Organisationen sowie Wohlfahrtseinrichtungen der
Arbeitgeber ergänzend eintreten, und alle
Lücken ausfüllen, welche die
Zwangsversicherung gelassen hat.
Die Lasten, welche die der deutschen
Industrie und
Landwirtschaft auferlegt, sind schwer und werden in der Folgezeit immer
höher anwachsen. Wie sie sich im einzelnen verteilen, bleibt abzuwarten. Das Gesetz bestimmt nur, wen
sie in erster Linie treffen; ob und inwieweit eine Überwälzung vom
Arbeiter auf den
Arbeitgeber oder umgekehrt, durch Hinderungen
der Lohnhöhe, oder vom Produzenten auf den
Konsumenten, durch Änderungen der Warenpreise, vor sich gehen kann, wird sich
nach den wechselnden wirtschaftlichen Machtverhältnissen regeln.
die von der Privatspekulation, von Fabrikanten, wohlthätigen
Vereinen oder öffentlichen
Behörden
errichteten Wohnstätten für
Arbeiter. Es unterliegt keinem Zweifel, daß es für
die Hebung der untern
Klassen außerordentlich
wichtig ist, ihnen gesunde und billige Wohnungen zu verschaffen. Schlechte, feuchte Wohnungen mit mangelhafter
Heizung,
[* 8] Lüftung und
Beleuchtung
[* 9] schädigen die Gesundheit. Übervölkerte Wohnungen werden niemals ein behagliches
Heim sein,
wo nach harter
Arbeit ein glückliches Familienleben gedeihen kann.
Die heutigen Wohnungszustände, namentlich in den Großstädten und heranwachsenden Fabrikstädten, aber auch in
Mittel- und
Kleinstädten zeigen uns dagegen mehr überfüllte und mehr ungesunde Wohnungen. Die
Ursachen der Wohnungsnot
aber liegen in dem Mißverhältnis zwischen Einkommen und Miete. Die
Arbeiter verdienen nicht genug, um eine angemessene Wohnung
bezahlen zu können, die Mieten aber steigen, weil die Bodenpreise alljährlich in die Höhe gehen. Da eine andere Einkommensverteilung
anzubahnen nicht leicht möglich ist, muß denjenigen
Faktoren entgegengewirkt werden, die eine Verteurung
der Mieten bedingen.
Arbeitgeber, gemeinnützige Gesellschaften und die Gesetzgebung müssen
Hand
[* 10] in
Hand gehen, um die schlimmsten Wohnungsmißstände
zu beseitigen. Einzelne große
Arbeitgeber haben Anerkennenswertes geleistet. So hat die königl. Bergwerksdirektion in
Saarbrücken
[* 11] seit 1842 an
Bergleute zur Erbauung von Wohnhäusern Darlehen (bis 1891 im ganzen 4 268 735 M.
seitens des
Staates, 2 062 117 M. seitens der Knappschaftskasse), die, anfangs mit 4 Proz. verzinslich,
später unverzinslich, in 10 Jahren in Monatsraten zurückzuzahlen sind, und außerdem Bauprämien (bis 1891: 3 875 595 M.)
gewährt.
Krupp in
Essen
[* 12] hatte bis 1891 3720 Arbeiterfamilienwohnungen hergerichtet, in denen 24 193
Personen wohnten.
Die Mietpreise schwankten zwischen 60-200 M. Ferner stellte
Krupp 1889 500000 M. zu Darlehen an Bedienstete und
Arbeiter seiner
Werke, die sich ein eigenes
Wohnhaus
[* 13] erwerben wollen, zur
Verfügung gegen 3 Proz.
Zinsen und gegen Rückzahlung in
Raten, welche
die üblichen Mietpreise nicht wesentlich überschreiten. Mit diesem
Kapital waren bis Ende 1891 über 3700 Arbeiterwohnungen gebaut,
die von etwa 26000
Personen bewohnt sind. Auch andere große Unternehmungen haben für die Herrichtung gesunder Arbeiterwohnungen gesorgt,
so die königl. Munitionsfabrik
Spandau
[* 14] (s. Mädchenheim), die Höchster Farbwerke, D.Peters &
Co. in Neviges bei
Elberfeld.
[* 15] Der preuß. Regierung wurden Mai 1895 vom Landtag 4 Mill. M. bewilligt zur Verbesserung
der Wohnungsverhältnisse von
Arbeitern in
Staatsbetrieben und gering besoldeten
Beamten.
Weniger empfehlenswert sind
Baugesellschaften auf spekulativer Grundlage, deren Wirksamkeit übrigens nicht nur dem
Arbeiter,
sondern auch kleinen
Beamten, Handwerkern u. s. w. zu gute kommt. Unter ihnen sind zu
nennen: die
Gladbacher Aktien-Baugesellschaft (1869-90 387 Häuser erbaut),
BarmerBaugesellschaft für Arbeiterwohnungen (1872-90 242 Häuser
erbaut), der
Dresdener Bauverein für Arbeiterwohnungen (bis 1891 16 villenartige Häuser [8 Doppelhäuser] erbaut und
Bauland für etwa 60 Häuser
gekauft).
Am meisten Abhilfe läßt sich von der Gesetzgebung erwarten, weniger in der
Richtung eines
Erlasses von Wohnungsgesetzen,
obwohl diese nicht ganz ohne Wert sein können. Als neuere
Beispiele können die Verordnungen von
Arnsberg
[* 31] und
Düsseldorf
[* 32] von
1879, von
Chemnitz
[* 33] aus dem J. 1885 genannt werden. Sofern sie darauf herauskommen, ein gewisses Mindestmaß
von Luftraum für jede Wohnung festzusetzen, wird ihre Durchführung mit Zwangsmitteln fraglich.
