Anderer-895 seits scheint freilich aus dem oft beklagten Überhandnehmen der Landstreicherei in Deutschland zu folgen, daß
eine gute Armenpflege eines auf Abschreckung der Müßiggänger berechneten Zusatzes nicht entbehren kann. Hierauf beziehen
sich die Bestimmungen des Deutschen Strafgesetzb. §. 361, Nr. 3 u. Nr. 5: Wer als Landstreicher umherzieht und wer
sich dem Spiel, Trunk oder Müßiggang dergestalt hingiebt, daß er in einen Zustand gerät, in welchem zu seinem Unterhalt
oder zum Unterhalt derjenigen, zu deren Ernährung er verpflichtet ist, die Vermittelung der Behörde in Anspruch genommen werden
muß, wird mit Haft bestraft. Bei der Verurteilung zur Haft kann erkannt werden, daß der Verurteilte
nach verbüßter Strafe der Landespolizeibehörde zu übergeben sei. Die Landespolizeibehörde erhält dadurch die Befugnis
den Verurteilten zu 2 Jahren in ein Arbeitshaus unterzubringen oder zu gemeinnützigen Arbeiten zu verwenden. Gegen einen
Ausländer kann Verweisung aus dem Deutschen Reiche verfügt werden. Die wesentlichen Gebiete der Armengesetzgebung sind jetzt
folgende:
1) Planmäßige Fürsorge für außerordentliche Notfälle in solchen Gegenden, in denen vorübergehend oder ständig
die Bevölkerung (wie durch Überschwemmungen und Mißwachs) der Gefahr der Verarmung ausgesetzt ist. In solchen allgemeinen
Notstandsfällen kann nicht bezweifelt werden, daß der Staat die unzulänglich gewordene Kraft der Gemeinden zu ergänzen
hat.
2) Feststellung der zur Armenpflege verpflichteten Organe und der ihnen zu überlassenden Einnahmequellen.
3) Gesetzliche Ordnung des Niederlassungswesens im Sinne billiger Ausgleichung zwischen freier wirtschaftlicher Bewegung und
den durch den unbeschränkten Zustrom hilfloser Personen bedrohten Gemeindeinteressen.
4) Staatliche Aufsicht über Privatwohlthätigkeitsstiftungen, deren planlose Verwaltung, wie die engl. Erfahrungen lehren,
so große Mißstände hervorzurufen vermag, daß man sich in England 1853 veranlaßt fand, dem Staate
ein bestimmtes Aufsichtsrecht über zweckwidrige Privatstiftungen einzuräumen.
5) Begründung von Kreditanstalten, welche durch Ermöglichung von Darlehen den kleinen Mann gegen Verarmung und wucherische
Ausbeutung schützen. Im mittelbaren Zusammenhange mit der Armengesetzgebung stehen diejenigen Veranstaltungen, welche
entweder, wie die Sparkasseneinrichtungen, den wirtschaftlichen Erwerbsbetrieb heben sollen, oder gewissen
Klassen von armen Personen eine ihren leiblichen Bedürfnissen entsprechende sachverständige oder technische Behandlung sichern
sollen: das Taubstummen-, Blinden- und Irrenwesen. Überall ergiebt sich für den neuern Staat, der den Grundsatz des Schulzwanges
anerkannt hat, die Notwendigkeit, die Versorgung der Waisen teils nach den Gesichtspunkten der Armenpflege,
teils im Sinne vernünftiger Wirtschaftspolitik und Pädagogik zu ordnen.
Eine besondere Schwierigkeit umgiebt die in Staatenverbindungen, die ein einheitliches wirtschaftliches Gebiet darstellen.
