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Fron-249 dienst herbeizuziehen und die Todesstrafe zu verfügen, ausdrücklich zugesichert zu erhalten. Als der Krimkrieg gegen Rußland ausbrach, stellte er der Pforte ein Korps von 15000 Mann sowie die ägypt. Flotte zur Verfügung. Abbas fand seinen Tod wahrscheinlich durch Meuchelmord. Ihm folgte unter Bestätigung der Pforte Saïd Pascha (s. d.), ein Sohn Mehemed Alis. Dieser, ein europäisch gebildeter Mann, behielt zwar die von seinem Vater eingeführte Landesverwaltung bei, war aber bemüht, die Lasten des Volks erträglicher zu machen. Er gab den Fellahs das Recht der freien Verfügung über Anbau und Ernte [* 2] und verwandelte die Naturalleistung in Geldsteuer. Im März 1857 unternahm er mit 5000 Mann eine Expedition nach dem Sudan, wo er Leben, Freiheit und Vermögen der Bevölkerung [* 3] unter seinen Schutz stellte.
Ebenso schaffte er in Ä. die Sklaverei und den Sklavenhandel ab, welche Verordnung freilich selbst heute noch nicht zur vollen Durchführung gekommen ist. Die von Abbas begonnene Eisenbahn vom Mittelmeere nach Kairo [* 4] vollendete er und führte sie weiter nach Sues, welche Strecke übrigens 1868 wieder eingegangen ist. Im Finanzwesen führte er eine Kontrolle ein; auch trennte er seine persönlichen Ausgaben von den Staatsausgaben. Dem franz. Einflusse vor allem zugänglich, gab Saïd dem Franzosen Lesseps die Erlaubnis zur Ausführung des Sueskanals, wiewohl die Pforte auf Englands Betrieb ihre Zustimmung verweigerte.
Saïd Pascha starb ihm folgte in der Regierung sein Neffe Ismaïl Pascha. Dieser suchte zunächst mit Eifer die Entwicklung des Landbaues (Baumwollkultur) und des Handels Ä.s zu fördern. In betreff der Sueskanal-Angelegenheit richtete die Pforte an Frankreich und England eine Note, in der die Fortsetzung des Kanalbaues an folgende Bedingungen geknüpft wurde: Neutralitätsgarantien für den Kanal; [* 5] Einstellung der Zwangsarbeit und Rückgabe der weiten Ländereien, die sich die Compagnie angeeignet und damit der Jurisdiktion Ä.s und der Pforte entzogen hatte.
Nachdem die Verhandlungen zwischen Lesseps und Ismaïl Pascha über diese Punkte gescheitert waren, rief letzterer die Vermittelung des Kaisers Napoleon III. an, der die Angelegenheit einer Kommission überwies und dann im Aug. 1864 mit einer Entscheidung hervortrat, welche die Forderungen der Pforte auf Kosten Ä.s erfüllte. Um die großen Geldopfer aufbringen zu können, berief Ismaïl Pascha im Nov. 1866 eine aus 75 auf 3 Jahre gewählten Volksvertretern bestehende Versammlung, welche durch ihre Zustimmung der Erhöhung der Steuerlast, der Regelung der Frondienste und Durchführung der sog. Justizreform, d. h. Beseitigung der Kapitulationen (s. d.), dem Auslande gegenüber eine nationale Sanktion geben sollte.
Durch große Geldopfer erlangte er im Mai 1866 von der Pforte eine Änderung der Thronfolgeordnung in dem Sinne, daß statt der bisherigen Seniorats-Erbfolge in Ä. die direkte Linearfolge (vom Vater auf den Sohn) eingeführt wurde; auch setzte er es 1867 bei der Pforte durch, daß der Herrscher Ä.s nicht mehr bloß Wali, d. i. Statthalter, sondern Chediv, betitelt wurde. Die fortgesetzten Rüstungen [* 6] Ismaïl Paschas und dessen Besuche an den europ. Höfen erregten jedoch bei der Pforte den Argwohn, daß derselbe die vollständige Unabhängigkeit Ä.s von der Türkei [* 7] anstrebe.
