247 hatten sie frühzeitig exakte Kenntnisse, mit deren Hilfe
Eratosthenes später seine großen Erdmessungen unternahm. Die
Feldmessung nahm ihren Anfang in Ä., veranlaßt durch die jährlichen
Überschwemmungen des
Nils, welche die Grenzen
[* 2] der Ländereien
veränderten und verwischten. Eine besondere Pflege haben die Ägypter der
Medizin gewidmet und in ihr wohl
auch große praktische Erfolge erzielt, obwohl ihre anatom. Kenntnisse, soweit man sehen kann,
gering waren
und sie sich bei der Anwendung der
Rezepte nie von dem
Aberglauben und dem damit verbundenen Beschwörungswesen
frei gemacht haben. Uns sind mehrere ägyptische mediz.
Bücher überkommen; das bekannteste ist das große auf Papyrus geschriebene
Rezeptbuch, das den
Namen von
Georg Ebers trägt und auch von diesem herausgegeben worden ist. Eine von Joachim besorgte
Übersetzung
dieses Papyrus (Berl. 1891) bedarf durchweg der Verbesserung.
Die Ägypter hatten nach der spätern griech.
Tradition einen heiligen
Codex von 42 heiligen
Büchern, die von dem Gott Hermes
[* 3] (d. i.
Thoth)
[* 4] selbst herrühren sollten, in welchen alle den Priestern obliegenden Pflichten in
Bezug auf
Wissen und
Handeln enthalten waren (s. HermesTrismegistus). Zu der wissenschaftlichen und religiösen kam noch eine ziemlich
umfangreiche prosaische und poet. Profanlitteratur. Ihr gehören die zahlreichen
Märchen an, für die die alten Ägypter
ebenso wie ihre modernen Nachkommen eine besondere Vorliebe gehabt haben. (Vgl. Maspero, Les contes populairesde l'Égypte ancienne traduits et commentés, 2. Aufl., Par. 1889.) Von
Heldengedichten ist uns nur eins überkommen, und mehr scheint die ägypt. Litteratur auch
nicht besessen zu haben. Es behandelt die große
Schlacht, die Ramses II. den Hethitern bei Kadesch geliefert
hat.
Sein Verfasser ist unbekannt; man hat fälschlich einen gewissen Pentaur (Pentewéret) für den Dichter gehalten; von diesem
rührt aber nur die in einem Schulheft erhaltene
Abschrift des Gedichtes her. Von der poet. Litteratur der Ägypter sind noch
Volkslieder, Liebes- und Trinklieder hervorzuheben. Die Form der ägypt.
Gedichte beruht auf dem
Parallelismus der
Glieder,
[* 5] der auch in der hebr.
Poesie vorherrscht. Gelegentlich kommen Ailitterationen
vor; Reime sind dagegen nicht nachweisbar.
Neuere und neueste Geschichte. Bei der
Teilung des
RömischenReichs 395 n. Chr. fiel Ä. dem Oströmischen oder
ByzantinischenReiche zu, dessen
Verfall es teilte, bis zur Zeit des
Kaisers Heraklius 638 die
Araber unter
Amru, dem Feldherrn
des
Chalifen Omar, das Land eroberten. Die in die Parteien der Kopten
[* 6] oder Jakobiten und der Griechen oder Melchiten gespaltene
Bevölkerung
[* 7] setzte den Eindringlingen kaum
Widerstand entgegen. Das
Christentum mußte vor dem
Islam weichen.
Memphis ebenso wie
Alexandria, das bis dahin Sitz der Gelehrsamkeit und Mittelpunkt des
Handels gewesen,
wurden erobert. Die
Verwaltung des
Landes blieb, wie sie zur Römerzeit gewesen war; nur wechselten zum Schaden des
Landes die
Statthalter während der etwa 100jährigen Herrschaft der Omajjaden häufig. Unter den
Abbasiden gelang es dem
StatthalterAchmed
ibn
Tulun 868, sich von der Oberherrschaft der
Chalifen zu befreien und in Ä. die selbständige Dynastie
der Tuluniden zu gründen.
