auswandererschiffe, der Herbergen in den Häfen u. s. w. eingehende polizeiliche Vorschriften zum Schutze der Auswanderer erlassen. Seit 1869 ist außerdem ein Bundes-, jetzt Reichskommissar mit der Beaufsichtigung des Auswanderungswesens in den deutschen Seeplätzen beauftragt. Neuerdings ist es im Werk, das ganze Auswanderungswesen reichsgesetzlich zu regeln; ein Gesetzentwurf ging wiederholt dem Reichstag zu, kam aber nicht zur Erledigung.
Wenn aber der Staat nur indirekt, durch Beseitigung gewisser Ursachen, der Auswanderung entgegenzuwirken vermag, so erhebt sich die Frage, ob dieselbe denn nicht wenigstens so geleitet werden könnte, daß die Abziehenden in einem nähern Zusammenhange mit ihrem Vaterlande bleiben, und daß ihr Gedeihen auch eine günstige Rückwirkung auf das letztere ausübt. Neun Zehntel der deutschen Auswanderer wenden sich nach den Vereinigten Staaten, und hier geht schon das zweite Geschlecht nahezu, das dritte ganz im fremden Volke auf. In dieser Beziehung hängt demnach die Auswanderungsfrage mit der Kolonisation (s. Kolonien) zusammen.
Die Statistik der Auswanderung läßt sich für kein Land mit genügender Vollständigkeit und Zuverlässigkeit aufstellen; doch reichen die vorliegenden Angaben aus, um die Bedeutung der Auswanderung zu zeigen.
Aus Deutschland wanderten nach überseeischen Ländern von 1851 bis 1890 mindestens 3100000 Personen, seit dem Anfang der zwanziger Jahre etwa 4700000 Personen aus, hauptsächlich über Bremen [* 14] und Hamburg. [* 15] Dazu kommen noch sonstige deutsche, sowie belg. (Antwerpen), [* 16] Holland, und franz. Häfen. Die Zahl der von der deutschen Statistik ermittelten deutschen überseeischen Auswanderer betrug:
Im Jahre | Überhaupt | Darunter über | Es wurden befördert insbes. | |
---|---|---|---|---|
Bremen | Hamburg | nach den Ver. St. v. Amerika | ||
1871 | 76224 | 45658 | 30254 | 73816 |
1872 | 128152 | 66919 | 57615 | 122282 |
1873 | 110438 | 48608 | 51432 | 103441 |
1874 | 47671 | 17907 | 24093 | 45051 |
1875 | 32329 | 12613 | 15826 | 29390 |
1876 | 29644 | 10972 | 12706 | 24043 |
1877 | 22898 | 9328 | 10725 | 19174 |
1878 | 25627 | 11329 | 11827 | 21783 |
1879 | 35888 | 15828 | 13165 | 33369 |
1880 | 117097 | 51627 | 42787 | 114022 |
1881 | 220902 | 98510 | 84425 | 216544 |
1882 | 203585 | 96116 | 71164 | 199089 |
1883 | 173616 | 87739 | 55666 | 167391 |
1884 | 149065 | 75776 | 49985 | 144818 |
1885 | 110119 | 52328 | 35335 | 105105 |
1886 | 83225 | 40224 | 25714 | 78941 |
1887 | 104787 | 55290 | 22648 | 101051 |
1888 | 103951 | 52974 | 25402 | 99800 |
1889 | 96070 | 48972 | 22963 | 90235 |
1890 | 97103 | 48080 | 24907 | 90290 |
1871/90: | 1968391 | 946798 | 688639 | 1879635 |
1891: | 120089 | 59673 | 31581 | 108611 |
1892 | 112271 | 59897 | 28072 | 107803 |
1893 | 90000 | 39852 | 30510 | 75102 |
In dem Zeitraum 1871-90 wanderten somit 95,5 Proz. allein nach den Vereinigten Staaten von Amerika aus, 39961 oder 2 Proz. gingen nach Brasilien, [* 17] 24229 oder 1,2 Proz. nach andern Teilen von Amerika, 17811 oder 0,9 Proz. nach Australien, [* 18] 4930 oder 0,3 Proz. nach Afrika [* 19] und 1513 oder 0,1 Proz. nach Asien. [* 20] Daß die einzelnen Teile des Reichs in ungleichem Maße betroffen werden, wurde bereits hervorgehoben. Die im J. 1893 ausgewanderten Deutschen verteilten sich in der Weise auf die nachbezeichneten Altersklassen, daß von je 1000 entfielen auf die
Im Alter von | Männl. | Weibl. | Sämtl. | Gesamt- |
---|---|---|---|---|
Jahren | Auswanderer | bevölkerung | ||
unter 14 | 198 | 228 | 211 | 330 |
14-21 | 199 | 244 | 218 | 137 |
21-30 | 316 | 266 | 295 | 144 |
31-50 | 235 | 194 | 216 | 231 |
50 und mehr | 52 | 68 | 60 | 158 |
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