236 Religionsverhältnisse. Seit den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung bekennen sich die Kopten
[* 2] zum
Christentum; sie
haben dem Mohammedanismus fest widerstanden und sich jedem fremden Einfluß fern gehalten. Auch für die Missionsbestrebungen
sind sie nur schwer zugänglich; doch hat sich z.B. in Khoos bei
Kenneh die ganze dortige Koptengemeinde mit ihrem
Priester für das evang.
Christentum erklärt. In
Siut hat die amerik. Mission seit 1865 ein Predigerseminar mit 15
Zöglingen.
Von den alten christl.
Klöstern, die seit dem 5., ja 4. Jahrh. bestehen sollen, sind außer den
Klöstern an den Natronseen
nur noch das des heil.
Antonius, das des heil.Johannes und das des heil.
Paulus zwischen
Nil und Rotem
Meere
vorhanden. Die Kopten (s. d.) haben 12
Bischöfe, die aus der Klostergeistlichkeit genommen werden, außerdem als Weltgeistliche
Erzpriester, Priester und Diakonen, denen zu heiraten erlaubt ist. Auch der an der
Spitze der abessin.
Kirche stehende
Abuna-Salâmah,
d. i.
Vater des Friedens, zu
Gondar wird von dem
Patriarchen der kopt.
Kirche ernannt und geweiht. Im Patriarchatsgebäude
zu
Kairo
[* 3] und im
Kloster St. Saba zu
Alexandria befinden sich reichhaltige kopt.
Bibliotheken.
Aus der ältesten christl. Zeit (585) ist nur noch die der Maria geweihte kopt.
Kirche in Altkairo vorhanden. Nahe bei ihr steht auch die älteste Moschee
Ä.s, die Amrumoschee, aus der
ersten Hälfte des 7. Jahrh.
Armenische Gemeinden giebt es in
Alexandria und
Kairo mit 1627 Mitgliedern; ihr
Bischof wohnt in
Kairo; außerdem etwa 60000
Anhänger der griech.
Kirche. Auch
Maroniten finden sich, die aber, gleich ihrer Stammkirche im Libanon,
den Papst als ihr Oberhaupt anerkennen.
Röm. Katholiken zählt man in fast allen größern Orten, im ganzen 57389; in
Kairo und
Alexandria besitzen sie je zwei
Kirchen,
in
Alexandria die Kathedralkirche zu St.
Katharina und die der Lazaristen, in
Kairo die der Schwestern vom Guten Hirten und
eine größere Gemeindekirche; außerdem Kapellen in
Ramleh, Altkairo, Ismailia,
Sues u.s.w.
Alexandria
ist Sitz eines apostolischen Delegaten des
HeiligenStuhls für die lat.
Christen in
Ä. und
Arabien, der den
Titel eines Erzbischofs
von Irenopolis
in partibus infidelium führt.
Alexandria besitzt eine anglikanische und eine seit 1866 auch eine deutsche prot.
Kirche, die in ganz Ä. 4536
Anhänger zählt. In
Kairo befinden sich je eine deutsche und eine engl.-evang.
Kirche. Seit 1858 besteht auch ein allen Konfessionen
[* 4] geöffnetes Diakonissenhospital in
Alexandria, seit 1880 ein solches
auch in
Kairo.
A.Geschichte und Kultur des alten
Ägyptens. I.AbstammungundSprache
[* 5] desVolks. Das
Volk, das
seit den ältesten histor.
Zeiten Ä. bewohnte, betrachtete sich als ureingesessen und nannte sich, im Gegensatz zu den umwohnenden
Barbaren, kurzweg rômet,«Menschen».
Über seine ethnogr. Zugehörigkeit sind die Meinungen geteilt. Die Ethnographen rechnen
die Ägypter auf
Grund ihres Körperbaues zu den
Negern und meinen, daß ein allmählicher Übergang vom
Ägypter zum Sudanneger sich nachweisen lasse.
Die
Philologen hingegen nehmen auf
Grund der
Sprachverwandtschaft an, daß eine
Trennung der Ägypter von den Semiten unmöglich
sei und daß die Ägypter ebenso wie die ihnen sprachlich verwandten Berberstämme und gewisse
Völker Nordostafrikas
(Bischarin,
Galla,
Somal) in vorhistor.
