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Die Feldartillerie vermag gegen Truppen auf Entfernungen über 2500 m zu wirken und ist dadurch im stande, die Gefechte einzuleiten und die Thätigkeit der andern Waffen [* 2] vorzubereiten. Ausgedehntere Ziele, wie Lager, [* 3] Ortschaften u. s. w., kann sie auf Entfernungen bis zu 5000 m unter Feuer nehmen. Vermöge der großen Zerstörungskraft ihrer Geschosse [* 4] ist sie im stande, widerstandsfähigere Ziele, wie Mauern, Verrammelungen u. s. w., einzuschießen; dies giebt ihr einen besondern Wert, wenn es sich um Angriffe auf Ortschaften und befestigte Stellungen handelt, wobei sie der Infanterie den Weg zum Sturme bahnt.
Auch vermag sie den Feind mit ihrem Feuer in verdeckten Stellungen zu erreichen. Infolge ihrer großen Beweglichkeit und Manövrierfähigkeit folgt die Feldartillerie dem Gefecht der andern Truppen und leiht ihnen in jedem Augenblick die Unterstützung ihrer großen Feuerkraft, die durch die Fortbildung des Sprenggeschoß- und Shrapnelfeuers eine hohe Stufe erreicht hat. Wenn ihr auch die Eigenschaften fehlen, ein Gefecht selbständig durchzuführen, so hat sie doch die Fähigkeit, durch massenhaftes Auftreten selbst eine Entscheidung zu bewirken. Das weittragende Feuer ermöglicht ihr die Unterstützung der Verfolgung, während die eigentliche Ausbeutung der Erfolge den andern Waffen anheimfällt.
Als ein Zweig der Feldartillerie ist die Gebirgsartillerie (s. d.) zu erwähnen, deren Aufgabe es ist, den Kampf im Hochgebirge zu unterstützen, wo es an fahrbaren Straßen mangelt. Sie führt die leichtesten Geschütze [* 5] und hat ein Material, welches zerlegt und in seinen Teilen durch Saumtiere fortgeschafft werden kann. Gebirgsartillerie haben zur Zeit Österreich-Ungarn, [* 6] Frankreich, Rußland, Serbien, [* 7] Türkei, [* 8] Italien, [* 9] Spanien, [* 10] Portugal, England und die Schweiz; [* 11] sie führt kurze gezogene Kanonen von 3,7 bis 8 cm Kaliber in Batterien, zu meist 4 Geschützen. In der franz. Armee bildet das Pontonierwesen einen Zweig der Feldartillerie.
Die Positionsartillerie findet da Verwendung, wo der Kampf ein weniger wechselndes Gepräge trägt, weil entweder die Ziele feststehende oder die Stellungen andauernd gegeben sind. Diese Fälle kommen namentlich beim Angriff und bei der Verteidigung der Festungen und der Küsten vor. Den Geschützen der Positionsartillerie sind durch die Natur der Sache weniger enge Gewichtsgrenzen gesetzt als denjenigen der Feldartillerie; auf der andern Seite werden an die Wirkung der erstern häufig sehr hochgehende Anforderungen gestellt, denen nur Geschütze großen Kalibers und Gewichts zu entsprechen vermögen.
Ein Wechsel der Stellung läßt sich bei den Positionsgeschützen, wo er notwendig wird, ohne eine fest gestaltete Bespannung ausführen. Nach den obenerwähnten Zwecken teilt man die Positionsartillerie in drei Zweige: Belagerungs-, Festungs- und Küstenartillerie (letztere auch Seeartillerie genannt). Belagerungs- und Festungsartillerie unterliegen keiner dauernden Trennung und greifen auch in fachlicher Hinsicht vielfach ineinander über. Die Küstenartillerie kann an sich nur als ein Zweig der Festungsartillerie betrachtet werden; indessen bringt die Sonderaufgabe der erstern (Bekämpfung von Kriegsschiffen) so wesentliche äußerliche Besonderheiten, daß doch bis zu einem gewissen Grade eine personelle Trennung beider geboten erscheint.