Als 904
Tuluns Nachkommenschaft erlosch, gründete nach kurzer Zwischenregierung des
Chalifen von
Bagdad 934 ein Emporkömmling,
Achschid, eine neue Dynastie, der
969 Dschauhar, der Feldherr des
ChalifenAl Muizzli din
Allah, ein Ende
machte. Letzterer, aus dem Geschlecht der
Fatimiden stammend, gründete 970
Kairo
[* 8] und machte es zur Hauptstadt. Der letzte
der
Fatimiden, Addad, der den Kreuzfahrern unter
Guido von Lusignan eine Million Zechinen zahlen mußte, bat Nureddin, den
mächtigen Herrscher von
Aleppo in
Syrien, um
Beistand.
Unter der zu Hilfe gesandten
Armee befand sich Salaheddin oder
Saladin, ein Kurde von
Geburt, der den kranken
Chalifen Addad 1171 ermordete und
Ä. in
Besitz nahm.
Saladin erklärte sich für unabhängig, gründete (als Sohn Ejjubs) die
Dynastie der Ejiubiden und stellte in Ä. die Glaubenseinheit wieder her. Darauf entriß
Saladin den Kreuzfahrern ihre wichtigsten
Besitzungen in
Syrien und vereinigte das Land sowie einen
TeilMesopotamiens und
Arabiens mit seiner
Krone.
Nach
SaladinsTode 1193 teilten seine drei
Söhne das
Reich. Einer der Ejiubiden bildete 1230 aus Mingreliern und
Abchasen (also
Kaukasiern) eine
Miliz, die unter dem
Namen der Mamluken (s. d.) für Ä. verhängnisvoll wurde.
Unter der Regierung des El-Melikessalih Ejjub landete
Ludwig IX. von
Frankreich 1249 an der Nilmündung mit 40000 Kriegern,
eroberte
Damiette, wurde aber mit 20000
Christen gefangen und längere Zeit in Mansurah in Haft gehalten. Mit dem Ejjubiden
Turan Schah, der 1250 von dem Anführer der Mamluken ermordet ward, erlosch die Dynastie der Ejjubiden.
Darauf begann die Herrschaft der Mamluken unter selbstgewählten
Sultanen, von denen 47 an Zahl in 263 Jahren folgten. In
dieser Zeit litt das Land wiederholt durch
Pest und Hungersnot; doch blieb es im
BesitzeSyriens.
Selim I.,
Sultan der
Osmanen,
der bei
Aleppo ein Mamlukenheer vernichtet und
Syriens sich bemächtigt hatte, schlug unweit
Kairo im Jan. 1517 ein
zweites
Heer der Mamluken und machte Ä. zu einer türk.
Provinz.
Selim übergab die
Verwaltung der ägypt.
Länder 24
Beis, die
in dem zu
Kairo residierenden Scheich el-Beled ihren Vorgesetzten hatten.
Diese
Beis erhielten ihre direkten
Befehle von einem Regentschaftsrate, der ursprünglich aus den sieben
Chefs der sieben
Armeekorps bestand. Dieser
Diwan besaß die eigentliche Macht, während der von Konstantinnopel gesandte Pascha
nur ein beaufsichtigendes Mittelglied zwischen beiden Gewalten war und vor allem darüber zu wachen hatte, daß der
Tribut
richtig einging. In solcher
Stellung konnte kein Pascha zum
Usurpator werden. Die Mamluken verstanden indes
sich in ihren
Provinzen zu fast souveränen Herren zu machen und den Pascha in Abhängigkeit von sich zu bringen.
Der berühmteste derselben,
Ali Bei, empörte sich 1771 gegen die
Pforte, schlug sowohl seine Nebenbuhler wie auch die türk.
Truppen und ließ sich durch den Scherif von Mekka zum Großsultan von
Ä. und Beherrscher beider
Meere
ernennen, ward aber 1773 von seinem
General und Günstling
AbuDahab ermordet, der sich von der
Türkei
[* 9] als Pascha von Ä. bestätigen
ließ. Nach ihm bemächtigten sich Ibrahim Bei und
Murad Bei der Herrschaft; jener übernahm die innereVerwaltung,
dieser die
Armee; das
Recht der schwachen
Pforte ward nur nominell durch einen Pascha gewahrt. So kam die Mamlukenherrschaft
wieder auf, die das
Volk und die Fremden zugleich bedrückte. Der franz. Konsul Magallon zu
Kairo wandte sich bereits 1795 mit
Beschwerden an die Direktorialregierung der Republik, und dieser Schritt scheint zuerst in
Frankreich¶
mehr
248 den Gedanken an die Eroberung Ä.s erweckt zu haben, den dann GeneralBonaparte 1798 zur Ausführung brachte. (S. Ägyptische Expedition der Franzosen.)