In ihnen kommt es darauf an, die Grundsätze der Gewerbefreiheit und der Freizügigkeit, die sich auf das Gesamtstaatsgebiet
erstrecken, in Einklang zu bringen mit den Grundsätzen der den einzelnen Gemeinden in verschiedenen
Staaten obliegenden Unterstützungspflicht. Das Deutsche Reich suchte diese Schwierigkeiten durch das in allen Staaten mit Ausnahme
von Bayern und Elsaß-Lothringen geltende Gesetz vom (abgeändert zu lösen. Um einen
gemeinsamen Grundsatz
gegenüber der Verschiedenheit der in den Einzelstaaten zu gewinnen, ward der Unterstützungswohnsitz
(s. Heimatsrecht) nach der Regel geschaffen, daß jeder hilfsbedürftige Deutsche vorläufig von demjenigen Ortsarmenverbande
unterstützt werden muß, in dessen Bezirke er sich bei dem Eintritt seiner Hilfsbedürftigkeit befindet, diese Auslage aber
von demjenigen Verbande zu erstatten ist, in dem der Unterstützungswohnsitz durch Familienangehörigkeit
(Ehefrauen, Kinder) oder durch zweijährigen ununterbrochenen Aufenthalt erworben wurde.
Die Krankenkosten werden jedoch für den Zeitraum von 13 (bisher 6) Wochen von der Armenpflege desjenigen Ortes getragen,
an dem vermögenslose, dort gegen Lohn in Arbeit oder Dienst stehende Personen oder Lehrlinge erkranken. Wird die Unterstützungspflicht
zwischen mehrern Armenverbänden streitig, so entscheiden darüber, je nachdem diese demselben Staate oder
verschiedenen angehören, entweder die Landesbehörden oder das «Bundesamt für das Heimatswesen», letzteres auch bei Berufung.
Eine größere Anzahl deutscher Einzelstaaten hat jedoch seine Armenstreitsachen freiwillig an die letztere Behörde als oberste
Instanz übergehen lassen. Gegen die auf den Unterstützungswohnsitz bezügliche deutsche Gesetzgebung
ist vielfach Beschwerde erhoben worden; doch gelang es bisher nicht, ein besseres System nachzuweisen. Die Novelle vom hat
nur Einzelheiten geändert. Das bayr. Armenrecht beruht auf dem Heimatsprincip, das Armenrecht in Elsaß-Lothringen auf dem
ältern franz. System.
Danach ist die örtliche Armenpflege freiwillig: die Bezirksarmenpflege beruht teils auf freiwilliger
Übernahme, teils auf gesetzlicher Verpflichtung. Frankreich selbst hat durch Gesetz vom eine umfassendere Krankenpflegeverpflichtung
geschaffen. –
Vgl. Emminghaus, Das Armenwesen und die in europ. Staaten (Berl. 1870);
Verhandlungen des 11. Kongresses deutscher
Volkswirte vom (ebd. 1870);
Rocholl, System des deutschen Armenpflegerechts (ebd. 1873);
Seydel,
Reichsarmenrecht (in Hirths «Annalen», 1877);
Georg Meyer, Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechts, Teil 1 (2. Aufl., Lpz. 1893);
Artikel Armenwesen im «Handwörterbuch der Staatswissenschaften», Bd. 1 (Jena 1890);
Höinghaus, Die deutschen Reichsgesetze
über Armenwesen und Unterstützungswohnsitz (3. Aufl., Berl. 1894);
die Kommentare zum Unterstützungswohnsitzgesetz von F.
Arnold (ebd. 1872), von Rönne (ebd. 1879), Krech (ebd. 1894) u. a.; Seydel, Das bayr.
Heimatsrecht (in Hirths «Annalen», 1886, S. 720 fg.);
Rasp, Das bayr. Gesetz über öffentliche Armen- und Krankenpflege vom (Münch.
1893);
Scharpff, Handbuch des Armenrechts (für Württemberg; Stuttg. 1894 fg.);
Münsterberg, Die deutsche Armengesetzgebung (Lpz.
1887);
Nicholls, History of the English poor law (2 Bde., Lond.
1854);
Reitzenstein, Die Armengesetzgebung Frankreichs (Lpz. 1881);
in seiner weitesten Ausdehnung, in der es aber entweder nie oder doch nur vorübergehend zu einem einzigen
Reiche unter einem Herrscher verbunden war, liegt zwischen 37 bis 49° östl.
