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Arabern und dem
ByzantinischenReiche wurde Armenien aufs neue verheert, schließlich verblieb es den
Chalifen, die es ebenfalls
durch nicht erbliche
Statthalter, jetzt Ostikane heißend, regieren ließen. Ein Armenier Aschot, aus der Familie der
Bagratunier
(s. d.), erhielt 885 vom
Chalifen Mutamid Billah die Erlaubnis zur
Aufrichtung eines erblichen nationalen
Unterkönigtums in und nun regierten
Angehörige der altberühmten, schon von
Moses von Chorene speciell verherrlichten Bagratunierfamilie,
die von einem
JudenNamens Sembat abstammen wollte, der zur Zeit Nebukadnezars als Gefangener nach Armenien gekommen sei, in Armenien bis
gegen Ende des 11. Jahrh. Dann mußte diese Dynastie, von
Byzantinern und
Seldschuken bedroht, und im eigenen
Lande durch den
Abfall des Arzrunierhauses geschwächt, das im
Gau Waspurakan eine eigene Herrschaft gegründet hatte, den
Byzantinern
weichen.
Darauf kamen über Armenien furchtbare Verheerungen durch die Mongolen, namentlich durch
Timur, wovon eine armenische
Beschreibung
von
Thomas von Mezoph noch erhalten ist; Kurden,
Perser und
Osmanen begannen sich in und um Armenien zu befehden,
später kam das
Russische Reich,
[* 2] das seit dem russ.-pers.
Kriege von 1829 und dem russ.-türk. von 1878
TeileA.s einverleibte,
als Mitbewerber dazu, und jetzt ist das von Armeniern bewohnte Gebiet ziemlich gleichmäßig zwischen
Rußland und der
Türkei
[* 3] geteilt.
Einen kleinen
Abschnitt davon besitzt
Persien.
[* 4] Die russ.-türk.-pers. Landesgrenzen in Armenien stoßen zusammen
auf dem
KleinenArarat. Zur Zeit, als Hocharmenien den
Byzantinern ebenfalls anheimfiel, die das Armenien westlich vom Euphrat, das
sog.
Kleinarmenien, schon längst besaßen, hatte sich Ruben, ein Verwandter des letzten Bagratunierkönigs, nach Cilicien
hinüber geworfen, wo vorher schon viele Armenier vor
Türken und Persern Zuflucht gesucht hatten, und
dort und im
Taurus ein zweites, von
Byzanz unabhängiges und auf
Byzanz eifersüchtiges
ArmenischesReich gebildet, das dann unter
den Rubeniden zur Zeit der Kreuzzüge einen beachtenswerten christl. Machtfaktor inmitten mohammed.
Staaten abgab.
KaiserHeinrich VI. gestand dem RubenidenLeo II. den Königsrang zu, die Rubeniden verschwägerten
sich dann mit souverän gewordenen Kreuzfahrerfamilien, namentlich mit den Lusignans von Cypern;
[* 5] sie sind als regierendes
Haus mit
Leo VI. 1393 ausgestorben.
Litteratur.Saint-Martin, Mémoires historiques et géographiques sur l'Arménie (2 Bde.,
Par. 1818);
Neumann, Geschichte der Übersiedelung von 40000 Armeniern (Lpz. 1834);
Kirche. Das
Christentum kam sehr früh nach
Armenien, nach der
Tradition schon durch den
ApostelThaddäus;
doch stammt
die erste sichere
Kunde erst aus dem 2. Jahrh.; auch wurde es durch harte Verfolgungen zeitweilig wieder
verdrängt, bis der
BischofGregor (s. d.) der Erleuchter um 301 den König Tiridates für dasselbe gewann
und sodann im 5. Jahrh. durch Mesrop die
Bibel
[* 11] in die Landessprache übersetzt ward.In dem Kirchenstreite
über die zwei Naturen in
Christus hielten es die Armenier mit den
Monophysiten (s. d.), verwarfen unter
Begünstigung des Perserkönigs
Khosrev, der das Land gegen 536 erobert hatte, auf einer
Synode zu Twin das chalcedonensische
Konzil (s.
Chalcedon) und lebten
seitdem als abgesonderte Partei, die sich nach Gregorius die GregorianischeKirche nannte.
Ihr Oberhaupt wurde der
Katholikos (d. h. der «allgemeine
Bischof») zu Etschmiadzin (s. d.). Bei ihnen entfaltete sich bald
ein reiches wissenschaftliches Leben; namentlich suchte man die in syr.
Sprache
[* 12] erhaltene theol. Litteratur durch
Übersetzungen
der armenischen Geistlichkeit zugänglich zu machen. Als ihren größten Theologen verehren sie Nerses von
Klaj, armenischen
Katholikos aus dem 12. Jahrh., dessen Werke mehrmals herausgegeben sind. Von der griech.
(orthodoxen)
Kirche haben sich die Gregorianer bis heute getrennt gehalten.
Dagegen haben die röm. Päpste zu verschiedenen
Zeiten, z. B. 1145, 1341, 1439, wenn die Armenier die Hilfe des
Abendlandes
gegen die Mohammedaner in
Anspruch nahmen, Unionsversuche gemacht. Dennoch ist dem Papsttum nur die
Vereinigung
mit einem Bruchteil der Armenische Kirche gelungen. Solche
unierte Armenier giebt es in
Polen, Galizien,
Persien, unter dem Erzbischof zu
Nachitschewan im russ. Gebiet der Donischen Kosaken; außerdem in einigen
Klöstern, wie auf dem
Berge Libanon, in
Rom,
[* 13] Marseille
[* 14] und namentlich auf der
InselSan Lazzaro bei
Venedig
[* 15] (s. Mechitaristen).
