Angelsächsische Gesetze - Angelsächsische Sprache und Litteratur
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Normandie seit 1066 für immer zu Ende. Mit dem angelsächs. Königtum wurde die Landesversammlung
vernichtet und eine autokratische Monarchie trat an die
Spitze. Erhalten blieb jedoch vor allem die angelsächs. Nationalität.
Wie gegenüber den
Kelten verhielt sie sich spröde gegenüber den weit schmiegsamern
Normannen. Sie nahm diese in sich auf,
ohne wesentlich den eigenen Charakter beeinflussen zu lassen; hat doch die franz.
Sprache,
[* 2] obgleich sie lange die offizielle
war, in den Wortschatz des bis zum 15. Jahrh. herausgebildeten
Englisch nur drei Zehntel eingeführt (s.
Englische Sprache).
[* 3] -
Vgl. Lappenberg, Geschichte von England, Bd. 1 (Hamb.
1834):
Stubbs, Constitutional History of England, Bd. 1 (Lond.
1874);
Kemble, The Anglo-Saxons (2 Bde., ebd. 1849; deutsch von
Brandes, Lpz. 1852-54);
Green, The Making of England (Lond. 1882) und The Conquest of England (ebd. 1883);
Winkelmann, Geschichte
der (in
Onckens«Allgemeiner Geschichte», Berl. 1883).
Sprache und Litteratur. Die angelsächs. (von andern altenglisch genannte)
Sprache ist ein Zweig des
westgerman.
Sprachstammes und zwar seines niederdeutschen
Teiles. Durch die Verpflanzung der
Angelsachsen nach Britannien hat
sie sich in vieler Hinsicht ganz eigentümlich entwickelt. Zunächst ist sie dem Altfriesischen und
Altsächsischen verwandt.
Sie zerfällt in den erhaltenen Denkmälern in vier Hauptdialekte: erstlich einen nordöstlichen, den
northumbrischen, einen südwestlichen, der speciell der angelsächsische oder genauer der westsächsische genannt wird;
für
sich stehen der kentische Dialekt im Südosten und der mercische im Innern des
Landes.
Northumbrisch und Mercisch bilden die
Gruppe der anglischen Dialekte. Der Herkunft derStämme
(Angeln,
Sachsen,
[* 4] Jüten) entspricht die
Einteilung
in Anglisch, sächsisch und Kentisch. Zuerst blühten Kultur und Litteratur im Nordosten von England. Dann trat, als Wessex
im 8. und 9. Jahrh. das polit. Übergewicht erlangte, die westsächs. Litteratur und damit
die westsächs. Mundart so in den Vordergrund, daß Handschriften vorzugsweise in westsächs. Dialekte
erhalten sind.
Diese zeigen eine außerordentlich reiche Litteratur, und zwar sind nicht nur zahlreiche poet. Werke überliefert, sondern
es ward auch seit dem 9. Jahrh., vor allem durch die Bemühungen
Alfreds d. Gr. (s. d.), die Prosa in der
Muttersprache fleißig ausgebildet. Besonders zahlreich sind die Erklärungen, die aus der lat.
Gelehrtensprache ins
Angelsächsische aufgenommen wurden, nur vereinzelt sind kelt. und dän.
Wörter eingedrungen. Nach der Eroberung Englands durch die
Normannen wurde das
Angelsächsische durch das
Normanno-Französische
von
Hof
[* 5] und Gericht verdrängt, doch bediente sich der größere
Teil des
Volks nach wie
vor der alten
Sprache, und so entstand
durch Eindringen roman. Elemente in das german.
Angelsächsische das
Englische.
Die Zeit des Übergangs, etwa 1100-1150, bezeichnen manche engl. Gelehrte mit Semi-Saxon (Halb
sächsisch), deutsche als Neuangelsächsisch. Neuerdings hat man auch angefangen, diesen
Abschnitt schon zum
Alt- oder Mittelenglisch
zu rechnen. Das
Studium des
Angelsächsischen wurde bereits gegen Ende des 16. Jahrh. aufgenommen
durch Erzbischof
Parker, vor allen durch Franciscus
Junius, der ein etymolog. Wörterbuch der
engl.