Besser sind allgemeine Normalvorschriften
für den Mietvertrag, Verbote, ungesunde Wohnungen zu vermieten, sanitäre
Kontrollen¶
mehr
u. dgl. m. In dieser Richtung ist das Großherzogtum Hessen
[* 35] mit einem beachtenswerten Gesetze vom vorangegangen.
Wirksamer aber als diese Anordnungen werden diejenigen sein, die eine weiträumige, freie Bebauung sichern und eine übertriebene
Ausnutzung des Grund und Bodens zu hindern suchen. Es muß Verallgemeinerung der Zwangsbauordnung angestrebt
werden, wie sie schon jetzt in mehrern deutschen Städten, z. B. Frankfurt a. M., besteht.
Unter den Arbeiterwohnungen unterscheidet man: arbeiterwohnungen Großstädtische Mietshäuser. Während in
Kasernen sich die Wohnungen an lange gemeinschaftliche Flure, also in wagerechtem Sinne aneinanderreihen, gruppieren sie sich
im großstädtischen Mietshause um möglichst zahlreiche Treppenhäuser, also im lotrechten Sinne übereinander.
Kasernenartiger Bau eignet sich daher nur zu Herbergen, wie eine solche das Arbeiterkost- und Logierhaus des «BochumerVereins
für Bergbau
[* 36] und Gußstahlfabrikation» (s. Tafel: Arbeiterwohnungen I,
[* 34]
Fig. 9) zur Hälfte darstellt.
Das Mietshaus dagegen eignet sich wegen der schärfern Absonderung der Zugänge zu Familienwohnungen.
[* 34]
Fig. 1 u. 2 zeigen Aufriß
und Grundriß eines berühmten Londoner Arbeiterhauses, das zwar als Kaserne bezeichnet ist, dem Mietshause aber näher steht.
b. Kleinere Mietshäuser. Diese empfehlen sich als Reihenhäuser in Industriestädten, wo der Baugrund schon zu teuer geworden
ist, um noch eine offene Bebauungsweise zulassen zu können; bei diesen werden in jedes Stockwerk eine
oder mehrere Wohnungen gelegt, die aus Stube, Küche und Abort oder noch aus einem weitern, event. zur Abgabe an Aftermieter
bestimmten Schlafraum bestehen. (S. die Beispiele aus Essen, Taf. I,
[* 34]
Fig. 5-8, und aus «Adlershof»
bei Berlin, Taf. I,
[* 34]
Fig. 3 u. 4.) c. Familienwohnhäuser.
Diese stellen das Ideal des Arbeiterhauses dar und sind zur Erwerbung durch den Arbeiter bestimmt; sie
werden auf städtischem Bebauungsgebiete ebenfalls in geschlossenen Reihen, in ländlichen Gegenden als Einzelhaus errichtet.
Zwei derartige Häuser mit den Giebelwänden aneinander gesetzt bilden ein Doppelhaus, welches mehr Schutz gegen Wind und
Wetter
[* 37] gewährt. Das eine Zeit lang sehr beliebt gewesene sog. Vierfamilienhaus,
über einem rechteckigen, gevierteilten Grundrisse errichtet, hat sich nicht bewährt, da es Licht
[* 38] und Schatten
[* 39] zu ungleich
verteilt.
Das Familienhaus ist entweder derart angeordnet, daß die Wohnstube im Erdgeschoß, die Schlafstuben im Obergeschoß sind
(so in Plaue, s. Taf. II,
[* 34]
Fig. 1-3; in
[* 34]
Fig. 3 bezeichnen
dd Flure mit Sommerfeuerung, in
[* 34]
Fig. 2 gg Abort mit Oberlicht), wobei dann zwei Bauten unter einem Dach
[* 40] vereint werden; oder beide Wohnungen verschränken sich im Erdgeschoß so ineinander, daß sie ein Gebäude bilden, dessen
Obergeschoß für Aftermieter bestimmt ist (so in Hamburg-Schiffbek, mit jenseits der Straße liegendem Garten
[* 41] und
Stall, Taf. II,
[* 34]
Fig. 7-9); oder die Anordnung ist so, daß zwei Wohnungen im Erdgeschoß, eine im Dachgeschoß sich befinden
(so in Bielefeld, Taf. II,
[* 34]
Fig. 4-6). Wichtig ist für alle derartige Häuser
die Zugabe eines kleinen Gartens.
Mehrfach hat man auch versucht, der Arbeiterkolonie durch künstlerische Anlage der Gärten ein schmuckes
Ansehen zu geben. So im Agnetapark zu Delft (Taf. II,
[* 34]
Fig. 10, worin A
ein Kosthaus, B Verkaufshaus mit Bäckerei, C die Wohnung des Direktors, D die Gemeindeschule, E ein Vereinshaus, F Kinderspielplatz,
G Musikzelt, H Bootsschuppen,
I noch verfügbare Bauplätze bezeichnet). Wo aber der Raum hierfür nicht
vorhanden ist, wie bei den großstädtischen Mietshäusern, müssen durch Zusammenlegung mehrerer Baustellen große, Luft
und Licht spendende Höfe geschaffen werden.
Litteratur. Ein reiches Material an Zeichnungen ausgeführter Arbeiterwohnhäuser bieten die Schriften des Vereins Concordia
in Mainz.
[* 42]
Vgl. ferner Penot, Les cités ouvrières de Mulhouse (Mülhausen
[* 43] 1867);
Staub, Das Arbeiterquartier in
Kuchen bei Geislingen (Stuttg. 1868);
Manega, Die Anlage von Arbeiterwohnungen (3. Aufl., von Gründling, Weim.
1895);