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finden sich als Haustiere das Kamel, das Schaf [* 2] (dessen meist rotbraune Wolle und verarbeitete Häute nach Indien gehen), das Pferd [* 3] (ebenfalls nach Indien ausgeführt), besonders zum Lasttragen benutzte kräftige Ponies, Jabu genannt, viele Maultiere, Esel (der zahme wie auch der weiße wilde), in den Gebirgen auch Rinder. [* 4] Die Mehrzahl der Vogelarten ist mit europäischen identisch. Die zahlreichen Falken werden zum Teil zur Jagd abgerichtet; Fasane, Lerchen u. s. w. kommen in großer Menge vor, ebenso eine große und sehr giftige Skorpionart.
Die Bevölkerung A.s, nicht einheitlicher Abstammung, wird von [* 5] H. Keane (1880) auf 6145000 Seelen geschätzt, darunter 3520000 Afghanen. Im jetzigen Umfange zählt das Land etwa 4 Mill. E. In ihrem eigenen Dialekt nennen sich die Afghanen Puchtun, im Plural Pachtane, woraus in Indien Pathan geworden ist. Nach den Dialekten zerfallen sie auch in eine östl. (Gildschi) und westl. (Durrani) Gruppe. Die Masse der eigentlichen Afghanen gehört zum iran. Volksstamme im weitern Sinne.
Ihre Sprache, [* 6] eine ostpers. Mundart, hat jedoch in ihrem östl. Teile starke indische, im westlichen pers. Beimischungen erfahren. Die verschiedenen Stämme des Landes haben politisch besondere Vorrechte und Einrichtungen, wahrscheinlich je nachdem sie stoßweise von dem nordöstl. Hochlande eingewandert sind. Der im Westen über die eigentlich afghan. Grenzen [* 7] hinaus wohnende Stamm der Hasara, etwa 360000 Seelen, sind Berla, ein mongol. Usbegenzweig aus Timurs oder sogar aus Dschingis Chans Zeit.
Sie sprechen ein sehr altes Persisch und sind, wie die Perser, schiitische Moslems. Von den übrigen Stämmen, die das Hochland bewohnen, sind besonders die durch das ganze Gebiet zerstreuten Tadschik sowohl als Reste der ursprünglichen iran. Bevölkerung [* 8] (mit Sinn für Ackerbau) als auch durch ihre Zahl von 1 Mill. Seelen bemerkenswert. Sie sind, wie die Afghanen, Sunniten und sprechen einen fast rein pers. Dialekt. Auch die den Hasara westlich benachbarten Aimak, eine Gesamtheit von wilden, räuberischen Stämmen, sind Sunniten.
Türk. Abkunft hingegen sind die Katagan (Usbegen, etwa 200000), ferner die Kisilbasch (75000), Schiiten, die hier seit
Nadir-Schah festen Fuß gefaßt, aber die pers.
Sprache angenommen haben. Im
Osten sind von
Indien aus die sog. Hindki und die
Dschat eingedrungen. Erstere, ½ Mill. Seelen, beschäftigen sich besonders in den
Städten mit
Handel
und haben sich wahrscheinlich von der Kriegerkaste
Ostindiens abgezweigt. Die sunnitischen Dschat dagegen sind sehr arm, ein
schöner, kräftiger, dunkler
Stamm, Hausdiener,
Musiker,
Barbiere u. s. w., von unbekannter, vielleicht altscythischer Herkunft.
Im
Süden von Afghanistan
wohnen 100000 Belutschen
(Iranier); im Nordosten etwa 100000 Badachschi, ferner in geringer Zahl
Kafir
(s. d.), anderer Einwanderungen, wie die von Armeniern u.s. w., nicht zu gedenken.
Über alle diese herrscht der Zahl nach, wenn auch in viele Stämme gegliedert, doch durch Nationalbewußtsein zusammengehalten, der Afghane, kräftig von Körper, trotzig und stolz. Von den einzelnen Stämmen werden die tapfern und gewerbfleißigen Berdurani, im Nordosten, durch ein Offensiv- und Defensivbündnis untereinander zusammengehalten, welches fester ist als die Bande des Blutes. Ausgenommen davon sind die Jußufpehi (Jußufsai), die stolzesten und unruhigsten aller Berdurani, berüchtigt durch die in ihren Stämmen herrschende Anarchie.