Sprache lieferte (hg. von
Lye, Oxf. 1743); das erste angelsächs. Wörterbuch verfaßte
Somner (Oxf. und Lond. 1659). An
Junius schließen sich die
Arbeiten von Thwaites, Hickes, Lye u. a. an, und seitdem fand das
Angelsächsische fortwährend Pfleger. Im 19. Jahrh. sind es in England
vor allen Thorpe,
Kemble,
Bosworth, Cockayne, Earle, neuerdings Skeat,Sweet, Napier, in
Deutschland
[* 6] J.
Grimm,
Leo, Ettmüller,
Dietrich,
Grein,
Bouterwek, Wülker, Zupitza, Sievers. In Nordeuropa sind Rask und
Bugge und in Nordamerika
[* 7]
March, Garnett und
Cook zu nennen.
Obgleich nicht nur durch die Verheerungen der Dänen und
Normannen, sondern auch durch die
Rosenkriege,
durch die gewaltsame Aufhebung der Klöster unter
Heinrich VIII. und endlich während der ersten engl. Revolution eine große
Menge angelsächs. Handschriften zu
Grunde gingen, haben sich doch eine Anzahl von Werken aus allen Gebieten der Litteratur
erhalten. Die ältesten
Belege bilden Glossensammlungen und
Inschriften(hg. vonSweet, Oldest English texts,
Lond. 1885). In der Geschichte der angelsächs.
Dichtung, deren
Denkmäler ausnahmslos in Fassungen aus christl. Zeit vorliegen,
haben wir eine ältere
Dichtung, in der besonders das Epos hervortritt, und eine jüngere zu unterscheiden, die, wenn sie
auch ihre Gegenstände meist in epischer Form darstellt, doch viel lyrischer gehalten ist.
Aus vorchristl. Zeit stammen eine Anzahl
Zaubersprüche, worunter ein
Spruch gegen verzaubertes Land, gegen den Hexenstich,
gegen ausgeschwärmte
Bienen und der Neunkräutersegen hervorzuheben sind als vieles echt Heidnische enthaltend, wenn auch,
besonders im ersten, schon Christliches eingedrungen ist. Von eigentlich angelsächs.
Sage ist, von
Episoden im Liede von
«Beowulf» (s. d.) und von kurzen Erwähnungen im Gedichte «Widsith»
und «Des Sängers Klage» («Deors
Klage») abgesehen, nichts erhalten. Im
«Beowulf» wird die Finnsage behandelt, die, mit der Gudrunsage verwandt, noch auf die
Sitze der
Angelsachsen auf dem Festlande hindeutet (hiervon berichtet auch das Bruchstück vom Kampfe
um Finnsburg),
im «Widsith» und im
«Beowulf» wird des anglischen Königs Offa gedacht. Von allgemein deutscher
Heldensage findet
sich die von
Waltharius im Bruchstücke von «Waldere», die Siegfriedsage (Sigemund
tritt hier an Siegfrieds
Stelle) ist im
«Beowulf» erwähnt, die
Wieland-(Weland-) Sage in «Des Sängers Klage» und
auf dem sog. Franks' Casket, die Dietrichsage in «Widsith»,
«Waldere» und «Des Sängers
Klage». Das Hauptheldengedicht der
Angelsachsen und des alten Germanentums überhaupt, das Beowulfslied, ist zwar in angelsächs.
Sprache erhalten, doch ist sein
Held ein
Schwede, der Schauplatz
Dänemark.
[* 8] - Von ausgesprochen christl. Verfassern sind viele
stabreimende Bearbeitungen biblischer und legendenhafter
Stoffe überliefert, vor allen die
Dichtungen,
die sich an die
NamenCaedmon (s. d.) und Eynewulf (s. d.)
anschließen.
Angelschnur - Angelus
* 9 Seite 51.622.