Die Besetzung der Belagerungs- wie der Festungsgeschütze geschieht durch eine ähnlich der Infanterie gegliederte Truppe, die den Namen Festungsartillerie, im deutschen Heere jetzt Fußartillerie, führt. Sie ist gewöhnlich in Regimenter formiert, die wieder in Bataillone und Compagnien zerfallen. Als höhere Instanzen dienen Zentralbehörden, wie Brigaden, Inspektionen und Generalinspektionen. Zu ihrer Selbstverteidigung sind die Mannschaften der Festungsartillerie entweder nur mit Seitengewehren oder auch mit Feuerwaffen bewaffnet.
Die einzelnen Truppenteile der Festungsartillerie werden ohne Rücksicht auf ihre Gliederung bald zu Belagerungen herangezogen, bald zu Festungsbesatzung benutzt und besetzen bald diese, bald jene Geschützgattung. Sie stehen, im Gegensatz zur Feldartillerie, zu den Geschützen weder der Art noch Zahl derselben nach in einem andauernden Verhältnis. Es ist indes nicht ausgeschlossen, daß in den Einzelfällen der Verwendung auf die Gliederung als Truppe die thunlichste Rücksicht genommen wird, daß z. B. die Angriffsbatterien durch Compagnien erbaut und besetzt werden, die Zuteilung zu den Festungsgeschützen nach Werken und Compagnien erfolgt.
Die Küstenartillerie ist als Truppe der Festungsartillerie ähnlich formiert, untersteht aber in der Regel den Marinebehörden. Da, wo ihre Zahl nicht ausreicht, wird ihr Dienst durch die Festungsartillerie versehen. Festungs- wie Küstenartillerie werden in ausgedehntem Maße zu artilleristischen Arbeiten herangezogen. Die personelle Trennung der verschiedenen Zweige der Artillerie ist am strengsten im Deutschen Reiche durchgeführt, wo Feld- und Fußartillerie nicht einmal mehr durch die frühere Generalinspektion der Artillerie als gemeinsame Centralbehörde zusammenhängen. Es ist vielmehr die Feldartillerie vollkommen den Armeekorps unterstellt; eine Inspektion der Feldartillerie sorgt mit für die Gleichmäßigkeit des Materials und seine Verwendung; die Fußartillerie ist einer Generalinspektion der Fußartillerie unterstellt. In andern Armeen findet ein steter Wechsel der Offiziere zwischen Feld- und Festungsartillerie statt.
Die Geschütze der Belagerungsartillerie haben die Aufgabe, die Verteidigungsartillerie zum Schweigen zu bringen und den Verkehr auf den Festungswerken zu erschweren, die Unterkunftsräume der Besatzung und ihre Magazine zu zerstören, Ausfällen entgegenzutreten und endlich die sturmfreie Umfassung der Festung [* 12] durch Breschelegen zu öffnen. Die Verschiedenheit der Aufgaben erfordert verschiedene Klassen von Geschützen, und zwar sowohl Kanonen als Mörser.
Die Belagerungskanonen sind dem Kaliber nach meistens 12 und 15 cm, in geringerer Zahl auch vom Kaliber der Feldgeschütze, die Mörser außerdem vom Kaliber 21 cm. Die Lafettierung ist derart eingerichtet, daß der Anforderung der Fahrbarkeit auf gebahnten Straßen genügt ist und die Geschütze hinter einer mannshohen Deckung aufgestellt werden können, ohne einer tief eingeschnittenen Scharte in derselben zu bedürfen. Der Transport aus dem Belagerungspark in die Feuerlinie erfordert häufig die Überwindung schwieriger Geländeverhältnisse, weshalb im allgemeinen das Gesamtgewicht des Geschützes (mit Lafette) 5 t nicht überschreiten darf. Wo eine Steigerung aus Gründen der Wirkung sich nicht umgehen läßt, ist man in der Wahl der Stellungen wesentlich an die Nähe gebahnter Straßen gebunden. Bei sehr großen Gewichten der Geschütze pflegt man die Rohre von den Lafetten getrennt auf gehörigen ¶
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Fahrzeugen fortzuschaffen. Die Geschosse der Belagerungsgeschütze sind Granaten, [* 14] Panzergranaten, Sprenggranaten, Brandgranaten und Shrapnels; bei leichten Geschützen kommen auch Kartätschen vor. Das Personal der Belagerungsartillerie hat, außer der Geschützbedienung, die Anfertigung des Materials zum Bau der Angriffsbatterien und den Bau dieser Batterien sowie ihre Ausrüstung zu besorgen.