Obwohl vom
Ackerbau lebend, überlassen sie doch die ganze
Arbeit den sog.
Fakir, welche Fremde sind oder
unterworfenen
Stämmen angehören. Diese dürfen von ihren Herren sogar getötet werden; zahlen sie jedoch ihr Schutzgeld
und thun ihre
Arbeit, so können sie nebenher nach Belieben
Handel treiben und werden dann milde behandelt. Die Turkolani,
thätige und freundliche Leute, stehen unter einem einzigen mächtigen Häuptlinge von großem Ansehen. Die
Afridi und Schinwari am Spingargebirge sind die schlimmsten und verräterischsten
Räuber in ganz Afghanistan
, die
Babur ein civilisierter,
handeltreibender
Stamm.
Die Sturiani waren Hirten, bis sie durch die Kaker ihrer Weidelandschaften beraubt wurden; seitdem sind sie Ackerbauer und haben, wie alle dortigen ackerbauenden Stämme, ihre Arbeiter oder Leibeigenen. Die Dschaudschi und Turi, stets einander feindlich, leben in den Thälern und Schluchten der Suleimankette. Die Schirani, um den Tacht-i-Suleiman, sind sehr arm und uncivilisiert, plündern jeden aus, brechen aber nie ihr Wort; Aussehen und Lebensweise sind überaus wild.
Ähnliches gilt von den ihnen benachbarten Smurri und Wasiri. In dem langen Sawurathale wohnen die bedeutenden Handel treibenden schwarzen und weißen Serin. Die edelsten und wichtigsten Stämme sind die Durrani und Gildschi, hauptsächlich Hirten mit patriarchalischen Sitten, meist auf hohen dunkeln Hügeln hausend, die bald wüst, bald spärlich angebaut, überall aber offen sind und Weidegründe bieten. Größtenteils leben sie in Zelten (Kisdi) aus dunkler Wolle, die im Winter durch Felle warm und behaglich gemacht werden.
Man schätzt die Zahl der Durrani auf 800000, die zwischen Herat und Kandahar, sowie in Kabulistan wohnen. Sie hießen früher Abdali, bis ihr Herr, der Häuptling Ahmad (gest. 1773), den Titel Durri Durrân, d. h. Perle der Perlen, annahm. Ihr Chan ist erblicher Häuptling, militär. Oberhaupt. Sie sind unter den afghan. Stämmen am meisten der Civilisation zugänglich. Die Gildschi, ein tapferes, hochsinniges Volk von etwa 600000 Seelen, am obern Tarnak und in einem großen Teile des Kabulthals, mit einigen wichtigen Städten, waren ehemals der Hauptstamm; ein Zweig derselben eroberte Persien. [* 9] Aus den Holeki sind Könige und aus den Tochi sind Wesire hervorgegangen. Sie umfassen etwa 100000 Familien und ähneln den Durrani, welche sie als Rivalen sehr hassen. Dem undisciplinierbaren Selbstbewußtsein entsprach die eigentümliche Stammverfassung; aber auch jetzt, gegenüber dem Alleinherrscher, sind die Unterschiede der einzelnen Ulus oder Stämme mit ihren Chanen durchaus nicht aufgehoben. Die staatliche Organisation ist sehr locker.
Sprache und Litteratur. Die Sprache der Afghanen, das Pachtu (s. d.), in westafghan. Aussprache auch Puchtu oder Puschtu genannt, ist ein ostiran. Dialekt. Schriftstellerische Versuche begannen erst sehr spät und nur in Anlehnung an pers. Vorbilder. Einer der frühesten und zugleich berühmtesten Dichter ist Abdurrahman aus dem Distrikt von Pischawar, ein gelehrter Sufi. Ferner sind zu nennen: Mirza Chan Anßari, der in der ersten Hälfte des 17. Jahrh. dichtete; Chuschhal Chan Chatak, sein Zeitgenosse, der einen Aufenthalt in Indien nahm; besonders aber Ahmad Schah Abdali, der Gründer der Durrani-Dynastie. Auch fehlt es nicht an histor. und religiösen Aufzeichnungen, ¶
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doch geht keine derselben über das 15. Jahrh. zurück. Durch die in Afghanistan
stets
in hoher Blüte
[* 11] stehende pers. Litteratur ist die eigentlich afghanische in ihrem Wachstum stark beschränkt
worden.
