Anderer-895 seits scheint freilich aus dem oft beklagten Überhandnehmen der Landstreicherei in
Deutschland
[* 2] zu folgen, daß
eine gute Armenpflege eines auf Abschreckung der Müßiggänger berechneten Zusatzes nicht entbehren kann. Hierauf beziehen
sich die Bestimmungen des
DeutschenStrafgesetzb. §. 361, Nr. 3
u. Nr. 5: Wer als Landstreicher umherzieht und wer
sich dem
Spiel,
Trunk oder Müßiggang dergestalt hingiebt, daß er in einen Zustand gerät, in welchem zu seinem
Unterhalt
oder zum
Unterhalt derjenigen, zu deren
Ernährung er verpflichtet ist, die Vermittelung der
Behörde in
Anspruch genommen werden
muß, wird mit Haft bestraft. Bei der
Verurteilung zur Haft kann erkannt werden, daß der Verurteilte
nach verbüßter
Strafe der Landespolizeibehörde zu übergeben sei. Die Landespolizeibehörde erhält dadurch die Befugnis
den Verurteilten zu 2 Jahren in ein Arbeitshaus unterzubringen oder zu gemeinnützigen
Arbeiten zu verwenden. Gegen einen
Ausländer kann Verweisung aus dem
DeutschenReiche verfügt werden. Die wesentlichen Gebiete der Armengesetzgebung sind jetzt
folgende:
1) PlanmäßigeFürsorge für außerordentliche Notfälle in solchen Gegenden, in denen vorübergehend oder ständig
die Bevölkerung (wie durch
Überschwemmungen und Mißwachs) der Gefahr der Verarmung ausgesetzt ist. In solchen allgemeinen
Notstandsfällen kann nicht bezweifelt werden, daß der
Staat die unzulänglich gewordene Kraft
[* 3] der Gemeinden zu ergänzen
hat.
2)Feststellung der zur Armenpflege verpflichteten Organe und der ihnen zu überlassenden Einnahmequellen.
3) GesetzlicheOrdnung des Niederlassungswesens im
Sinne billiger Ausgleichung zwischen freier wirtschaftlicher
Bewegung und
den durch den unbeschränkten Zustrom hilfloser
Personen bedrohten Gemeindeinteressen.
4) StaatlicheAufsicht über Privatwohlthätigkeitsstiftungen, deren planlose
Verwaltung, wie die engl. Erfahrungen lehren,
so große Mißstände hervorzurufen vermag, daß man sich in England 1853 veranlaßt fand, dem
Staate
ein bestimmtes Aufsichtsrecht über zweckwidrige Privatstiftungen einzuräumen.
5)
Begründung von Kreditanstalten, welche durch Ermöglichung von Darlehen den kleinen Mann gegen Verarmung und wucherische
Ausbeutung schützen. Im mittelbaren Zusammenhange mit der Armengesetzgebung stehen diejenigen Veranstaltungen, welche
entweder, wie die Sparkasseneinrichtungen, den wirtschaftlichen Erwerbsbetrieb heben sollen, oder gewissen
Klassen von armen
Personen eine ihren leiblichen Bedürfnissen entsprechende sachverständige oder technische Behandlung sichern
sollen: das
Taubstummen-,
Blinden- und Irrenwesen. Überall ergiebt sich für den neuern
Staat, der den Grundsatz des
Schulzwanges
anerkannt hat, die
Notwendigkeit, die Versorgung der Waisen teils nach den
Gesichtspunkten der Armenpflege,
teils im
Sinne vernünftiger Wirtschaftspolitik und
Pädagogik zu ordnen.
Eine besondere Schwierigkeit umgiebt die in Staatenverbindungen, die ein einheitliches wirtschaftliches Gebiet darstellen.
