Türmen, Tierfiguren und einem großen Tempel in der Mitte, ein Rest der alten Hauptstadt des Landes, das beste Zeugnis für
die Höhe der in vorgeschichtlicher Zeit dort entwickelten Civilisation. –
(frz. spr. angglähs'), ein in der zweiten Hälfte
des 18. und im Anfange des 19. Jahrh. in Frankreich und Deutschland beliebter Gesellschaftstanz von lebhaftem Charakter und
leichter Bewegung, bald in 2/4-, bald in ⅜-Takt, entstand aus dem franz. Rigaudon (s. d.),
ist fast außer Gebrauch. Anglaise heißt auch der Charaktertanz, den die franz.
Tanzkunst aus Zügen des engl. Nationaltanzes zusammenstellte. Ihn tanzt ein einzelner in der Tracht eines Seeoffiziers, der
eine Gerte in verschiedenen Lagen balanciert. Die Schritte sind zum 2/4-Takt marschartig.
oder Anglesea (spr. änglßi, im Altertum Mona, im Mittelalter Anglorum Insula), Insel und
Grafschaft in der Irischen See, an der Nordwestküste von Wales, getrennt von dem Festlande durch den zweifach überbrückten
Menaikanal (s. d.), hat 712 qkm und (1891) 50079 E. Die Küste ist steil, das Land hügelig, im ganzen kahl, nur bei Beaumaris
und zu Plas Newydd, dem Sitze des Marquis von am Menaikanale, ansehnlich bewaldet. Der Ackerbau ist ergiebig
an Hafer und Gerste, weniger an Weizen und Roggen.
Kartoffeln werden mehr gewonnen als sonst in Nordwales, und auch ziemlich viel Rüben. Zehn Elftel des Bodens dienen als Weideland
für Rinder und Schafe. Der Mineralienreichtum ist bedeutend. Die Kupferminen von Mona und im Parysberg
an der Nordostküste wurden 1768 eröffnet. Die jährliche Ausbeute ist von 3000 t auf 500 gesunken. Der Parysberg hat auch
silberreiches Bleierz. Ebenso finden sich Kalkstein, weißer und farbiger Marmor, Mühlsteine, Steinkohlen (jährlich 20000 t)
und Torf.
Einst war die Insel ein wichtiger Handelsplatz, jetzt sind ihre Buchten und Häfen verödet. Doch werden
ziemlich viel Landesprodukte (Butter, Käse), Häute, Talg und Blei ausgeführt. Die wichtigsten Städte sind Beaumaris, die Hauptstadt,
ein kleiner Badeort mit 2202 E., Kirche (13. Jahrh.) und Ruinen der großen von Eduard Ⅰ. erbauten Burg mit
Kapelle im frühengl. Stil und Grundmauern mächtiger Rundtürme, Amlwch, Holyhead und Llangefni. Die Grafschaft sendet einen
Abgeordneten ins Parlament. – 61 n. Chr. unterwarf der röm.
Feldherr Suetonius Paulinus die Insel und zerstörte die heiligen Haine der Druiden. Der Aufstand der Boadicea vertrieb die
Römer, die jedoch 76 wiederkehrten. Im 9. Jahrh. nahm der Sachse Egbert die Insel in Besitz. Sie wurde ihm
durch die Fürsten von Nordwales bald wieder entrissen und blieb dann Herrschersitz derselben, bis Eduard Ⅰ. Wales für
immer unterwarf.
(spr. änglßi), engl. Peerschaft, nach der Insel und Grafschaft Anglesey benannt. – Der erste Graf von Anglesey war
Arthur Annesley, Sohn Francis Annesleys, Barons von Mountnorris, geb. ward 1660 Präsident des Staatsrats, Viceschatzmeister
für Irland, 1661 von Karl Ⅱ. zum engl. Peer, mit dem Titel eines Barons von Newport-Pagnell und Grafen von Anglesey, erhoben und
war
von 1672 bis 1682 Großsiegelbewahrer. Er starb Der Titel Anglesey erlosch 1761 mit dem Tode seines
Nachkommen Richard Annesley, des sechsten Grafen von und wurde erst 1815 als Marquisat in der Person des Grafen von Uxbridge erneuert.