Beeinflußt von den Brüdern Ismaïls, die sich in ihrem Erbfolgerechte beeinträchtigt sahen, verlangte die Pforte als Beweis seiner Treue Reduktion seines Heers auf 30000 Mann und Auslieferung sämtlicher Panzerschiffe [* 8] und Zündnadelgewehre; ferner wurde ihm untersagt, ohne Zustimmung des Sultans neue Steuern zu erheben oder Anleihen aufzunehmen, und geboten, sich jedes selbständigen Verkehrs mit dem Auslande zu enthalten. Die feierliche Eröffnung des Sueskanals 16. bis in Gegenwart vieler europ. Fürsten ließ die Sache vorläufig noch nicht zu einem Bruche kommen.
Durch Vermittelung Englands und Frankreichs kam vielmehr eine Einigung dahin zu stande, daß der Chediv dem Verlangen der Türkei in Betreff der Reduktion des Heers, der Anleihen, der Steuern und der selbständigen diplomat. Vertretung nachkommen zu wollen erklärte. Konzessionen, die Ismaïl bald darauf durch abermalige Unterhandlungen Nubar Paschas zu erlangen suchte, verweigerte die Pforte; auch ließ sie im Mai 1870 erklären, daß die beabsichtigte Anleihe Ä.s keine staatsrechtliche Gültigkeit haben würde.
Eine Linderung der Beziehungen der Türkei zu Ä. trat jedoch durch den erfolgten Tod des Großwesirs Aali Pascha ein, der der heftigste Gegner Ismaïls gewesen war. Aalis Nachfolger Mahmud Pascha begünstigte die Pläne Ä.s. Am setzte es Ismail durch, daß der Sultan dem Entwurf einer neuen Gerichtsverfassung, der von einer 1869 in Kairo versammelten internationalen Kommission vorgeschlagen war, seine Genehmigung erteilte. Durch große Geldgeschenke und glänzende Festlichkeiten gelang es ihm, einen neuen Ferman vom Sultan zu erhalten, durch den die frühern Specialfermans ihrem wesentlichen Inhalte nach zusammengefaßt und bestätigt wurden.
Damit wurde ihm das Recht der Linearsuccession und das erbliche Kaimakamat von Suakin und Massaua [* 9] nebst Dependenzen zu teil. Im Fall keine männlichen Nachkommen vorhanden wären, sollte die vicekönigl. Würde nach dem Princip der Linearerbfolge an den nächsten männlichen Seitenverwandten fallen. Auf männliche Kinder in der weiblichen Descendenz findet diese Regel keine Anwendung. Bei etwaiger Minderjährigkeit des Nachfolgers kann der Chediv einen Vormund bestellen, den die türk. Regierung anzuerkennen hat.
Falls keine testamentarische Bestimmung vorhanden ist, soll ein Vormundschaftsrat eingesetzt werden, der aus sämtlichen Ministern und dem Oberbefehlshaber Ä.s besteht und in dem der Minister des Innern den Vorsitz führt. Der von dem Vormundschaftsrate zu wählende Vormund bedarf jedoch der Bestätigung der Pforte. Mit dem 18. Jahre tritt für den neuen Chediv die Großjährigkeit ein. Außerdem enthielt der Ferman noch folgende Zugeständnisse: vollständige Unabhängigkeit in Bezug auf Verwaltung und Justiz;
das Recht, Verträge (doch keine politischen und Staatsverträge) mit fremden Mächten abzuschließen;
das Münzrecht (jedoch mit kaiserl. Namenszug) und die Befugnis, Anleihen aufzunehmen.