Die Geschütze der Festungsartillerie haben die Aufgabe, durch ihr Feuer der Eröffnung und dem Fortschreiten des Angriffs entgegenzutreten. Sie richten ihre Wirkung zunächst gegen die vor der Festung erscheinenden Angriffstruppen, erschweren ihnen das Festsetzen im Vorgelände, beschießen die Anlagen des Belagerers, hindern ihn im Bau seiner Batterien und Laufgräben, bekämpfen die aufgestellten Geschütze und treten allen Unternehmungen des Angreifers entgegen.
Wenn die Festungsgeschütze auch im allgemeinen keine so widerstandsfähigen Ziele zu bekämpfen haben, wie es den Belagerungsgeschützen zur Aufgabe fällt, so wird von ihnen doch eine sehr vielseitige Wirkung verlangt; es finden sich daher nicht bloß die Geschützarten und Kaliber der Belagerungsartillerie wieder, sondern es treten noch besondere (meist Schnellfeuer-) Kanonen zur Bestreichung der Festungsgräben hinzu. Die Beweglichkeit der Geschütze braucht das für die Belagerungsartillerie gesteckte Maß nicht zu überschreiten; die Lafettierung unterliegt im übrigen ähnlichen Bedingungen wie hier; nur bedarf man für die in Kasematten und Panzerständen aufgestellten Geschütze einer besondern Lafetteneinrichtung, die den beschränkten Raumverhältnissen Rechnung trägt.
Die Munition ist derjenigen der Belagerungsgeschütze gleich. Die Thätigkeit des Personals im Kriege beginnt mit der artilleristischen Ausrüstung der Festung, die anfänglich nur die Sicherung gegen überraschende und gewaltsame Angriffe zum Zweck hat, sobald aber eine förmliche Belagerung sich wahrscheinlich zeigt, angemessen verstärkt wird. Die Geschütze, deren Aufbewahrung im Frieden in Zeughäusern geschieht, werden zusammengestellt, ausgerüstet und ans ihre inzwischen vorbereiteten Aufstellungspunkte gebracht und mit Munition versehen.
Während der Belagerung sind die Mannschaften der Festungsartillerie teils an den Geschützen thätig, teils mit den Arbeiten beschäftigt, die die dauernde Unterhaltung der Feuerthätigkeit derselben notwendig macht. Sie begleiten die Ausfalltruppen, um die genommenen feindlichen Geschütze unbrauchbar zu machen und die Bauten zu beschädigen. Die durch den Fortgang der Belagerung bedingten Veränderungen in der Aufstellung der Geschütze sowie Aufstellung neuer behufs Verstärkung [* 15] des Feuers ist ebenfalls Sache der Festungsartillerie.
Die Küstenartillerie, die zur Besetzung der Küstenbatterien [* 16] und Seefestungen dient, wirkt mit ihren Geschützen gegen feindliche Kriegsschiffe sowie gegen Landungstruppen. Mit Rücksicht auf die bedeutende Stärke [* 17] der Schiffspanzer herrschen schwere Kanonen von 21, 24, 28, 30 cm, sowie schwere Mörser von 28 cm Kaliber vor. Die Schwere der Rohre und die Notwendigkeit, den raschen Bewegungen der Schiffe [* 18] mit dem Feuer zu folgen, bedingen eine sehr verwickelte Lafettierung, bei der von allen Hilfsmitteln der Technik Gebrauch gemacht ist, um eine leichte und rasche Bedienung zu ermöglichen.