– Henry William Paget, Graf von Uxbridge, Marquis von Anglesey, geb. focht 1793–94 an der
Spitze eines selbstgeworbenen Infanterieregiments in Flandern und erwarb sich im Kriege auf der Pyrenäischen Halbinsel 1808 als
Generalmajor und Commandeur der brit. Reservekavallerie großen Ruhm, besonders beider Deckung des Rückzugs des Generals Moore
nach Coruña und im Treffen bei Benavente, (s. Französisch-Spanisch-Portugiesischer Krieg von 1807 bis 1814).
Nach dem Tode seines Vaters (1812) erbte er dessen Titel als Graf von Uxbridge.
In der Schlacht von Waterloo, wo er sieben Brigaden befehligte, verlor er ein Bein. Nach der Rückkehr nach England wurde ihm
der Titel eines Marquis von Anglesey zu teil. Er wurde 1827 Generalfeldzeugmeister und im Febr. 1828 Vicekönig
von Irland, wegen seiner den Katholiken freundlichen Verwaltung aber von Wellington schon im Dez. 1828 zurückberufen. Unter
Greys Ministerium wurde er 1831 wieder an die Spitze der Verwaltung Irlands gestellt, vermochte jedoch den Sturm der irischen
Bewegung nicht mehr zu beschwören und legte daher im Sept. 1833 seinen Posten nieder. 1842 wurde
er Oberst der Leibgarde zu Pferd und 1846 Feldmarschall und Generalfeldzeugmeister (Master-General of the ordnance). Er starb ^[]
Bleivitriol, Vitriolbleierz, das als Mineral vorkommende wasserfreie Bleisulfat (s. d.),
PbSO4 ^[PBSO4], das aus 73,6 Bleioxyd und 26,4 Proz. Schwefelsäure besteht und meist in der Natur
durch Oxydation aus dem Bleiglanz (Schwefelblei) hervorgegangen ist. Die mit dem Schwerspat oder Baryt und dem Cölestin isomorphen
rhombischen Krystalle sind von sehr verschiedenen Formen, teils pyramidal, teils vertikal kurzsäulenförmig, teils horizontal
säulenförmig, auch tafelartig, dabei diamant- und fettglänzend, an sich farblos und oft wasserhell, aber vielfach gelblich
und graulich gefärbt.
Die Härte beträgt 3, das spec. Gewicht etwa 6,3. Das Mineral ist in Salzsäure schwer, in Kalilauge vollkommen löslich.
Schöne Krystalle desselben finden sich zu Badenweiler, Schwarzenbach und Miß in Kärnten, in Ungarn (Moravicza, Felsö-Bánya),
zu Leadhills in Schottland, auf Anglesey (daher der Name), insbesondere zu Iglesias und Monte-Poni auf Sardinien,
Nertschinsk in Sibirien, Phönixville in Pennsylvanien. Wo es in größerer Menge vorkommt, wird es mit andern Bleierzen zur
Bleigewinnung benutzt.
der engl. Sprache angehörende Eigentümlichkeiten, namentlich wenn sie, in eine andere Sprache übertragen,
als Fehler gegen deren Sprachgebrauch erscheinen.
Kirche, die Staatskirche Großbritanniens (the Established Church, Church of England), die in der Lehre
reformiert, in Kultus und Kirchenverfassung eine Mittelstellung zwischen prot. und kath. Wesen behauptet.
Gegenüber den übrigen reform. Kirchenparteien in England, die sämtlich presbyteriale Ordnungen
haben, heißt sie auch die Bischöfliche (Episkopal-) Kirche. Außer Großbritannien und den Kolonien zählt
sie
mehr
nur noch in Nordamerika zahlreiche Anhänger. Ihre eigentümliche Stellung unter den prot. Kirchengemeinschaften erklärt sich
aus der engl. Reformationsgeschichte. England war schon im 14. Jahrh.
durch Wiclif (s. d.) in eine religiöse Bewegung geraten, die sich gegen das ganze hierarchische Wesen, gegen Heiligenverehrung,
Ablaß, Ohrenbeichte, Brotverwandlung, Fegefeuer u. s. w. richtete und die Rückkehr zur Einfachheit der
Heiligen Schrift und der apostolischen Presbyterialverfassung erstrebte.