L. von Greenwich und 37½ bis 41¾° nördl. Br. Seine größte Länge von O. nach SW. beträgt 975–1050, seine größte
Breite von N. nach S. etwa 525 km. Es umfaßt eine Flächenraum von etwa 200000 qkm und
erstreckt sich von dem
mehr
896 Kaspischen Meere und der pers. Provinz Aserbeidschan im O. bis nach Kleinasien im W. und von dem Flusse Kura (Cyrus) im N.
bis nach Kurdistan und Mesopotamien im S. Bodengestaltung. Armenien besteht aus archäischem Grundgebirge, über dem sich mesozoische
Gesteine abgelagert haben. Darüber hat dann eine außerordentlich ausgedehnte vulkanische Thätigkeit
gewaltige Massen von Eruptivgesteinen ergossen. Zahlreiche erloschene Vulkane gruppieren sich um den 5156 m hohen Großen Ararat,
und ziehen meist in nordwestl.
Richtung von dem Arasflusse über den Goktschasee nach der Küste des Schwarzen Meers hinüber. Armenien besteht aus einer Reihe nordwestlich
streichender Gebirgszüge, zwischen denen Hochebenen liegen. Die Gebirge gipfeln im Großen Ararat, der
durch eine Einsattelung von dem im OSO. davon gelegenen Kleinen Ararat (3914 m) getrennt ist. Bedeutende Höhen erreichen der
Vulkan Alagös, der Kjambil und Kengur, der Chori- und Ala-Dagh zwischen Bajasid und dem Wansee, der Bingöl-Dagh im S. von Erzerum.
Auch nahe der Küste des Schwarzen Meers steigt im Kartschchal-Dagh das Gebirge noch zu 3432 m auf. Im pers.
Teile A.s in Aserbeidschan erhebt sich der Sawalan zu 4813 m Höhe, im O. des Urmiasees der Sehend-Koh zu 3546 m. Gegen N. fällt
Armenien zur Kura-Rion-Linie ab, sendet jedoch einen Sporn zum Kaukasus hinüber, der bei Achalzich die Wasserscheide
zwischen Kura und Rion bildet; im S. begrenzt es der von Kurdistan ausgehende, westöstlich streichende armenische Taurus.
Bewässerung. Die Gebirge A.s tragen die Quellen des Euphrat (s. d.), der in zwei Quellarmen in der Gegend von Erzerum
und Bajasid entspringt, ferner des Tigris. Auf dem Bingöl-Dagh entsteht der Aras, der von W. nach O. durchzieht
und der Kura zufließt. Meist liegen die Ortschaften infolge des Hochlandcharakters A.s sehr hoch, Kars 1850, Erzerum gegen
1900, Alexandropol 1470, Wan 1650 m. Auf den Hochebenen finden sich bedeutende Gebirgsseen, wie der Wansee (1666 m),
der Urmiasee (1330 m), der Goktschasee in 1925 m Höhe; alle diese sind abflußlos. Dagegen wird der
Tschaldyr-Göl gegen S. zu dem Flusse Kars entwässert. (S. Karte: Westasien I, beim Artikel Asien.)
Das Klima A.s weist starke Gegensätze auf. Alexandropol in 1470 m Höhe hat im Juli +28,8, im Januar -10,9° C., Eriwan in 1000 m
Höhe im Juli +26,7, im Januar -10,9° C. In Alexandropol fallen jährlich nur 395 mm Regen, das Klima ist also trocken; am meisten
Regen fällt im Mai und Juni. Aber an vielen Orten bleibt der Schnee ein halbes Jahr liegen, viele Flüsse frieren ganz zu,
und das Land wird oft weit und breit mit einer dichten Schneemasse 1–2 m hoch bedeckt. In Hocharmenien
fällt Schnee 7–8 Monate, vom Oktober bis zum Mai; um Eriwan schneit es 5 Monate.
Weniger rauh zeigt sich das westliche in der Mitte, der südl. Teil mit den Tiefthälern von Kurdistan und der
Gegend von Diarbekr. Die Schneelinie, die im Kaukasus noch unter 3100 m liegt, steigt infolge der Trockenheit in Armenien bis nahe
an 4400 m, daher nur die Gipfel des Großen Ararat und des Alagös (4540 m) mit ewigem Schnee bedeckt sind; nur die südlicher
gelegenen Gebirge von Kurdistan und Bingöl haben die Schneelinie schon bei 3300 m.