Das verwickelte System, und die besondere Fertigkeit, die der Kampf gegen Schiffe erfordert, erheischen zwar die personelle Aussonderung aus der Festungsartillerie, doch hat im übrigen die Thätigkeit der Küsten- und der Festungsartillerie viel Verwandtes. Das Material der Schiffsartillerie umfaßt hauptsächlich mittlere und schwere Kanonen, doch sind auch leichte Kaliber am Platze, wie die Bootskanonen zum Ausrüsten der Landungsboote, die Landungsgeschütze, welche die Schiffsmannschaft mit an Land nimmt, und die Revolver- und Schnellfeuerkanonen zum Abwehren von Torpedoangriffen u. s. w. (S. Schiffsgeschütze.) Die Lafettierung muß auf die beschränkten Stellungsräume, die die Schiffe bieten, berechnet sein und ähnlich wie bei der Küstenartillerie die Bedienung erleichtern. Ausschließlich zu artilleristischen Zwecken sind vom Schiffspersonal die zu den Deckoffizieren zählenden Feuerwerker (Konstabler) bestimmt, welche, mit den im Range der Unteroffiziere stehenden Feuerwerkmaaten, das gesamte Artilleriematerial zu verwalten und in gutem Zustande zu erhalten sowie für die Anfertigung und im Gefecht für die Ausgabe der Munition zu sorgen haben.
Die technische Artillerie, auch Handwerks- oder Zeugartillerie genannt, umfaßt militärisch organisierte Abteilungen, die eine notdürftige Ausbildung mit der Waffe erhalten, deren Hauptthätigkeit aber der Erzeugung des Artilleriematerials und der Munitionsgegenstände gewidmet ist. Sie bildet Handwerker-, Arbeiter-, auch Feuerwerkercompagnien, die ganz außer dem Zusammenhange mit den fechtenden Truppen stehen und höherer Verbände entbehren. In einzelnen Staaten, wie z. B. im Deutschen Reich, hat man von technischen Artillerietruppen jetzt ganz Abstand genommen; die militär.-technischen Institute stehen hier überhaupt nur noch unter militär. Leitung, während das ausführende Personal aus Civiltechnikern und Civilhandwerkern gebildet ist.
Die technische und das ganze Waffenerzeugungsfach umfaßt daher an militär. Personal nur noch Offiziere, die ein in sich geschlossenes Korps bilden. Zu den technischen Instituten der Artillerie gehören die Geschütz- und Geschoßgießereien, die Artilleriewerkstätten (s. d.), die Pulverfabriken und die Feuerwerkslaboratorien. Im weitern Sinne ist zur technischen die sog. Verwaltungsartillerie gehörig, die das gesamte Waffenmaterial der Armee, insoweit es nicht in Händen der fechtenden Truppen ist, zu verwalten und zu verausgaben hat. Die Aufbewahrung geschieht meistens in Festungen; hier stehen an der Spitze des Verwaltungspersonals die Artillerieoffiziere der Plätze (s. d.).
Geschichte. Herstellung und Gebrauch der Geschütze lagen von Anfang an einer Zunft ob, die von den Büchsenmeistern oder Konstablern mit ihren Gehilfen gebildet wurde; Fürsten und Städte nahmen diese auf Zeit in Dienst und bewilligten ihnen ausgedehnte Vorrechte. Die Artilleristen waren also nichts weniger als Soldaten und der Einfluß des Kriegsherrn auf dieselben nur ein sehr bedingter. Die Zunft umgab sich mit dem Schleier des Geheimnisses, durch den herrschenden Aberglauben der Zeit aufs beste unterstützt, und arbeitete nur mit ihren zünftigen Gehilfen. Solche Verhältnisse konnten der Verwendung der neuen Kriegsmittel nur in hohem Grade hinderlich sein. Einsichtsvolle Herrscher bestrebten sich daher, die Artillerie aus den Banden der Zunft zu befreien und die neue Waffe selbst in die Hand [* 19] zu nehmen. Gaben schon die Artillerieschulen, wie sie von den Venetianern (1506) und demnächst von Karl V. (1513 zu Burgos) errichtet wurden, hierzu ¶