Sein Andenken bahnte den Schriften Luthers, die seit 1519 in England Eingang fanden, den Weg. Aber die Anfänge einer neuen
Kirchenordnung waren von dieser religiösen Bewegung so gut wie unberührt geblieben: ein Ehehandel König Heinrich Ⅷ., die
vom Papst bekämpfte Heirat mit Anna Boleyn (s. d.), trieben den König zum Bruche mit Rom, zum Sturz der
päpstl. Herrschaft in England und zur Erhebung des Königs als des obersten Hauptes von Staat und Kirche Als dann
Thomas Cromwell (s. d.) und Cranmer (s. d.)
durch die Protestantisierung dieser neuen Staatskirche den Wandel vervollständigen wollten, hielt Heinrich
dieselbe beim alten Dogma; in dem harten Kirchengesetz der «Sechs Artikel» (1539) blieb man bei den sieben Sakramenten, Transsubstantiation,
Cölibat, Stillmesse, Ohrenbeichte.
Erst nach Heinrichs Tod (1547) unter Eduard Ⅵ. (1547–53) begann der Protektor Somerset (s. d.) eine prot. Neuordnung der
unter Heinrich Ⅷ. so in der Lehre katholisch gebliebenen anglikan. Staatskirche. Bucer (s. d.) wurde nach
Cambridge, Peter Martyr und Ochino (s. d.) nach Oxford berufen, um das heranwachsende
Theologengeschlecht im reform. Glauben zu erziehen. Die 42 Glaubensartikel von 1542 enthalten schon einen ganz evang. Lehrbegriff.
Nur vorübergehend konnte von einer Zurückführung des Katholicismus unter Maria der Katholischen (1553–58)
die Rede sein, unter ihrer Nachfolgerin Elisabeth (1558–1603) ist dann die auf dem Staatskirchentum Heinrichs Ⅷ. beruhende,
dessen bischöfl. Verfassung und die alten Ceremonien meist beibehaltende, aber in der Lehre protestantische Anglikanische Kirche entstanden.
Die Königin wurde wieder das Haupt dieser Kirche und die aus Cranmers 42 Artikeln umgearbeiteten Neununddreißig
Artikel das Glaubensbekenntnis derselben; ebenso beruhte das neue allgemeine Gebetbuch (Common Prayer-book) auf der Vorarbeit
Cranmers. Die Uniformitätsakte gab der Staatskirche die allgemeine Herrschaft in England.
Aber schon unter Elisabeth erhob sich gegen den Zwang dieser Staatskirche die Opposition der Puritaner (s. d.),
die größere religiöse Freiheit forderten und die Kirche von allen noch in der Verfassung gebliebenen
Resten röm. Götzendienstes «reinigen» wollten.
Vor allem wuchs ihr Widerstand unter den Nachfolgern der Königin, Jakob Ⅰ. (1603–25) und Karl Ⅰ. (1625–49), er übertrug
sich auf das polit. Gebiet und bekämpfte die Alleinherrschaft der Monarchie ebenso wie die von dieser
geschützte Bischofskirche.
Ein Bürgerkrieg brach aus (1642), der Karl Ⅰ. auf das Schafott brachte, in welchem es aber auch zwischen den presbyterianischen
Puritanern und den freiern puritanischen Sekten der Independenten (s. d.) zu offenem Bruch und zur Niederlage der Presbyterianer
kam, nachdem diese noch in der Westminstersynode (1643–49) Kirchenverfassung und Lehre in ihrem Sinne
umgestaltet hatten. Die Herrschaft der Independenten brachte die Republik, schließlich
das Protektorat ihres großen Führers
Oliver Cromwell (s. d.), bis nach dessen Tod mit der Restauration des Königtums unter Karl Ⅱ. (1660–85) auch die Bischofskirche
wieder zur alleinigen Macht kam (neue Uniformitätsakte 1662). Die kath. Restaurationsversuche Jakobs Ⅱ.
(1685–88) führten 1688 zu seiner Vertreibung und zur Erhebung Wilhelms Ⅲ. (s. d.) von Oranien.