Die Bearbeitung der
«Exodus» und das Bruchstück von
«Judith» deuten in ihrer streng epischen Form entschieden auf ältere
Zeit hin, während wir die
Dichtungen Cynewulfs und seiner Schule, wie Elene, Juliane und
Phönix, die
einen weichern, mehr lyrischen Charakter tragen, in etwas spätere Zeit (Mitte bis Ende des 8. Jahrh.)
setzen. Bei Cynewulf und seiner Schule tritt auch die Naturschilderung hervor sowie ein elegisches Element, das in der
«Botschaft
des Gemahls», der «Klage der
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mehr
Frau», der «Ruine», dem «Wanderer»
und dem «Seefahrer» das herrschende wird. Bald treffen wir auch einen starken Hang zur Didaktik, wie in den «Reden der
Seelen», «Wunder der Schöpfung», «Der
Menschen Geschicke», «Der Menschen Gemüt», den «Denksprüchen» (die aber noch viel Altes enthalten),
dem «Runenlied» (ebenfalls
noch mit Heidnischem erfüllt). - Die jüngere Dichtung wird vertreten durch die jüngere Genesis, durch
das Gedicht, das als «Christ und Satan» (s. Caedmon) zusammengefaßt wurde, das sog. Reimlied, Salomon und Saturn, die Metra
des Boethius u. a. Die Heldendichtung wird fortgesetzt in dem Bruchstück von der Schlacht bei Maeldun und den Liedern in der
angelsächs. Chronik. Auf kirchlichem Gebiete sind eine Übersetzung der Psalmen, Hymnen, Gedichte über
das Jüngste Gericht u. dgl. zu nennen. Sie tragen durch ihr lyrisches Gepräge und die in ihnen
sich auflösende alte Versform den Stempel einer jüngern Zeit. - Auch die Prosa zeigt sehr entschieden zwei Abschnitte.
Der ältern Zeit gehört König Älfred (s. Alfred d. Gr.) an und die Werke, die durch ihn entstanden.
Zu nennen sind hier verschiedene Gesetzessammlungen (s. Germanische Volksrechte), die bis ans Ende des 7. Jahrh. zurückreichen
und von Alfred gesammelt, überarbeitet und fortgesetzt wurden (vgl. Reinh. Schmid, Die Gesetze der Angelsachsen, Lpz. 1832;
2., ganz umgearbeitete Aufl., ebd. 1858; Turk, The Legal Code of Aelfred the Great, Diss., ebd. 1889).
Die vier Hauptwerke des Königs sind Bearbeitungen von Gregors «Cura Pastoralis» (hg. vonSweet, 2 Bde., Lond. 1871-72),
Orosius' «Weltgeschichte» (hg. vonSweet, Lond. 1883) und von des Boethius «Consolatio philosophiae»; auch
eine Übertragung der «Soliloquia» des Augustin ist ihm wohl zuzuschreiben. Auf seine Veranlassung übertrug Bischof Werferth
die Dialoge Gregors d. Gr. Die jüngere Prosa ist vorzugsweise durch AbtÄlfric (s. d.) von Ensham und Wulfstan, Erzbischof
von York (1002-23), vertreten, die in der zweiten Hälfte des 10. und ersten des 11. Jahrh.
lebten. Ersterer war ein sehr fruchtbarer Übersetzer und Bearbeiter.
Von ihm haben wir Predigtsammlungen, Heiligenleben, eine Grammatik des Lateinischen, Übersetzungen von Büchern des Alten Testaments,
von Werken Bedas, eine Menge Traktateu. dgl. Äußerlich unterscheidet sich seine Prosa wesentlich von der Älfreds, da er
liebt, ihr einen gewissen Rhythmus zu geben. Wulfstan werden viele Predigten zugeschrieben, mit Sicherheit aber nur wenige
(vgl. Napier, über die Werke Wulfstans, Weim. 1882). Außerdem besitzen
wir Übersetzungen des NeuenTestaments in westsächs., des Matthäus-Evangeliums in northumbrischer (interlinear) und in mercischer
Mundart; für die kentische ist eine metrische Bearbeitung des 50. Psalms zu beanspruchen (vgl.
The holy gospels in Anglo-Saxon, Northumbrian and Old Mercian versions, newly edited by Skeat, Cambr.