Sie erkennen die geistliche Oberherrschaft des Papstes an, stimmen in ihren Glaubenssätzen mit den Katholiken überein,
haben aber ihre eigene Kirchenordnung. Der Lehrbegriff der Armenische Kirche unterscheidet sich vom griechisch-orthodoxen
besonders dadurch, daß er in monophysitischer
Weise in
Christus nur eine Natur annimmt. Hinsichtlich der
sieben
Sakramente hat diese
Kirche das Eigentümliche, daß sie die Firmelung gleich mit der
Taufe verbindet; daß sie beim
Abendmahl gesäuertes
Brot,
[* 16] in unvermischten
Wein getaucht, gebraucht; daß sie die letzte Ölung nur geistlichen
Personen gleich
nach ihremTode zukommen läßt.
Die Armenier verehren
Heilige, glauben aber an kein
Fegefeuer. Im Fasten thun sie es selbst den Griechen
zuvor.
Ihren Gottesdienst halten sie in der
Türkei meist des Nachts; die
Messe in altarmenischer, die Predigt in neuarmenischer
Sprache.
Ihre hierarchische
Verfassung weicht wenig von der griechischen ab. Etschmiadzin ist noch jetzt der Sitz des
Katholikos,
wohin jeder Armenier in seinem Leben wenigstens einmal wallfahrten soll. Das heilige Salböl, das der
Katholikos bereitet und an die Geistlichen verkauft, und die häufigen
Wallfahrten der Armenier verschaffen ihm die
Mittel,
den Aufwand des Gottesdienstes zu bestreiten und treffliche
Bildungsanstalten für
Lehrer zu erhalten. Die
Patriarchen zu
Konstantinopel
[* 17] undJerusalem,
[* 18] die Erzbischöfe und
Bischöfe der
¶
mehr
Armenier werden von ihm eingesetzt und je nach drei Jahren von ihm von neuem bestätigt oder abgerufen. Die übrigen Geistlichen
haben ähnlichen Rang und ähnliche Beschäftigung wie die Priester in der griech. Kirche;
Eine eigentümliche
Klasse der Geistlichen bilden die Wartabieds, eine Art graduierter Gelehrten, die als Mönche den Wissenschaften leben
und lediglich zu Vikarien der Bischöfe verwendet werden. Die Weltpriester müssen sich einmal verheiraten, dürfen aber keine
zweite Frau nehmen.
Eine polit. Bedeutung gewann die in der Armenische Kirchein der Türkei dadurch, daß die Pforte, die nach der Einnahme Konstantinopelsihre sämtlichen orthodoxen Unterthanen als Rum Milleti (Römische
[* 20] Nation) dem Patriarchen Gennadios II. (s. d.) nicht allein
geistlich, sondern auch weltlich unterstellt hatte, auch die unter ihrer Botmäßigkeit befindlichen Armenier zu einem kirchlich-polit.
Körper, der Ermeni Milleti (Armenische Nation), vereinigte und dem mit wichtigen weltlichen Befugnissen
ausgestatteten armenischen Patriarchat der Hauptstadt in Pflege gab. In neuerer Zeit mußte der Patriarch seine Gewalt mit
einem Rate von 12 Notabeln aus dem Laienstande teilen.
Sein Einfluß schwand immer mehr, und es scheint von seinen Rechten kaum mehr als der Ehrenvorsitz im Nationalrate,
einer aus freier Volkswahl hervorgegangenen, die Angelegenheiten der Nation beratenden Versammlung, übriggeblieben zu sein.
Als um 1835 die «Unierte armenische Kirchengemeinschaft» der Türkei ebenfalls, unter der Benennung Katoluk Milleti (Katholische
Nation), Korporationsrechte erhielt, wurde eine Teilung der höchsten hierarchischen Gewalt vorgenommen, indem die weltlichen
Befugnisse einem Patriarchen, der als türk. Beamter galt, die geistlichen aber einem
die Verbindung mit Rom unterhaltenden Primas zufielen. Der röm. Stuhl hatte beim Übertritt der Armenier vom Schisma zur Unionihre altnationalen Eigentümlichkeiten, die armenische Liturgie, den Julianischen Kalender, die besondern Heiligenu. dgl. zu
schonen gelobt, suchte aber doch nach und nach die unierte orient. Kirchengemeinschaft in eine Fraktion
der lat. Kirche umzuwandeln. Namentlich war seit 1870 der neue Primas Hassun bestrebt, die Ideen Roms zu verwirklichen (s.
Hassuniten). -
Vgl. Malan, Divine liturgy of the Armenian chruch (Lond. 1870);
Troitzky, Der Ritus der Armenische Kirche (Petersb. 1875);
Nève, L'Arménie chrétienne et sa littérature (Löwen
[* 21] 1886);
Ter-Mikelian, Die in Armenische Kirche ihren Beziehungen
zur byzantinischen vom 4. bis zum 13. Jahrh. (Lpz. 1892).