Die 1673 vom Parlament erlassene Testakte (s. d.) wurde durch die Toleranzakte von 1682 zu Gunsten der prot.
Dissenters (s. d.) verändert und blieb nur gegen Katholiken und Socinianer (s. d.) in Kraft. Erst durch die Parlamentsakten
vom und wurden die Katholiken ins Parlament und zu den meisten Staatsämtern zugelassen.
Doch dürfen noch heute keine kath. Priester im Parlament sitzen; ausländische Ordensgeistliche
werden ausgewiesen, einheimische unter strenge Aufsicht gestellt, die Führung geistlicher Titel ist bei hohen Geldstrafen verboten.
Diese und andere Vorsichtsmaßregeln haben die geheime oder offene Hinneigung namhafter anglikan. Geistlicher
und hochgestellter Laien zum Katholicismus, ja zahlreiche Übertritte nicht hindern können. Papst Pius Ⅸ. teilte angesichts
der Fortschritte des Katholicismus England in acht Sprengel und ernannte 1850 in Kardinal Wiseman (s. d.), dem 1865 Kardinal
Manning (s. d.) folgte, einen Erzbischof von Westminster und
Primas der kath. Kirche in England; ein Eingriff in die Staatsgesetze, der die öffentliche Meinung gewaltig erregte. ^[]
Die innere Verfassung ist seit der Gesetzgebung von 1689 nur in untergeordneten Punkten geändert worden. Die Bischöfe sitzen
von alters her als Barone des Reichs im Hause der Lords. An ihrer Spitze steht der Erzbischof von Canterbury
als Primas von ganz England und erster Peer des Reichs. Zu seiner Provinz gehören 21 Bistümer in England und 53 in den Kolonien.
Er hat das Vorrecht, den König zu krönen. Ihm zunächst steht der Erzbischof von York, dem 7 Bistümer untergeben sind.
Irland war seit der Church-Temporality-Akte von 1833 in 2 Erzbistümer (Armagh und Dublin) und 12 Bistümer
geteilt; im Parlament saßen für Irland aber stets nur ein Erzbischof und drei Bischöfe. Durch Parlamentsakte vom ist
jedoch die irische Staatskirche, bis dahin ein Zweig der Anglikanische Kirche, aufgehoben, die Zahl der
Bistümer beschränkt und das Recht der in Anglikanische Kirche Irland, Katholiken und Dissenters zu besteuern, aufgehoben worden. Die geistliche
Machtvollkommenheit des höhern Klerus hat sich bis heute ziemlich ungebrochen erhalten. Er besitzt das Recht der Konfirmation,
Ordination, der geistlichen Disciplin und Gerichtsbarkeit.
Seine Wahl erfolgt der Form nach durch die Kapitel, in Wirklichkeit durch die Krone, die den Kapiteln den
zu Wählenden bezeichnet und sie im Weigerungsfall zur Strafe zieht. Die Bistümer sind wieder in Archidiakonate (archdeaconries)
geteilt. Die niedere Geistlichkeit teilt sich in Kapitel- und Pfarrgeistlichkeit. An der Spitze der erstern, die den Dienst
in den Kathedralkirchen besorgt, steht der Dekan (dean), als Vorsteher des aus 4–6 Kanonikern (canons)
bestehenden Kapitels (chapter). Die Pfarrgeistlichkeit (clergy) zerfällt in Pfarrer (incumbent), Hilfsgeistliche (curate)
und Kapläne (chaplain). Unter den Kirchen unterscheidet man 1) Pfarrkirchen (parish church), die teils die vollen Einkünfte
ihrer Dotation besitzen (rectory), teils
mehr
nur einen Teil der Einkünfte beziehen und einen (geistlichen oder weltlichen) Eigentümer (appropriator oder rector) über
sich haben (vicarage), teils ohne eigene Dotation vom Patron unterhalten werden (perpetual curacy);
2) Bezirkskirchen, deren Einkünfte aus Stuhlgeldern bestehen (abgetrennte Pfarreien, district church);
3) Kirchen, die im Pfarrverband einer andern Kirche stehen, aber mit getrennter Seelsorge (chapel of ease
and parochial); endlich 4) Hilfskapellen (chapel of ease merely), in denen nur gepredigt wird. Hierzu kommen noch
die Privatkapellen des hohen Adels, der Bischöfe u. s. w., die freien Kapellen (auf königl.
