dabei auch der Funktionswechsel (s. d.) eine große Rolle, durch den an Stelle der ursprünglichen Hauptfunktion eines Organs
eine Nebenfunktion sich ausbildet und zuletzt Hauptfunktion wird, ein Fuß z. B. Freßorgan
oder Respirationsorgan u. s. w. Daß die Anpassung nach verschiedenen Richtungen hin thätig sein kann, ergiebt sich von selbst, sie
kann ebenso zu harmonischer Ausbildung und Vervollkommnung des Organismus führen wie zu einseitiger
Entwicklung und zur Verkümmerung und Rückbildung.
Letzteres läßt sich namentlich bei festsitzenden und schmarotzenden Tieren beobachten; die Anpassung an die sitzende Lebensart
führt zu einseitiger Rückbildung der Bewegungs- und Sinnesorgane und zur Ausbildung von Schutzorganen, das Schmarotzertum
schließlich zur Rückbildung fast aller Organe mit Ausnahme der Fortpflanzungsorgane, die fast einzig
übrigbleiben (s. Schmarotzertum). Die Grenzen, bis zu welchen einerseits die fortschreitende Entwicklung durch Anpassung, andererseits
die Rückbildung sich ausdehnen kann, sind noch nicht festgestellt; ebensowenig sind die Beziehungen der einzelnen Organe
zu einander erforscht, infolge deren gewisse Organe sich nicht ändern können, ohne daß andere in Mitleidenschaft
gezogen werden. Auf der und der durch Vererbung erfolgenden Fixierung der erworbenen Charaktere beruht die natürliche und
künstliche Züchtung (s. d.). (S. auch Chromatische Anpassung.)
(spr. angk'til), Louis Pierre, franz. Historiker, geb. zu Paris, trat 17 J. alt in die Kongregation
von St. Geneviève. Als Direktor des Seminars zu Reims begann er die Geschichte dieser Stadt zu schreiben; sein Werk (3 Bde.,
1756-57) reicht bis 1657. Anquetil wurde 1759 Prior der Abtei Noé in Anjou und in der Folge Direktor des Collège
von Senlis; hier verfaßte er das Werk «Esprit de la Ligue» (3 Bde., Par.
1767; 4 Bde., ebd. 1823). Während der Schreckenszeit der Revolution
in St. Lazaro eingeschlossen, schrieb er Précis de l'historie universelle" (9 Bde.,Par. 1797; 12 Bde.,
1807). Bei Gründung des Institut de France ward Anquetil Mitglied der zweiten Klasse und bald darauf im Archiv des Ministeriums des
Äußern beschäftigt. Hier schrieb er «Motifs des guerres et des traités de
paix sous Louis XIV, XV and XVI» (Par. 1797). Seine Werke «Louis
XIV, sa cour et le régent» (4 Bde., Par.
1789) und «Historie de France» (14 Bde., ebd. 1805; zuletzt bis 1875 fortgesetzt
von Gallois und Gregoire, 14 Bde., 1876-82) fanden die meiste
Verbreitung. A.s Geschichtserzählung ist eine Verbindung von Chronik und Anekdote. Er starb zu
Paris.
(spr. angk'til-düperrong), Abraham Hyacinthe, Orientalist und Begründer des Zendstudiums in Europa,
Bruder des vorigen, geb. zu Paris, studierte dort, zu Auxerre und zu Amersfoort Theologie und ließ sich 1755 als gemeiner
Soldat für das damals in Indien stehende franz. Heer anwerben, um Gelegenheit zur Erlernung des Zend und
zur Erforschung des Zoroastrischen Religionssystems zu finden. Bald nach seiner Ankunft in Indien wurde er jedoch von der franz.
Regierung mit den Mitteln zur Verfolgung seiner gelehrten Zwecke ausgestattet. In Surat gelang es ihm,
einige parsische Priester
zu bewegen, ihm eine neupers.
Übersetzung ihrer im Zend und Pehlevi abgefaßten heiligen Bücher zu diktieren. 1762 nach Paris zurückgekehrt,
erhielt er das Amt eines Dolmetschers der Morgenländ. Sprachen bei der königl. Bibliothek, wurde Mitglied des Nationalinstituts
und starb zu Paris. Anquetil-Duperron veröffentlichte die Übersetzung des Zendavesta (3 Bde., Par.