In ihnen kommt es darauf an, die Grundsätze der
Gewerbefreiheit und der Freizügigkeit, die sich auf das Gesamtstaatsgebiet
erstrecken, in Einklang zu bringen mit den Grundsätzen der den einzelnen Gemeinden in verschiedenen
Staaten obliegenden Unterstützungspflicht. Das
Deutsche Reich
[* 4] suchte diese Schwierigkeiten durch das in allen
Staaten mit Ausnahme
von
Bayern
[* 5] und Elsaß-Lothringen
[* 6] geltende Gesetz vom (abgeändert zu lösen. Um einen
gemeinsamen Grundsatz
gegenüber der Verschiedenheit der in den Einzelstaaten zu gewinnen, ward der
Unterstützungswohnsitz
(s.
Heimatsrecht) nach der Regel geschaffen, daß jeder hilfsbedürftige Deutsche vorläufig von demjenigen
Ortsarmenverbande
unterstützt werden muß, in dessen
Bezirke er sich bei dem Eintritt seiner Hilfsbedürftigkeit befindet, diese
Auslage aber
von demjenigen
Verbande zu erstatten ist, in dem der
Unterstützungswohnsitz durch Familienangehörigkeit
(Ehefrauen,
Kinder) oder durch zweijährigen ununterbrochenen Aufenthalt erworben wurde.
Die
Krankenkosten werden jedoch für den Zeitraum von 13 (bisher 6) Wochen von der Armenpflege desjenigen Ortes getragen,
an dem vermögenslose, dort gegen Lohn in
Arbeit oder Dienst stehende
Personen oder Lehrlinge erkranken. Wird die Unterstützungspflicht
zwischen mehrern
Armenverbänden streitig, so entscheiden darüber, je nachdem diese demselben
Staate oder
verschiedenen angehören, entweder die Landesbehörden oder das
«Bundesamt für das Heimatswesen», letzteres auch bei
Berufung.
Eine größere Anzahl deutscher Einzelstaaten hat jedoch seine Armenstreitsachen freiwillig an die letztere
Behörde als oberste
Instanz übergehen lassen. Gegen die auf den
Unterstützungswohnsitz bezüglichedeutsche Gesetzgebung
ist vielfach
Beschwerde erhoben worden; doch gelang es bisher nicht, ein besseres
System nachzuweisen. Die Novelle vom hat
nur Einzelheiten geändert. Das bayr.
Armenrecht beruht auf dem Heimatsprincip, das
Armenrecht in Elsaß-Lothringen auf dem
ältern franz.
System.
Danach ist die örtliche Armenpflege freiwillig: die Bezirksarmenpflege beruht teils auf freiwilliger
Übernahme, teils auf gesetzlicher Verpflichtung.
Frankreich selbst hat durch Gesetz vom eine umfassendere Krankenpflegeverpflichtung
geschaffen. –
die Kommentare zum Unterstützungswohnsitzgesetz von F.
Arnold (ebd. 1872), von Rönne (ebd. 1879), Krech (ebd. 1894) u. a.; Seydel, Das bayr.
Heimatsrecht (in Hirths
«Annalen», 1886, S. 720 fg.);
in seiner weitesten
Ausdehnung,
[* 10] in der es aber entweder nie oder doch nur vorübergehend zu einem einzigen
Reiche unter einem Herrscher verbunden war, liegt zwischen 37 bis 49° östl.
L. von Greenwich und 37½ bis 41¾° nördl.
Br. Seine größte Länge von O. nach
SW. beträgt 975–1050, seine größte
Breite
[* 11] von N. nach S. etwa 525 km. Es umfaßt eine Flächenraum von etwa 200000 qkm und
erstreckt sich von dem
¶
mehr
896 KaspischenMeere und der pers. ProvinzAserbeidschan im O. bis nach Kleinasien im W. und von dem Flusse Kura (Cyrus) im N.
bis nach Kurdistan und Mesopotamien im S. Bodengestaltung. Armenien besteht aus archäischem Grundgebirge, über dem sich mesozoische
Gesteine
[* 13] abgelagert haben. Darüber hat dann eine außerordentlich ausgedehnte vulkanische Thätigkeit
gewaltige Massen von Eruptivgesteinen ergossen. Zahlreiche erloschene Vulkane
[* 14] gruppieren sich um den 5156 m hohen GroßenArarat,
und ziehen meist in nordwestl.