Domänen) und Kapellen im Besitz von Privatpersonen. Das Patronatsrecht ist zu einem Drittel in den Händen
der Krone; die übrigen Stellen werden von Bischöfen, Kapiteln oder Privatpatronen besetzt.
Die Geistlichen werden vom Patron präsentiert, vom Bischof admittiert, worauf die Anstellung und Einführung folgt. Vor der
Anstellung haben sie die 39 Artikel zu unterschreiben und zu geloben, sich beim Gottesdienste streng an die vorgeschriebene
Agende (das Prayer-book, s. Common Prayer, Book of) halten zu wollen. Die Pfarrgemeinden fielen
bis vor kurzem mit den polit. Gemeinden zusammen, daher hinsichtlich der Pflichten und Rechte der Gemeindegenossen nicht darauf
Rücksicht genommen wurde, ob jemand sich persönlich zur Staatskirche oder zu den Dissenters hielt.
Aber durch die Parlamentsakte vom sind die Dissenters von der Kirchensteuer befreit. Die Gemeindeversammlung
(vestry) wählt unter dem Vorsitze des Pfarrers die Gemeindebeamten (hier und da auch die Pfarrer) und besteuert sich selbst.
Zur Annahme der Gemeindeämter, von denen das der Kirchenvorsteher (church-warden), die das Gemeindevermögen verwalten,
und das der Armenpfleger (overseer) die wichtigsten sind, ist jeder prot. Engländer, lediglich mit Ausnahme
der Parlamentsmitglieder, der Ärzte und der Geistlichen, verpflichtet.
Das ursprüngliche Einkommen der Kirche beruhte auf den Zehnten aus den Erzeugnissen des Landes, deren Eintreibung schwere
Mißstände im Gefolge hatte und schon unter Elisabeth und dem Langen Parlament (s. d.)
zu Besserungsversuchen führte. Aber erst 1836 wurde die Ablösung dieser Zehnten durch eine jährliche
Geldzahlung gesetzlich bestimmt und binnen zehn Jahren durchgeführt. Trotz der ungeheuern Einbuße des Kirchenvermögens
seit Heinrichs Ⅷ. Säkularisationen betrug das kirchliche Jahreseinkommen noch 3490497 Pfd. St., von denen allein 435046
Pfd. St. an die Bischöfe und andere höhere Würdenträger abflossen.
Von diesen waren viele nur Sinekureninhaber, während mancher viel beschäftigte Geistliche und Vikar von den großen Summen
kaum das Notwendige zum Leben erhielt. Diese schreiende Ungerechtigkeit zu beseitigen, wurde 1845 eine Kommission eingesetzt,
die eine allgemeine Revision vornahm, die übertriebenen Bezüge verkürzte und mit den übrigbleibenden Geldern die
geringen Einkommen aufbesserte; außerdem nahm man für die schlecht besoldeten Pfarreien einen unter Königin Anna errichteten
Fonds «Queen Anne's bounty» in Anspruch.
Die große Zahl der neuerrichteten Kirchen wurde aus freiwilligen Beisteuern erbaut und für den Unterhalt ausgestattet, entweder
von einzelnen Privaten oder von wohlthätigen Gesellschaften, die eigens zu diesem Zweck sich bildeten.
Die kirchliche Gesetzgebung ist verfassungsgemäß der sog. Konvokation
oder dem geistlichen
Parlament übertragen. Dies besteht, wie das weltliche Parlament, aus einem Ober- und einem Unterhause; in jenem sitzt die
höhere, in diesem die niedere Geistlichkeit. Seit 1717 wurde die Konvokation nur noch der Form nach zusammenberufen und
sofort wieder vertagt. ^[]
Die geistliche Gerichtsbarkeit, früher sehr ausgedehnt, erstreckt sich jetzt fast nur noch auf Testaments-, Ehe- und Disciplinarsachen.