1771; die Einleitung «A.s Reisen» deutsch von Purmann, Frankf. a. M. 1776),
ferner «Législation orientale»
(Amsterd. 1778),
«Recherches historiques et géographiques sur l'Inde» (2 Bde.,
Berl. u.Par. 1787),
«La dignité du commerce et de l'état du commercant» (Par.
1789),
«L'Inde en rapport avec l'Europe» (2. Aufl., 2 Bde.,
ebd. 1790; deutsch von Küster, 2 Bde., Altenb.
1799) und «Oupnekhat» [«Secretum
tegendum»] (2 Bde., Par. 1802-4;
deutsch von Rixner, 2 Bde., Nürnb.
1808). Letzteres ist die lat. Übersetzung einer pers. Bearbeitung der Upanishaden. Sämtliche Schriften A.s sind jetzt nur noch
von histor. Interesse.
in der Sprache des deutschen Rechts der Zustand einer Person, auf welcher wegen des Gewerbes oder der Geburt
ein Makel haftet. Dieser Makel schloß sie in älterer Zeit von Zünften und von dem Handwerke, sowie von
Ämtern u. dgl. aus und begründete Lehnsunfähigkeit. Früher wurde die Thätigkeit
in vielen Gewerben als unehrenhaft angesehen, selbst die Ausübung des Gewerbes als Müller, Schäfer, Weber, Zöllner u. s. w.
(unehrliche Gewerbe, unehrliche Leute).
Indessen handelt es sich in den überlieferten Fällen stets nur um die Aufnahme in gewisse Zünfte, z. B. von
Webern in die Tuchmacherzunft, von dem Sohne eines Spielmannes und einer Müllerstochter in die Gewandschneiderzunft u. s. w.
Schon die Reichspolizeiordnungen von 1548,
Tit. 37, §. 1, und von 1577,
Tit.
38, §. 1, wie zahlreiche spätere Gesetze, bekämpfen die Anrüchigkeit als Folge aus dem Betreiben eines gewissen
Gewerbes, insbesondere seitens der Eltern. Für anrüchig galten dagegen noch lange die Schinder
und Henker, sogar deren Abkömmlinge bis in die zweite Generation hinein.
Der Reichsschluß von 1772, §.5 bestimmte, daß die Descendenten der Wasenmeister und Abdecker zu den Handwerken zuzulassen
seien, wie dies für die Kinder der Scharfrichter schon feststehe, sofern sie nur nicht selbst an dem Gewerbe
teilgenommen hätten. Gegenwärtig bestehen solche Anschauungen oder gar gesetzliche Vorschriften nur noch ganz vereinzelt.
Aber selbst nach dem Preuß. Allg. Landr. II, 8, $. 280 waren von der Aufnahme in die Zünfte diejenigen ausgeschlossen, welche
die Geschäfte eines Schinders oder Abdeckers wirklich getrieben haben. Erst die Allerh. Kab.-Ordern von 1819 und 1827 haben
dies beseitigt. Übrigens konnte der Makel der Anrüchigkeit durch Ehrhaftmachung seitens des Landesherrn beseitigt
werden.
Von der Anrüchigkeit werden unterschieden Verächtlichkeit und Bescholtenheit (s. Ehre). An diese knüpft das geltende Recht rechtliche
Folgen; vgl. z.B. Rechtsanwaltsordnung vom §§. 5,43. Für
das künftige bürgerliche Recht dürfte die Aufnahme der Anrüchigkeit entbehrlich sein, jedoch stellt z. B. das Preuß. Allg. Landr.
II, 1, §. 707 noch als
mehr
Scheidungsgrundauf: «wenn ein Gatte ein schimpfliches Gewerbe ergreift».
Vgl. ferner daselbst II, 18, §. 135 und Österr.
Bürgerl. Gesetzb. §. 191 wegen der Bestellung zum Vormunde, Preuß. Allg. Landr. II, 2, §. 409 und Österr. Bürgerl. Gesetzb.
§§. 768, 769 wegen der Enterbungsgründe. Zu der Verächtlichkeit und Bescholtenheit dürfte die Vorschrift
des Gemeinen Rechts zu stellen sein, nach welcher Geschwister eine letztwillige Verfügung angreifen dürfen, wenn ihnen eine
persona turpis vorgezogen ist. Die Anrüchigkeit unehelicher Kinder ist als in dem geltenden Rechte nicht mehr anerkannt anzusehen. -
Vgl.
Beneke, Von unehrlichen Leuten (2. Aufl., Berl. 1888).