In den wärmern Gegenden des Landes zeigt sich der Frühling schon im März, aber im allgemeinen brechen im April erst die Knospen
hervor, und gegen Ende dieses
Monats wird gesät. In Erzerum herrscht noch im Juni empfindliche Kälte und in der Nacht gefriert
das Wasser, während in andern Teilen desselben Paschaliks die Kirschen reifen und das Getreide zur Ernte bereit steht.
Nach einem langen Winter folgt in Armenien ein kurzer Frühling, worauf ohne Übergang die Sommerhitze eintritt, so daß in drei
Monaten der schwarze, fruchtbare Boden Sprossen, Blätter, Blüten treibt und die Früchte zur Reife bringt.
Auf die heißesten Tage folgt der Herbst, der nicht viel länger anhält als der Frühling, danach der lange Winter mit vielem
Schnee. Im Winter weht der Nordwind, im regnerischen Frühling der Westwind, im trocknen Sommer der Süd- und Ostwind. Da sonach
die Fluren leicht vertrocknen, hat man mit vieler Mühe und Kunst schon im grauesten Altertum zur Bewässerung
des Landes Kanäle angelegt. Das Klima ist im allgemeinen gesund, mit Ausnahme der Gegend von Eriwan, nur Fieber und katarrhalische
Entzündungen sind die gewöhnlichen Leiden.
An nutzbaren Mineralien besitzt Armenien weißen und grauen Marmor, Bolus, wegen seiner Feinheit früher besonders
geschätzt, Alaun und Salpeter. Von Metallen hat es viel Eisen und Kupfer, Arsenik, Magneteisenstein, Quecksilber, Blei, Silber
und hier und da in dem südwestl. Teile des Landes, dem Sophene der Alten, Spuren von Gold.
Die Pflanzenwelt ist dem extremen Klima angepaßt und berühmt durch die über den Steppen auftretende Hochsteppenflora
des Bingöl-Dagh und des Ararat. Die letzten Bäume reichen hier bis 2550 m hinauf, während erhebliche Wälder die Abhänge
A.s, besonders gegen Norden und Osten schmücken. Die Schneeregion aber beginnt erst über 4000 m Höhe, so daß ein weiter
Spielraum für die Stachelgesträuche der Höhe übrigbleibt. Diese wachsen selbst bei 3000 m unter der
starken Sonnenwirkung steppenartig zerstreut weiter und bilden keine geschlossenen alpinen Rasen. Bei 2000 m Höhe ist die
Weizenernte noch ergiebig, bei 2300 m endet am Bingöl-Dagh der Anbau der Gerste. Von Baumfrüchten gedeihen Aprikosen, Pflaumen,
Kirschen, Äpfel, Birnen, Pfirsiche, Granaten, Maulbeeren; in den wärmern Gegenden gedeiht der Ölbaum,
Johannisbrot- und Feigenbaum, sowie Baumwolle, Sesam, Tabak und Flachs. Reis baut man in den östl. Gegenden.
Tierwelt. Seit den ältesten Zeiten sind die Jagdgründe des Landes berühmt, die mehrere Arten Hirsche, Eber, Gazellen und Büffel
bergen. Außer Hornvieh werden besonders Schafe gezüchtet. Berühmt sind die schnellfüßigen Pferde aus
Karabagh und Kurdistan, die früher von den Fürsten des Landes als Tribut an den pers. Hof gesandt wurden. Von reißenden Tieren
finden sich in den Wäldern und Einöden Tiger, Leopard, Hyäne, Luchs, Bär, Wolf, Fuchs, wilde Hunde und Esel u. s. w.; der
Löwe ist kaum mehr anzutreffen. Vögel und Fische sind in zahlreichen Arten vorhanden. Die Bienen liefern
besonders in den Gegenden am Schwarzen Meere reichlichen Honig.