Auch in Bezug auf Vermehrung oder Verminderung der ägypt. Armee sind ihm keine Schranken gezogen. Indes hat der Chediv das Recht der Rangerhöhung nur bis zum Oberst. Die ägypt. Truppen führen die Fahnen des türk. Reichs. Für diese weitgehenden Rechte und als Beweis, daß der Chediv die Oberhoheit des Sultans anerkennt, muß derselbe an die Pforte einen jährlichen Tribut von 150000 Beuteln (3 Mill. M.) zahlen. Dieser Ferman war für die weitere Entwicklung des Landes von hoher Wichtigkeit. ¶
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250 Wie im Innern, so suchte Ismaïl auch nach außen seine Macht zu erweitern. Als der Sultan von Darfur in die ägypt. Provinz Kordofan eingefallen war, um Sklaven einzufangen, rückten ägypt. Truppen in sein Land ein, schlugen den Feind und besetzten Darfur, dessen Annexion der Chediv aussprach. Weniger glücklich waren seine Waffen in Abessinien. Schon im Juli 1872 war der Schweizer Munzinger, Gouverneur von Massaua, in den nördl. Teil des Landes eingedrungen und hatte denselben unterworfen; 1875 besetzten dann ägypt. Truppen die Stadt und Landschaft Harrar; aber eine andere Abteilung, die in das Innere von Abessinien vordrang, wurde vom König Johannes bei Gundet geschlagen, und ein neues Heer, das 1876 unter Hassan Pascha, einem Sohne des Chediv, anrückte, geriet in abessin. Gefangenschaft.
Bei Gura aufs neue geschlagen, verloren die Ägypter ihr sämtliches Geschütz und mußten selbst für Massaua fürchten. Doch wurde König Johannes durch in Abessinien selbst ausgebrochene Unruhen abgerufen, so daß 1877 zwischen Ä. und Abessinien ein Friedensvertrag zu stande kam. Inzwischen waren in Kairo die Verhandlungen mit den europ. Mächten über Errichtung der internationalen, aus europ. und muselman. Richtern zusammengesetzten Gerichtshöfe zum Abschluß gekommen. Dieselben traten 1875 an die Stelle der bisherigen Konsulargerichtsbarkeit und hatten die Streitigkeiten der Einheimischen mit den Fremden und letzterer unter sich zu entscheiden. Der oberste Gerichtshof war in Alexandria. Seinen Vasallenpflichten gegen den Sultan bei Ausbruch des Russisch-Türkischen Kriegs 1877 genügte Ismaïl durch Absendung von 6000 Mann unter Hassan Pascha.
Aber diese kriegerischen Verwicklungen, ferner der zur Auswirkung günstiger Fermane notwendige Aufwand von Bestechungsgeldern und die Verschwendung des Chediv brachten diesen in die größte finanzielle Bedrängnis. Um den augenblicklichen Verlegenheiten zu entgehen, verkaufte er die noch in seinen Händen befindlichen 176602 Sueskanal-Aktien um 4 Mill. Pfd. St. an England. Zugleich erbat er sich von der engl. Regierung einen tüchtigen Finanzmann, der die ägypt. Finanzen einer genauen Prüfung unterwerfen sollte.
Der zu diesem Zweck abgesandte Generalzahlmeister Cave fand zwar die Steuerfähigkeit des Landes bedeutend, aber die Schuldenlast nur bei geregelter Verwaltung erträglich. Im April 1876 wurde für die Staatsschuld und die Privatschuld des Chediv die Ausbezahlung der Zinsen auf ein Vierteljahr suspendiert und angeordnet, daß eine Staatsschuldentilgungskasse mit ausländischen Kommissaren errichtet werden sollte. Der Ausspruch des europ. Gerichtshofs in Alexandria, daß der Chediv zur Bezahlung seiner Schuld verpflichtet sei, und die infolgedessen über den vicekönigl.
Palast in Ramleh verhängte Sequestration rief einen Konflikt hervor. Der Chediv verbot die Ausführung des Beschlusses. Der thatsächliche Bankrott war bereits da; die Beamten erhielten keinen Gehalt, die Lieferanten nicht den Betrag ihrer Rechnungen, die Jahressteuern wurden zweimal erhoben. Die engl.-franz. Kommission, mit der Prüfung der Finanzverhältnisse beauftragt, verlangte in ihrem Bericht, daß der Chediv seinen ungeheuern Grundbesitz an den Staat zurückgeben, keine Steuern ohne Gesetz auferlegen und die gesetzgeberischen Gewalten, die zu Steuerauflagen allein ermächtigen, den Fremden wie den Eingeborenen zugänglich machen solle.