Handel und Industrie sind in Kabul, Kandahar und andern größern Städten sehr entwickelt, besonders das Kunstgewerbe. Den Verkehr zwischen Ostindien [* 12] und Centralasien besorgen die sog. Lohani-Kaufleute, Povinda oder Käufer genannt. Diese bewaffneten, auf ihrem Zuge durch Zölle und Abgaben vielfach beschwerten Handelsleute überwinden schwierige Gebirgspässe und räuberische Stämme, wenn sie, von Buchara ausgehend, sich zu großen Karawanen vereinigen.
Zweimal im Jahre versuchen sie die Reise aus den Wüsten Bucharas durch die Pässe des Paropamisus, die Gildschi-Hochebenen und die Pässe der Suleimankette bis zum Pandschab. Hier angekommen, lassen sie ihre Kamele [* 13] und Waffen [* 14] zurück und gehen mit ihren Ballen auf der Eisenbahn,Dampfschiffen u.s.w. nach Kalkutta, [* 15] Karatschi, Bombay [* 16] u. s. w., zuweilen selbst bis nach Assam und Birma. Von Ostindien bringen sie Zeuge aller Art, Töpfer- und Metallwaren, Indigo, [* 17] Brokat, Zucker, [* 18] Gewürze, Thee, Cochenille, Ammoniak, Pferde, [* 19] Kamele, Krapp, Teppiche, Droguen, Münzen, [* 20] Kupfer, [* 21] Perlen, Draht, [* 22] Goldborte, Opium (obwohl für Rußland streng verboten) u. s. w. Der Wert des Povinda-Handels beläuft sich jährlich auf 30300000 M.
Entdeckungsgeschichte. Über die frühere Zeit s. Asien.
[* 23] In der neuesten Zeit wurde Afghanistan
namentlich in seiner
östl. Hälfte bekannter durch die Forschungsreisen und Aufnahmen von Offizieren und Topographen, welche 1878 und 1879 den
englischen in Afghanistan
vorrückenden Heersäulen folgten;
Tanner unternahm einen Ausflug zu den Sija-posch-Kafir;
Scott bestimmte von dem 4760 m hohen Sikaram, dem höchsten Gipfel des Sefid-Koh, aus zahlreiche Spitzen des Hindukusch. Am eingehendsten wurde das Gebiet zwischen dem Indus und Kandahar untersucht;
viele Irrtümer berichtigte hier Gore, welcher das Thal [* 24] Pischin beschrieb: Campbell besuchte das Thal Schorawak im SW. und das Tobaplateau im N. von Pischin;
Roger bewerkstelligte eine Aufnahme von Kandahar;
die Straße Kandahar-Girischk, der beste Landweg zwischen Indien und Persien, wurde von Kapitän Beavan untersucht.
Die Geographie des nordwestlichen A.s wurde durch die Arbeiten der von 1884 bis 1887 thätigen russ.-brit. Grenzkommission unter Sir Peter Lumsden bereichert. Die geolog. Durchforschung beendete Griesbach 1889. Die Ergebnisse sind zusammengefaßt in der 1891 erschienenen vierblättrigen Karte (1: 520640), die ein ganz neues Bild des Landes entwirft.
Geschichtliches. Die Afghanen treten erst sehr spät in die Geschichte klar erkennbar ein. Zwar erscheint ihr Name schon in den Paktyern (Puchtun) des Herodot; ihr jetziges Gebiet wird zum Teil mit dem Vaekereta des Avesta gemeint sein, ebenso mit den Bezeichnungen der alten Geographen Drangiana und Ariana. Aber es ist zweifelhaft, ob Stämme der heutigen Bewohner schon damals in diesen Grenzen saßen. Von nahen Beziehungen zu Indien zeugen noch heute die buddhistischen Kolosse von Bamian.