Die Ehescheidung liegt seit der Parlamentsakte vom in der Hand eines eigenen weltlichen Gerichtshofs. Die Geschiedenen
dürfen wieder heiraten, doch ist kein Geistlicher gezwungen, sie zu trauen. Die Erlaubnis zur Eheschließung
sowie die Trauung liegt noch in den Händen der Geistlichen; doch besteht daneben für Dissenters die Civilehe.
Das geistliche Strafrecht ist jetzt fast ganz auf die Geistlichkeit selbst beschränkt. Exkommunikation und Interdikt sind,
obwohl gesetzlich nicht aufgehoben, längst außer Brauch gekommen. Dagegen üben die bischöfl. Gerichtshöfe
das Recht der Amtssuspension, die erzbischöflichen das Recht, Geistliche wegen sittlicher oder dogmatischer Vergehen abzusetzen
und ihrer Würden zu entkleiden. Bischöfe dürfen zwar abgesetzt werden, behalten aber ihre Würde.
Die kirchlichen Gerichtshöfe sind sehr mannigfaltig; der Instanzenzug geht vom Archidiakonalhofe an den bischöflichen,
von dem bischöflichen an den erzbischöflichen; dagegen ist der oberste Gerichtshof der Gerichtsausschuß
des geheimen Rates, der im Namen der Krone Recht spricht, eine nur aus weltlichen Mitgliedern zusammengesetzte Behörde. Der Kultus,
durch das Prayer-book geregelt, ist reich an liturgischen Bestandteilen, neben denen die Predigt zurücktritt und nähert
sich dadurch dem katholischen.
Das Ordinationsformular erhielt 1662 seine gegenwärtige Gestalt. Der Katechismus von 1570 hat nur kirchliche
Geltung und ist vom Parlament nicht sanktioniert, und dasselbe Verhältnis findet bei einer Menge kirchenrechtlicher Bestimmungen
statt. Mit Ausnahme dieser letzten Fälle stehen sämtliche Einrichtungen der Staatskirche unter dem Schutze des Parlaments,
das daher auch über alle Fragen kirchlicher Gesetzgebung mit zu entscheiden hat.
Die innere theologische Entwicklung ist durch ihre stabile Orthodoxie sprichwörtlich geworden. Es liegt im engl. Nationalcharakter,
dem kirchlichen Leben und seinen Formen ein ungleich größeres Augenmerk zuzuwenden als der Fortbildung der Lehre. Einige
kleinere Parteien, wie die Quäker u. a., abgerechnet, treffen die Unterschiede der verschiedenen
Kirchengemeinschaften fast nur Verfassung und Liturgie. England hat früher als Deutschland seine Aufklärungsperiode
gehabt, doch gingen die Freidenker und Deïsten (s. Deïsmus) lediglich aus dem Laienstande hervor.
Eine von den Latitudinariern (s. d.) versuchte Milderung der Orthodoxie wurde ebenso kirchlich zurückgedrängt, wie andererseits
die Methodisten (s. d.) mit ihrer Lehre vom gewaltsamen Durchbruch der Gnade aus der Staatskirche getrieben
wurden. Eine gewisse praktische Bedeutung erlangte die 1816 gegründete Evangelische Allianz (s. d.). Die folgenreichste Erscheinung
der Neuzeit in der Anglikanische Kirche ist der Gegensatz der hochkirchlichen und der niederkirchlichen Partei
(der High-church men und der Evangelical- oder Low-church men). Die letztere, die gewöhnlich nach dem
Sitze ihrer Meetings Exeter-Hall
mehr
628 genannt wird, hat namentlich beim niedern Klerus und im Mittelstande Anhänger gefunden; sie erstrebt vorzugsweise Werke
praktischer Frömmigkeit, Bibelverbreitung, Heiden- und Judenbekehrung, Traktatenverteilung, Straßenpredigten, Schulunterricht,
Innere Mission. Die hochkirchliche Partei, die ihre Stütze namentlich in der geistlichen und weltlichen Aristokratie und in
den Universitäten Oxford und Cambridge hat, hält die Traditionen und den Formalismus der Staatskirche
starr fest.