Richtung von dem Arasflusse über den Goktschasee nach der Küste des SchwarzenMeers hinüber. Armenien besteht aus einer Reihe nordwestlich
streichender Gebirgszüge, zwischen denen Hochebenen liegen. Die Gebirge gipfeln im GroßenArarat, der
durch eine Einsattelung von dem im OSO. davon gelegenen KleinenArarat (3914 m) getrennt ist. Bedeutende Höhen erreichen der
Vulkan Alagös, der Kjambil und Kengur, der Chori- und Ala-Dagh zwischen Bajasid und dem Wansee, der Bingöl-Dagh im S. von Erzerum.
Auch nahe der Küste des SchwarzenMeers steigt im Kartschchal-Dagh das Gebirge noch zu 3432 m auf. Im pers.
TeileA.s in Aserbeidschan erhebt sich der Sawalan zu 4813 m Höhe, im O. des Urmiasees der Sehend-Koh zu 3546 m. Gegen N. fällt
Armenien zur Kura-Rion-Linie ab, sendet jedoch einen Sporn zum Kaukasus hinüber, der bei Achalzich die Wasserscheide
zwischen Kura und Rion bildet; im S. begrenzt es der von Kurdistan ausgehende, westöstlich streichende armenische Taurus.
Bewässerung. Die GebirgeA.s tragen die Quellen des Euphrat (s. d.), der in zwei Quellarmen in der Gegend von Erzerum
und Bajasid entspringt, ferner des Tigris. Auf dem Bingöl-Dagh entsteht der Aras, der von W. nach O. durchzieht
und der Kura zufließt. Meist liegen die Ortschaften infolge des Hochlandcharakters A.s sehr hoch, Kars 1850, Erzerum gegen
1900, Alexandropol 1470, Wan 1650 m. Auf den Hochebenen finden sich bedeutende Gebirgsseen, wie der Wansee (1666 m),
der Urmiasee (1330 m), der Goktschasee in 1925 m Höhe; alle diese sind abflußlos. Dagegen wird der
Tschaldyr-Göl gegen S. zu dem Flusse Kars entwässert. (S. Karte: Westasien I, beim ArtikelAsien.)
[* 15]
Das KlimaA.s weist starke Gegensätze auf. Alexandropol in 1470 m Höhe hat im Juli +28,8, im Januar -10,9° C., Eriwan in 1000 m
Höhe im Juli +26,7, im Januar -10,9° C. In Alexandropol fallen jährlich nur 395 mmRegen, das Klima ist also trocken; am meisten
Regen fällt im Mai und Juni. Aber an vielen Orten bleibt der Schnee
[* 16] ein halbes Jahr liegen, viele Flüsse
[* 17] frieren ganz zu,
und das Land wird oft weit und breit mit einer dichten Schneemasse 1–2 m hoch bedeckt. In Hocharmenien
fällt Schnee 7–8 Monate, vom Oktober bis zum Mai; um Eriwan schneit es 5 Monate.
Weniger rauh zeigt sich das westliche in der Mitte, der südl. Teil mit den Tiefthälern von Kurdistan und der
Gegend von Diarbekr. Die Schneelinie, die im Kaukasus noch unter 3100 m liegt, steigt infolge der Trockenheit in Armenien bis nahe
an 4400 m, daher nur die Gipfel des GroßenArarat und des Alagös (4540 m) mit ewigem Schnee bedeckt sind; nur die südlicher
gelegenen Gebirge von Kurdistan und Bingöl haben die Schneelinie schon bei 3300 m.