Zeiten aus
Asien
[* 6] nachAfrika
[* 7] in
ihre jetzige
Heimat eingewandert seien. Vorausgesetzt,
daß die Ethnologen mit ihrer Behauptung recht haben, liegen die Verhältnisse für Ä. vielleicht so, daß das Land in vorhistor.
Zeit eine reine Negerbevölkerung mit eigener
Sprache gehabt hat. Ein semit.
Stamm ist dann nach Ä. eingedrungen, hat sich
das Land unterjocht und der unterworfenen
Bevölkerung
[* 8] seine
Sprache aufgedrängt. In der
Bibel
[* 9]
(1 Mos.
10). wird Ä.
(Misraim) als Sohn Hams neben Kusch, Put und Kanaan angeführt, und infolgedessen hat man sich vielfach daran
gewöhnt, die Ägypter zu den «Hamiten» zu zählen.
Auf den Denkmälern werden die Ägypter streng von ihren Nachbarn, den im
Süden wohnenden
Negern, den
westl. Libyern und den östl. Asiaten geschieden. Der größtenteils
unbekleidete männliche Körper ist kräftig, hoch und ebenmäßig gewachsen; jedoch sind die
Beine eher dünn zu nennen;
die Füße sind groß. Die Hautfarbe der
Männer ist auf den Denkmälern regelmäßig rotbraun, die der Frauen hellbraun oder
gelb. Es kommt dies daher, daß die
Männer meist bis auf einen Lendenschurz nackt gingen und bei ihrer Thätigkeit im
Freien
mehr dem
Sonnenbrande ausgesetzt waren als die Frauen.
Die
Sprache der alten Ägypter steht in einem verwandtschaftlichen Verhältnisse zu den semit.
SprachenVorderasiens und zu
einer Gruppe vonSprachenOst- und Nordafrikas, zu denen die
Sprachen der
Bischarin,
Galla,
Somal sowie die
libyschen (berberischen) Dialekte gehören. Man faßt alle diese
Sprachen unter dem
Namen des ägypto-semitischenSprachstammes
(nach den beiden wichtigsten Sprachgruppen) zusammen. Die ägypt.
Sprache, deren Schriftdenkmäler
bis in den Anfang des 3. vorchristl.
Jahrtausends zurückreichen, erhielt sich unter dem
Namen der koptischen auch in der christl. Zeit, obgleich
während der Ptolemäerherrschaft und schon früher die griech.
Sprache neben der einheimischen aufgekommen und namentlich
in
Alexandria und Memphis zu großer
Verbreitung gelangt war. Mit der arab. Eroberung des
Landes und dem Einströmen arab. Einwanderer
erhielt die arab.Sprache immer allgemeinere Geltung und ist jetzt die herrschende; doch erhielt sich
die kopt.
Sprache bis ins 11. Jahrh. fast im ganzen
Lande, dauerte in Oberägypten noch bis ins 15. Jahrh., um erst im 17. ganz
zu erlöschen.
1)Allgemeines. Jede Betrachtung der ägypt.
Civilisation gewinnt ihr höchstes Interesse durch den Umstand,
daß sie in
Zeiten zurückführt, die man früher jenseit aller geschichtlichen Ereignisse gelegen glaubte. Die Feststellung
dieser zeitlichen Verhältnisse wird daher mit
Recht für eins der wichtigsten Probleme der neuern Wissenschaft überhaupt
gehalten. Zur
Erhaltung der ägypt. Geschichtsdenkmäler trug hauptsächlich das eigentümlich konservierende
Klima
[* 10] desLandes bei, das namentlich in den jeder Feuchtigkeit unzugänglichen Gräbern der Wüste alle
Stoffe, vegetabilische und animalische, für Jahrtausende erhielt und auch die oberirdischen
Gebäude mit ihren
Darstellungen
nicht selten sogar in ihrem ursprünglichen Farbenschmucke unversehrt bewahrte.