Zuerst werden die Afghanen bestimmt genannt in den Kriegszügen des Mahmud von Ghasni. Die Nachwanderungen fanden indes sehr
langsam statt, und noch im 14. Jahrh. saßen einzelne Stämme außerhalb der jetzigen Grenzen. Später
noch
wohnten die Kafir massenhaft in Ostafghanistan
, wie damals wahrscheinlich auch die Tadschik in Westafghanistan
als herrschender
Stamm. Die Zeit der pers.-mongol. Herrschaft öffnete den kriegerischen Stämmen den Weg ins Land; doch sammelten sie sich
erst um die Mitte des 18. Jahrh. zu geschlossenem Auftreten und durchzogen
unter Mahmud und Aschref siegreich ganz Persien.
Unter Nadir Schah waren sie den Persern wieder unterthan. Als nach dessen Tode (1747) in Persien selbst Unruhen ausbrachen, benutzte Ahmad Schah (s. d.) die Gelegenheit, das Joch der Perser abzuwerfen, und begründete die Dynastie der Durrani oder Abdali; vor seinem Tode erstreckte sich das Reich vom Oxus bis zum Meere und von Nischapur in Chorassan bis Sirhind im Pandschab. Auch Kaschmir [* 25] war ihm unterthan. Er baute Kandahar wieder auf. Sein Sohn Timur starb 1793 und dessen zweiter Sohn Siman bestieg den Thron. [* 26]
Seinen Bruder Mahmud, der in Herat residierte, nötigte er, auf pers. Gebiete Schutz zu suchen. Doch bald verbanden sich Fath Chan (engl. Futeh Chan), Oberhaupt des mächtigen Geschlechts der Bariksai, und Mahmud gegen Siman, setzten sich in Besitz von Kandahar und vertrieben 1800 Siman, der, geblendet, in Ludiana den Schutz der brit.-ind. Regierung fand. Nach kurzem Zwischenregiment seines Bruders Schudscha ul-Mulk bestieg Mahmud zum zweitenmal den Thron. Durch die Hinrichtung seines Bundesgenossen Fath Chan zog er sich den Haß der Bariksai zu und mußte 1823 abermals die Regierung niederlegen. Er starb 1829 in Herat, das allein noch in seinem Besitze geblieben war.
Mit ihm brach die Durrani-Monarchie, die 76 Jahre bestanden, zusammen. Das Reich ging, mit Ausschluß Herats, an die Bariksai über; in Kabul gelangte Dost Muhammad, in Kandahar Kohan Dil, in Pischawar Sultan Muhammad zur Herrschaft. An der Spitze stand der älteste der drei Brüder, Dost Muhammad, als Chan von Kabul. Im Osten geriet dieser in Kampf mit Lahaur; im Westen wurde Herat von Persien mit Krieg überzogen. Am erklärte der brit. Generalgouverneur von Indien, Lord Auckland, [* 27] den Krieg, da Dost Muhammad den brit. Alliierten Randschit Singh unrechtmäßig bekämpft und Schudscha Schah als rechtmäßiger Thronerbe Englands Schutz angerufen habe.
Ein anglo-ind. Heer von 12000 Mann und 40000 Köpfen Lagergefolge überschritt den Indus, im März mit Verlusten
den Bolanpaß, 7. April den Kodschakpaß und gelangte 25. April nach Kandahar, wo Schudscha Schah von seinem Reiche förmlich Besitz
ergriff. Am 22. Juli wurde Ghasni besetzt und 7. Aug. zog der Schah mit der brit. Hauptmacht in Kabul ein. Dost
Muhammad, in hilfloser Lage jenseit des Oxus, gab sich zwar den Engländern gefangen, aber sein Sohn Akbar trat an die Spitze
einer Verschwörung, an die, trotz aller Anzeichen, weder der brit. Kommissar Alex. Burnes noch Macnaughten,
der brit. Minister am Hofe zu Kabul, glaubten. Macnaughten bezahlte mit engl. Gelde den königl. Hofhalt Schudscha Schahs sowie
die Beamten und kirrte die Häuptlinge durch Geld, so daß Afghanistan
dem ind. Schatze jährlich fast 27 Mill. M. kostete. Sobald
aber den Häuptlingen die fernern Geldzahlungen entzogen wurden, brach der Sturm los. Am erhob
sich das ganze Land gegen die meist in Kabul stationierten 8000 Mann europ. Truppen und Sipahi; Burnes, Macnaughten
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