Statt einer Vereinigung mit den Dissenters zu «christlichen Werken» hat sie ihr
Augenmerk vor allem auf Reinerhaltung der äußern Formen des anglikan. Kultus gerichtet. In der neuesten Zeit haben sich
indessen die hochkirchliche und die niederkirchliche Partei wieder genähert, um vereint die auftauchende
freiere kritische Richtung (die sog. Broad-church men) zu bekämpfen. Diese Richtung, der Männer wie Davidson, Mackay, Matthew
Arnold, Dean Stanley u. a. angehören, ist namentlich auch vertreten in den als «Essaysand reviews» 1861 erschienenen Abhandlungen, deren Verfasser (Temple, Williams, Powell, Wilson, Goodwin, Pattison und Jowett)
mit einer einzigen Ausnahme der anglikan.
Geistlichkeit angehören. Ihre Tendenz ist vornehmlich die Bekämpfung der altprot. Vorstellung von der göttlichen Inspiration
der biblischen Urkunden und eine wahrhaft geschichtliche Auffassung und Auslegung derselben. Die hierdurch hervorgerufene Bewegung
dauerte noch fort, als Bischof Colenso (s. d.) durch seine Kritik der fünf Bücher Moses und des Buches
Josua bei der engl. Geistlichkeit das größte Aufsehen hervorrief. Während dieser Fall die
dogmatische Kontroverse nur vorübergehend wieder belebt hat, ist neuerdings die ritualistische Frage wieder in den Vordergrund
getreten.
Hinneigung zu Rom im Ritus legen manche Geistliche an den Tag, die sonst dem Beispiele Newmans (s. d.) zu folgen nicht
konsequent genug sind. Die Frage, ob Altarkreuz oder Crucifix, ob Leuchte, gesticktes Altartuch, Ohrenbeichte u. dgl. kehrt
regelmäßig wieder und erregt heftigen Kampf in den Gemeinden, Streit zwischen dem Geistlichen und seinem Bischof, endlich
lange Verhandlungen der bischöfl. Gerichtshöfe mit oft schwächlich paktierendem Resultat. Nach dieser Seite hin scheint
das Pan-anglican Council, zu dem seit 1867 die anglikan.
Bischöfe der ganzen Welt sich behufs regelmäßiger Vereinigungen zusammengeschlossen haben, noch nicht genügend einzuwirken.
Vgl. Clausnitzer, Gottesdienst, Kirchenverfassung und Geistlichkeit der bischöflichen engl.
Kirche (Berl. 1817);
Stäudlin, Allgemeine Kirchengeschichte von Großbritannien (2 Bde., Gött.
1819);
Funk, Organisierung der engl. Staatskirche (Altona 1829);
Georg Weber, Geschichte der akath.
Kirchen und
Sekten von Großbritannien (2 Bde., Lpz.
1845–53; 2. Ausg. u. d. T.: Geschichte der Kirchenreformation
in England, 1856);
Merle d'Aubigné, Geschichte der Reformation in Europa zu den Zeiten Calvins, Bd. 4 (Elberf. 1866);
Maurenbrecher, England im Reformationszeitalter (Düsseld. 1866);
Ranke, Engl. Geschichte vornehmlich im 16. und 17. Jahrh.
(14. bis 22. Bd. der Sämtlichen Werke, 3. Aufl.,
Lpz. 1877–79);
Weingarten, Die Revolutionskirchen Englands (ebd. 1868);
Burns, Ecclesiastical Law (Lond. 1842);
Rogers, Apractical arrangement of ecclesiastical Law (ebd. 1849);
Bailey, Jurisdiction and mission of the Anglican episcopate (1871);
Gladstone, Ritualism andthe church ofEngland (1875);
Mettgenberg, Ritualismus und Romanismus in England
(Bonn 1877);
M'Carthy, History of our own times, Bd. 1 (Lond.
1879);
Lee, The church under Queen Elizabeth (2 Bde., 1880);
Dixon, History of the church of England from the abolition ofthe Roman jurisdiction (4 Bde., 1873–91);
Spencer Walpole, History ofthe 19th Century (3 Bde.,
1878–80);
Amherst, The history of catholic emancipation (2 Bde., 1886);
Destombes, La persécution religieuse en Angleterre (3 Bde., 2. Aufl.
1885);
Blunt, The reformation of the church of England (2 Bde., Lond.
1880–82).