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897 polit. Schicksale des Landes sind die Ursache, daß Armenier über ganz Vorder- und Mittelasien bis nach China [* 2] sowie über die Küstenländer des Mittelmeers [* 3] zerstreut sind. Gegen 5000 leben in Afrika, [* 4] ebenso viele in Ostindien, [* 5] wohin sie, um dem pers. Drucke zu entgehen, aus Persien [* 6] und hauptsächlich aus Dschulfa geflüchtet sind. In Persien und den benachbarten Gebieten Asiens mögen etwa 100000 leben. In Rußland, wo sie namentlich seit Peter I. Schutz fanden und Gemeinden in Petersburg, [* 7] Moskau [* 8] und Südrußland bilden, sich aber besonders zahlreich in der Krim [* 9] und in Polen niedergelassen haben, wird ihre Zahl auf 500000 geschätzt. Im österr.
Kaiserstaate beläuft sich ihre Zahl auf 16000, wovon die Hälfte auf Siebenbürgen, der Rest fast ganz auf Ungarn [* 10] und Galizien kommt. Im übrigen Europa [* 11] mögen etwa 1000 Armenier zerstreut leben. In London, [* 12] Amsterdam [* 13] und Marseille [* 14] giebt es armenische Handelshäuser, und berühmt ist die Kongregation armenischer Mechitaristen (s. d.) in Venedig [* 15] und Wien. [* 16] In der europ. Türkei, [* 17] wo sie namentlich in und um Konstantinopel [* 18] (200000) wohnen, wird ihre Zahl auf 400000 geschätzt. In Armenien selbst nehmen einige 2 Mill., andere 4–5 Mill. an, wahrscheinlich aber sind es nur 1 Mill. Die Kopfzahl des ganzen Volks der Armenier mag kaum 2½ Mill. übersteigen.
Geschichte. Die Urgeschichte A.s wird ausführlich, aber in fabelhafter Verkleidung bei Moses von Khorene überliefert, und unabhängig von Moses, aber aus gleicher Quelle [* 19] mit ihm, auch bei Sebeos. Sie ist völlig durchzogen und beherrscht von Erzählungen des Alten Testaments. Daß diese Beeinflussung durch die jüd. Überlieferung noch aus der Zeit vor der Bekehrung A.s zum Christentum herstammt, geht schon daraus deutlich hervor, daß der Ort Nachitschewan (Naxuana bei Ptolemäus) in der Nähe des Araxes schon von den Armeniern der Zeit des Josephus als Stelle des ersten Aussteigens Noahs aus der Arche erklärt wurde. Vielleicht sind diese jüd. Elemente schon in assyr. Zeit durch deportierte Judenkolonien nach Armenien getragen worden.
Bei den Assyrern und Juden hieß Armenien Urartu oder Ararat, mit welch letzterm Namen wohl auch der Name der Alarodier bei Herodot zusammenhängt; die Perser nannten das Land Armina, die Armenier nannten und nennen es Haikh, wie sich selbst, oder Haiastan (d. i. Land der Hai). Als Stammvater gilt ihnen ein Haik (der Name hängt vielleicht mit der ersten Hälfte von Achämenes zusammen), der als Sohn des Thogarma oder Thorgom in Genesis 10,3 genealogisiert wird. Er soll, um sich der Tyrannei des Königs Belus in Babylon zu entziehen, nach Norden [* 20] gewandert sein und Armenien besiedelt haben.
Die einzelnen von ihm und seinen Nachkommen gegründeten Kolonien werden bei Moses von Khorene mit großer topogr. Umständlichkeit namhaft gemacht, haben aber nur sagengeschichtliches Interesse. Unter Haiks Nachfolgern kommt ein Armenak vor, von dem der Name «Armenier» abgeleitet wird, dann ein Aram, dann Araj der Schöne, um dessen Besitz Semiramis sich vergeblich bemüht habe; man hat diesen Araj auch schon im Er, dem Sohn des Armenios, bei Plato wiederfinden wollen.