Bevölkerungsverhältnisse. Die Armenier bilden ein Glied der iranischen Gruppe des indogerman. Völkerstammes. Sie sind von
hellerer Hautfarbe als die Perser, haben meist dunkles Haar, scharfgebogene Nasen und neigen sehr zur Fettleibigkeit. Schon frühzeitig
bekannten sie sich zum Christentum, innerhalb dessen sie einen besondern Lehrbegriff ausbildeten (s. Armenische Kirche). Die
mehr
897 polit. Schicksale des Landes sind die Ursache, daß Armenier über ganz Vorder- und Mittelasien bis nach China sowie über
die Küstenländer des Mittelmeers zerstreut sind. Gegen 5000 leben in Afrika, ebenso viele in Ostindien, wohin sie, um dem
pers. Drucke zu entgehen, aus Persien und hauptsächlich aus Dschulfa geflüchtet sind. In Persien und
den benachbarten Gebieten Asiens mögen etwa 100000 leben. In Rußland, wo sie namentlich seit Peter I. Schutz fanden und Gemeinden
in Petersburg, Moskau und Südrußland bilden, sich aber besonders zahlreich in der Krim und in Polen niedergelassen haben,
wird ihre Zahl auf 500000 geschätzt. Im österr.
Kaiserstaate beläuft sich ihre Zahl auf 16000, wovon die Hälfte auf Siebenbürgen, der Rest fast ganz auf Ungarn und Galizien
kommt. Im übrigen Europa mögen etwa 1000 Armenier zerstreut leben. In London, Amsterdam und Marseille giebt es armenische
Handelshäuser, und berühmt ist die Kongregation armenischer Mechitaristen (s. d.) in Venedig und Wien.
In der europ. Türkei, wo sie namentlich in und um Konstantinopel (200000) wohnen, wird ihre Zahl auf 400000 geschätzt. In
Armenien selbst nehmen einige 2 Mill., andere 4–5 Mill. an, wahrscheinlich aber sind es nur 1 Mill. Die Kopfzahl
des ganzen Volks der Armenier mag kaum 2½ Mill. übersteigen.
Geschichte. Die Urgeschichte A.s wird ausführlich, aber in fabelhafter Verkleidung bei Moses von Khorene überliefert, und
unabhängig von Moses, aber aus gleicher Quelle mit ihm, auch bei Sebeos. Sie ist völlig durchzogen und beherrscht von Erzählungen
des Alten Testaments. Daß diese Beeinflussung durch die jüd. Überlieferung noch aus der Zeit
vor der Bekehrung A.s zum Christentum herstammt, geht schon daraus deutlich hervor, daß der Ort Nachitschewan (Naxuana bei Ptolemäus)
in der Nähe des Araxes schon von den Armeniern der Zeit des Josephus als Stelle des ersten Aussteigens Noahs aus der Arche erklärt
wurde. Vielleicht sind diese jüd. Elemente schon in assyr.
Zeit durch deportierte Judenkolonien nach Armenien getragen worden.
Bei den Assyrern und Juden hieß Armenien Urartu oder Ararat, mit welch letzterm Namen wohl auch der Name der Alarodier bei Herodot
zusammenhängt; die Perser nannten das Land Armina, die Armenier nannten und nennen es Haikh, wie sich selbst, oder Haiastan
(d. i. Land der Hai). Als Stammvater gilt ihnen ein Haik (der Name hängt vielleicht mit der ersten Hälfte von Achämenes zusammen),
der als Sohn des Thogarma oder Thorgom in Genesis 10,3 genealogisiert wird. Er soll, um sich der Tyrannei des Königs Belus
in Babylon zu entziehen, nach Norden gewandert sein und Armenien besiedelt haben.
Die einzelnen von ihm und seinen Nachkommen gegründeten Kolonien werden bei Moses von Khorene mit großer topogr. Umständlichkeit
namhaft gemacht, haben aber nur sagengeschichtliches Interesse. Unter Haiks Nachfolgern kommt ein Armenak vor, von dem der
Name «Armenier» abgeleitet wird, dann ein Aram, dann Araj der Schöne, um dessen Besitz Semiramis sich vergeblich
bemüht habe; man hat diesen Araj auch schon im Er, dem Sohn des Armenios, bei Plato wiederfinden wollen.