In den wärmern Gegenden des Landes zeigt sich der Frühling schon im März, aber im allgemeinen brechen im April erst die Knospen
[* 18] hervor, und gegen Ende dieses
Monats wird gesät. In Erzerum herrscht noch im Juni empfindliche Kälte und in der Nacht gefriert
das Wasser, während in andern Teilen desselben Paschaliks die Kirschen reifen und das Getreide
[* 19] zur Ernte
[* 20] bereit steht.
Nach einem langen Winter folgt in Armenien ein kurzer Frühling, worauf ohne Übergang die Sommerhitze eintritt, so daß in drei
Monaten der schwarze, fruchtbare BodenSprossen, Blätter, Blüten treibt und die Früchte zur Reife bringt.
Auf die heißesten Tage folgt der Herbst, der nicht viel länger anhält als der Frühling, danach der lange Winter mit vielem
Schnee. Im Winter weht der Nordwind, im regnerischen Frühling der Westwind, im trocknen Sommer der Süd- und Ostwind. Da sonach
die Fluren leicht vertrocknen, hat man mit vieler Mühe und Kunst schon im grauesten Altertum zur Bewässerung
des LandesKanäle angelegt. Das Klima ist im allgemeinen gesund, mit Ausnahme der Gegend von Eriwan, nur Fieber und katarrhalische
Entzündungen sind die gewöhnlichen Leiden.
[* 21]
Die Pflanzenwelt ist dem extremen Klima
[* 27] angepaßt und berühmt durch die über den Steppen auftretende Hochsteppenflora
des Bingöl-Dagh und des Ararat. Die letzten Bäume reichen hier bis 2550 m hinauf, während erhebliche Wälder die Abhänge
A.s, besonders gegen Norden
[* 28] und Osten schmücken. Die Schneeregion aber beginnt erst über 4000 m Höhe, so daß ein weiter
Spielraum für die Stachelgesträuche der Höhe übrigbleibt. Diese wachsen selbst bei 3000 m unter der
starken Sonnenwirkung steppenartig zerstreut weiter und bilden keine geschlossenen alpinen Rasen. Bei 2000 m Höhe ist die
Weizenernte noch ergiebig, bei 2300 m endet am Bingöl-Dagh der Anbau der Gerste.
[* 29] Von Baumfrüchten gedeihen Aprikosen, Pflaumen,
Kirschen, Äpfel, Birnen, Pfirsiche, Granaten,
[* 30] Maulbeeren; in den wärmern Gegenden gedeiht der Ölbaum,
Johannisbrot- und Feigenbaum, sowie Baumwolle,
[* 31] Sesam, Tabak
[* 32] und Flachs. Reis baut man in den östl. Gegenden.
Tierwelt. Seit den ältesten Zeiten sind die Jagdgründe des Landes berühmt, die mehrere Arten Hirsche,
[* 33] Eber, Gazellen und Büffel
bergen. Außer Hornvieh werden besonders Schafe
[* 34] gezüchtet. Berühmt sind die schnellfüßigen Pferde
[* 35] aus
Karabagh und Kurdistan, die früher von den Fürsten des Landes als Tribut an den pers. Hof
[* 36] gesandt wurden. Von reißenden Tieren
finden sich in den Wäldern und Einöden Tiger, Leopard,
[* 37] Hyäne, Luchs, Bär, Wolf, Fuchs,
[* 38] wilde Hunde
[* 39] und Esel u. s. w.; der
Löwe ist kaum mehr anzutreffen. Vögel
[* 40] und Fische
[* 41] sind in zahlreichen Arten vorhanden. Die Bienen liefern
besonders in den Gegenden am SchwarzenMeere reichlichen Honig.
Bevölkerungsverhältnisse. Die Armenier bilden ein Glied
[* 42] der iranischen Gruppe des indogerman. Völkerstammes. Sie sind von
hellerer Hautfarbe als die Perser, haben meist dunkles Haar,
[* 43] scharfgebogene Nasen und neigen sehr zur Fettleibigkeit. Schon frühzeitig
bekannten sie sich zum Christentum, innerhalb dessen sie einen besondern Lehrbegriff ausbildeten (s. Armenische Kirche). Die
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