Nach der Kapitulation der Franzosen im Aug. 1801 suchten unter dem Schutze der Engländer die Mamluken oder Beis, wie sie jetzt
genannt wurden, ihre alte Herrschaft wieder geltend zu machen, aber die Pforte wußte dies durch ihre
Militärmacht zu verhindern. Nach der Ermordung des türk. StatthaltersAli Pascha durch die Beis trat 1804 Khosrew Pascha an
dessen Stelle, wurde aber durch Mehemed Ali (s. d.), damals Befehlshaber eines Albanesenkorps zu Kairo, verdrängt. Dieser hatte
sich Einfluß und Ansehen bei der Bevölkerung verschafft, und die Pforte erhob ihn 1806 zum Pascha und
Statthalter von Ä. Damit begann für das Land eine neue Epoche. Um der Unbotmäßigkeit der Mamlukenbeis ein Ende zu
machen, ließ Mehemed Ali dieselben nach Kairo locken und daselbst verräterischerweise durch seine Albanesen großenteils
niedermetzeln.
Der Pascha ward so unbeschränkter Herr des Landes. Die völlige Niederwerfung der in Arabien immer mächtiger auftretenden
Wahhâbiten (s. d.) gelang seinem Sohne Ibrahim Pascha erst nach mehrjährigen Anstrengungen. Während hierdurch ein TeilArabiens
in seine Gewalt fiel, unterwarf sich Mehemed Ali 1820–22 auch die Länder am obern Nil, Nubien, Sennar,
Kordofan. Um dort seine Herrschaft zu befestigen und sich bei günstiger Gelegenheit von der Pforte unabhängig machen zu können,
schuf er nach europ. Muster eine eigene ägypt. Kriegsmacht, der eine ansehnliche Flotte zur Seite trat. Um
die Mittel für diese gewaltige Machtentfaltung zu gewinnen, förderte der Pascha die materielle Kultur
des Landes durch Maßregeln europ. Civilisation, verfolgte aber zugleich gegen seine Unterthanen das rücksichtsloseste Aussaugungs-
und Bedrückungssystem.
Schon bald nach der Ausrottung der Mamluken hatte er das Grundeigentum sämtlicher Moscheen und frommen Stiftungen (Wakuf) sowie
die Besitzungen sämtlicher Erbpächter oder Multezims eingezogen. Auch brachte er den größern Teil des
Grundes und Bodens in seinen Privatbesitz. (S. oben Landwirtschaft.) Während er Landstraßen anlegte und andere große Bauten
ausführte, und die öffentliche Sicherheit außerordentlich erhöhte, schadete er zugleich durch seine monopolistischen
Maßregeln dem Handel mit Arabien und Ostindien.
[* 11]
Die Lehranstalten, die er durch Ausländer gründete, und die Sendung junger Ägypter zur Ausbildung nach
Europa
[* 12] brachten dem Lande ebensowenig Gewinn, wie die Ausarbeitung eines Civilgesetzbuchs nach franz. Muster, die neue Einteilung desLandes, die Einführung von Provinzial- und Centralversammlungen; alles dies diente vorzugsweise zur Durchführung despotischer
Zwecke oder war auf Täuschung des Auslandes berechnet und kam zumeist nur den franz. Projektmachern, die
den Pascha umschwärmten, zu gute.
Im J. 1824 von der Pforte aufgefordert, sich an der Unterwerfung des aufständischen Griechenland
[* 13] zu beteiligen, sandte Mehemed Ali
seinen Sohn Ibrahim mit bedeutender Macht dorthin ab. Nach Beendigung des Kampfes durch die Vernichtung der türk.