2)Chronologie. Ebensowenig wie irgend ein anderes
Volk des
Altertums besaßen die Ägypter eine bestimmte
Zeitrechnung. Die
Ära des Hyksoskönigs Nubti, die man bis vor kurzem für eine solche hielt, hat sich durch die neuern Forschungen
als ein
Irrtum herausgestellt. Die Ägypter datierten
¶
mehr
237 lediglich nach den Regierungsjahren der herrschenden Könige. Zur Feststellung einer genauen Chronologie wäre deshalb
ein vollständiges Verzeichnis sämtlicher Regenten mit sorgfältiger Angabe der Regierungsjahre erforderlich. Von solchen
Verzeichnissen ist uns jedoch nur eins und auch dieses nur in Bruchstücken überkommen. Ein Papyrus (jetzt im Museum von
Turin),
[* 12] der wahrscheinlich aus der Zeit Ramses' III. stammt (veröffentlicht von Wilkinson, «Fragmentsof the hieratic papyrus ofTurin», 1851; Lepsius, «Auswahl ägypt.
Urkunden», Taf. 3–6), enthielt eine vollständige Liste der ägypt.
Könige von den ältesten Zeitenbis in die Hyksoszeit. Er umfaßte etwa 220 Könige, die in Dynastien eingeteilt sind, mit
Angabe ihrer Regierungsdauer. Ein Teil der Lücken dieses sog. «Königspapyrus» läßt
sich durch Listen ägypt. Könige, die in Gräbern oder Tempeln erhalten geblieben sind, ergänzen. Die wichtigsten dieser
Listen sind:
a. die Königstafel von Karnak, ein im Tempel
[* 13] von Karnak gefundenes, jetzt in Paris
[* 14] befindliches Relief aus der 18. Dynastie,
auf dem König Thutmosis III. dargestellt ist, wie er 61 seiner Vorfahren, die sämtlich mit Namen genannt
sind, aber ohne genaue zeitliche Ordnung einander folgen, das Totenopfer darbringt (hg. u. a.
von Lepsius, «Auswahl der wichtigsten Urkunden des ägypt. Altertums», Lpz. 1842, Taf. 1). – b. Die Königstafel von
Abydos, ein Relief im Sethostempel von Abydos, das den König Sethos I. mit seinem Sohne, dem Thronfolger
Ramses, zeigt, wie sie zu 76 ägypt. Herrschern beten, die in chronol.
Folge namentlich aufgeführt sind (von Menes bis Sethos, hg. u. a. von Mariette, «Abydos I», Taf. 43). – c. Die Königstafel
von Sakkara, die im Grabe eines Privatmannes, der unter Ramses II. lebte, gefunden worden ist und jetzt
im Museum von Giseh aufbewahrt wird. Sie zählt 52 ägypt. Könige auf, die der Verstorbene anbetet (veröffentlicht
von Mariette, «Monuments divers», Taf. 58). Ferner
kommt noch das in griech. Sprache geschriebene Geschichtswerk des ägypt. Priesters Manetho (s. d.)
aus Sebennytos (in Unterägypten), das um 270 v. Chr. verfaßt ist, in Betracht. Es ist nur in Bruchstücken und Auszügen
überliefert, die sich in den Werken einiger jüd. und christl.
Gelehrten, des Josephus (in dessen Schrift gegen Apion), Julius Africanus und Eusebius finden.
Die Auszüge der beiden letztgenannten, welche Dynastien- und Königslisten mit Angabe der Dauer der einzelnen
Regierungen und mit zahlreichen kurzen histor. Bemerkungen enthalten, sind wiederum nur in andern Büchern, in der Chronologie
des Synkellos, die 792 n. Chr. verfaßt ist, und in dem lat.
Machwerke eines mittelalterlichen Schriftstellers, den «ExcerptaBarbari», erhalten. Beide weichen, namentlich in den Zeitangaben,
oft wesentlich voneinander ab; es erklärt sich dies einmal aus der schlechten Überlieferung, aber nicht
allein aus dieser.
Vergleicht man die Manethonische Überlieferung mit den ägypt. Denkmälern, so ist zwar die
Reihenfolge der Herrscher in Manethos Listen im wesentlichen richtig, aber die Zeitbestimmungen sind mit geringen Ausnahmen
irrig und die histor. Notizen mit großer Vorsicht aufzunehmen. Man muß bedenken, daß Manetho über
die ältere ägypt. Geschichte kaum besser unterrichtet war, wie ein lediglich aus der nationalen
Tradition schöpfender griech. Historiker von heute etwa über den Trojanischen Krieg, und daß weiter
die von ihm bei Abfassung
seines Werkes benutzten einheimischen Quellen, die Königslisten, Tempellegenden u.s.w., überaus lückenhaft
und einseitig gewesen sind. So werden also die meisten Irrtümer bereits in dem Originalwerk Manethos enthalten gewesen sein.