Sowohl der Chediv wie sämtliche Prinzen und Prinzessinnen traten 1878 den größten Teil ihrer Güter an den Staat ab. Zugleich schuf Nubar Pascha ein halb europ. Kabinett, in dem der Engländer Wilson die Finanzen und der Franzose de Blignières die öffentlichen Arbeiten übernahm. Alle Steuereinnehmer wurden angewiesen, nur den Befehlen des Ministeriums zu gehorchen. Ein vollständiger Systemwechsel hatte sich vollzogen. Aber der an schrankenlose Willkürherrschaft gewöhnte Chediv konnte die Abhängigkeit vom Ministerrat nicht lange ertragen.
Ein Soldatenaufstand in Kairo sollte das Ministerium zum Rücktritt nötigen. Aber nur Nubar nahm seine Entlassung, die Fremden nicht. Sie traten auf die Weisung ihrer Regierungen auch in das neue Kabinett ein, an dessen Spitze der Erbprinz Tewfik stand. Da erklärte 7. April der Chediv, Vertreter der Geistlichkeit, des Adels und der obern Beamten hätten zwar den Entwurf einer Neuordnung des ägypt. Finanzwesens ausgearbeitet, aber dessen Ausführung erfordere die Entfernung der fremden Minister.
Damit sandte er Wilson und Blignières ihre Entlassung zu und bildete ein neues Ministerium, dessen Präsidium Scherif Pascha übernahm. Da aber jene ohne Ermächtigung ihrer Regierungen ihre Posten nicht verlassen wollten, so kam Ismaïl in ernsthaften Konflikt mit England und Frankreich. Überraschend für diese und für den Chediv kam die Protestnote der deutschen Reichsregierung vom gegen das Dekret vom 22. April, durch das der Chediv seine in den Anleihen eingegangenen Verpflichtungen einseitig zu modifizieren versucht hatte. Diesem Protest schlossen sich sämtliche Großmächte an. Auf deren Drängen wurde Ismaïl vom Sultan abgesetzt und sein ältester Sohn Tewfik (geb. 1852) zum Chediv ernannt.
Dem Bestreben der Pforte, diesen Wechsel in der Person des Chediv zur Aufhebung der Irade vom zu benutzen und die damit erteilten Konzessionen zurückzunehmen, widersetzten sich England und Frankreich und gestatteten im Interesse der Finanzen nur die im Investiturberat vom ausgesprochene Abänderung, daß der Chediv ohne Genehmigung der Pforte und der Gläubiger keine neue Anleihe aufnehmen und daß die Stärke [* 11] der ägypt. Armee in Friedenszeiten nur 18000 Mann betragen dürfe.
Der neue Chediv setzte im Sept. 1879 ein neues Ministerium ein unter dem Präsidium Riaz Paschas. Wilson und Blignières
traten in Rücksicht auf das Nationalgefühl der Mohammedaner nicht in dasselbe ein; es wurde der Ausweg getroffen, daß
Blignieres und der Engländer Baring als Finanzkontrolleure
angestellt wurden mit der Ermächtigung, Untersuchungen
in der Finanzverwaltung vorzunehmen und dem Ministerrat mit beratender Stimme beizuwohnen. Zunächst verlangten sie vom Ministerium
die Ausarbeitung des Budgets von 1880, damit man ersehe, welche Summen zur Verteilung unter die Gläubiger der konsolidierten
Schuld verfügbar seien.
Tewfik unterzeichnete ein das neue Budget genehmigendes Dekret. In diesem waren die Einnahmen auf 8561622, die Verwaltungsausgaben und der an die Pforte zu zahlende Tribut, der 681000 Pfd. (15 Mill. M.) beträgt, auf 4323030 ägypt. Pfd. veranschlagt und bestimmt, daß der Überschuß von 4238592 Pfd. St. zur Verzinsung und Verminderung der öffentlichen Schuld verwandt werden solle. Zur Regelung dieser Schuld und zur Feststellung derjenigen Mittel, durch welche dieselbe ¶