In der Zeit der Blüte [* 21] des Assyrischen Reichs war von diesem abhängig, wurde aber mehrfach wegen Unbotmäßigkeit schwer gezüchtigt; in den Inschriften der Sargoniden ist es öfters erwähnt. Ebenfalls wenig zuverlässig in der Unterwürfigkeit scheint es auch zur Zeit der Meder und der Achämeniden verblieben zu sein. Alles das, was die armenische Überlieferung von der Unabhängigkeit und der Macht eines Königs Tigranes erzählt, der Zeitgenosse des Astyages gewesen sei, scheint nur sagenhafte Zurückverlegung der Macht A.s zur Zeit eines andern Tigranes, des bekannten Gegners des Lucullus.
Mit dem Reiche der Achämeniden fiel Armenien dann Alexander d. Gr. zu, später riß es sich unter einem Artaxias vom Seleucidenreiche los zur Zeit der Niederlagen Antiochus' III. gegen Rom. [* 22] Von neuem wurde Armenien jetzt ein selbständiges Reich und Zufluchtsort für Hannibal, der dem Artaxias die Festung [* 23] Artaxata baute, die in der armenischen Geschichte noch spät genannt wird. Zur Zeit der Mithridatischen Kriege wurde sodann Armenien eine Zeit lang eine Großmacht, indem ein Nachfolger des Artaxias, Tigranes, zugleich Schwiegersohn des Mithridates Eupator von Pontus, von den Unterthanen der letzten Seleuciden aus Verzweiflung über die endlosen Thronstreitigkeiten im Seleucidenhause als König berufen wurde und sich des freilich an Ausdehnung [* 24] inzwischen auch sehr zurückgegangenen Seleucidenreichs friedlich bemächtigte. Er wurde durch Lucullus und Pompejus wieder aus diesem Reich vertrieben.
Einen Sohn dieses Tigranes, Artavasdes, nahm hernach M. Antonius durch Verrat gefangen. Armenien verblieb zunächst ein von Rom unabhängiges, aber von Rom gedemütigtes Königreich und isolierendes Zwischenland zwischen Rom und Parthien, die beide wetteifernd das Protektorat über Armenien anstrebten. Geltendmachung einer röm. Oberhoheit über Armenien lag namentlich in einer mit großem Gepränge vollzogenen Krönung eines parthischen Prinzen Namens Tiridates zum König über Armenien, die durch Nero in Rom erfolgte, und eine Art von Anerkennung dieser röm. Schutzherrschaft über Armenien lag von parthischer Seite in der Gestattung der Krönungsfahrt dieses Tiridates durch seinen Bruder Vologeses, den König der Könige von Parthien.
Von Trajan 114 erobert und zur Provinz gemacht, wurde Armenien 117 durch Hadrian wieder freigegeben und verblieb unter Königen arsacidischer Abstammung bis um 232. Da wurde der armenische König Chosroes auf Betreiben des ersten sassanidischen Königs von Persien, Ardaschir, ermordet, und Armenien fiel zunächst den Sassaniden anheim. Allein in der zweiten Hälfte des 3. Jahrh. kam ein auf röm. Gebiet geflüchteter Sohn des Chosroes, Tiridates, mit röm. Hilfe wieder zur Herrschaft in und wurde durch Gregor den Erleuchter zum Christentum bekehrt.
Der Bekehrung des Hofs folgte die des Landes, wo bisher ein Polytheismus mit einzelnen Entlehnungen aus der Religion Zoroasters heimisch gewesen war. Von da an wurde dann das ebenfalls zum Christentum übertretende Römische Reich [* 25] für Armenien zugleich polit. und religiöse Stütze gegen Persien, und die um den Besitz von Armenien als den Schlüssel zu Kleinasien wie zu Mesopotamien zwischen dem christl. Rom und den Sassaniden geführten Kämpfe erhielten dadurch noch eine besondere fanatische Verschärfung. 387 wurde schließlich Armenien zwischen Byzanz und Persien geteilt, und 428 im nunmehrigen Persarmenien der letzte Arsacidenkönig A.s, Artasches, von Bahram V. entthront und Armenien fortan durch pers. Markgrafen, Marzpane, regiert bis zum Ende des Sassanidenreichs 636. In den nun folgenden Kriegen zwischen ¶
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898 Arabern und dem Byzantinischen Reiche wurde Armenien aufs neue verheert, schließlich verblieb es den Chalifen, die es ebenfalls durch nicht erbliche Statthalter, jetzt Ostikane heißend, regieren ließen. Ein Armenier Aschot, aus der Familie der Bagratunier (s. d.), erhielt 885 vom Chalifen Mutamid Billah die Erlaubnis zur Aufrichtung eines erblichen nationalen Unterkönigtums in und nun regierten Angehörige der altberühmten, schon von Moses von Chorene speciell verherrlichten Bagratunierfamilie, die von einem Juden Namens Sembat abstammen wollte, der zur Zeit Nebukadnezars als Gefangener nach Armenien gekommen sei, in Armenien bis gegen Ende des 11. Jahrh. Dann mußte diese Dynastie, von Byzantinern und Seldschuken bedroht, und im eigenen Lande durch den Abfall des Arzrunierhauses geschwächt, das im Gau Waspurakan eine eigene Herrschaft gegründet hatte, den Byzantinern weichen.