1890). Von der bei den Angelsachsen sehr beliebten Spruch- und Rätselpoesie zeugen noch einige Sammlungen in angelsächs.
und lat. Sprache, daneben auch einige Reste in Prosaform.
Die romanartige Erzählung ist vertreten in der Geschichte des Apollonius (s. d.) von Tyrus, in: Briefe
von Alexander an Aristoteles u. a. Auch astron. Werke, wie «Anglo-Saxon
manual of astronomy» (hg. von Wright und von Cockayne) oder Byrhtferths «Handboc»
(hg. von Kluge, «Anglia» VIII, Halle
[* 10] 1885) und Übersetzungen von lateinischen mediz.
Schriften (eine Sammlung davon
gab Cockayne in den «Rerum Brittanaricum medii aevi scriptores», 3 Bde.,
Lond. 1864-66 heraus) beweisen, daß diese Wissenschaften den Angelsachsen wohlbekannt waren. Auskunft über die Ausgaben der
angelsächs. Werke giebt Wright, «Biographia
Britannica litteraria», Bd. 1 (Lond.
1842),
einen Überblick der litterar-histor. Fragen und eine genaue Bibliographie R. Wülker, «Grundriß
zur Geschichte der angelsächs. Litteratur» (Lpz. 1885).
Vgl. ten Brink, Geschichte der engl. Litteratur, I (Berl. 1877);
Ebert, Allgemeine Geschichte der Litteratur des Mittelalters
im Abendlande, III (Lpz. 1887);
Brooke, The history of early English literature (2 Bde.,
Lond. 1892).
Den Deutschen wurde die angelsächs. Poesie großenteils zugänglich gemacht durch die «Bibliothek der angelsächs.
Poesie», hg. von Grein (2 Bde., Gött. 1857-58),
neu bearbeitet von Wülker (1,Cass. 1883; II, 1, ebd. 1888) und durch des erstern «Dichtungen der Angelsachsen, stabreimend
übersetzt» (2 Bde., Gött.
1857-59); auch veröffentlichte Grein einen «Sprachschatz der angelsächs.
Dichter» (Bd. 3 u. 4 der «Bibliothek der angelsächs. Poesie», Gött. 1861-64),
sowie eine «Bibliothek der
angelsächs. Prosa» (I,Cass. u. Gött. 1872), fortgesetzt von Wülker (II von Angelsächsische Schröer,Cass. 1885-88; III von Aßmann,
ebd. 1889). Aus der Übergangszeit sind verschiedene Heiligenleben vorhanden, z. B. das Leben
der Margarete, Juliane u. a., die Cockayne für die Early English TextSociety herausgab, verschiedene
Homilien und Predigten (von Morris und Cockayne für dieselbe veröffentlicht). Das wichtigste poet. Denkmal dieser Zeit ist
die Übertragung des altfranz. «Brut, or chronicle of Britain» durch den Priester Layamon um 1200 (hg. von Madden, 3 Bde.,
Lond. 1847). Eine Spruchsammlung, Alfred d. Gr. zugeschrieben (am besten hg. von Morris für die Early
English TextSociety, No. 49),
und «An old English poem of the owl and the nightingale» (hg. von Stratmann,
Kref. 1868) bezeugen, daß auch die Didaktik blühte. Das hervorragendste Prosadenkmal dieser
Zeit ist «Ancren Riwle» (eine Regel für Nonnen, hg. von Morton, «Publications
of the CamdenSociety», Lond. 1852). Von Bedeutung sind auch eine Bearbeitung der «Regula
Benedicti» (hg. von Schröer, Halle 1888) und der Traktat «Vices and Virtues» (hg. von Holthausen für die Early English
TextSociety, 1888). Aus dem nordöstl. England ist eine Paraphrase des NeuenTestaments erhalten, von Orm (oder Ormin)
gedichtet, deshalb «Ormulum» genannt. Sie ist, obgleich der größte Teil verloren ging, noch sehr umfangreich, zeigt die
angelsächs. Formen schon recht abgeschliffen und führt so zur nächsten Periode, zum Alt- oder Mittelenglischen, über.