Die frühern Ägyptologen haben die Bedeutung Manethos für die ägypt. Chronologie überschätzt und sind dadurch, daß sie
ihn allen histor. Untersuchungen zu Grunde gelegt haben, zu Irrtümern verleitet worden. Es erhellt dies
schon aus der Vergleichung der Zahlen, die die verschiedenen Gelehrten für die Regierungszeit des ersten ägypt. Königs
Menes auf Grund der Manethoniscben Überlieferung ausgerechnet haben: nach Champollion auf 5867 v. Chr., Lesueur 5770, Böckh5702,Unger 5613, Mariette 5004, Brugsch 4455, Lauth 4157, Chabas 4000, Lieblein 3893, Lepsius 3892, Bunsen
3623, Ed. Meyer 3180, Wilkinson 2320, Palmer 2224 v. Chr. Auf Grund der ägypt. Königslisten und der auf den Denkmälern gefundenen
Zahlen der Regierungsdauer der einzelnen Herrscher muß nun versucht werden, die Ereignisse der ägypt.
Geschichte zeitlich festzulegen. Es ist dies, abgesehen von den Lücken der Listen, dadurch noch besonders
erschwert, daß aus mehrern Epochen keine oder nur sehr wenige Denkmäler überkommen sind, und daß nur von wenigen Königen
(z. B. Ramses II.) die genaue Regierungsdauer bekannt ist. Man kann daher nur ungefähre
Daten feststellen, die besonders für die ältere Zeit (bis zum Beginn des neuen Reichs), um mehrere Jahrhunderte
schwanken können.
Feste Punkte für die Chronologie gewinnen wir durch einige in ägypt. Denkmälern angegebene astron. Ereignisse
sowie durch die Gleichzeitigkeit ägypt. Taten mit Taten der assyr.-babyl., hebr. und griech. Geschichte. Solche
Punkte sind:
1) nach einer kalendarischen Notiz auf der Rückseite des Papyrus Ebers ist das 9. Jahr des Königs Amenophis
I. (18. Dynastie) zwischen 1553 und 1550 v. Chr. anzusetzen:
2) mit Hilfe astron. Angaben ist die Regierungszeit Thutmosis' III. (18. Dynastie) auf 1503–1499 v. Chr. und die Ramses'
II. (19. Dynastie) auf 1348–1281 v. Chr. zu bestimmen;
3) der Thontafelfund von El-Amarna hat u. a. den Briefwechsel der Könige
Amenophis IV. von Ä. (Dynastie 18) und Burraburiasch von Babylon geliefert, beide Könige müssen also um dieselbe Zeit regiert
haben:
4) Scheschonk I. (Schischak) von Ä. hat zur Zeit Rehabeams Jerusalem
[* 15] geplündert, gehört also in die zweite Hälfte des 10. Jahrh.;
5) aus der griech. Geschichte ergiebt sich, daß Psammetich I. 663 v. Chr. den Thron
[* 16] bestiegen hat. Von
dieser Zeit an steht die ägypt. Chronologie durch den Zusammenhang ägypt. und griech. Ereignisse
fest.
Man teilt die ägypt. Geschichte von der ältesten uns bekannten Zeit bis zum Ende der einheimischen
Herrschaft in das alte, mittlere, neue Reich, in die Epoche der libyschen Herrschaft und in die Spätzeit;
neben dieser Einteilung geht noch eine andere, von Manetho eingeführte einher, der die ägypt. Herrscher
von dem ältesten König Menes bis zu Alexander d. Gr. in 31 Dynastien verteilt. Für diese Epochen sind mit Hilfe des im
Vorstehenden angegebenen Materials folgende ungefähre Zeitpunkte festgestellt worden:
1) das alte Reich (Dynastie 3–6: 2800–2500 v. Chr.);
2) das mittlere Reich (Dynastie 11–12: 2200–1900 v. Chr. [Dynastie 11: 2200–2100, Dynastie 12: 2100–1900], Dynastie
13: um 1800, die Herrschaft
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