In der Zeit der Blüte des Assyrischen Reichs war von diesem abhängig, wurde aber mehrfach wegen Unbotmäßigkeit schwer gezüchtigt;
in den Inschriften der Sargoniden ist es öfters erwähnt. Ebenfalls wenig zuverlässig in der Unterwürfigkeit
scheint
es auch zur Zeit der Meder und der Achämeniden verblieben zu sein. Alles das, was die armenische Überlieferung von
der Unabhängigkeit und der Macht eines Königs Tigranes erzählt, der Zeitgenosse des Astyages gewesen sei, scheint nur sagenhafte
Zurückverlegung der Macht A.s zur Zeit eines andern Tigranes, des bekannten Gegners des Lucullus.
Mit dem Reiche der Achämeniden fiel Armenien dann Alexander d. Gr. zu, später riß es sich unter einem Artaxias vom Seleucidenreiche
los zur Zeit der Niederlagen Antiochus' III. gegen Rom. Von neuem wurde Armenien jetzt ein selbständiges Reich und
Zufluchtsort für Hannibal, der dem Artaxias die Festung Artaxata baute, die in der armenischen Geschichte noch spät genannt
wird. Zur Zeit der Mithridatischen Kriege wurde sodann Armenien eine Zeit lang eine Großmacht, indem ein Nachfolger des Artaxias,
Tigranes, zugleich Schwiegersohn des Mithridates Eupator von Pontus, von den Unterthanen der letzten Seleuciden
aus Verzweiflung über die endlosen Thronstreitigkeiten im Seleucidenhause als König berufen wurde und sich des freilich
an Ausdehnung inzwischen auch sehr zurückgegangenen Seleucidenreichs friedlich bemächtigte. Er wurde durch Lucullus und
Pompejus wieder aus diesem Reich vertrieben.
Einen Sohn dieses Tigranes, Artavasdes, nahm hernach M. Antonius durch Verrat gefangen. Armenien verblieb zunächst
ein von Rom unabhängiges, aber von Rom gedemütigtes Königreich und isolierendes Zwischenland zwischen Rom und Parthien, die
beide wetteifernd das Protektorat über Armenien anstrebten. Geltendmachung einer röm.
Oberhoheit über Armenien lag namentlich in einer mit großem Gepränge vollzogenen Krönung eines parthischen Prinzen
Namens Tiridates zum König über Armenien, die durch Nero in Rom erfolgte, und eine Art von Anerkennung dieser
röm. Schutzherrschaft über Armenien lag von parthischer Seite in der Gestattung der
Krönungsfahrt dieses Tiridates durch seinen Bruder Vologeses, den König der Könige von Parthien.
Von Trajan 114 erobert und zur Provinz gemacht, wurde Armenien 117 durch Hadrian wieder freigegeben und verblieb
unter Königen arsacidischer Abstammung bis um 232. Da wurde der armenische König Chosroes auf Betreiben des ersten sassanidischen
Königs von Persien, Ardaschir, ermordet, und Armenien fiel zunächst den Sassaniden anheim. Allein in der zweiten Hälfte des 3. Jahrh.
kam ein auf röm. Gebiet geflüchteter Sohn des Chosroes, Tiridates, mit
röm. Hilfe wieder zur Herrschaft in und wurde durch Gregor den Erleuchter zum Christentum bekehrt.
Der Bekehrung des Hofs folgte die des Landes, wo bisher ein Polytheismus mit einzelnen Entlehnungen aus der Religion Zoroasters
heimisch gewesen war. Von da an wurde dann das ebenfalls zum Christentum übertretende Römische Reich
für Armenien zugleich polit. und religiöse Stütze gegen Persien, und die um den Besitz von Armenien als den Schlüssel zu Kleinasien wie
zu Mesopotamien zwischen dem christl. Rom und den Sassaniden geführten Kämpfe erhielten dadurch noch eine besondere fanatische
Verschärfung. 387 wurde schließlich Armenien zwischen Byzanz und Persien geteilt, und 428 im nunmehrigen Persarmenien
der letzte Arsacidenkönig A.s, Artasches, von Bahram V. entthront und Armenien fortan durch pers. Markgrafen,
Marzpane, regiert bis zum Ende des Sassanidenreichs 636. In den nun folgenden Kriegen zwischen
mehr
898 Arabern und dem Byzantinischen Reiche wurde Armenien aufs neue verheert, schließlich verblieb es den Chalifen, die es ebenfalls
durch nicht erbliche Statthalter, jetzt Ostikane heißend, regieren ließen. Ein Armenier Aschot, aus der Familie der Bagratunier
(s. d.), erhielt 885 vom Chalifen Mutamid Billah die Erlaubnis zur Aufrichtung eines erblichen nationalen
Unterkönigtums in und nun regierten Angehörige der altberühmten, schon von Moses von Chorene speciell verherrlichten Bagratunierfamilie,
die von einem Juden Namens Sembat abstammen wollte, der zur Zeit Nebukadnezars als Gefangener nach Armenien gekommen sei, in Armenien bis
gegen Ende des 11. Jahrh. Dann mußte diese Dynastie, von Byzantinern und Seldschuken bedroht, und im eigenen
Lande durch den Abfall des Arzrunierhauses geschwächt, das im Gau Waspurakan eine eigene Herrschaft gegründet hatte, den Byzantinern
weichen.