Darauf kamen über Armenien furchtbare Verheerungen durch die Mongolen, namentlich durch Timur, wovon eine armenische Beschreibung von Thomas von Mezoph noch erhalten ist; Kurden, Perser und Osmanen begannen sich in und um Armenien zu befehden, später kam das Russische Reich, [* 27] das seit dem russ.-pers. Kriege von 1829 und dem russ.-türk. von 1878 Teile A.s einverleibte, als Mitbewerber dazu, und jetzt ist das von Armeniern bewohnte Gebiet ziemlich gleichmäßig zwischen Rußland und der Türkei geteilt.
Einen kleinen Abschnitt davon besitzt Persien. Die russ.-türk.-pers. Landesgrenzen in Armenien stoßen zusammen
auf dem Kleinen Ararat. Zur Zeit, als Hocharmenien den Byzantinern ebenfalls anheimfiel, die das Armenien westlich vom Euphrat, das
sog. Kleinarmenien, schon längst besaßen, hatte sich Ruben, ein Verwandter des letzten Bagratunierkönigs, nach Cilicien
hinüber geworfen, wo vorher schon viele Armenier vor Türken und Persern Zuflucht gesucht hatten, und
dort und im Taurus ein zweites, von Byzanz unabhängiges und auf Byzanz eifersüchtiges Armenisches Reich gebildet, das dann unter
den Rubeniden zur Zeit der Kreuzzüge einen beachtensw
erten christl. Machtfaktor inmitten mohammed.
Staaten abgab. Kaiser Heinrich VI. gestand dem Rubeniden Leo II. den Königsrang zu, die Rubeniden verschwägerten
sich dann mit souverän gewordenen Kreuzfahrerfamilien, namentlich mit den Lusignans von Cypern;
[* 28] sie sind als regierendes
Haus mit Leo VI. 1393 ausgestorben.
Litteratur. Saint-Martin, Mémoires historiques et géographiques sur l'Arménie (2 Bde., Par. 1818);
Neumann, Geschichte der Übersiedelung von 40000 Armeniern (Lpz. 1834);
M. Wagner, Reise nach dem Ararat (Stuttg. 1848);
Tozer, Turkish Armenia and Eastern Asia Minor (Lond. 1881);
Abich, Geolog. Forschungen in den kaukas.
Ländern. Tl. 2: Geologie [* 29] des armenischen Hochlandes (Wien 1882, mit Atlas); [* 30] Radde, Reisen an der pers.-russ. Grenze. Talysch und seine Bewohner (Lpz. 1886); ders., Die Fauna und Flora des südwestl. Kaspi-Gebietes (ebd. 1886); Kaukas.-Statistisches Komitee, Gouvernement Elisabethpol (Tiflis 1888); dass., Karser Landstrich (ebd. 1889, beides russisch): Fredé, Voyage en Armenien et en Perse (Paris [* 31] 1885).
– Tschamtschean, Geschichte A.s (3 Bde., Vened. 1784, armenisch);
Issaverdens, Armenia and the Armenians (2 Bde., ebd. 1874–75);
Langlois, Collection des historiens anciens et modernes de l'Arménie (2 Bde., Par. 1867–69);
Dulaurier, Le [* 32] Royaume de la Petite Arménie, im «Recueil des historiens des croisades, Documents arméniens», Bd. 1 (ebd. 1869);
Alishan, Sisouan (Vened. 1885, armenisch).