Flotte in der Schlacht von Navarin erhielt der Pascha für seine Dienste
[* 14] die Verwaltung der InselKreta;
nichtsdestoweniger versuchte er der PforteSyrien zu entreißen. Zu diesem Zwecke rückte im Dez. 1831 Ibrahim mit 60000 Ägyptern
in Syrien ein, nahm Akka mit Sturm, schlug
wiederholt das türk. Heer und bemächtigte sich in kurzem der ganzen Provinz.
Infolge der Intervention der Mächte sah er sich jedoch zum Frieden von Kutahia genötigt,
durch den er die Statthalterschaft von Syrien erhielt. Der Sultan, den nur die Not des Augenblicks vermocht hatte in dies Abkommen
zu willigen, griff nach schleunig betriebenen Rüstungen
[* 15] von neuem zu den Waffen, um den verhaßten Vasallen
zu demütigen. Jedoch indessen wurde seine Armee bei Nissib geschlagen und drei Wochen später ging auch seine
Flotte zum Feinde über.
Jetzt schien Mehemed Ali am Ziele seiner Bestrebungen; als England, Rußland, Preußen
[* 16] und Österreich
[* 17] sich zum Schutz
der Pforte verbanden. Die dem Pascha günstige Politik Frankreichs bedrohte Europa mit einem allgemeinen
Kriege, ließ aber, als ein Geschwader der Verbündeten die syr. Küste angriff, den Pascha im Stich, welcher nunmehr seine Truppen
aus Syrien zurückzog und sich dem Sultan unterwarf. Durch einen von den fünf Großmächten garantierten Hatt-i-Scherif vom
der durch Fennan vom zu Gunsten des Paschas modifiziert wurde, ward das Verhältnis des Lehnsstaates
Ä. zur Pforte neu geregelt. Hiernach sollte den männlichen Nachkommen MehemedAlis nach dem Rechte der Erstgeburt die erbliche
Herrschaft über Ä. und die Besitzungen am obern Nil verbleiben. Die Grundgesetze des türk. Reichs sowie
die Verträge der Pforte mit auswärtigen Mächten sollten auch für Ä. ihre Geltung haben, die Verwaltungsgesetze des Landes
sich denen des übrigen Reichs anschließen und das ägypt. Heer auf 18000 Mann herabgesetzt werden.
Von nun an richtete sich die SorgeMehemedAlis einzig auf die Hebung der innern Hilfsquellen des durch die
Kriegsleistungen zerrütteten Landes, um die Mittel für künftige Unternehmungen zu gewinnen. Nur mit Widerwillen verstand
er sich auf Drängen der Pforte 1842 zur Aufhebung des Monopolsystems und zur Herabsetzung der Ausfuhrzölle. Um die Mittel
zur Entwicklung der Bodenproduktion und der Steuerfähigkeit des Landes zu beraten, versammelte er den
schon 1829 geschaffenen und aus den Beamten der Provinzen, Bezirke und Gemeinden zusammengesetzten Centralrat, den er aber sofort
wieder entließ.
Aufgebracht über die elenden Zustände, zog er sich von der Regierung zurück, nahm jedoch im Sommer 1844 die Staatsleitung
wieder auf und beschäftigte sich mit Anlegung eines großen Nildammes und mit Plänen zur Durchstechung
des Isthmus von Sues. Indes verfiel der ruhelose Greis allmählich in Geisteszerrüttung; er starb nachdem er noch
durchgesetzt hatte, daß die Pforte im Juli 1848 seinen ältesten Sohn Ibrahim Pascha (s. d.) als Nachfolger
bestätigte.
Doch Ibrahim starb vor seinem Vater, und Abbas Pascha (s. d.), ein Enkel MehemedAlis, ward von
der Pforte als rechtmäßiger Regent anerkannt. Dieser hob die drückendsten Steuermaßregeln und die Monopole auf, reduzierte
Heer und Flotte und entließ die Fremden aus Haß gegen die europ. Civilisation. Die Pforte befahl ihm im Febr. 1851 die sofortige
Einführung der Tansimat (s. d.), fügte außerdem noch andere Forderungen hinzu, wodurch
Ä. wieder zu einer von der Türkei ganz abhängigen Provinz gemacht werden sollte; doch wußte Abbas Pascha diese Zumutungen
durch Geldspenden an die Pforte zu mildern, ja es gelang ihm sogar, das Recht, die Ägypter zum
¶