Darauf kamen über Armenien furchtbare Verheerungen durch die Mongolen, namentlich durch Timur, wovon eine armenische Beschreibung
von Thomas von Mezoph noch erhalten ist; Kurden, Perser und Osmanen begannen sich in und um Armenien zu befehden,
später kam das Russische Reich, das seit dem russ.-pers. Kriege von 1829 und dem russ.-türk. von 1878 Teile A.s einverleibte,
als Mitbewerber dazu, und jetzt ist das von Armeniern bewohnte Gebiet ziemlich gleichmäßig zwischen Rußland und der Türkei
geteilt.
Einen kleinen Abschnitt davon besitzt Persien. Die russ.-türk.-pers. Landesgrenzen in Armenien stoßen zusammen
auf dem Kleinen Ararat. Zur Zeit, als Hocharmenien den Byzantinern ebenfalls anheimfiel, die das Armenien westlich vom Euphrat, das
sog. Kleinarmenien, schon längst besaßen, hatte sich Ruben, ein Verwandter des letzten Bagratunierkönigs, nach Cilicien
hinüber geworfen, wo vorher schon viele Armenier vor Türken und Persern Zuflucht gesucht hatten, und
dort und im Taurus ein zweites, von Byzanz unabhängiges und auf Byzanz eifersüchtiges Armenisches Reich gebildet, das dann unter
den Rubeniden zur Zeit der Kreuzzüge einen beachtenswerten christl. Machtfaktor inmitten mohammed.
Staaten abgab. Kaiser Heinrich VI. gestand dem Rubeniden Leo II. den Königsrang zu, die Rubeniden verschwägerten
sich dann mit souverän gewordenen Kreuzfahrerfamilien, namentlich mit den Lusignans von Cypern; sie sind als regierendes
Haus mit Leo VI. 1393 ausgestorben.
Litteratur. Saint-Martin, Mémoires historiques et géographiques sur l'Arménie (2 Bde.,
Par. 1818);
Neumann, Geschichte der Übersiedelung von 40000 Armeniern (Lpz. 1834);
M. Wagner, Reise nach
dem Ararat (Stuttg. 1848);
Tozer, Turkish Armenia and Eastern Asia Minor (Lond. 1881);
Abich, Geolog. Forschungen in den kaukas.
Ländern. Tl. 2: Geologie des armenischen Hochlandes (Wien 1882, mit Atlas); Radde, Reisen an der pers.-russ. Grenze. Talysch und
seine Bewohner (Lpz. 1886); ders., Die Fauna und Flora des südwestl. Kaspi-Gebietes (ebd. 1886); Kaukas.-Statistisches
Komitee, Gouvernement Elisabethpol (Tiflis 1888); dass., Karser Landstrich (ebd. 1889, beides russisch): Fredé, Voyage enArmenien et en Perse (Paris 1885).
– Tschamtschean, Geschichte A.s (3 Bde., Vened. 1784, armenisch);
Issaverdens, Armenia and the Armenians (2 Bde., ebd. 1874–75);
Langlois, Collection deshistoriens anciens et modernes de l'Arménie (2 Bde.,
Par. 1867–69);
Dulaurier, LeRoyaume de la Petite Arménie, im «Recueil des historiens des croisades,Documents arméniens», Bd.
1 (ebd. 1869);